das Rettungswesen zwischen Deutschland, der Schweiz und Frankreich. Alle anderen Modelle leiden darunter, dass wir auf Bundesebene im Grunde niemanden finden, der uns eine Chance gibt, grenznahe Modelle umzusetzen. Meines Wissens gibt es in den letzten fünf Jahren kein einziges neues Modell, das die Bundesregierung in Sachen grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung mit initiiert oder begleitet hätte. Alle anderen Modelle sind in den Regionen gewachsen und haben nichts mit der Bundesregierung, die solche Modelle vernachlässigt hat, zu tun.
(Abg. Braun SPD: Sagen Sie doch, was Sie wollen! – Zurufe der Abg. Ursula Haußmann und Dr. Caro- li SPD)
Wir brauchen also keine Kompetenz der EU, sondern wir brauchen den Mut und den Umsetzungswillen unserer eigenen Bundesregierung, die Menschen in den Regionen auch einmal wirken zu lassen. Das dient ganz besonders den Patienten in den Grenzregionen.
Ich will dafür werben, und Frau Lichy wird hoffentlich auf diesen Punkt noch eingehen, dass wir uns auch hier im Landtag stärker dafür aussprechen, dass sich unsere Grenzregionen dem Thema Gesundheitsschutz grenzübergreifend widmen können.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Europa wird in den nächsten Jahren weiter zusammenwachsen. Dies wird Auswirkungen auf alle Bereiche in Politik und Gesellschaft und natürlich auch auf unsere sozialen Sicherungssysteme und speziell auf das Gesundheitswesen haben.
Die Antwort der Landesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf die heute zu beratende Große Anfrage macht deutlich, dass die Debatte zum Thema „Gesundheit und Europa“ sehr differenziert und vor allem unaufgeregt geführt werden kann –
lieber Herr Kollege Hoffmann, das lege ich Ihnen ans Herz. Horrorszenarien, die den Untergang unseres Krankenversicherungssystems wegen angeblicher Unvereinbarkeit mit EU-Recht an die Wand malen, entbehren – das macht die sehr differenzierte Antwort der Landesregierung deutlich – jeder sachlichen Grundlage.
Natürlich wirkt sich das Recht der EU auf unser Krankenversicherungsrecht aus. Mit dem europäischen Einigungsprozess ergeben sich vor allem durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, aber auch durch die nationale Rechtsprechung Folgewirkungen für die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland. Ausgangspunkte sind zum einen die Frage der Anwendbarkeit der wirtschaftlichen Grundfreiheiten, zum anderen die Frage der Unternehmenseigenschaften der Krankenkassen und ihrer Verbände. Wichtig ist dabei auch, daran zu erinnern, dass in keinem Mitgliedsstaat der Europäischen Union ein rein marktwirtschaftliches Gesundheitssystem realisiert ist.
Die zuständigen nationalen Gesetzgeber sahen zum Beispiel bisher sozialpolitische und wirtschaftliche Gründe für einen mehr oder weniger stark regulierten Gesundheitsmarkt bis hin zum höchstmöglichen Grad der Regulierung in einem staatlichen Gesundheitswesen. Das deutsche System zeichnet sich im europäischen Vergleich durch staatsferne Steuerungselemente mit der Regelungsebene Selbstverwaltung aus. Das deutsche, selbst verwaltete Gesundheitssystem kann im europäischen Vergleich gerade hier auf Vorteile verweisen.
Ich will kurz auf eine der in diesem Zusammenhang wichtigen Diskussionen eingehen, nämlich die Auswirkungen der Waren- und Dienstleistungsfreiheit auf unser Krankenversicherungsrecht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der EGVertrag sichert die wirtschaftlichen Grundfreiheiten, die Waren- und Dienstleistungsfreiheit. Dies gilt auch für medizinische Güter und Dienstleistungen. Geht man davon aus, dass der EG-Vertrag den Binnenmarkt in Fortführung der nationalen Politiken gestaltet und kein Mitgliedsstaat ein rein marktwirtschaftlich organisiertes Gesundheitswesen anstrebt, kann der gemeinsame politische Wille der Mitgliedsstaaten auf EU-Ebene kein anderes Ergebnis bringen.
Der Gesundheitsmarkt ist im EG-Vertrag nicht als Ausnahmemarkt definiert. Gleichwohl erkennt der EuGH Ausnahmetatbestände an, die eine Einschränkung der Grundfreiheiten begründen: die erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts, eines Systems der sozialen Sicherheit, die Sicherstellung einer ausgewogenen, allen zugänglichen ärztlichen und klinischen Versorgung und die Planungssicherheit für ein ausgewogenes Angebot qualitativ hochwertiger Krankenhausversorgung im Inland.
Unser Ziel muss deshalb sein, meine Damen und Herren, im Rahmen der fortschreitenden europäischen Integration die bedarfsnotwendige Leistungsinanspruchnahme der Versicherten im In- und Ausland zu verbessern, die national erforderlichen Steuerungsinstrumente rechtlich und faktisch zu erhalten und die Finanzierbarkeit des Systems nicht zu gefährden. Das deutsche Selbstverwaltungsmodell bietet dazu die Möglichkeit, über Verträge Qualität und Preis der Versorgung zu gestalten und vorhandene Kapazitäten ökonomisch sinnvoll zu nutzen.
Es kann festgehalten werden: Weder muss unser Krankenversicherungsrecht zerschlagen werden, noch wird es zu einer massenhaften Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen im Ausland kommen. Ich zitiere in diesem Zusammenhang einige bemerkenswerte Sätze aus der Antwort der Landesregierung auf diese Große Anfrage:
Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen im europäischen Ausland nach den EuGH-Entscheidungen die Ausnahme geblieben ist. Daran wird sich voraussichtlich auch in Zukunft nichts ändern. Die Gesellschaft für Versicherungswirtschaft und -gestaltung e. V., Köln, geht in einem im Jahr 2000 für die Techniker Krankenkasse erstellten Gutachten davon aus, dass selbst in langfristiger Perspektive und bei weitestgehender Liberalisierung der Inanspruchnahme kaum mehr als 3 % der Versicherten pro Jahr Leistungen im Ausland nachfragen werden.
So zu lesen in der Drucksache 13/1163 auf Seite 23. Sie kennen das Gutachten, Herr Kollege Hoffmann. Die TKK ist Ihr Arbeitgeber.
(Abg. Hoffmann CDU: Nein, nein! Um Gottes wil- len! – Abg. Schmiedel SPD: Für welche Kasse schafft er jetzt?)
Nicht die TKK, also eine andere Kasse. Auf jeden Fall sind Sie über Ihren Arbeitsplatz bei der Krankenkasse gut informiert in Europafragen.
(Abg. Hauk CDU: Ist es eine Schande, Frau Kolle- gin Haußmann, wenn jemand einer ehrenwerten Tätigkeit nachgeht?)
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Große Anfrage beschäftigt sich wirklich mit einem Thema, das derzeit in der Aktuellen Debatte viel zu kurz kommt. Keine Frage, es ist sehr viel Stoff drin, wobei ich gemerkt habe, dass wenige Abgeordnete diese 27 Seiten im Detail gelesen haben. Das habe ich daran gemerkt, dass beim Tagesordnungspunkt „Gesundheit in Europa“ manche gefragt haben: „Geht es da um SARS?“ Da musste ich zuerst lachen, aber dann habe ich gedacht, das hat eigentlich etwas. Das zeigt nämlich ganz genau: Viren, Bakterien machen an Grenzen nicht halt, insbesondere in Zeiten einer großen Mobilität der Menschen.
Von daher ist der Teil der Antwort der Landesregierung sehr positiv zu bewerten, der sich auf die Zusammenarbeit beim Infektionsschutz, beim Arbeitsschutz, beim Rettungsdienst bezieht. Mich hat auch sehr gefreut, Herr Kollege Hoffmann, dass das nicht so sehr von oben, sondern regional geregelt wird, dass da sehr viel mit dem Elsass und der Schweiz auf regionaler Ebene, auf Krankenkassenebene, auf dem Gebiet des medizinischen Dienstes schon läuft. Das ist etwas sehr Positives.
Weiter hat man mich gefragt: „Geht es da um die Propagierung gesunder Ernährung durch mediterrane Kost?“ Auch dies ist natürlich eine spaßige Frage gewesen, hat aber auch einen ernsten Hintergrund. Da sage ich immer, so ein bisschen wird ja das, was wir in Deutschland praktizieren, als das Nonplusultra dargestellt. Ich glaube, wir dürfen da ab und zu ein bisschen bescheidener sein und an der einen oder anderen Stelle gucken: Was läuft denn anderswo besser?
Jetzt komme ich zum eigentlichen Kernpunkt. Man mag das beklagen – ich beklage es nicht –, wenn man sagt: Die EU mischt sich insofern etwas mehr ein, weil tatsächlich Ge
sundheitspolitik in großem Maße auch wirtschaftspolitische Bedeutung in mehrfacher Hinsicht hat. Insbesondere – darauf wird viel zu wenig hingewiesen – finden im Gesundheitswesen inzwischen in unserer Volkswirtschaft Wertschöpfungen statt, ist Arbeitsplatzpotenzial vorhanden. Von daher kommt dieser Paradigmenwechsel, die Gesundheit nicht nur als belastende Kostensituation zu sehen, sondern eben auch als Chance – übrigens auch als Chance über Ländergrenzen hinweg. Von daher verstehe ich nicht so ganz diesen skeptischen Touch: Wird das möglicherweise unser System gefährden? – Nein, im Gegenteil, es gibt Chancen.
Bei der letzten Fraktionsreise waren wir beispielsweise bei den Rehakliniken in Bad Schussenried. Wir haben im Land Baden-Württemberg eine hervorragende Szene – so sage ich jetzt einmal – an Rehaeinrichtungen, die durchaus – wenn wir das entsprechend erleichtern und die Grenzen öffnen – für ausländische Patienten sehr interessant sein kann. Von daher sollten wir uns nicht dagegen wehren, sondern sogar für die Öffnung und für die Beseitigung von Barrieren eintreten.
(Beifall bei der FDP/DVP, den Grünen und des Abg. Schmiedel SPD – Abg. Schmiedel SPD: Gu- ter Ansatz!)
Ein zweiter Punkt: Wir können ja auch von anderen etwas lernen. An dieser Stelle will ich ausdrücklich einmal Bundeskanzler Schröder loben.
Es wird so viel von der Agenda 2010 gesprochen. Ich habe hierzu ein paar Punkte. Viele haben auch diese Agenda nicht richtig gelesen; das habe ich gemerkt. Ich will nur einen Punkt anführen:
Der Bundeskanzler hat ausdrücklich darauf verwiesen, dass andere Länder – skandinavische Länder, Holland – uns dies schon vorgemacht haben. Das heißt also: Die Befürchtung einer Angleichung der Gesundheitssysteme darf nicht mit einem Absenken des medizinischen Niveaus verwechselt werden. Es geht vielmehr darum, in die Finanzierung und damit in die wirtschaftliche Dimension sozusagen eine Angleichung zu bringen. Das wird immer wichtiger.
Natürlich spielt das im Moment noch nicht die große quantitative Rolle. Aber je mehr Europa zusammenwächst, umso mehr werden Leute auch dauerhaft etwa fünf Jahre in England oder in Frankreich arbeiten. Dabei wird es nicht mehr gelingen, diese überreglementierten Systeme, die wir haben, aufrechtzuerhalten. Von Staatsferne, liebe Kollegin Haußmann, kann ich leider wenig erkennen. Wir haben vielmehr sehr stark reglementierte Systeme. Man hat da Probleme, dies überhaupt europatauglich zu gestalten, für die Menschen praktikabel zu gestalten. Auch da bin ich ein bisschen hoffnungsfroh.
Damit will ich einfach das Signal aussenden, dass wir Liberalen bereit sind, da, wo Ihrem Kanzler Neoliberalismus vorgeworfen wird – – Für uns ist das in diesem Fall sogar ein Lob, das ihm gezollt wird. Er schreibt, er möchte mehr Wahlmöglichkeiten für Versicherte und Ärztinnen und Ärzte haben. Genau in diese Richtung müssen wir unser System bei der anstehenden Reformdebatte ändern.
Warum soll man sich nicht auch bei einer englischen oder französischen Versicherung versichern können? Herr Hoffmann, Ihr Arbeitsplatz bei der Barmer wird deswegen sicherlich nicht gefährdet.
Also, zum Schluss – ich will heute wirklich nicht überziehen –: Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die sich auftuenden Chancen genutzt werden. Eine Voraussetzung dafür wird sein, dass wir bei den anstehenden Reformen, bei allem, was wir machen, darauf achten, dass die Regelungen europakompatibel sind. Ein unverzichtbares Stichwort dabei ist die Kostenerstattung. Das war schon bisher so: Obwohl es den Auslandskrankenschein gegeben hat, hat sich kein Mensch daran gehalten. Die Ärzte im Ausland kassieren vielmehr sozusagen Cash, und die Kosten werden hinterher erstattet. Warum soll das in Zukunft kein generelles Modell sein? In Frankreich funktioniert das wunderbar. Dabei entstehen keinesfalls für die Krankenkassen höhere Kosten. Im Gegenteil, die haben sehr viel schlankere Strukturen. Lassen Sie uns also auch da von unseren Nachbarn etwas lernen.