Protokoll der Sitzung vom 29.10.2003

Herr Ministerpräsident, stellen Sie doch einmal Ihre Familienfreundlichkeit zurück.

Im Grunde genommen, Herr Ministerpräsident, machen Sie jetzt folgenden Trick – auch sehr unseriös –: Sie sagen, Sie stimmten zu, wenn 75 % der Steuerreform gegenfinanziert seien, also in entsprechendem Umfang Streichungen im Bundeshaushalt vorgenommen würden. Das ist Ihr Vorschlag. Dann macht die Bundesregierung Vorschläge: Eigenheimzulage, Pendlerpauschale, 10 bis 15 Vorschläge. Alle lehnt der Ministerpräsident Teufel ab. Gleichzeitig macht er keine eigenen Vorschläge. Das ist doch unseriös. Unseriöser geht es nicht, wenn Sie die Bedingung aufstellen, 75 % müssten im Bundeshaushalt gestrichen werden. So kann man keine verlässliche Politik machen, Herr Ministerpräsident. So nicht!

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Die „Welt“ titelt heute: „Steuerreform: Kakophonie in der Union“.

Die „Welt“! Das ist ja nun kein sozialdemokratisches Kampfblatt, Herr Ministerpräsident.

(Abg. Capezzuto SPD: Ganz sicher nicht!)

Jetzt kommen wir noch zu etwas anderem, zu Ihrem Modell Kirchhof. Wenn Sie alles streichen, die Eigenheimförderung, die Kilometerpauschale, die Steuerfreiheit für Sonntags- und Nachtzuschläge, also alles, was viele Menschen im Land brauchen – das wollen Sie nach Ihrem KirchhofModell streichen, damit der Spitzensteuersatz auf 25 % gesenkt werden kann –, werden sich die Leute nachher schon fragen: Warum soll ich auf etwas verzichten, damit der Spitzensteuersatz von 42 % auf 25 % gesenkt werden kann?

(Abg. Mappus CDU: Das ist der alte Sozialneid!)

Das ist überhaupt kein Sozialneid. Immer wenn man die Fragen der kleinen Leute anspricht, schreit Herr Mappus „Sozialneid“. Nein, wir legen den Finger in die richtige Wunde. Die Frage ist, ob ein Spitzensteuersatz von 25 % gerechtfertigt ist. Darum geht es mir aber gerade nicht. Ich sage bloß, ich halte das für ungerecht.

(Zuruf von der CDU)

In der Zwischenzeit gibt es einen neuen Vorschlag. Sie treten für das Modell von Herrn Kirchhof ein. Der Bezirksparteitag der CDU Nordwürttemberg hat als Position der CDU Nordwürttemberg einstimmig die Denkendorfer Er

klärung für eine grundlegende Steuerreform auf der Grundlage der Merz-Position beschlossen.

Jetzt schauen wir uns doch einmal die Merz-Position an.

(Abg. Schmiedel SPD: Was gilt jetzt?)

Die Merz-Position ist nicht identisch mit der Kirchhofs. Die Merz-Position ist, dass ein Spitzensteuersatz von 36 % gelten soll – ist das jetzt „Sozialneid“ der nordwürttembergischen CDU, Herr Mappus? –

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD)

und eine Körperschaftsteuer von 36 %. Herr Ministerpräsident, das sind elf Prozentpunkte mehr, als die Bundesregierung jetzt mit 25 % festgelegt hat, um international vergleichbar zu sein.

Ich sage nur: ein interessanter Vorschlag. Aber es gibt jetzt den Vorschlag von Ihnen, für den Sie kämpfen, den Vorschlag der CDU Nordwürttemberg, an deren Spitze der Fraktionsvorsitzende Oettinger steht, dann gibt es den Merz-Vorschlag. Die Union haut jeden zweiten Tag einen neuen Steuervorschlag raus. Es gibt keine Klarheit; das ist Kakophonie.

Stimmen Sie im Dezember unserem Steuervorschlag zu. Mit ihm werden die meisten Menschen, die normal verdienen, dramatisch von Steuern entlastet. Das gibt einen Schub, der sich im Verbrauch auswirkt. Damit bekommen wir auch wieder einen Aufschwung in der Binnennachfrage.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Wenn Sie von Verlässlichkeit sprechen, Herr Ministerpräsident: Wir haben morgen eine Debatte über Ministerpensionen. Da muss ich auch sagen: Natürlich ist es ganz toll, den Menschen immer zu erzählen, man müsse den Gürtel enger schnallen, wenn die eigenen Hosenträger der Staat – in der Pensionsfinanzierung – sicherstellt.

(Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Für Ihren Gesetzentwurf haben Sie ein Jahr gebraucht. Wir sagen ganz deutlich: Wer draußen predigt: „Mit 65 Jahren könnt ihr erst in Rente gehen, dann bekommt ihr auch etwas“, oder gar das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre hochsetzen will, der muss auch die eigenen Ministerpensionen mit diesem Datum beginnen lassen und nicht mit 60 oder 55 Jahren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Boris Palmer GRÜNE – Zuruf von der SPD: Jawohl!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das gehört zur Glaubwürdigkeit.

Bayern macht es ja vor – um nur einmal einen Tipp zu geben. Das ist also keine sozialdemokratische „Neiddiskussion“, sondern auch die CSU in Bayern tut das.

Mit der Rentenpolitik ist es genau das Gleiche, Herr Ministerpräsident: Der Bundesregierung ist es doch nicht leicht gefallen, wegen konjunktureller Einbrüche die Rentenerhöhung im Grunde genommen zu verschieben. Es ist der Bun

desregierung auch nicht leicht gefallen, für kinderlose und ältere Bürger den Beitrag zur Pflegeversicherung von 0,85 % auf 1,7 % zu erhöhen. Das ist doch uns allen nicht leicht gefallen, der gesamten Bundesregierung nicht. Wenn dann der Ministerpräsident von Baden-Württemberg sagt: „Das machen wir nicht!“, und zur Alternative – der Erhöhung der Lohnnebenkosten durch Erhöhung des Beitragssatzes für die Rentenversicherung – sagt: „Auch das machen wir nicht!“, dann wollen wir einmal wissen, was der Ministerpräsident zu diesem Zeitpunkt gemacht hätte, wenn man ihn gefragt hätte. Gar nichts!

(Beifall bei der SPD – Abg. Carla Bregenzer SPD: Nichts! – Abg. Capezzuto SPD: Genau! – Minister- präsident Teufel: Das wäre gar nicht entstanden!)

Natürlich, mir ist schon klar: Das wäre gar nicht entstanden, denn Sie haben ja Gottes Segen. Hören Sie doch auf, Herr Ministerpräsident! Die konjunkturellen Einbrüche wären auch bei einer CDU-geführten Bundesregierung entstanden,

(Abg. Capezzuto SPD: So ist es!)

und der demographische Faktor hätte diese Lücke nicht gefüllt. Das wissen Sie genauso gut wie ich.

Damit zu den Gemeindefinanzen: Herr Ministerpräsident, Sie spielen sich ja immer als Freund der Kommunen auf.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Schöne Freunde!)

Die Gemeinden in Baden-Württemberg werden jetzt mit der Gemeindefinanzreform um 420 Millionen € entlastet – ein Vorschlag der Bundesregierung, der auf Vorschlägen des Städtetags basiert. Ich gebe zu, dass die Bundesregierung im September noch einen ganz anderen Vorschlag hatte. Damit wären die Kommunen nicht in diesem Umfang entlastet worden. Dann sind die Kommunen aufmarschiert – mit vollem Recht und im Übrigen mit unser aller Unterstützung, auch der der SPD-Landtagsfraktion. Die Bundestagsfraktion hat dann eine Korrektur herbeigeführt.

Jetzt sagen alle Politiker – von Frau Roth, Frankfurt, CDU, bis hin zu Herrn Ude in München –: „Es ist auf dem richtigen Weg, macht das!“ Frau Roth appelliert in einem Schreiben vom 17. Oktober eindringlich an den Bundesrat, die Gesetzesvorschläge des Bundestags zur Gemeindewirtschaftssteuer nicht zu kippen.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

Das muss auch den Ministerpräsidenten, der als Motivationsstrang für seine Arbeit die Kommunalpolitik nennt, die er von der Pike auf gelernt hat, nachdenklich machen. Aber, Sie, Herr Ministerpräsident, sagen Nein. Die Landesregierung sagt Nein, sie sagt, sie habe ein eigenes Modell. Welches Modell haben Sie denn? Sie haben ein Modell, wonach die Gewerbesteuer abgeschafft werden soll und die Kommunen einen Zuschlag auf die Einkommen- und Lohnsteuer erheben sollen. Das bedeutet eine Steuererhöhung für die breite Mehrheit der Bevölkerung; das muss man einmal sagen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Vorher abgesenkt!)

Wer senkt sie vorher ab? Wieso sollte der Bund vorher etwas absenken? Das ist ja toll: Sie verfügen immer über anderer Geld. Über andere Haushalte reden Sie hier. Reden wir einmal darüber, dass Sie verhindern, dass die badenwürttembergischen Kommunen ab 1. Januar 2004 420 Millionen € mehr in der Tasche haben. Die Kommunen wollen das. Gejammert haben sie ja schon immer, aber jetzt geht es ihnen wirklich schlecht. Und diese Erhöhung der Einnahmen der Kommunen wollen Sie mit einem Nein im Bundesrat verhindern.

Im Übrigen sage ich noch einmal: Ihr Modell, das ja dem BDI-Modell angeglichen ist, die Gewerbesteuer gänzlich abzuschaffen, würde den Beitrag der Wirtschaft an der Gemeindefinanzierung von gut 52 % auf 36 % absenken und den Anteil der Lohn- und Einkommensteuer von knapp 48 % auf 64 % steigern. Das wollen wir aber nicht.

Weil Sie alle so große Stücke auf Herrn Rommel halten, lese ich Ihnen vor, was er einmal gesagt hat. Zunächst hat er geäußert, vor welchen Schwierigkeiten Stuttgart und andere Städte, die einen Ring um sich haben, stünden, weil die Einkommensteuer am Wohnsitz erhoben wird und man in den Zentren einen viel höheren Aufschlag habe als im Umland. Das ist das erste große Problem.

Er sagt dann weiter:

Im ersten Fall – Modell Bundesregierung – zahlt die Steuer vor allem die Wirtschaft, im zweiten Fall – Modell Teufel/Döring – zahlen es die Bürger.

Und weiter:

Ich will nicht im Detail auf die Ungerechtigkeiten eingehen, dass der Zuschlag für den Bürger einer Großstadt um 50 % höher ausfallen kann als für einen Bürger des Umlands. Wesentlich ist, dass sich das Interesse der Gemeinden, insbesondere der Großstädte, von den Unternehmen und Arbeitsplätzen abwendet und auf das Interesse an mehr Einwohnern verlagern wird. Wirtschaft und Politik sollten das bedenken.

Das sind auch unsere Bedenken, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Ziehen Sie also Ihr Nein zurück, und unterstützen Sie, dass die Städte ab 1. Januar tatsächlich mehr Geld haben!

Auf der anderen Seite kürzen Sie, Herr Ministerpräsident, natürlich in Ihrem neuen Haushalt die Haushalte der Kommunen um insgesamt rund 260 Millionen €, wenn Sie alles zusammenzählen. Das heißt, selbst dann, wenn die Kommunen in Baden-Württemberg 420 Millionen € vom Bund bekommen, holen Sie mehr als die Hälfte davon aus ihren Taschen wieder heraus. Das ist nicht kommunalfreundlich. Das wollen wir einmal festhalten.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Unruhe)