Ihre These, Herr Ministerpräsident, ist also: Die Länder müssen alles allein finanzieren. Sie fordern, dass Berlin, wie Sie sich ausdrücken, endlich von der Wachstumsbremse gehe und die letzte Stufe der Steuerreform von 2005 auf 2003 vorziehe. Das ist jetzt allerdings schon wieder überholt. Mittlerweile hat nämlich Frau Merkel gesagt: „Wir ziehen die Steuerreform von 2005 und die von 2003 auf 2002 vor und schaffen die Ökosteuer ab. Das wären dann 100 Milliarden DM zusätzlich.“ Wie Sie sich das vorstellen? – Keine Ahnung.
Da kann ich nur sagen: Allein das, was Sie vorschlagen – diese 38,5 Milliarden DM vorzuziehen und die Entlastung von 2005 auf 2003 vorzuziehen –, ist nicht finanziert.
Es ist weder beim Bund noch bei den Ländern finanziert. Denn eines verschweigen Sie bei Ihren tollen Vorschlägen: Sie verschweigen, dass das natürlich nur dann funktionieren könnte – selbst wenn man es wollte –, wenn die Länder mitmachen würden. Da will ich die Länder einmal sehen und Sie voran, wenn Sie die Hälfte Ihrer eigenen Sparvorschläge einmal mitfinanzieren müssten. Denn eines ist dann auch klar: Das Sparziel der Nullverschuldung für 2006 könnten Sie dann glatt vergessen, und zwar sowohl im Bund als auch in den Ländern. Überhaupt muss man sagen, dass das Ziel der „schwarzen Null“, also eines Haushalts ohne zusätzlicher Verschuldung, das Sie für 2006 angeben, nicht mit erkennbaren Bestrebungen, wie Sie das erreichen wollten, unterlegt ist.
Weder in der Koalitionsvereinbarung steht etwas dazu, noch haben Sie letzte Woche einen Ton dazu gesagt. Ich habe heute zum ersten Mal etwas von Herrn Oettinger darüber gehört, wie er das zumindest in Stufen erreichen will. Ich habe keinen Ton dazu gehört, was er denn eigentlich konkret sparen will. Wenn ich mir den Nachtrag ansehe, den Sie gestern vorgelegt haben, dann muss ich sagen: Der
Herr Finanzminister hätte wahrscheinlich noch etwas mehr gewollt. Man hat ihn nicht gelassen. Sie spüren wahrscheinlich schon wieder Wahlkampf und denken, man müsse jetzt Wahlgeschenke machen. Das ist aber nicht der Kurs der Konsolidierung, den wir uns vorstellen.
Als sei das alles noch nicht genug – das ist der eigentliche Gipfel Ihrer Rede in der letzten Woche gewesen –, wollen Sie zu den 40 Milliarden DM, die Sie nicht einnehmen wollen, auch noch 60 Milliarden DM auf die Schnelle zusätzlich ausgeben, die Sie ebenfalls nicht haben bzw. die der Bund nicht hat. Dazu würde die grandiose Idee führen – hört, hört! –, dass jedes Kind 1 200 DM im Monat erhalten soll.
Wenn Sie die Ökosteuer auch noch abschaffen wollen, dann sind wir damit zusammen gerade einmal schon bei 130 Milliarden DM. Diese 1 200 DM pro Kind soll es ja auch für alle geben, egal ob sie es brauchen oder nicht. Dafür sollen dann die sozialen Transferleistungen, die in der Regel diejenigen erhalten, die sie brauchen, gegengerechnet werden. Trotzdem kostet das dann noch 60 Milliarden DM. Richtig haben dann nur die Reichen etwas davon. Die CDU – das kann man festhalten – entdeckt nach dem Begriff „Familie“, mit dem Sie schon seit Jahrzehnten Politik machen, jetzt auch noch die entsprechende Politik dazu.
Aber ich finde, die eigentliche Chuzpe dabei, wie Sie letzte Woche hier von der Haltung her aufgetreten sind, war, dass Sie, obwohl Sie zwei Monate, nachdem Sie in Bonn aus der Regierung abgewählt worden sind, vom Bundesverfassungsgericht ein Urteil bekommen haben, das eine schallende Ohrfeige für 16 Jahre Familienpolitik der Regierung Kohl war, sich jetzt hinstellen und sagen, wir würden nichts für Kinder und Familien tun. Das ist eigentlich schon grandios.
Die Bundesregierung hat demgegenüber in den letzten zweieinhalb Jahren zweimal das Kindergeld erhöht, und die dritte Erhöhung ist bereits beschlossen. Die unteren und mittleren Einkommen sind durch die Steuerreform massiv entlastet worden. Das steuerfreie Existenzminimum wurde deutlich angehoben und das Existenzminimum für Kinder ebenfalls.
Herr Ministerpräsident, wie Sie hier letzte Woche argumentiert haben, war nicht seriös, sondern geradezu billig populistisch. Dort, wo Sie nichts zu sagen haben, nämlich im Bund, sind Sie mehr als spendabel, da kommt es auf 100 Milliarden DM nebenher nicht so an,
aber dort, wo Sie dringend etwas ausgeben müssten, nämlich hier im Land, sagen Sie nichts oder wollen Sie die Probleme auf die Kommunen verlagern. So sieht es hier aus.
Herr Ministerpräsident, es ist ja erfreulich, dass sich die Thematisierung des Bereichs „Kinderbetreuung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ zumindest verbal in Ihrer Regierungserklärung niedergeschlagen hat. Man kann fast sagen, dass Sie ideologisch abgerüstet oder zumindest anerkannt haben, dass wir in diesem Land einen gewaltigen Modernisierungsrückstand haben. Gleichwohl liest und hört man nichts Konkretes dazu. Stattdessen gilt die Zauberformel: „bedarfsorientiert“. Das klingt immer gut. Wer wollte schon Geld für etwas ausgeben, wofür es keinen Bedarf gibt? Bei Ihnen entsteht aber der Eindruck, „bedarfsorientiert“ stehe für „darf das Land nichts kosten“. Das heißt, die Kommunen sollen zahlen, oder es ist ein Füllwort für ein fehlendes inhaltliches und finanzielles Konzept. Ein solches Konzept müssen Sie jetzt und nicht erst im Jahr 2020 liefern.
Im Kern geht es bei der ganzen Debatte meines Erachtens um Folgendes: Die Finanzbeziehungen des Landes zu seinen Landkreisen und Kommunen müssen neu justiert werden. Außer der Selbstverständlichkeit, wie Sie letzte Woche gesagt haben, dass Sie sich demnächst mit den kommunalen Landesverbänden zusammensetzen wollten, vernimmt man hierzu von Ihnen nichts.
Es geht zum einen natürlich um die Frage – das wurde schon angesprochen –: Was sind die Folgen aus der Einigung beim Länderfinanzausgleich? Und zum anderen geht es um das große Thema der Aufgabenverteilung zwischen Land und Kommunen, unter anderem bei der Schulfinanzierung. Die Lastenverteilung – da bin ich sicher – muss angesichts neuer Aufgaben und gewandelter Anforderungen an die Schule auf völlig neue Beine gestellt werden. Dazu muss das ganze Tableau berücksichtigt werden: Lernmittelkosten und Lernmittelfreiheit, neues Lernmittel PC-Multimedia. Wer bezahlt das, das Land oder die Kommunen oder wir gemeinsam?
Es geht auch um die Schülerbeförderungskosten, um die Halbtagsgrundschule und die Ganztagsbetreuung, um Schulsozialarbeit usw. usf. Da reicht es nicht, dass Sie, Herr Ministerpräsident, mit den Spitzenverbänden gerade einmal Gespräche führen wollen, sondern dazu will ich hier Konzepte sehen.
Auch beim Thema Länderfinanzausgleich, Herr Ministerpräsident, passte mir in der vergangenen Woche insbesondere Ihr Zungenschlag nicht. Man darf einfach nicht sagen, wie Sie es getan haben, ohne Finanzausgleich könnten wir bereits jetzt unsere Haushalte mit einem beträchtlichen Überschuss abschließen, obwohl das natürlich stimmt.
Es ist faktisch richtig, aber ich finde, man darf es nicht sagen, und ich will Ihnen auch sagen, warum.
Ich finde, das ist ein Argument, das den Föderalismus kaputtmacht, denn ohne Finanzausgleich – und das war mein Zwischenruf in der vergangenen Woche – gäbe es keinen Föderalismus. Ein Zentralstaat, den hier keiner will, würde die Gelder nach Gutsherrenart verteilen. Aber das will in diesem Haus niemand. Deshalb brauchen wir die Solidarität der Länder untereinander.
In der Sache sind wir, wie ich meine, nahe beieinander. Die teilweise entstandene Übernivellierung war wettbewerbsfeindlich. Wenn jetzt zumindest ein Anreizsystem geschaffen wird, das überdurchschnittliche Steuerzuwächse dort lässt, wo sie entstehen, im Zweifelsfall auch bei den ärmeren Nehmerländern, dann ist das ein Schritt in die richtige Richtung. In der Heftigkeit aber, in der Sie, Herr Ministerpräsident, argumentiert haben, immer nebenher noch so einen Schlag „Lega Süd“, immer Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, haben Sie vergessen, dass Hessen bis vor zwei Jahren rot-grün-regiert war und deshalb auch vorher nicht alles in Hessen schlecht war.
Sie haben glauben gemacht, dass Sie von den fast 4 Milliarden DM, die Sie zahlen, mindestens 2 Milliarden DM zurückhaben wollen.
Das war nie realistisch. Gemessen an dem, wie Sie damals die Backen aufgeblasen haben, fragen sich viele Beobachter jetzt: Ja, was war eigentlich der Streitwert? Was ist da eigentlich herausgekommen?
Jetzt sind Sie wie der Herr Ministerpräsident der Ansicht, dass es prinzipiell nicht geht, die Finanzkraft der Kommunen mit einzubeziehen. Ich sehe das anders. Ich finde den Ansatz vom Prinzip her richtig. 100 % waren sicher zu hoch; das war ein Ansatz, mit dem man in die Verhandlungen gegangen ist. Aber ich finde es richtig, dass man das prinzipiell mit einbezieht.
Man kann über die Hafenlasten diskutieren; sie müssen weg. Die Einwohnerveredelung bei den Stadtstaaten ist auch nicht zu verstehen. Aber man muss schon die reale Finanzkraft der Gebietskörperschaften heranziehen.
Ja, 50 : 50 war ein Vorschlag. 100 % war der Vorschlag der Bundesregierung. Wenn der Ministerpräsident 64 % aushandelt – das ist ein gutes Verhandlungsergebnis für das Land –, kann man nicht sagen, er habe sich von den Rot-Grünen in Berlin über den Tisch ziehen lassen. Da ist man, glaube ich, als SPD-Mensch in einem ziemlichen Erklärungsnotstand.