Protokoll der Sitzung vom 27.06.2001

Überhaupt nicht erwähnt hat der Ministerpräsident das Thema „Multimedia-Offensive an Schulen“. Dazu gibt es

ja einen Parteitagsbeschluss der CDU vom Februar dieses Jahres. Diese ungewohnte Schweigsamkeit stärkt bei Städten und Gemeinden den Verdacht, dass sie vom Land in dieser zentralen Zukunftsaufgabe im Stich gelassen werden und die Milliardenkosten allein tragen müssen.

Wir halten es für unabdingbar, Herr Oettinger, dass es zu einem fairen Ausgleich mit den Kommunen kommt, zu einer Neuaufteilung der Lasten im Schulbereich. Es genügt nicht, den Kommunen allenfalls eine andere Verwendungsmöglichkeit für ihre eigenen Mittel aus dem kommunalen Finanzausgleich anzubieten, sondern das Land muss nach unserer Meinung einen spürbaren Beitrag zu dieser Offensive leisten.

(Beifall bei der SPD)

Ich fasse zusammen: Überall, wo es beim Thema Bildung brennt, Fehlanzeige! Fehlanzeige bei Multimedia in den Schulen, nichts in der Regierungserklärung, nichts in der Koalitionsvereinbarung. Fehlanzeige bei Ganztagsunterricht, Fehlanzeige bei Lernmittelfreiheit, Fehlanzeige bei der Schulsozialarbeit, Fehlanzeige bei den Zuschüssen zu den Schülerbeförderungskosten usw. usf.! Eine tolle Bildungspolitik ist das, muss ich Ihnen sagen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, Sie haben im Landtagswahlkampf – und damit bin ich beim Thema „Wirtschaft, Arbeit und Beschäftigung“ – die vergleichsweise guten Arbeitsmarktzahlen in Baden-Württemberg hervorgehoben.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Sehr wohl!)

Sie haben dabei aber verschwiegen, dass dies ein Erfolg der SPD-geführten Bundesregierung ist.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU)

Denn eine wirkliche Trendwende gibt es erst, seit SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Bund Verantwortung tragen. Sie brauchen doch nur die Zahlen anzuschauen:

(Zurufe von der CDU)

1998 waren im Land durchschnittlich 350 000 Menschen arbeitslos. 1999 sank diese Zahl auf rund 324 000, im letzten Jahr sank sie auf rund 279 000. Im letzten Jahr waren also im Land rund 71 000 Menschen weniger arbeitslos als unter der Kohl-Regierung.

(Abg. Seimetz CDU: Von Demographie noch nie etwas gehört!)

Ein Fünftel der Arbeitslosigkeit im Land ist inzwischen beseitigt. Das sind die Zahlen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Trotzdem haben wir auf dem baden-württembergischen Arbeitsmarkt Probleme.

(Abg. Wieser CDU: Unter der SPD regiert die Ar- beitslosigkeit!)

Sie können das ja nachher in der zweiten Runde bringen. – Über 81 000 Menschen im Land sind ein Jahr und länger arbeitslos. Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung machen rund 47 % aller Arbeitslosen im Land aus, und zugleich sind sich alle Arbeitsmarktexperten darin einig, dass der Bedarf an unqualifizierten Arbeitskräften künftig weiter sinken wird. Dafür gibt es auch viele Belege. Die Schere wird sich weiter öffnen: auf der einen Seite eine hohe Zahl gering qualifizierter Arbeitsloser, auf der anderen Seite eine wachsende Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften, was in einigen Bereichen der Wirtschaft sogar schon zu einem Fachkräftemangel geführt hat.

Die IG Metall und die Arbeitgeber der Metallindustrie im Land haben in den letzten Tagen mit dem Weiterbildungstarifvertrag gezeigt, was moderne, die Zukunft sichernde Tarifpolitik ist. Herr Ministerpräsident, ich habe es bedauert, dass Sie den Abschluss dieses Weiterbildungstarifvertrags in Ihrer Regierungserklärung mit keinem Wort erwähnt haben – mit keinem Wort!

(Beifall bei der SPD)

Das ist symptomatisch, und ich frage Sie: Warum sind Sie eigentlich nicht zum Dialog mit den Gewerkschaften in diesem Land bereit – im Übrigen ein Dialog, mit dem Herr Stoiber in Bayern überhaupt keine Probleme hat?

(Abg. Zeller SPD: Der will auch Kanzler werden!)

Ich fordere Sie auf: Stellen Sie sich endlich diesem Dialog, stellen Sie Ihre Ideologie und Ihre Parteipolitik hintan, nehmen Sie auch in diesem Land den Dialog mit den Gewerkschaften auf, machen Sie einen runden Tisch für Arbeit, Weiterbeschäftigung und Innovation. In anderen Bundesländern gibt es das, und es wäre gut, wenn es dies auch in Baden-Württemberg geben würde.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Mein dringender Appell ist, dann auch zu neuen Wegen in der Arbeitsmarktpolitik zu kommen. Es gibt Modelle verschiedenster Art, die sich alle bewährt haben, die aber bei uns nicht praktiziert werden. Ich nenne nur Beschäftigungsagenturen für Langzeitarbeitslose oder in NordrheinWestfalen die landeseigene Gesellschaft für sozialverträgliche Arbeitnehmerüberlassung „START“. All diese Bereiche müssen wir in Baden-Württemberg gerade auch für Langzeitarbeitslose einführen.

In den letzten fünf Jahren war auf diesem Gebiet im Land ja völlige Funkstille. Es war Mangelverwaltung angesagt, und auch die Mittel sind gekürzt worden, Herr Wirtschaftsminister. Am Ende der großen Koalition standen 43,3 Millionen DM für die Förderung von Arbeitslosen und Langzeitarbeitslosen zur Verfügung, jetzt haben wir für diesen Zweck gerade noch 34,7 Millionen DM. Das bedeutet eine Reduzierung um 20 %.

(Zuruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Dabei haben Sie die über 56-Jährigen aus dem Landesprogramm für die Langzeitarbeitslosen herauskatapultiert. Die haben überhaupt keinen Anspruch mehr, dabei mitzuma

chen. Das ist eine tolle Politik für ältere Langzeitarbeitslose, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der SPD)

Ich vermisse auch konkrete Vorschläge, wie das Land endlich seinen großen Entwicklungsrückstand im Dienstleistungsbereich ausgleichen kann. Kein Wort zur Durchforstung und anschließenden Bündelung der vielfältigen Förderungsprogramme für Existenzgründer.

(Minister Dr. Döring: Was?)

Wie sieht es mit der Entwicklung der Regionen im Land aus? In den Landesentwicklungsplan wird die Region Stuttgart vollmundig als „Europäische Metropolregion“ hineingeschrieben. Was verstehen Sie darunter? Wollen Sie der Region Stuttgart mehr Rechte geben? Kein Wort dazu! Sie wollen es, er will es nicht, er auch nicht. Das ist eine schöne Koalition.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Beim Thema Wohnungsbau

(Minister Dr. Döring: Jetzt aber Vorsicht!)

kommt die völlige Ernüchterung. Es gibt gerade noch Mittel für 200 bis 300 Mietwohnungseinheiten im ganzen Land.

(Abg. Fleischer CDU: Was gibt denn der Bund? Wir geben doppelt so viel wie der Bund!)

In anderen Bundesländern gibt es sechsmal mehr Fördermittel, obwohl sie ärmer sind.

(Abg. Hauk CDU: Der Bund hat sich verabschie- det! – Abg. Fleischer CDU: Der Bund gibt noch 40 Millionen!)

Die mittelständische Bauwirtschaft, Herr Kollege, bedankt sich für solche Zustände. Das Landeswohnungsbauprogramm zu verstetigen, davon spricht die neue Koalition – verstetigen auf Elendsniveau, sage ich bei 200 bis 300 Mietwohnungseinheiten.

(Beifall bei der SPD – Abg. Fleischer CDU: Sor- gen Sie dafür, dass der Bund mehr Mittel gibt! Dann ziehen wir gleich!)

Ich hätte mir gewünscht, dass sich die Landesregierung endlich zu einem mittelstandsfreundlichen Landesvergabegesetz entschließt, Herr Wirtschaftsminister.

(Beifall bei der SPD)

So etwas fordern die Handwerkskammern. Was macht da die FDP/DVP? Auch dazu sagen Sie nichts. Stattdessen spricht Herr Teufel in seiner Regierungserklärung von Krediterleichterungen für den Mittelstand. Dabei ist es gerade zwei Monate her, dass mit der Beteiligung der Landesbank Baden-Württemberg an der Baden-Württembergischen Bank möglicherweise für eine weitere massive Wettbewerbsbeschränkung bei den Finanzdienstleistungen gesorgt wurde.

(Abg. Oettinger CDU: Was schlagen Sie vor?)

Herr Oettinger hat diesen Schritt verteidigt. Sie hätten den Wirtschaftsminister sehen sollen. Er sah bei diesem Thema Landesbank aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Abg. Hauk CDU: Was hätten Sie als Alternative gebracht?)

Ich zitiere die IHK Stuttgart:

Mehr und mehr Betriebe fragen sich, ob die BW-Bank mittelfristig nicht mehr als privatwirtschaftlich orientiertes Kreditinstitut agiert, sondern fester Bestandteil der Sparkassenorganisation wird.