Protokoll der Sitzung vom 26.11.2003

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Kipfer, wenn alles so stimmen würde, wie Sie es vorgetragen haben oder wie Sie versucht haben, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auszulegen, dann könnte man fast die 12 Millionen DM von Birkel wieder zurückholen. Damit sind wir am entscheidenden Punkt der Verbraucherinformation. Verbraucherinformation will jeder von uns. Ich glaube, da sind wir uns einig.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Sie können wieder nach Ulm gehen! – Heiterkeit)

Bisher galt allerdings, dass eine ganz strenge, ganz diffizile Abwägung vorzunehmen ist. Es geht um die Frage, wo die Aufklärungspflicht beginnt und wo sie vielleicht an ein Eigentumsrecht stößt. Da haben wir unser Lehrgeld zahlen müssen; denn die Gerichte haben gesagt, ein Eigentumsrecht könne durch verfrühte, übereilte Information verletzt werden.

(Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Und was ist dann?)

Deswegen ist damals, 1991, im Land Baden-Württemberg einmalig unter den Bundesländern – das kann man immer wieder nur loben – ein Aufklärungs-, ein Informationsgesetz als Folge dieser Birkel-Situation entstanden. In diesem Gesetz haben wir eindeutig versucht abzuwägen, was bisher galt: Bei Gesundheitsgefahren darf und muss ich warnen und ebenso bei gravierenden Verstößen gegen das bestehende Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz. Allerdings muss ich immer gründlich abwägen zwischen den Positionen, um die es geht, eben auch um das Eigentumsrecht. Ich muss den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der unsere Verfassung grundlegend durchzieht, dabei gleichermaßen mit berücksichtigen.

Das Bemühen der letzten Jahre ging in die Richtung, dass nicht nur Baden-Württemberg ein solches Gesetz haben sollte, sondern dass sich alle Bundesländer oder besser noch der Bund bundeseinheitlich dieses schwierigen Themas annehmen.

(Abg. Birzele SPD: Warum bundeseinheitlich? Das ist doch konkurrierende Gesetzgebung!)

Bundeseinheitlich, weil in der Tat die Betroffenen nicht nur irgendwo in Fellbach oder Stuttgart oder Oberkirch sitzen, sondern im Grunde europaweit verteilt sind. Dem Verbraucher ist überhaupt nicht gedient, wenn ich bei der ganzen Angelegenheit Insellösungen schaffe.

(Abg. Drautz FDP/DVP: Sehr richtig! – Abg. Bir- zele SPD: Sie sind doch für eine Stärkung der Lan- deskompetenzen!)

Man sollte langsam ein bisschen über dieses Denken hinaus sein. Föderalismus und Föderalismusdiskussion dürfen dem Verbraucher nicht schaden.

(Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Wenn es in den Kram passt, wird nach dem Bund und nach Eu- ropa gerufen, wenn nicht, nach Länderkompeten- zen!)

Jetzt lassen Sie mich aber zu dem eigentlichen Thema noch etwas sagen.

(Abg. Birzele SPD: Das Land hat die Kompeten- zen, Gesetze zu machen!)

Der Bund hat sich bemüht und einen Entwurf vorgelegt, der dann vor zwei Jahren im Bundesrat abgelehnt worden ist. Ich kann sagen: Die Voraussetzungen für eine Ablehnung des gleichen Gesetzentwurfs wären wiederum gegeben, weil er nicht eindeutig genug war und weil – das, lieber Kollege Walter, war der Punkt, weshalb ich eine europäische Lösung gefordert habe – ein Auskunftsrecht respektive eine Auskunftspflicht bei einer europaweit verflochtenen Ernährungsindustrie auch nur europaweit machbar ist. Alles andere reicht nicht aus. Das war der Grund, weshalb man gesagt hat: Man braucht eine europaweite Lösung.

(Zuruf der Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD)

Dann kam eben dieses Bundesverfassungsgerichtsurteil. Der erste Eindruck – so haben Sie es auch wiedergegeben, Frau Kipfer – ist ja nun der, dass man jetzt eine Ermächtigung hätte, einfach einmal zu veröffentlichen, wann auch immer einem das einfällt. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil ist ja nun wirklich mit heißer Nadel gestrickt. In der Tat, es hat 15 Jahre gedauert, bis durch diesen Entscheid endgültig Rechtsklarheit geschaffen wurde.

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Das kann keine heiße Na- del gewesen sein, wenn es 15 Jahre gedauert hat! – Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Da war die Na- del schon längst erkaltet!)

Dann hat man es geraume Zeit auf die lange Bank geschoben.

Ich will Ihnen aber sagen: Wenn Sie meinen, man könnte jetzt im Grunde bei der Verbraucheraufklärung Eingriffe in Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt vornehmen, dann irren Sie sicherlich. Wenn Sie das Urteil durchlesen, finden Sie darin ganz diffizile Ausführungen, die zwar letztendlich unter dem Gesichtspunkt der Staatsfunktion Aufklärungsmöglichkeiten eröffnen, gleichermaßen aber festschreiben, dass die Aufklärung geboten und sachlich gerecht sein muss. Vor allem darf sie nur dann geschehen, wenn massive Marktstörungen eingetreten sind. Diese haben wir damals bei dem Glykolskandal vermutet.

Ich habe das Gefühl – und auch die zögerliche Handhabung seitens des Bundes spricht dafür –, dass wir es uns nicht so einfach machen können, zu sagen: „Jetzt ist alles erlaubt!“ Deswegen haben wir Gespräche geführt – Herr Walter hat es angesprochen –, und ich habe mich bei einem Termin im Bundesministerium ausdrücklich noch einmal dieses Themas angenommen, damals im Gespräch mit Staatssekretär

(Minister Stächele)

Berninger. Wir sind auf der Suche nach einer Lösung. Im jetzigen Stadium erwarten wir in der Tat einen Entwurf des Bundesministeriums. Er lässt lange auf sich warten.

(Abg. Birzele SPD: Das Land hat die Kompetenz!)

Es ist in der Tat so, dass die Problematik sehr groß ist. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil gibt nicht einfach das her, was jetzt beschrieben wurde: „Man kann bei jedweder Störung oder Kontamination einfach an die Öffentlichkeit gehen.“ Es gibt Abwägungsprozesse, die in diesem Gesetz geregelt werden müssen.

Daher der Appell – ich betrachte auch diese Debatte als einen Appell – Richtung Bundesministerium,

(Zuruf von der SPD: Sie schreien jedes Mal nach dem Bund!)

im Benehmen mit den Ländern und im Gespräch mit denen, die schon Praxis haben, sprich Baden-Württemberg, den Versuch zu unternehmen, einen verbesserten Gesetzentwurf vorzulegen. Dann könnte ich mir vorstellen, dass wir im Interesse der Verbraucher bundeseinheitlich eine solche Verbraucheraufklärungsmöglichkeit erhalten. Viel besser wäre aber, wenn wir das tatsächlich europaweit hinbekommen könnten.

(Beifall bei der CDU – Abg. Birzele SPD: Aber die Landeskompetenz haben wir! Sie beklagen immer, dass der Bund von der konkurrierenden Gesetzge- bung Gebrauch macht!)

Herr Birzele, jetzt rufen Sie schon zum zehnten Mal: „Landeskompetenz!“ Das wird deswegen nicht klüger, sondern eher noch schlichter.

(Beifall bei der CDU – Abg. Birzele SPD: Das sind mir schöne Föderalisten! Immer wenn es schwierig wird, rufen Sie nach dem Bund!)

Mein Gott, viele Zwischenrufe von dem einen oder anderen sind nicht besonders klug. Es ist aber einfach überflüssig, darüber zu reden. Wir brauchen bundeseinheitlich eine Regelung zur Verbraucheraufklärung und am besten europaweit einheitliche Auskunftspflichten. Alles andere ist untauglich und deswegen abzulehnen.

(Beifall bei der CDU – Zuruf von der CDU: Ja- wohl!)

Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen damit zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung des Antrags der Fraktion der SPD, Drucksache 13/1515. Es ist vorgeschlagen, den Antrag an den Ausschuss Ländlicher Raum und Landwirtschaft zu überweisen. – Sie stimmen der Überweisung zu.

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung angelangt.

Die nächste Sitzung findet morgen, Donnerstag, 27. November 2003, um 9:30 Uhr statt.

Ich danke Ihnen und schließe die Sitzung.

Schluss: 18:39 Uhr