Protokoll der Sitzung vom 27.06.2001

hat es Tradition, dass die Hälfte der Menschen im Land bei Ihnen unter „ferner liefen“ behandelt wird.

(Beifall bei der SPD)

Bereits bei der Regierungsbildung haben Sie frauenpolitisch versagt: Nur noch eine Frau im Kabinett im Ministerrang! Selbst in Bayern sitzen zwei Frauen als Ministerinnen am Kabinettstisch. Der Landesfrauenrat hat vollkommen Recht, wenn er Ihr Kabinett deshalb als einen beispiellosen Rückschritt bezeichnet.

(Abg. Wieser CDU: Ihr habt noch nicht einmal ei- ne stellvertretende Vizepräsidentin! Ganz mager bei euch!)

Selbst bei der CDU-Frauenorganisation regt sich in der Zwischenzeit Unmut. Die Landesvorsitzende der Frauenunion hat Ihre Regierungsbildung – ich zitiere – als „gravierenden Rückschlag für die jahrelangen Bemühungen der CDU, Frauen in Regierungsämtern zu etablieren“, bezeichnet. Ich frage mich, ob Sie das die fünf Jahre weiter so machen wollen. Es gibt ja frauenpolitisch viel zu tun. Das Landesgleichberechtigungsgesetz muss endlich novelliert werden. Der CDU-Landesparteitag hat am 12. Mai die Landesregierung aufgefordert, das Landesgleichberechtigungsgesetz zu novellieren und dabei den Gleichstellungsgrundsatz zu verankern. Wir als SPD werden Vorschläge machen, wie dies umgesetzt werden kann. Wir erwarten von Ihnen, Herr Ministerpräsident, dass Sie wenigstens die frauenpolitischen Forderungen Ihrer eigenen Partei nicht weiter stur blockieren.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Fleischer CDU)

Als Herr Oettinger vorhin über KIF und KUF gesprochen hat, habe ich gedacht, er spricht jetzt über Drogenpolitik.

(Abg. Wieser CDU: Das verstehe ich gut bei Ih- nen! – Abg. Fleischer CDU: Fehlen da manche Voraussetzungen bei Ihnen?)

Leider hat er das nicht getan, und nun muss ich über die Suchtpolitik reden, weil wir – das ist jetzt sehr ernst – nach den Erhebungen des Statistischen Landesamtes die höchste Rate an Drogentoten aller Flächenstaaten haben. Die höchste Rate aller Flächenstaaten in Deutschland hat Baden-Württemberg! Die Entwicklung der durch Drogenkonsum verursachten Todesfälle in Deutschland weicht von derjenigen in Baden-Württemberg erheblich ab. Dieser Entwicklung muss rasch Einhalt geboten werden, Herr Ministerpräsident,

(Abg. Alfred Haas CDU: Jetzt haben Sie das Re- zept!)

zumal die Zahl der Drogentoten in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr mit 287 einen neuen Höchststand erreicht hat.

Deshalb empfinden wir die suchtpolitischen Passagen in Ihrer Koalitionsvereinbarung als geradezu lächerlich. Die FDP/DVP hat sich weder bei der Möglichkeit zur Einrichtung von Drogenkonsumräumen

(Abg. Wieser CDU: Aha, so heißen jetzt die Fixer- stuben!)

noch bei der Beteiligung des Landes an Modellversuchen zur ambulanten Heroinvergabe durchsetzen können.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Lesen!)

Die so genannte Alternative der stationären Heroinvergabe ist ein Ablenkungsmanöver, das wissen Sie genau. Alle Experten sagen, dass dies kein geeignetes Konzept sei.

(Abg. Alfred Haas CDU: Wer sagt das, bitte? Wer? Welche Experten?)

Wir sind der Meinung, dass Überlebenshilfen ein unverzichtbarer Baustein der Suchtpolitik wären, den die Landesregierung aus ideologischen Gründen bisher ablehnt – zumindest ein Teil der Landesregierung.

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Abstimmung!)

Ich will einmal sagen: Im Gegensatz zur letzten Legislaturperiode gibt es im Parlament eine Mehrheit jenseits der CDU für einen ausgewogenen Weg in der Suchtpolitik,

(Abg. Alfred Haas CDU: Das stimmt aber nicht!)

der auf den Grundpfeilern Prävention, Therapie und Überlebenshilfe für die Suchtkranken sowie Repression gegen die Drogenhändler beruht.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das steht in der Koaliti- onsvereinbarung!)

Die SPD hat deshalb jetzt einen Antrag eingebracht, der die Landesregierung auffordert, ihre Blockadehaltung bei den Überlebenshilfen aufzugeben.

(Abg. Alfred Haas CDU: Wo blockieren wir Über- lebenshilfen?)

Wir sind gespannt, wie sich die FDP/DVP in dieser Frage verhalten wird.

(Beifall bei der SPD – Abg. Pfister FDP/DVP: Wir brauchen noch Zeit!)

Der Herr Ministerpräsident hat auch das Ziel der Nullverschuldung formuliert. Ich sage: Wir teilen dieses Ziel, Herr Ministerpräsident.

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Vor einer gründlichen Beurteilung des Projekts „Nullverschuldung bis 2006“ wollen wir aber die Vorlage des Doppelhaushalts 2002/2003 abwarten. Ihre bisherige mittelfristige Finanzplanung bis zum Jahr 2003 zeigt jedenfalls keinerlei Sparwillen

(Abg. Scheuermann CDU: Ihre Rede auch nicht!)

und keine Bereitschaft zur Nullverschuldung. Und auch nach Ihrer eigenen Finanzplanung vom Januar 2000 ist allein für das Jahr 2003 noch eine zusätzliche Finanzierungslücke von mehr als 1 Milliarde DM zu erwarten.

(Abg. Wieser CDU: Und Ihre Rede ist eine richti- ge Sparerrede!)

Hinzu kommt jetzt durch die Steuerreform und konjunkturbedingte Steuermindereinnahmen

(Abg. Wieser CDU: Er fordert eine Sache nach der anderen! – Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

noch eine weitere Deckungslücke von mindestens einer weiteren Milliarde Mark, sodass Sie allein im Jahr 2003 mindestens 3 Milliarden DM einsparen müssen. Dazu kommen jetzt noch die zusätzlichen Ausgaben, die Sie bereits versprochen haben, etwa die für 5 500 zusätzliche Lehrerstellen,

(Abg. Rückert CDU: Wollen Sie die nicht?)

für Stuttgart 21, für die neue Messe oder für Ihr Familiengeld

(Abg. Alfred Haas CDU: Wollen Sie auch nicht?)

mit zirka 2 Milliarden DM.

Wir werden abwarten, ob Sie Ihr Postulat der Nullverschuldung tatsächlich einhalten. Wir werden Ihnen nach Kräften helfen,

(Lachen bei Abgeordneten der CDU – Abg. Alfred Haas CDU: Das Gegenteil wird der Fall sein!)

aber Sie müssen das im Haushalt schon einmal selber aufzeigen.

(Beifall bei der SPD)

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, wir haben mit viel Aufmerksamkeit Ihre Ausführungen dazu registriert, was man heutzutage Biopolitik nennt. Ihrer Haltung zum so genannten therapeutischen Klonen und zur so genannten verbrauchenden Embryonenforschung stimmen wir uneingeschränkt zu. Zur Stammzellenforschung und zur PID will ich jetzt nichts sagen, weil wir dazu morgen eine Aktuelle Debatte haben. Ich gehe davon aus, dass diese Debatte morgen gelingt und auch dem Ernst und der fundamentalen Bedeutung des Gegenstands gerecht wird.

(Abg. Alfred Haas CDU: Das ist bei Ihnen schwie- rig!)

Ich will nun etwas zur Form Ihrer Regierungserklärung sagen, das heißt, zu einigen Ihrer Stilelemente.

(Oh-Rufe von der CDU – Abg. Pfister FDP/DVP: Hoppla! Das ist ja was ganz Neues! – Abg. Wieser CDU: Jetzt sind alle Noten fertig, dann kommt das Fach Stilkunde! – Abg. Oettinger CDU: Haltungs- noten!)

Ihnen als Oberstudiendirektor müsste das ja nahe liegen, Herr Kollege Wieser. – Ich meine damit die denkwürdige Banalität einiger Ihrer Aussagen.

(Abg. Oettinger CDU: Haltungsnoten!)