Protokoll der Sitzung vom 27.06.2001

(Zuruf des Abg. Wieser CDU)

Sehr erfreulich ist, Herr Wieser, dass sich die CDU bei diesem Thema deutlich bewegt hat

(Abg. Pfister FDP/DVP: Ihr müsst einmal Ent- scheidungen treffen!)

und endlich in der Wirklichkeit angekommen ist. Sie haben inzwischen akzeptiert, dass es ein Gesamtkonzept für die Zuwanderung geben muss.

(Abg. Alfred Haas CDU: Sie haben ja noch kei- nes!)

Ich fordere Sie deshalb auf, sich im Interesse unseres Landes bei den Fragen der Zuwanderung und der Integration ausschließlich an sachlichen Kriterien zu orientieren und keine parteipolitischen Spielchen zu betreiben.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Angesichts der in wenigen Tagen vorliegenden Ergebnisse der von Bundesinnenminister Schily eingesetzten Expertenkommission und – ich sage das ausdrücklich – der Vorschläge der CDU sehe ich eine große Chance für eine gute zukunftsfähige Entscheidung für eine sinnvolle Zuwanderung,

(Abg. Alfred Haas CDU: Sie müssen mal etwas vorlegen, nicht dauernd reden!)

die auch den wirtschaftlichen Bedürfnissen und den humanitären Verpflichtungen dieses Landes gerecht wird. Sagen Sie Ja zu den Vorschlägen der Süssmuth-Kommission, sagen Sie Ja zu den eigenen Vorschlägen der Zukunftskommission der Bundes-CDU, dann werden wir zu einem guten Kompromiss kommen.

(Abg. Alfred Haas CDU: Legen Sie auch was vor!)

Jetzt komme ich zum Thema Finanzausgleich. Die in der vergangenen Woche vereinbarte Neuregelung hat ausschließlich der Bund möglich gemacht,

(Zurufe von der SPD: So ist es! – Widerspruch bei der CDU)

weil er viel Geld, nämlich genau 2,5 Milliarden DM, unter dem Motto zur Verfügung gestellt hat: Keiner stellt sich anschließend schlechter. Das war genau der Punkt. Das, was das Verfassungsgerichtsurteil wollte, nämlich dass die Finanzbeziehungen der Länder untereinander neu geregelt werden, ist kaum passiert. Deswegen bleibt auch der bittere Beigeschmack, dass Baden-Württemberg im Vergleich mit den anderen Geberländern den Kürzeren zieht. Bayern bekommt ab 2005 pro Kopf der Bevölkerung 33 DM zusätzlich, Hessen gar 40 DM,

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Die zahlen auch am meisten!)

während Baden-Württemberg lediglich 24 DM zusätzlich erhält.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Besser als nichts! – Mi- nister Stratthaus: Und Nordrhein-Westfalen? – Weitere Zurufe, u. a. Abg. Pfister FDP/DVP: Und NRW?)

Ich nenne nur einmal diese drei; die bekommen mehr.

(Zuruf des Abg. Pfister FDP/DVP)

Mit Verhandlungskunst, Herr Kollege, hat das überhaupt nichts zu tun.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Nordrhein-Westfalen hat 14 DM!)

Das mag ja sein. Nordrhein-Westfalen hat 14 DM.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das müssen Sie dann aber dazusagen!)

Ich spreche doch nicht für Nordrhein-Westfalen, Herr Kollege, sondern ich spreche von der Politik des Landes Baden-Württemberg.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt möchte ich zu dem Abschnitt Bildungspolitik kommen. In der Regierungserklärung war dieses Politikfeld über weite Strecken von hehren Worten und schwülstigem Pathos geprägt. Überall dort, wo Eltern, Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer oder die Kommunen klare und konkrete Aussagen wollten und erwarteten, sind Sie eine Antwort schuldig geblieben.

„Kein anderes Land gibt so viel für Bildung, Wissenschaft und Kultur aus wie wir“, sagt der Ministerpräsident.

(Beifall bei der CDU)

Ja, ich komme gleich auf Zahlen. – Betrachtet man die vorliegenden Daten allerdings für den Schulbereich gesondert, sieht die Datenlage ganz anders aus. Derselbe Bundesfinanzbericht belegt, dass Baden-Württemberg bei den öffentlichen Ausgaben je Einwohner für den Schulbereich mit 1 064 DM gerade einmal auf dem zehnten Platz unter allen Bundesländern steht.

(Beifall bei der SPD)

Das ist ein Armutszeugnis für das ganze Land.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Röhm CDU)

Das Statistische Bundesamt hat in demselben Bundesfinanzbericht, den der Herr Ministerpräsident immer zitiert, veröffentlicht, dass Baden-Württemberg nicht einmal einen Anteil von 2 % des hier erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukts für seine Schulen ausgibt. Das ist der 15. Platz unter allen Bundesländern, der vorletzte Platz.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Diese alarmierenden Zahlen hätten Sie nennen sollen.

Jetzt sagen Sie: Eine gute Unterrichtssituation ist das Hauptanliegen. Zwar sind die 5 500 zusätzlichen Stellen ausdrücklich vom Haushaltsvorbehalt ausgenommen – das ist zu loben –; aber die Stellen müssen auch rechtzeitig entsprechend dem Bedarf an die Schulen kommen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das hoffe ich doch sehr!)

Trotz steigender Schülerzahlen nehmen Sie für 2001 und 2002 in zwei Tranchen jeweils gerade einmal 150 Lehrer aus dem Kontingent von 5 500. Das heißt, Sie müssten jetzt im Nachtrag genau 1 100 neue Lehrerstellen einstellen. Dies wäre auch erforderlich; denn wir haben im neuen Schuljahr allein im Gymnasial- und im Realschulbereich 6 000 neue Schülerinnen und Schüler.

Jetzt ein paar Zahlen, damit deutlich wird, dass sich die Unterrichtssituation verschlechtert. Allein für die Gymnasien im Oberschulamtsbezirk Stuttgart werden aufgrund der

steigenden Schülerzahlen ab Herbst 190 neue Lehrerstellen benötigt. Sie bekommen aber gerade einmal 89 neue Lehrerstellen. Das ist nicht einmal die Hälfte des zusätzlichen Bedarfs.

Bei den Realschulen sieht es nicht anders aus. Nur ein Beispiel aus dem Schulamtsbezirk Nürtingen: Dort werden wegen der steigenden Schülerzahl fast 40 neue Realschullehrer gefordert; die Schulen bekommen aber nur 26 neue Stellen. Das heißt, wir werden einen größeren Unterrichtsausfall haben, und wir werden vollere Klassen haben. Das ist keine bessere Versorgung, wie Sie sie versprechen, sondern eine schlechtere. Das muss man in diesem Landtag sagen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Nun zur Situation an den beruflichen Schulen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Bereits im vergangenen Jahr sind 26 000 Unterrichtsstunden aus strukturellen Gründen ausgefallen. Allein das entspricht 1 100 Lehrern an den Berufsschulen. Sie sagen gerade einmal 200 neue Lehrerstellen zu. Nach den Darlegungen des Berufsschulverbands bräuchte man 600 bis 800 neue Lehrerstellen im Berufsschulbereich. Das heißt, Sie lassen die Berufsschulen sehenden Auges in eine Katastrophe laufen, und das in einem Bereich, in dem zwei Drittel der Jugendlichen den Einstieg ins Berufsfeld erleben.

Die zögerliche Umsetzung Ihres Wahlversprechens hat – ich sage es noch einmal – einen stärkeren Unterrichtsausfall und größere Klassen zur Folge. Das und nicht umständliche Rechnungen der Kultusverwaltung interessiert die Eltern, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Noch etwas zu Ihrer Aussage, bei Ausländerinnen und Ausländern sei die Sprache so wichtig. Schauen Sie doch einmal an, was für eine gelungene Integration Sie in den letzten Jahren angerichtet haben! An Grund- und Hauptschulen wurde seit 1996 rund ein Viertel des Förderunterrichts in Deutsch ersatzlos gestrichen: von landesweit 21 600 auf 16 000 Stunden pro Woche. Das ist der Erfolg Ihrer Integrationspolitik.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Unver- antwortlich!)

Ich stelle fest: Auch die großspurigen Ankündigungen von CDU und FDP/DVP, deutlich mehr Ganztagsunterricht und Ganztagsangebote zu schaffen, wurden in der Regierungserklärung nicht eingelöst. Zusätzliche Ganztagsschulen sollen allenfalls an den Hauptschulen mit sozialen Brennpunkten geschaffen werden.

(Abg. Hauk CDU: Sie haben es immer noch nicht kapiert!)

Eine verbindliche Umsetzungs- und Finanzierungsplanung gibt es nicht. Wir werden mit Anträgen dafür sorgen, dass Sie Ihre Wahlversprechen einlösen.

Überhaupt nicht erwähnt hat der Ministerpräsident das Thema „Multimedia-Offensive an Schulen“. Dazu gibt es