Protokoll der Sitzung vom 20.02.2003

Ich halte gar nichts davon, wenn wir selbst Deutschland permanent schlecht darstellen oder zum Sanierungsfall erklären.

(Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Dr. Birk: Typi- sche Neujahrsrede!)

Wie sollen wir erwarten, dass andere Vertrauen in und Interesse an Deutschland entwickeln, wenn wir dies nicht selbst tun?

Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Heike Dederer GRÜNE)

Insofern haben wir, was die Steuern angeht, keinen Nachholbedarf – nehmen Sie das doch endlich einmal zur Kenntnis –, weil wir international in einer Spitzenposition sind. Ein solcher ist heute wiederum behauptet worden. Deswegen sage ich das.

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Dann sagen Sie es doch einfach einmal, Herr Scheuermann. Es wäre schön, wenn Sie das einmal sagen würden.

Ich möchte mich jetzt dem Landeshaushalt und dabei zunächst der mittelfristigen Finanzplanung zuwenden. Da sage ich einfach die Zahlen. Auf der einen Seite halten Sie an der Nettonullverschuldung 2006 fest, aber nur dadurch, dass Sie die nicht zu schließende Deckungslücke dramatisch ausweiten, und zwar von 700 Millionen € in diesem Jahr auf 1 Milliarde € im Jahr 2004 und auf 3 Milliarden € im Jahr 2006. Da kann ich auch eine Nullverschuldung feststellen. Dieses Ziel ist unrealistisch, wenn Sie das so machen, vor allem bei vergleichsweise sehr günstigen Wirtschafts- und Steuereinnahmeprognosen. Von daher gesehen glaube ich, dass das nicht in Ordnung ist, was hier gemacht wird: die Nullverschuldung vorneweg zu tragen und dann zum Schluss 3 Milliarden € nicht decken zu können. Das passt nicht zusammen.

(Beifall bei der SPD)

Sie müssen im Grunde mehr Einnahmen haben und die Ausgaben dramatisch reduzieren.

Ich komme erst zur Einnahmeseite. Im Bundestagswahlkampf haben der Herr Ministerpräsident und viele andere gesagt: Es wird nie eine Steuererhöhung geben. Gott sei Dank hat Herr Stratthaus das nie gesagt, und heute hat er ja erklärt, dass die Landesregierung – in Anführungsstrichen – „wenigstens“ die Körperschaftsteuererhöhungen mitmachen wird. Das ist ein großer Erfolg. Das nehme ich einmal zur Kenntnis.

(Widerspruch bei der CDU)

Doch, das ist natürlich, nachdem zurzeit keine Körperschaftsteuer bezahlt wird, eine Erhöhung. Reden wir doch nicht darum herum. Wenn die Unternehmen zurzeit nichts bezahlen und zukünftig etwas bezahlen, ist das eine Steuererhöhung. Hören Sie doch auf mit der Semantik! Ich weiß gar nicht, was die Landesregierung will.

(Abg. Dr. Scheffold CDU: Einnahmen wollen wir!)

Im „Schwarzwälder Boten“ hat Herr Stratthaus einmal dieses gesagt. Frau Schavan warnt vor Steuererhöhungen: Was man vor der Wahl gesagt hat, soll man nach der Wahl einhalten. Das ist sehr schön. Und Herr Döring hat seinen massiven Widerstand im Bundesrat gegen jegliche Steuererhöhung angekündigt. Sie müssen das nur lesen. Ich hoffe, dass Herr Stratthaus wenigstens in diesem Bereich Recht behält, was die Landesregierung macht. Wir sind auch der Auffassung, dass da eine Korrektur notwendig ist. Wir sind auch der Auffassung, dass das Steuerpaket der Bundesregierung im Land Baden-Württemberg einen Erhöhungsbeitrag von insgesamt 200 Millionen € in diesem Jahr, steigend bis zum Jahr 2006 auf 1 Milliarde € Steuermehreinnahmen bringt, wobei ich Ihnen Recht gebe: Man muss immer unterscheiden, welche Berufsgruppen und welche Bereiche man belastet.

In der Einnahmeseite, liebe Kolleginnen und Kollegen – darüber sollte man einmal diskutieren –, sollten Sie sich von Besitzständen einfach einmal verabschieden. Ich sage nur: Landesstiftung und Landesbeteiligungen. Es ist doch nicht möglich, dass der Ministerpräsident im Dezember am Dienstag 50 Millionen € von der Landesstiftung verteilt und am nächsten Tag, am Mittwoch, der Finanzminister im Grunde genommen den Staatsbankrott erklärt. Das geht nicht. Das sind alles staatliche Mittel. Deswegen sagen wir nach wie vor: Die Landesstiftung gehört aufgelöst. Das Geld soll zur Schuldentilgung eingesetzt werden, und den Zinsvorteil, den wir dann im Haushalt haben, können wir zum Beispiel für Bildung und Betreuung einsetzen, ohne die Steuerquote zu erhöhen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Zweitens: Beteiligungen des Landes. Da gucke ich die FDP/DVP an. Da gab es immer tolle Vorschläge zur Privatisierung. Wir sagen nach wie vor, dass wir die Landesbank privatisieren wollen. Das kann man auch machen. Um noch 25,1 % zu halten, kann man 14 % verkaufen. Das sind immerhin 1,8 bis 1,9 Milliarden €. Die würde ich auch zur Schuldentilgung nehmen. Auch da hätten wir dann eine Zinsverbesserung, und zwar von 80 Millionen € im Jahr. Auch die könnten wir dann für andere Dinge verwenden. Wenn Sie noch Gestaltungsbeispiele wollen, sind das nur zwei. Hier müssen wir an Strukturen herangehen, Herr Oettinger, wenn wir auch auf der Einnahmeseite über Strukturen reden wollen.

Ich komme zur Ausgabenseite. Hier wird gesagt: Wir machen manchmal das und manchmal das. Ich höre etwas von Strukturreformen. Sie machen keine Strukturreformen. Der Personalhaushalt macht 40 % des Gesamthaushalts aus. Sie haben in den letzten paar Jahren bei den Stellen immer Reduzierungsprogramme gemacht. Dafür hat man auf der anderen Seite notwendigerweise erhöht. Aber wenn Sie nicht an die Strukturen herangehen, wenn Sie nicht an eine Aufgabenkritik herangehen, können Sie die Verwaltung nicht weiter mit Reduzierungsprogrammen wie eine Zitrone auspressen. Das hält die Landesverwaltung in Baden-Württemberg nicht mehr aus.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe nicht den Eindruck, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie überhaupt ein Problembewusstsein haben. Das glaube ich nicht. Sonst wären Sie schon jahrelang unseren Forderungen auf Eingliederung der Landwirtschaftsämter in die Landratsämter gefolgt. Dann wären Sie bei der Zusammenlegung der Vermessungsverwaltung und Flurneuordnung

(Abg. Hauk CDU: Die wollten Sie doch abschaf- fen, habe ich gedacht, Herr Drexler!)

schon längst mit uns gegangen. Sie machen ja noch nicht einmal diesen kleinen, diesen winzigen Schritt, die Pensionen der Landesminister von 75 % auf 70 % zu reduzieren, mit,

(Abg. Oettinger CDU: Abwarten!)

nachdem Sie draußen den Leuten immer sagen, sie sollen mit einer auf 60 % reduzierten Rente auskommen. Dann könnten unsere Minister vielleicht auch mit 70 % und beim Eingangspensionssatz mit einer Reduzierung von 40 % auf 30 % auskommen und damit, dass sie erst mit 65 Jahren ihre Rente bekommen und nicht schon mit 56. Nicht einmal da machen Sie mit. Schon zweimal haben Sie einen entsprechenden Antrag vertagt. Wo ist denn hier die Reformbereitschaft?

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Sie machen im Grunde genommen etwas ganz anderes. Das haben wir ja bei der Verwaltungsreformdebatte gehabt: Sie gehen überhaupt nicht an Strukturen heran. Sie wollen die Strukturen so lassen und ein bisschen einsparen. Aber damit werden Sie mittelfristig, auch angesichts der demographischen Entwicklung, dieses Land und den Landeshaushalt nicht sanieren.

Sie machen NSI. Jetzt will ich Ihnen etwas sagen: Wir sind für die Modernisierung. Wir sind für Teile dieses NSI-Projekts. Ich möchte bloß einmal daran erinnern, dass Herr Oettinger vor einiger Zeit gesagt hat, die CDU-Fraktion sei schon froh, wenn wir dann das gleiche Geld ausgeben werden wie vor NSI und nicht hinterher, nach NSI, mehr bezahlen müssen. Das war ein wörtliches Zitat.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Nachtigall!)

Wir haben eine Anhörung durchgeführt. Wir sind für eine Modernisierung. Aber Sie können NSI nicht auf die ganze Staatsverwaltung des Landes Baden-Württemberg überkippen. Sie laufen in die falsche Richtung. Bei der Polizei und bei anderen Bereichen ist das falsch. In der Zwischenzeit kostet uns das NSI-Projekt eine halbe Milliarde Euro. Das planen Sie ein, ohne ein Kosten-Nutzen-Verhältnis dessen, was dabei herauskommt, zu kennen. Bayern hat sich verabschiedet und geht differenzierte Schritte. Rheinland-Pfalz hat sich verabschiedet und geht differenzierte Schritte. Hören Sie auf, alles über einen Kamm zu scheren! Deswegen werden wir im Haushalt zuerst einmal einen Stopp der Gelder beschließen – ich hoffe, mit Ihrer Hilfe –, damit wir dann in diesem Parlament einmal diskutieren können: Was ist bei NSI sinnvoll und was setzen wir um, und was können wir nicht umsetzen? Dieses Milliardengrab, das wir da mit

schleppen, ist falsch. Wir fordern Sie auf, mit unserem Antrag mitzugehen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Schmiedel SPD: Sehr gut!)

Jetzt höre ich immer: Strukturreformkommission. Sie haben in diesem Haushalt doch keine Strukturreformen gemacht. Wo denn? Sie haben Kleinbeträge von 10 000 € bis 20 000 € gestrichen. Nachdem ich gerade die Frau Justizministerin sehe: Hier hat man gerade einmal 5 000 € bei den Reisekosten gestrichen und 2 000 € bei der EDV im Justizbereich. Wo ist denn da im Haushalt eine Struktur zu erkennen? Sie haben gar keine Struktur gemacht.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Richtig!)

Und jetzt müssen Sie nachsitzen. Von wegen Struktur: Nachsitzen. In der Schule habe ich einmal gelernt, dass Nachsitzen bei offenkundig Lernunwilligen nicht hilft.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und Abgeord- neten der Grünen)

Das hilft nun wirklich nicht.

(Abg. Dr. Birk CDU: Wie war das bei Ihnen? – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU)

Was? Ich gebe Ihnen zu: Bei mir war das genauso. Deswegen weiß ich das. Das ist doch klar.

(Beifall des Abg. Theurer FDP/DVP – Abg. Scheu- ermann CDU: War das Ihr Beitrag zur Ganztags- schule?)

(Heiterkeit bei der CDU – Abg. Friedlinde Gurr- Hirsch CDU: Das war ein Selbstversuch! – Abg. Capezzuto SPD: Scheuermann ist aufgewacht!)

Ich habe also diese Bitte dazu. Die Kürzungen werden nach dem Rasenmäherprinzip vorgenommen. Wir sind noch lange nicht bei dem angelangt, was wir wollen. Deswegen haben Sie auch Ihr Ziel nicht erreicht. Das muss man einfach sagen.

Kahlschlag im Sozialbereich. Jetzt komme ich auf etwas zu sprechen, meine sehr verehrten Damen und Herren und liebe Kolleginnen und Kollegen, was uns ziemliche Sorgen macht und bei dem Sie alle bei Beratungen und Diskussionen der verschiedenen Bereiche dabei waren. Da ist uns immer entgegengehalten worden – beim Sozialpsychiatrischen Dienst, bei der Jugend- und Schulsozialarbeit, auf die ich nachher noch einmal zu sprechen komme, und bei den Jugendwohnheimen –, da haben die CDU-Abgeordneten immer gesagt: „Aber wir können ja nicht anders, weil wir hier in jedem Ministerium einen bestimmten Prozentsatz einsparen müssen.“ Dann habe ich einmal gefragt: Wer hat denn das beschlossen? Das ist doch nicht von Gott gegeben.

(Abg. Capezzuto SPD: Bei der CDU schon! – Zu- ruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Sie haben das am Anfang beschlossen und halten sich daran, obwohl ich der Meinung bin, dass das, was Sie ge

macht haben, grottenfalsch ist. Denn die Streichungsmaßnahmen, die Sie jetzt im sozialen Bereich vornehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich werde Ihnen nachher einfach auch die Stellungnahmen der Kirchen vorlesen müssen, damit das deutlich wird –, sind falsch, machen Dienste kaputt und zerschlagen ehrenamtliche Strukturen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das kann nicht Sinn und Zweck sein.