Ich schlage vor, den Gesetzentwurf an den Wirtschaftsausschuss zu überweisen. – Sie sind damit einverstanden. Es ist so beschlossen.
Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD – Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes (KomWG) und des Gesetzes über die Errichtung des Verbands Region Stuttgart (GVRS) – Drucksache 13/1803
Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion, gestaffelt.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind uns hier im Haus einig, dass der Anteil von Frauen in den Gemeinderäten viel zu gering ist. Auf eine Anfrage der Frau Kollegin Dr. Gräßle hat das Sozialministerium, Frau Staatssekretärin Lichy, mitgeteilt, dass es in 72 Gemeinden überhaupt keine Frauen im Gemeinderat gibt.
Wenn man den Gesamtanteil nimmt, sieht man, dass bei der letzten Kommunalwahl 1999 im Durchschnitt lediglich 18,93 % Frauen in die Gemeinderäte gewählt wurden. Das bedeutet einen Fortschritt, eine Verbesserung des Anteils gegenüber der vorhergehenden Kommunalwahl um lediglich 1,5 %. Wenn Sie diese Linie fortschreiben – ungeachtet der Tatsache, dass die Zuwächse geringer geworden sind – und eine fünfjährige Wahlperiode unterstellen, dann würden wir in 100 Jahren einen Frauenanteil von 50 % in den Gemeinderäten haben.
Wenn Sie den Durchschnitt der letzten 15 Jahre nehmen, dann würden wir immer noch 50 Jahre brauchen.
Bei den Kreistagen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sieht es noch schlechter aus: Dort lag der Anteil 1999 lediglich bei 13,97 %, und die Zuwachsraten sind geringer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir meinen, Frauen haben einen Anspruch darauf, dass die Politik diesen Tatbestand nicht nur bedauernd zur Kenntnis nimmt, sondern handelt.
Deshalb freut mich, dass Frau Staatssekretärin Lichy ausdrücklich erklärt hat – ich zitiere aus einer Pressemitteilung des Sozialministeriums vom 4. März 2003 –:
Es muss ein wichtiges Ziel aller Demokraten sein, sich auf allen Ebenen für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Politik einzusetzen.
Diese richtige Aufforderung, Frau Lichy, betrifft nicht nur die Parteien und Wählervereinigungen. SPD und Grüne haben gehandelt; sie haben Quotierungen. Dies betrifft auch den Landtag. Er ist gefordert, gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen.
Bei der Debatte im Rahmen der 33. Plenarsitzung, dem Frauenplenartag, hatte ich auf die positiven rechtlichen, gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Auswirkungen der Grundgesetzbestimmung des Artikels 3 Abs. 2 – „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ – und der Ergänzung anlässlich der letzten Novellierung durch den Satz 2 hingewiesen und dabei festgestellt, dass für viele Bereiche gilt: „Gesetze ändern nicht alles, aber ohne Gesetze ändert sich nichts.“ Dieser Befund gilt auch für diesen Bereich des Kommunalwahlrechts. Der Landtag ist zuständig für die Regelung der Voraussetzungen bei der Listenaufstellung. Hier kann und muss gehandelt werden. Wir schlagen eine entsprechende Quotierung vor.
Selbstverständlich können Bewerberinnen und Bewerber nur insoweit und so lange quotiert werden, wie es Bewerberinnen bzw. Bewerber gibt.
Zum Zweiten: Wenn eine mitgliedschaftlich organisierte Wählervereinigung beschließt, nur eigene Mitglieder aufzustellen – was ihr nicht verwehrt werden kann –, und sie mitgliedschaftlich nur von Frauen organisiert ist, dann sind rechtlich gesehen selbstverständlich auch reine Frauenlisten möglich, wie umgekehrt auch reine Männerlisten möglich wären. Allerdings gibt es nur sehr wenige solcher geschlechtsspezifischen, mitgliedschaftlich organisierten Wählervereinigungen.
Im Innenausschuss ist schon vorab beraten worden, ob eine Anhörung durchführt werden soll. Dabei hat ein Kollege von der CDU-Fraktion – bemerkenswerterweise auch noch ein Jurist – die Frage gestellt, ob diese Regelung verfassungskonform wäre. Eine solche Frage erstaunt mich kolossal. Artikel 3 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes sieht seit der Novellierung durch das Gesetz von 1994 vor:
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Ich möchte den Appell von Frau Staatssekretärin Lichy an alle Mitglieder dieses Hauses – Frauen und Männer – richten. Frau Lichy hat gesagt, sie fordere alle Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft auf, Regelungen und Konzepte zu entwickeln, um den Frauenanteil in der Kommunalpolitik zu erhöhen. Denkbar sei eine Listenaufstellung in Form des Reißverschlussverfahrens: Auf den Listenplätzen sollen im Wechsel Männer und Frauen aufgestellt werden.
Genau dies wollen wir. Meine Damen und Herren insbesondere von den Regierungsfraktionen: Folgen Sie den Vorschlägen der Staatssekretärin!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Birzele, willkommen im Klub des frauenpolitischen Fortschritts!
(Abg. Fischer SPD: Da ist Herr Birzele schon lang! – Abg. Heike Dederer GRÜNE: Gucken Sie doch Ihre Fraktion an! – Gegenruf des Abg. Herrmann CDU: Die ist besser und größer als Ihre, Frau De- derer!)
Ich freue mich sehr, dass Sie sich dieses Themas angenommen haben. Ich freue mich vor allem deshalb darüber, weil ich angesichts Ihres Appells am Schluss darauf hoffe, dass sich auch die Zahl der Gemeinderätinnen in Göppingen, in Ihrem Wahlkreis, steigert. Denn da sind Sie auf Landesebene ziemlich weit am Schluss.
Meine lieben Kolleginnen, liebe Kollegen, wir haben allen Grund, uns des Themas anzunehmen. Im Schnitt sind nur 19 % aller Gemeinderäte Frauen. Das ist immerhin ein Plus von 1,1 % gegenüber der Wahl 1994. In den Kreistagen haben wir gegenüber der Wahl 1994 mit 14 % ein Plus von 0,8 % zu verzeichnen. Man sieht, dass der Fortschritt auf diesem Gebiet eine Schnecke ist.
Mit den bisherigen Ergebnissen können wir nicht zufrieden sein und sind es auch nicht. Deswegen möchte ich – Herr Birzele, da haben Sie wirklich meine Rede gehalten – schon jetzt auf das Jahr 2004 hinweisen. Das ist für uns eine große Chance, den Frauenanteil zu erhöhen. Das ist die Aufgabe der Parteien, denen wir angehören, und das ist die Aufgabe eines jeden und einer jeden von uns. Wir streiten nur über den richtigen Weg zur Erreichung dieses Ziels.
Ich möchte auf das Bundeswahlgesetz hinweisen und auf die überragende Rolle, die das Bundeswahlgesetz den Parteien bei der Rekrutierung ihrer Kandidaten zuweist. Dort ist festgelegt, dass die Parteien und eben nicht der Gesetzgeber das weitere Verfahren über ihre Satzungen regeln.
Dieser Passus ist in allen Bundesländern übernommen worden. Ich meine, dass wir als Parlamentarier die Herausforderung und die Chance, die diese Formulierung bietet, nicht an den Gesetzgeber, an uns selber, zurückdelegieren sollten, sondern sie in unseren Parteisatzungen umsetzen und annehmen sollten. In den Parteisatzungen ist das im Übrigen auch geregelt. Jetzt geht es darum, diese Satzungen – bei der CDU das Drittelquorum, bei der SPD 40 %, bei den Grünen alle Frauen auf die ungeraden Plätze – weiterhin mit Leben zu erfüllen. Wir wollen und werden Ihren Gesetzentwurf nicht mittragen,
weil wir die Entscheidung über die Listenplätze den Parteigliederungen vor Ort überlassen wollen. Übrigens: Wenn wir uns ansehen, wer gewählt wurde, dann haben wir eines zu verzeichnen: Bei der letzten Gemeinderatswahl waren 27 % aller Kandidaten Frauen. Gewählt wurden aber nur 18 % Frauen. Das heißt, die Frage des Listenplatzes spielt überhaupt keine Rolle.
(Abg. Marianne Wonnay SPD: Das ist schlichtweg nicht wahr! Das stimmt schlichtweg nicht! Es gibt eine Untersuchung dazu!)
In großen Städten haben wir teilweise eine andere Situation. Aber die Mehrzahl der über 1 000 Gemeinden in BadenWürttemberg sind kleine Gemeinden; das wissen Sie. Für diese Gemeinden – und das ist der Löwenanteil der Gemeinden – trifft das, was ich gesagt habe, sehr wohl zu.