Protokoll der Sitzung vom 07.05.2003

Das Wirtschaftswachstum ist mir ein ernstes Anliegen. Vielleicht habe ich mich da nicht deutlich genug ausgedrückt, Herr Moser. Selbstverständlich bin ich für Wirtschaftswachstum. Das ist überhaupt keine Frage.

(Abg. Moser SPD: Das wollte ich ja nur wissen! Ich habe Sie für einen intelligenten Menschen ge- halten!)

Wir brauchen Wirtschaftswachstum, und ich glaube, dass unsere Partei die ist, die noch nie in ihrer Geschichte etwas gegen Wirtschaftswachstum hatte. Es gab schon andere, die Nullwachstum oder Ähnliches wollten. Aber unabhängig davon – –

(Abg. Theurer FDP/DVP: Und die FDP!)

Die FDP natürlich auch. Um Gottes willen!

Herr Moser, ich habe nur eines sagen wollen – das ist mir ganz wichtig, und das hat vorhin auch Beifall ausgelöst –: Wirtschaftswachstum hilft nicht, um den Personalkostenanteil zu verringern. Lediglich darum geht es mir. Ich behaupte, dass mit wachsender Wirtschaft auch die Personalausgaben entsprechend steigen. Die Löhne, die Gehälter, die Pensionen steigen. Deswegen – ganz eindeutig –: Wir tun alles, was wir können, damit wir ein möglichst hohes Wirtschaftswachstum haben. Als Haushaltsminister muss ich allerdings sagen: Es wäre falsch und naiv, zu meinen, durch eine besser wachsende Wirtschaft wären unsere Haushaltsprobleme gelöst. Das sind sie nicht und vor allem nicht, soweit sie durch Personalkosten verursacht werden.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist der Tagesordnungspunkt 2 erledigt.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Große Anfrage der Fraktion der CDU und Antwort der Landesregierung – Gesundheit in Europa – Drucksache 13/1163

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Besprechung fünf Minuten je Fraktion, gestaffelt, für das Schlusswort fünf Minuten.

Wem von der CDU-Fraktion darf ich das Wort erteilen? – Herr Kollege Mack – –

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Hoffmann! – Wei- tere Zurufe)

Entschuldigung. Herr Abg. Hoffmann, Sie erhalten das Wort.

„Herr Mack“ wäre auch in Ordnung gewesen.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Wer möchte schon gern „Mack“ heißen? – Abg. Blenke CDU: Sind beide richtig nette Jungs!)

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit einiger Zeit mehren sich hier im Landtag die Europathemen. Das kann man eigentlich nur begrüßen, ganz besonders, wenn es darum geht, vorhandene und künftige Schnittstellen zwischen den Kompetenzen der EU und den einzelnen Staaten bzw. den Regionen zu definieren.

Um es vorwegzunehmen: Die EU bietet immense Chancen für das Gesundheitswesen auch in Baden-Württemberg, und wir begrüßen es ausdrücklich, wenn bestimmte Fragen des Gesundheitsschutzes eine EU-weite Klärung und Ausrichtung erfahren. Wir begrüßen es aber nicht, wenn der Kompetenzzuwachs der Europäischen Union zum einen einseitig ist und zum anderen förmlich erschlichen und durch die Hintertür eingeführt wird. Dem Grunde nach ist die Gesundheitspolitik ein rein binnenstaatliches Thema. Es fällt vollständig in die Eigenständigkeit der einzelnen Staaten. So weit die Theorie; die Praxis zeigt leider ein anderes Bild.

Seit einiger Zeit höhlt der Europäische Gerichtshof dieses Prinzip durch diverse Urteile aus, die sich mit der Freizügigkeit von Patienten bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen beschäftigen. Der Angriff auf die binnenstaatliche Kompetenz kommt aus einer ganz anderen europarechtlichen Ecke, nämlich aus dem Wirtschaftsrecht, das in Sachen freier Waren- und Dienstleistungsverkehr agiert. Mit der Verlagerung des Themas Gesundheit in den Wirtschaftsbereich, in dem die EU tatsächlich zuständig ist, verschafft sich die EU einseitig Kompetenzen, wobei wir in der CDU noch gar nicht sicher sind, ob wir diese Kompetenzen überhaupt EU-weit geregelt haben wollen.

(Abg. Döpper CDU: So ist es!)

Was macht unsere Bundesregierung?

(Abg. Fischer SPD: Nur Gutes!)

Um es einmal ganz offen zu sagen: Die ersten drei Jahre der letzten Legislaturperiode hat die Bundesregierung das Thema „Gesundheitspolitik in der EU“ überhaupt nicht bearbeitet, ist schon mit der eigenen Gesundheitspolitik stiefmütterlich umgegangen. Die Gesundheitspolitik der EU hat man eigentlich ganz vergessen. So kam es, dass der EuGH mangels politischer Aktivität entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen hat.

Dann kam Nizza. Der Herr Bundeskanzler hat den NizzaProzess ja persönlich und aktiv begleitet und hat in einem Post-Nizza-Prozess einer Methode zugestimmt, die hier im Land noch gar nicht so sehr diskutiert worden ist: die so genannte Methode der offenen Koordination. Bisher hat man diese Methode in der EU bei Themen angewendet, bei denen Einigkeit darüber bestand, innerhalb der EU eine gleiche Situation herstellen zu wollen, das heißt bei Themen, deren Behandlung zu einer Vereinheitlichung geführt werden sollte.

Da stellt sich für mich schon die Frage, ob es innerhalb der deutschen Politik überhaupt einen Konsens oder den Willen gibt, die gesundheitspolitischen Fragen in dieser Dimension europaweit zu regeln. Wenn man Europa ein bisschen kennt, muss man, wenn man die Anwendung dieser Methode anschaut, wenn man diese Methode versteht, ganz ehrlich sagen, dass man damit den ersten Schritt zu einer Vereinheitlichung tut.

Was heißt Vereinheitlichung für uns? Wollen wir das? Wir sind uns sicher darüber einig, dass das Niveau der medizinischen Versorgung bei uns in Deutschland allen Unkenrufen zum Trotz eines der höchsten innerhalb der EU überhaupt ist. Wenn man jetzt vereinheitlicht und unterstellt, dass es sehr viele Staaten gibt, in denen die medizinische Versorgung der Patienten weit schlechter ist, frage ich mich: Wo treffen wir uns? Treffen wir uns auf deutschem Niveau – dann wäre es ja in Ordnung –, oder treffen wir uns auf einem anderen Niveau, zum Beispiel dem der neuen Beitrittsstaaten? Dann wäre es sicher nicht in Ordnung. Es wäre auch nicht in Ihrem und sicher nicht in unserem Sinne, wenn wir eine neue Qualität der Medizin in Richtung Mittelmaß bekommen würden.

Ich zweifle nicht daran, dass Überlegungen notwendig sind, wie man mit dem Thema Gesundheit innerhalb der EU umgehen muss. Wie wichtig ein solches gemeinsames Vorgehen ist, zeigen die aktuellen Diskussionen um die Lungenkrankheit SARS. Dazu haben sich die Gesundheitsminister gestern ganz aktuell getroffen. In diesen Fragen des Verbraucherschutzes und des Gesundheitsschutzes kann es durchaus sinnvoll sein, sehr schnell zu einem Konsens zu kommen.

Tun wir dem Geist der EU eigentlich einen Gefallen, wenn wir ein so wichtiges Thema wie die Gesundheitspolitik, die im Moment auch in der Bundespolitik alle Menschen bewegt, fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit EU-fähig machen? Ich kritisiere nicht, dass wir uns mit dem Thema beschäftigen, sondern ich kritisiere, wie wir uns mit dem Thema beschäftigen – nämlich gar nicht.

(Abg. Döpper CDU: So ist es!)

Ich kenne keine Debatte im Bundestag, die über die Themen „koordinierte Gesundheitspolitik“ oder „grenzüberschreitende Gesundheitspolitik“ geführt worden wäre. Ich kenne nur die Ankündigungen, dass man koordinieren wolle, aber ich kenne keinerlei Diskussionen.

Ich denke, um jetzt auf Baden-Württemberg zu kommen, für ein Land in unserer Situation – mit relativ langen Grenzen, mit Nachbarn, mit denen wir gut zusammenarbeiten – ist es immens wichtig, dass wir künftig die Ziele einer gemeinsamen Gesundheitspolitik abstimmen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP – Abg. Döpper CDU: Bravo!)

Wie sollen wir vorgehen? Im Grunde genommen ist es ganz einfach: Zuerst heißt es, unsere Hausaufgaben zu machen und unser eigenes Gesundheitswesen wieder auf Vordermann zu bringen.

(Abg. Döpper CDU: Fehlanzeige! – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Machen wir! Da sind wir dabei!)

Darauf warten wir seit fünf Jahren.

(Abg. Schmiedel SPD: Vorschläge! Wo sind die Vorschläge?)

Es ist ausgesprochen interessant, dass die SPD ruft: „Machen Sie Vorschläge!“ Das zeigt mir deutlich, dass Sie keine haben.

(Abg. Drexler SPD: Ihre zwei Präsidien haben doch nichts beschlossen! Nullrunde! – Weitere Zu- rufe von der SPD)

Ich bin auch gar nicht der Ansicht,

(Abg. Drexler SPD: Dass Sie Vorschläge machen müssen! Richtig!)

dass in einem europäischen Prozess – wir sind bei Europa, Herr Drexler –

(Abg. Schmiedel SPD: Deutsche Vorschläge: Fehl- anzeige bei Ihnen!)

allzu viele Themen europaweit in die Kompetenz von Brüssel gelegt werden müssen. Sie haben heute Morgen in Ihrer Rede selbst von Subsidiarität gesprochen.

(Abg. Drexler SPD: Ja!)

Es gibt unzählige Themen, die man sehr gut auf Landesebene regeln könnte und bei denen sich schon die Frage stellt, ob unbedingt die Bundespolitik für alle Fragen einer Gesundheitspolitik der Zukunft zuständig bleiben kann.

(Beifall bei der CDU – Abg. Döpper CDU: Sehr gut! – Abg. Drexler SPD: Zum Beispiel?)

Wenn wir Sie an unserer Seite haben und Sie mit uns zusammen für Länderkompetenzen werben, ist es ja wunderbar.

(Abg. Schmiedel SPD: Mal raus damit! – Abg. Drexler SPD: Welche Vorschläge haben Sie denn?)

Ich sage Ihnen nachher mal ein paar. – Viele Beispiele der nachbarschaftlichen Zusammenarbeit zeigen uns – und es gibt ein konkretes Beispiel –, dass uns die Bundesregierung keine freie Hand lässt, Modellversuche mit unseren Nachbarstaaten zu machen. Wir konnten einige wenige Dinge regeln:

(Abg. Dr. Caroli SPD: Welche?)

das Rettungswesen zwischen Deutschland, der Schweiz und Frankreich. Alle anderen Modelle leiden darunter, dass wir auf Bundesebene im Grunde niemanden finden, der uns eine Chance gibt, grenznahe Modelle umzusetzen. Meines Wissens gibt es in den letzten fünf Jahren kein einziges neues Modell, das die Bundesregierung in Sachen grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung mit initiiert oder begleitet hätte. Alle anderen Modelle sind in den Regionen gewachsen und haben nichts mit der Bundesregierung, die solche Modelle vernachlässigt hat, zu tun.