Protokoll der Sitzung vom 29.10.2003

Jetzt haben wir einen Haushaltsentwurf fertig gestellt, FDP/ DVP und CDU, Regierung und Fraktionen Hand in Hand, und wir gehen derzeit von 1,8 Milliarden € neuen Schulden im nächsten Jahr aus. Die Europäische Kommission sagt, auch im nächsten Jahr mache Deutschland Schulden; 3,9 % heißt die Prognose, ohne Vorziehung der Steuerreform. Die große Gefahr ist also, dass im nächsten Jahr die Schulden auch in Baden-Württemberg noch höher sind als in diesem Jahr. All unser Ehrgeiz muss darin liegen, zu schauen, dass die Verschuldung im nächsten Jahr nicht die von diesem Jahr übersteigt und in jedem Fall der Haushalt Baden-Württembergs die Vorgaben der Landesverfassung einhält, was für zehn bis zwölf Länder in Deutschland mit Sicherheit nicht mehr und erst recht nicht mehr für den Bund erreichbar sein wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf von der CDU: So ist es!)

Herr Eichel sagt, das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht sei gestört, und prognostiziert 1,5 % Wachstum. Entweder

stimmen die Prognosen des Wirtschaftswachstums nicht – da wird im Grunde genommen schöngeredet –, oder aber die Begründung, warum man Schulden machen muss, ist nicht korrekt. Das eine passt mit dem anderen nicht zusammen. Wir in Baden-Württemberg schauen, dass unsere rechtlichen Vorgaben einhaltbar sind.

Mit 1 000 Millionen € haben wir ein Sparpaket geknüpft, das von Ihnen, Herr Kollege Drexler, gerade eben angegriffen worden ist. Aber klar muss sein: Mit dem Sparpaket muten wir dem Staat und der Verwaltung am meisten zu. Ich bekenne mich zu dieser Zumutung. Ich sage ausdrücklich: Respekt vor Beamten und Staatsdienern in BadenWürttemberg, die in der großen Mehrzahl sachbezogen im Umgang mit uns sind.

Zum Zweiten sage ich: Mit dem, was bei den Beamten jetzt gekürzt und verändert worden ist, werden wir eine Grundlage haben, die man nicht beliebig noch einmal nach unten korrigieren kann. Der nächste Schritt muss eine Kündigung der Tarifverträge und eine Anpassung der Besoldung und der Arbeitszeit der Angestellten und der Arbeiter an die der Beamten sein. Dann ist Gerechtigkeit in Baden-Württemberg in zwei Jahren wieder gewahrt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)

Aber wir haben auch Risiken, auf die ich eingehen will. Die Risiken stehen in den nächsten Tagen bevor. In zwei Wochen kommt die nächste Steuerschätzung. Die alte geht noch von 2 % Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr aus. 1,5 % heißt jetzt die Prognose, wenn sie überhaupt stimmt. Wenn die Wirtschaft ein halbes Prozent weniger wächst, gehen auch die Steuereinnahmen zurück. Wir haben Sorge, dass die Steuerschätzung für das nächste Jahr uns nochmals 400 Millionen € weniger Einnahmen beschert.

Alle sagen, dass die Kommunen in einer Notlage sind. Das stimmt, oder das mag ja sein. Aber man muss ergänzen: Das den Ländern in der Verfassung zugestandene Schuldenausmaß ist weit größer als das der Kommunen gemäß Gemeindewirtschaftsrecht und Gemeindehaushaltsordnung. Das heißt, die Kommunen sind im Grunde auf einem weit solideren Weg. Was wir den Kommunen vorgeben, was sie einhalten müssen, muten wir uns selbst nicht zu. Trotzdem ist Soforthilfe angesagt. Das Risiko liegt bei 200 Millionen € Neuverschuldung im Vergleich zu der, die bisher bestand. Wenn man die Steuerreform vorzieht und meinetwegen zu drei Vierteln oder zwei Dritteln gegenfinanziert, bleiben noch einmal 200 Millionen €, alles im allem ein Risiko von 0,8 Milliarden €. 1,8 Milliarden € und 0,8 Milliarden € ergibt 2,6 Milliarden €. Dies kann nicht sein. Deswegen ist die wichtigste Aufgabe und das größte Handlungsfeld, für das ich selbst noch nicht genügend Rat weiß, eher ratlos bin, eine Lösung zu finden, wie wir im Januar im Landtag einen Haushalt verabschieden können, der im Ländervergleich hinter Bayern und mit Sachsen der beste ist, der die Verfassung einhält und nicht mehr Schulden erforderlich macht als der des Jahres 2003.

Damit klar ist: Am Ziel der Nullverschuldung halten wir fest. Aber genauso ehrlich sage ich: Wenn die Wirtschaft nicht wächst, wird man ohne Schulden nicht auskommen.

Ein Wirtschaftswachstum von 1,5 % ist zu wenig. Wenn man 2 % bis 2,5 % nachhaltig hinbekommt, wenn der Arbeitsmarkt sich belebt, wenn die Zahl der Sozialhilfebezieher sinkt, wenn die Steuereinnahmen steigen und dies mittelfristig geschieht, dann wird die Nullverschuldung in Baden-Württemberg nicht Utopie, dann wird die Vision zur Realität. Wenn aber die Wirtschaft nicht wächst, wenn die Rezession bleibt, wenn die Zahl der Arbeitslosen nicht zurückgeht, dann ist ein Ziel wie die Nullverschuldung nicht erreichbar, weil die bundesweite Entwicklung, die Bundespolitik im Grunde genommen die Wirtschaft, die Investoren und die Arbeitnehmer enttäuscht und betrübt.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Drexler hat das Thema Kommunalfinanzen hier ganz konkret eingebracht. Meine Sorge ist, dass gar nichts dabei herauskommt. Meine Sorge ist, dass ihr ideologisch auf einer zusätzlichen Besteuerung der freien Berufe beharrt, dass ihr auch noch Leasing, Pachten und Fremdkapital besteuern wollt. Wir sagen dann: „Nein – Zuschlagsmodell!“ Die Kommunen brauchen keinen Streit und kein Nullsummenspiel. Weil die Einbeziehung der freien Berufe in die Gewerbesteuer ordnungspolitisch der falsche Weg ist

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Zuruf von der FDP/DVP: So ist es!)

und möglicherweise auch für das Zuschlagsmodell und seine Berechnungen – bis in unsere Partei hinein – noch keine Mehrheit gefunden werden kann, schlagen wir eine pragmatische Soforthilfe vor. Wenn es Ihnen mit den Gemeinden Ernst ist und wenn es Ihnen nicht um Ideologie geht, dann bitte ich Sie: Machen Sie mit! Nehmen Sie die Gewerbesteuerumlage um 8 Prozentpunkte zurück,

(Beifall bei der CDU)

und geben Sie den Kommunen 0,3 Prozentpunkte bzw. 0,4 Prozentpunkte in der Umsatzsteuer, einer Gemeinschaftssteuer, dazu. Dann ergeben sich allein für unsere Gemeinden in Baden-Württemberg 400 bis 500 Millionen €. Dies hilft schon zum Haushaltserlass, schon am 1. Januar. Wenn die Gewerbeertragsteuer verbreitert wird, dauert es zwei Jahre, bis das wirkt – und es bewirkt das Gegenteil.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Sehr richtig!)

Wenn man diese beiden Stellschrauben bewegt, haben die Kommunen schon bei den Haushaltsberatungen für das nächste Jahr im Kreistag, im Gemeinderat Sicherheit. Deswegen ist meine Bitte: Handeln wir pragmatisch. Wir blockieren nicht. Ich bin gespannt, wie Sie sich verhalten, wenn im Bundesrat die Entscheidung ansteht.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Fleischer CDU: Sehr gut!)

Zu dem generellen Blockadevorwurf: Der Begriff „Blockade“ kam von Lafontaine. Der Erfinder der Blockade im Bundesrat war Oskar Lafontaine. Die Behauptung von euch lautet jetzt, wir würden blockieren; CDU, CSU und FDP, die bürgerliche Mehrheit im Bundesrat, würden der Versuchung der Blockade erliegen. Ich glaube, dass dieser Vorwurf längst ins Leere geht. In den letzten Wochen hat die

Union auf Bundesebene weit reichende, konstruktive Reformkonzepte vorgelegt. Wenn ihr deren Dimension erkennt und mitmacht, dann gibt es im Ergebnis keine Blockade. Dann wird Deutschland auf eine neue Grundlage gestellt: ökonomisch und sozial.

Subventionsabbau ist die erste entscheidende Dimension. Koch hat zusammen mit Steinbrück ein weit reichendes, konstruktives Konzept vorgelegt, obwohl die Union im Bund nicht regiert – Handschrift Roland Koch.

Steuerreform: Erwin Teufel hat das Konzept von Kirchhof in die Politik gebracht; Steinbrück war bei dem Gespräch dabei. Ich glaube, dass die Dimension einer großen Steuerreform für den Wirtschaftsstandort Deutschland – neben dem Arbeitsmarkt und dem Arbeitsrecht – das allerwichtigste Handlungsfeld ist.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Roman Herzog und seine Kommission sowie Angela Merkel – mit unglaublichem Mut und einer Logik, die bestechend ist – schlagen für Pflege, Gesundheit und Rente eine langfristige Sicherung der Einnahmen und Ausgaben vor.

Ich glaube, dass die Union auf diesen drei großen Handlungsfeldern zeigt, dass ihr keine billige Blockade vorgehalten werden kann, sondern dass die Frage ist, ob ihr die Dimension erkennt und den Mut habt, weiter als in euren halbherzigen Reformvorschlägen, die vorliegen, zu gehen.

(Beifall bei der CDU)

Handlungsfeld Nummer 2 ist die Bildungspolitik. Schauen Sie sich einmal an, wie viele Reformen in Baden-Württemberg unterwegs sind, wie laut das Geschrei vor und während den Reformen war und was sich jetzt zeigt – aktuell in der Oberstufenreform. Ich glaube, dass Schule in Veränderung sein muss, dass die Bildungslandschaft in BadenWürttemberg Pionierfunktion erfüllt. Deswegen tragen wir, trägt die CDU-Fraktion die Bereitschaft der Ministerin und des Ministers mit, in Baden-Württemberg Schulen und Hochschulen leistungsfähig zu erhalten und aus unserem Geld das Beste für die Bildung und Erziehung unserer Kinder und Jugendlichen zu machen. Wir tragen die Reformen – eine um die andere – mit und bauen darauf, dass damit die Bildungslandschaft Baden-Württembergs und somit auch die nächste Generation von Arbeitnehmern und Unternehmern wettbewerbsfähig in die Zukunft geht.

(Beifall bei der CDU)

Dabei halten wir Wort. Die 5 500 zusätzlichen Lehrerstellen kommen; zwei Drittel davon wurden schon geschaffen, und auch der Rest wird erfüllt.

Kinderfreundliches Baden-Württemberg: Im Rahmen unserer Haushaltsmöglichkeiten bauen wir die Betreuung der Kinder in jedem Alter von null bis drei, von drei bis sechs und von sechs bis zehn Jahren zur Stärkung und zur Entlastung der Familien aus. Ich glaube, dass die Betreuung in Baden-Württemberg – ohne jede Ideologie – nach dem berechtigten Bedarf der Mutter und des Vaters in den nächsten Jahren weiterentwickelt und in Partnerschaft mit Kom

munen, freien Trägern und Kirchen ausgebaut werden muss.

(Beifall bei der CDU)

Dabei will ich zwei Punkte ansprechen, die mir als Indikator wichtig sind – das sage ich auch an meine Partei gerichtet –: Von 100 Kindern, die in Baden-Württemberg einen Kindergarten besuchen, Kollege Zeller, sind 90 am Vormittag und 40 am Nachmittag dort. Wenn 40 von 100 Kindern nachmittags in den Kindergarten gehen, dann deshalb, weil die Mutter entlastet sein will, weil sie arbeiten will oder arbeiten muss oder weil die Betreuung zu Hause schwer fällt. Wenn das aber bei 40 von 100 Kindern der Fall ist, während bei 60 Kindern die Betreuung zu Hause möglich ist, dann sollten wir darauf hinweisen, dass die Grundschule keine Zwangsganztagsschule werden darf,

(Abg. Dr. Birk CDU: Sehr gut!)

damit die 60 Kinder nachmittags bei ihrer Mutter, ihrem Vater, ihren Großeltern oder Geschwistern sein können, und wir müssen umgekehrt erkennen, dass für 40 Grundschüler in Klasse 1 vermutlich ein Bedarf an Ganztagsbetreuung besteht; denn die Betreuungskraft der Familien wird nicht zwischen Juli und September deutlich gestärkt. Sie ist im Juli im Kindergarten so stark oder so schwach, wie sie im September in der Grundschule Klasse 1 ist.

(Beifall bei der CDU – Abg. Zeller SPD: Wir ha- ben fünf Ganztagsschulen im Grundschulbereich, viel zu wenig! Es gibt kaum Ganztagsschulen im Grundschulbereich!)

Nun zum Gymnasium und der Frage, was man von den Bundesmitteln abruft. Warten wir es doch ab, Kollege Drexler; das Jahr ist noch nicht zu Ende. Obwohl es in der Kompetenzordnung falsch ist, dass der Bund sich mit Geld in die Kinderbetreuung einmischt, nehmen wir das Geld deshalb an, weil wir damit, auch wenn die Kompetenzordnung nicht stimmt, in Baden-Württemberg den Kommunen bei einer Aufgabe, bei der es Nachholbedarf gibt, helfen. Deswegen ist die Kritik unberechtigt; ich bin sicher, dass die fünfhundert und soundso viel Millionen am hinteren Ende in Baden-Württemberg sinnvoll in Umbau und Neubau von Ganztagsschulen gehen.

(Abg. Seimetz CDU: Jawohl!)

Aber hinzu kommt die Entwicklung am Gymnasium. Auch darauf weise ich uns alle hin. Die Oberstufenreform verdoppelt die Zahl der Stunden am Nachmittag.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das ist Fak- tum!)

Gab es an einem Gymnasium, das im Schnitt 32 Unterrichtsstunden pro Woche hat, früher drei bis vier Stunden Nachmittagsunterricht, so sind es jetzt sieben Stunden, die nach der Oberstufenreform zu unterrichten sind. Wenn wir flächendeckend G 8 einführen – und wir bekennen uns dazu, dass das Abitur früher kommen muss –, kommt pro Woche ein Neuntel des Unterrichts hinzu, weil die Qualität der Bildung gleich bleiben soll. Das heißt, es kommen noch einmal etwa drei Stunden hinzu. Wir werden in BadenWürttemberg an den Gymnasien in Zukunft zehn bis zwölf

Stunden nachmittags unterrichten, was, zumal im ländlichen Raum, dazu führt, dass Mittagessen angeboten werden muss, weil der Weg nach Hause und zurück in die Schule zu weit ist, sodass die Entwicklung beim Gymnasium im Grunde genommen in Richtung Ganztagsbetreuung gehen wird. G 8 und die Oberstufenreform sind der Grund dafür. Wir bekennen uns dazu und bauen im Rahmen unserer Haushaltsmöglichkeiten Schritt für Schritt die Infrastruktur in Baden-Württemberg aus.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Drexler, Sie haben Ihre Kritik am Vorgehen der Ministerin in Sachen Kopftuch heute nicht wiederholt. Gut so! Aber gestern haben Sie gebrüllt. Gestern haben Sie gebrüllt, weil die Ministerin einen eigenen Vorschlag macht.

(Abg. Drexler SPD meldet sich zu einer Zwischen- frage.)

Bitte schön.

(Heiterkeit)

Ich bin gefragt worden, ob die SPDFraktion an dem Tag mit informiert wird, an dem die CDUFraktion und die FDP/DVP-Fraktion informiert werden. Da habe ich gesagt: Wir werden nicht informiert, obwohl die Ministerin nach dem Kopftuchurteil angeboten hat, uns zu informieren. Das war meine Kritik.

Meine Kritik bezog sich auch auf das Verhältnis zwischen Justizministerium und Kultusministerium. Bei dieser Kritik bleibe ich auch. In der Zwischenzeit hat uns Frau Schavan einen Termin morgen in der Mittagspause angeboten.