Protokoll der Sitzung vom 02.10.2003

Damit ist Tagesordnungspunkt 3 erledigt.

Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Reform der Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher – Drucksache 13/1380

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion, gestaffelt.

Das Wort erhält Frau Abg. Wonnay.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor wenigen Wochen haben wir genau in diesem Raum eine gemeinsame Anhörung des Schul- und des Sozialausschusses zum Thema Sprachförderung durchgeführt. Genau an diesem Pult, an dem ich jetzt stehe, hat der Leiter des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München, Professor Fthenakis, einen Satz gesagt, der gut als Überschrift über die heutige Debatte passt: Für Kinder unter acht Jahren brauchen wir die am besten ausgebildeten Pädagogen dieses Landes.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Das war und ist die Maxime unserer Fraktion. Wir haben in den vergangenen Jahren viele Anträge zu diesem Thema gestellt. Gott sei Dank ist der Kindergarten als Bildungseinrichtung wieder in den Blickpunkt des öffentlichen und des politischen Interesses gelangt. Verschiedene wissenschaftliche Studien – Delphi, PISA, die Ergebnisse des Forums Bildung – haben mit dazu beigetragen, dass die Aufgabentrias des Kindergartens, nämlich Betreuung, Erziehung und insbesondere Bildung, wieder deutlich in den Mittelpunkt gerückt ist. Das muss natürlich Konsequenzen für die Ausbildung der Erzieherinnen haben.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Caroli SPD: Sehr richtig!)

Ich möchte, damit hier überhaupt kein falscher Zungenschlag in diese Diskussion kommt, gleich zu Anfang festhalten: Ich bin sehr häufig in Kindergärten und viel im Gespräch mit Erzieherinnen. Ich habe eine Riesenhochachtung vor dem, was unsere Erzieherinnen Tag für Tag für unsere Kinder leisten.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Renate Rastät- ter GRÜNE und Dr. Noll FDP/DVP)

Trotzdem führt an der Reform der Erzieherinnenausbildung, so, wie sie gegenwärtig stattfindet, kein Weg vorbei. Das ist übrigens auch der Wunsch der Erzieherinnen.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: So ist es! Genau so ist es!)

Worum geht es? Es geht darum, Bildung als sozialen Prozess zu gestalten, an dessen Konstruktion die Kinder, die Fachkräfte in den Einrichtungen, die Eltern und andere Erwachsene aktiv beteiligt werden. Das ist der Grundnenner, auf den man die wissenschaftliche Forschung, die auch für uns Leitbild sein muss, bringen kann.

Ich möchte Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Alle anderen europäischen Länder – mit Ausnahme Österreichs, das sich jetzt in Teilbereichen auf den Weg gemacht hat – sind uns auf diesem Weg wirklich weit voraus. Sie sehen nämlich das Abitur als Eingangsvoraussetzung und eine Fachhochschul- oder universi

täre Ausbildung für Erzieherinnen vor. Wir haben hier also einen dringenden Nachholbedarf. Nicht umsonst hat uns das Forum Bildung, hat uns die Bund-Länder-Kommission eindringlich ins Stammbuch geschrieben, dass wir das Potenzial der Elementarbildung noch nicht genügend ausschöpfen.

Seit Beginn des Jahres 2000 haben wir eine Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz, die eine Novellierung, eine Reform der Erzieherinnenausbildung mit zwei Bausteinen vorsieht: ein zweijähriges Berufskolleg für Sozialpädagogik – das ist die Regel – und, darauf aufbauend, eine dreijährige Breitbandausbildung, also eine insgesamt fünfjährige Ausbildung. Man plädiert außerdem – das ist etwas, was wir nachdrücklich unterstreichen – für den generellen Erwerb der Fachhochschulreife. Damit würde etwas beendet, was wir für unerträglich halten, nämlich die Sackgassenposition, in der sich Erzieherinnen heute noch befinden.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Baden-Württemberg hat sich auf den Weg gemacht. Wir haben ja gelernt, uns in diesem Land auch an kleinen Fortschritten zu erfreuen. Sie können sich auch des Beifalls der Öffentlichkeit gewiss sein, weil auch viele andere unsere Auffassung teilen: Man ist froh, wenn sich in diesem Land überhaupt etwas bewegt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Döpper CDU: Oh!)

Ich möchte Ihnen dazu schon etwas sagen, Herr Kollege Döpper. Ich hätte mir gewünscht, dass man bei einem derart wichtigen Reformvorhaben – und die Ausbildung unserer Erzieherinnen ist ein ganz zentraler Baustein in der Bildungsdiskussion – ein Prozedere wählt, das der Wichtigkeit dieses Vorhabens angemessen ist. Ich erinnere Sie daran, dass ich zu Beginn des letzten Jahres den Vorschlag gemacht habe – weil diese wichtigen Themen immer im Bermudadreieck zwischen Sozialministerium und Kultusministerium unterzugehen drohen –,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das ist richtig! Da hat sie Recht!)

eine gemeinsame Anhörung durchzuführen. Die Frau Kultusministerin hat das – ich formuliere es bewusst hart – systematisch hintertrieben, indem sie gesagt hat – ich formuliere es jetzt auf gut Schwäbisch –: „Es isch eh scho alles gschwätzt.“

(Heiterkeit der Ministerin für Kultus, Jugend und Sport Dr. Annette Schavan – Abg. Pfister FDP/ DVP: Annette, was tust du?)

Das war aber überhaupt nicht der Fall. Sie haben uns da etwas vorgemacht, und Sie haben, um diese Regelung zustande zu bringen, auch nur einen sehr eingeschränkten Dialog geführt.

(Zuruf des Abg. Dr. Caroli SPD)

Wen haben Sie denn in Ihre Arbeitsgruppe einbezogen? Sie haben die Kirchen mit einbezogen – das ist gut so –, und Sie haben die Fachschulen zum Teil mit einbezogen. Nicht in diese Neuregelung einbezogen haben Sie die Berufsver

bände der Erzieherinnen, die Eltern, die Gewerkschaften, die Wissenschaft und dieses Parlament. Das halte ich für einen grundlegenden Fehler, weil dieses Thema es wirklich wert gewesen wäre, auch in diesem Haus grundlegend diskutiert zu werden.

(Beifall bei der SPD)

Wer wollte kritisieren, dass Sie Handlungs- und Lernfelder einführen? Wer wollte kritisieren, dass Sie die Möglichkeit zum Erwerb der Fachhochschulreife bieten? Wer wollte kritisieren, dass Fremdsprachen verstärkt eingeführt werden?

Trotzdem, Frau Ministerin, müssen Sie sich die Frage gefallen lassen: Wie steht es mit Ihren Vorschlägen bezüglich der Europatauglichkeit der baden-württembergischen Ausbildung? Wie sieht es mit der Anerkennung in anderen Bundesländern aus? Wir haben eine vierjährige Ausbildung; die anderen haben in der Regel eine fünfjährige Ausbildung. Wie halten Sie es denn mit der Forderung der Kirchen, die wie wir dafür eintreten, dass es einen generellen Erwerb der Fachhochschulreife gibt? Ich hoffe, dass Sie auf all diese Fragen nachher eine Antwort geben.

Sie haben sich, Frau Ministerin, für eine Männerquote so stark gemacht. Es ist ja erstaunlich, zu sehen, um welche Themen Sie sich insgesamt kümmern.

(Abg. Stickelberger SPD: Atomkraft und Männer!)

Nun wäre es der Erzieherinnen- und Erzieherberuf wirklich wert, dass man sich Gedanken macht, wie wir mehr Männer in diesen Beruf bekommen.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Dazu hat sie sich aber keine Gedanken gemacht!)

Da empfehle ich Ihnen das Beispiel Schweden. Schweden hat die Ausbildung auf universitäres Niveau angehoben, die Bezahlung ist besser, und siehe da: Die Männer sind da.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen als einen ersten Schritt in diese Richtung eine fünfjährige Ausbildung und den generellen Erwerb der Fachhochschulreife, denn für uns in der SPD bleibt die Leitlinie bei diesem Thema: Die Kleinsten brauchen die Feinsten.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Das Wort erhält Herr Abg. Wacker.

(Abg. Stickelberger SPD: Die Männerquote! – Abg. Carla Bregenzer SPD: Es ist doch erfreulich, dass die Männerquote auf diese Weise erfüllt wird! Mal sehen, ob er auch etwas zu sagen hat!)

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Baden-Württemberg ist in der Tat ein reformfreudiges Land.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Lachen bei der SPD)

In unserem Bildungssystem werden große Veränderungen vorgenommen.

(Abg. Stickelberger SPD: Sehr wacker! – Abg. Carla Bregenzer SPD: Es darf gelacht werden!)

Diese sind notwendig, weil wir im nationalen und internationalen Wettbewerb im Interesse unserer Kinder noch besser werden wollen. Aus diesem Grund lehnen wir uns nicht zurück.

Auch in unseren Kindergärten unterliegen wir diesen notwendigen Veränderungen. In einer sich verändernden Gesellschaft ist es geboten, Vorkehrungen zu treffen, dass Qualität gesichert und weiterentwickelt wird. Unsere Erzieherinnen haben einen anspruchsvollen Job zu erfüllen. Dafür werden sie durch die neue Erzieherinnenausbildung gut vorbereitet. Erziehung und Bildung im Elementarbereich geschehen überwiegend in sozialen Prozessen mit Erwachsenen und Kindern. Der Erziehungs- und Bildungsauftrag, den wir im neuen Kindergartengesetz festgeschrieben haben, muss auf der Erkenntnis beruhen, dass frühes Lernen für das spätere Verhalten und Erleben und für die geistige und persönliche Entwicklung von außerordentlicher Bedeutung ist. Maßgeblich ist frühes Lernen in einem noch viel grundlegenderen Sinn auch für die neuronale Ausstattung des Gehirns, wie wir bei der letzten Anhörung im Schulausschuss ausdrücklich erfahren haben.

Wegen dieser Bedeutung frühen Lernens ist es gerechtfertigt und für das Gemeinwohl auch geboten, der heranwachsenden Generation schon in ganz frühem Alter optimale Lernvoraussetzungen zu schaffen. Die primäre Verantwortung dafür liegt bei den Eltern. Trotz dieser Ziele ist und bleibt also Kindergartenarbeit familienergänzend.

Zur Erfüllung dieses Ziels spielt für die CDU-Fraktion berufliches Standesdenken, Frau Kollegin Wonnay, nur eine untergeordnete Rolle.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Was heißt denn das? – Abg. Christine Rudolf SPD: In welchem Jahrhundert leben Sie denn?)

Meine Damen und Herren, Zuwendung zum Kind ist für uns das Allerwichtigste. Diese kann von jedermann erbracht werden, unabhängig davon, ob die angehende Erzieherin einen Realschulabschluss oder eine Fachhochschulreife vorweisen kann.