Protokoll der Sitzung vom 26.11.2003

Wenn wir die unterschiedlichen Daten zusammennehmen, dann können wir sagen, dass wir in mindestens drei Bereichen – nämlich bei den Luftschadstoffen, beim Wasser und bei der Rohstoffproduktivität – deutlich besser als andere Bundesländer sind, dass wir eine klare Produktivitätssteigerung und sogar absolute Verbesserungen im Vergleich zu den Neunzigerjahren haben.

Wir haben in anderen Bereichen ebenfalls eine Produktivitätssteigerung. Aber was den absoluten Output anbelangt,

(Minister Müller)

also das, was insgesamt in Anspruch genommen worden ist, haben wir eine Stagnation, zum Teil eine leichte Verschlechterung. Beispielsweise haben wir im Bereich des Energieverbrauchs, in der Tat im Bereich des Flächenverbrauchs und auch bei der Abfallsituation, was die Gesamtabfallmenge anbelangt, im Prinzip eine Stagnation. Diese Entwicklung teilen wir mit allen übrigen Bundesländern.

Wir haben die erste umweltökonomische Gesamtrechnung gemacht. Der Bund hat wenige Wochen später nachgezogen. Wenn man die beiden Rechnungen nebeneinander stellt, dann stellt man fest: So schlecht schaut es in BadenWürttemberg gar nicht aus, im Gegenteil. Wir haben selber Untersuchungen über die Umweltinanspruchnahme – und zwar gemessen an harten Daten, an Fakten, an Tonnen, Hektar oder was auch immer – angestellt und sie in Bezug gesetzt zur Einwohnerzahl und zum Bruttosozialprodukt. Wenn wir uns mit dem Bundesdurchschnitt, mit den übrigen Bundesländern und mit unseren Nachbarstaaten vergleichen, dann können wir sagen: Baden-Württemberg, die Schweiz und Österreich sind diejenigen, die gemessen an Bevölkerungszahl und Wirtschaftswachstum die höchste Umweltproduktivität haben – die höchste!

(Zuruf des Abg. Schneider CDU)

Gemessen an diesem Ziel können wir uns augenscheinlich in der Umweltpolitik blicken lassen. Ich nehme nur drei Beispiele, bei denen ich schlicht behaupte, dass wir führend, überlegen, besser sind als andere: die Umweltforschung, den Hochwasserschutz und den flächendeckenden Grundwasserschutz. Es gibt Probleme im Grundwasserschutz – Sie haben darauf verwiesen, Herr Dr. Caroli –, es gibt in der Tat Sanierungsgebiete, aber andere haben das Ziel des flächendeckenden Grundwasserschutzes gar nicht. Nehmen Sie beispielsweise Bayern oder das Bundesland Nordrhein-Westfalen, bei dem man eigentlich gemäß einer bestimmten Ideologie annehmen müsste, dass dort alles besser sei. „Von wegen!“, kann ich dazu nur sagen.

(Zuruf des Abg. Kiefl CDU)

Wir sind in diesen Bereichen klar besser.

Sie haben mich nach einigen konkreten Punkten gefragt. Ich sage dazu einmal im Schnelldurchgang Folgendes: Erster Punkt, Sasbachwalden: Ich habe mich dazu geäußert, und das, was ich gesagt habe, ist die Meinung der Landesregierung insgesamt.

(Zuruf des Abg. Walter GRÜNE)

Zweitens, Kürzungen beim ÖPNV und beim Straßenbau: Hier gibt es nicht nur im Jahr 2004 Parität, sondern sehr wohl auch im Jahr 2003, wenn Sie die Kürzungen nehmen, die wir über die globalen Minderausgaben beim Landesstraßenbau haben erbringen müssen. Ich will nicht sagen, es sei ganz toll, dass wir da kürzen. Ich will mich nur gegen den Vorwurf wenden, wir würden im kollektiven Verkehr, im öffentlichen Verkehr, kürzen und im individuellen Verkehr, im Straßenbau, nicht.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Aber so war es im Nachtrag! Das können Sie nicht bestreiten!)

Nein, nein. Deswegen habe ich gerade von den globalen Minderausgaben gesprochen. Ich brüste mich nicht damit. Ich wäre froh, ich bräuchte nicht zu kürzen. Nur, wir haben die Parität, die Sie einfordern, sehr wohl gehandhabt.

Die Schlussfolgerung, meine Damen und Herren, bei der richtigen Beurteilung der Wirklichkeit: Gemessen an den Zielen des Umweltplans, gemessen an dem, was eigentlich zu geschehen hat, können wir mit der bisherigen Entwicklung nicht zufrieden sein. Wir haben weitere Aufgaben. Der Umweltplan gilt ja auch weiter. Gemessen an dem, was andere erreicht haben, gemessen an dem, was man realistischerweise machen kann, kann sich unsere reale Umweltsituation, glaube ich, soweit sie sich in Statistiken überhaupt ausdrücken lässt, ohne weiteres blicken lassen.

Zweiter Gedanke: Den Bürger mitnehmen. Was meine ich damit? Die Umweltpolitik ist mittlerweile ein Ziel unter vielen. Das wissen wir. Bundesweit, international sind andere Aufgabenstellungen wie Haushaltssanierung, Sozialversicherung, die wirtschaftliche Entwicklung, die Arbeitslosigkeit daneben getreten und heute dominant. Man sieht das ja auch an demoskopischen Umfragen. Die Umweltpolitik hat ein Stück weit an Stellenwert, an Gewicht verloren. Das ist keine Spezialität Baden-Württembergs, sondern das ist überall so. Sie ist zum Teil auch Opfer ihrer eigenen Erfolge geworden. Das muss man ja auch sehen.

Die Umweltprobleme sind darüber hinaus für den Bürger auch unanschaulicher geworden. Denken Sie nur einmal an die globale Klimaentwicklung auf der einen Seite und die Konferenz von Kioto auf der anderen Seite oder an den Zertifikatehandel. Das ist sehr viel unanschaulicher als vor 20 Jahren, als ich sagen konnte: „Aus dem Schornstein kommt soundso viel Stickstoff heraus, und da muss jetzt endlich etwas passieren.“ Das ist sozusagen manifest.

Umweltfragen sind auch vielmehr zu einer Frage von allen geworden, weil es nämlich um Ressourcenverbrauch geht. Das heißt, Umweltpolitik ist ein Stück weit auch lästig geworden. Man kann die Umweltfragen nicht mehr auf einige Sünder fokussieren. Vielmehr sind wir alle hier gefordert.

Ich sage das alles nur, um den Gedanken „den Bürger mitnehmen“ vorzubereiten. Wenn die Dinge unanschaulicher werden, wenn sie uns alle betreffen, wenn andere Fragestellungen in der Politik einen höheren Stellenwert bekommen haben, wenn wir zum Teil – ich sage es einmal ein bisschen geschwollen – eine Fehlallokation von Aufmerksamkeit haben, das heißt auch Umweltthemen hochgepuscht werden, obwohl sie das gar nicht verdient hätten, worunter die Aufmerksamkeit für die wirklich relevanten Fragen leidet – das sind nämlich die langfristigen, die strukturellen, die schleichenden, die globalen Fragen –, wenn das also stattfindet, dann hat die Politik, glaube ich, die Aufgabe der richtigen Dimensionierung des Problems. Das gilt in einer Demokratie, die den Bürger mitnehmen muss, das gilt in einer Marktwirtschaft, die mit ökonomischen Hebeln zu operieren versuchen muss, und das gilt im globalen Wettbewerb erst recht.

Jetzt vertrete ich einmal die These, dass wir in Baden-Württemberg beim Thema „den Bürger mitnehmen“ schlichtweg führend sind, und zwar in Bezug auf den Kontakt zu Schu

(Minister Müller)

len, zur Wirtschaft, zu den Kommunen und zur Öffentlichkeit insgesamt. Wir haben ein Netzwerk aufgebaut, eine Szene geschaffen,

(Abg. Dr. Caroli SPD: Das ist mir noch gar nicht aufgefallen!)

die es uns erlaubt, Umweltthemen zu multiplizieren, zu transportieren, zu formulieren. Um diese Szene werden wir beneidet. Ich nenne nur einmal ein paar konkrete Beispiele.

Die ganze Entwicklung der lokalen Agendagruppen ist in Baden-Württemberg im Vergleich zu der in anderen Bundesländern glänzend. Wir haben vor gut einem Jahr alle lokalen Agendagruppen an einem Samstagvormittag zu einer Veranstaltung eingeladen. Da kamen über 1 000 Leute.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Auch der Präsident des Umweltbundesamts war da. Er hat eine Rede gehalten und dabei gesagt: „Es gibt kein anderes Bundesland, das in der Lage gewesen wäre, zu diesem Thema eine so große Resonanz auszulösen.“

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Deswegen gibt es auch kein Land, wo es so viele Grüne gibt! – Zuruf des Abg. Dr. Caroli SPD)

Wir nehmen im Bereich der Wirtschaft eine führende Rolle ein, was zum Beispiel zertifizierte Unternehmen anbelangt. Es gibt daneben aber noch viele andere Mosaiksteine. Wir können mit einer Reihe von Instrumenten der Kommunikation, der Information, mit Broschüren, Arbeitskreisen – Modell Hohenlohe und was es da alles gibt – auf ein geordnetes System von Kontakten verweisen, um uns sozusagen an die Wirtschaft „heranzumachen“.

Ich nenne weiter das Konzept „Schulen auf Umweltkurs“, und ich nenne die Kommunen als Partner. Es gibt viele Veranstaltungen, viele Kontakte, Beziehungen, Broschüren und Erfahrungsaustauschgruppen gerade zu den wichtigen Fragen beispielsweise der Abwasserbeseitigung, der Klärschlammentsorgung, des Flächenverbrauchs. Das Letzte ist eine ganz aktuelle Frage.

Ich könnte jetzt eine ganze Fülle von Beispielen dafür nennen, wie wir argumentativ versuchen müssen – weil wir es wegen der Zuständigkeiten administrativ gar nicht allein schaffen –, auf die Kommunen einzuwirken. Und die Kommunen kommen zu unseren Veranstaltungen. Das Ganze gilt im Übrigen auch für den kommunalen Klimaschutz.

Auch das Thema „Umwelt und Vereine“ ist eine ganz eigene Szene. Die Landesstiftung hat dafür jetzt ein eigenes Konzept finanziert.

Ich nenne weiter das Thema „Umwelt und Bürger“. Ich denke etwa an den Energie-Spar-Check, über den wir mittlerweile schon 16 000 Häuser individuell energiediagnostiziert haben.

Wir machen eine Fülle von Veranstaltungen, es besteht eine Kommunikation auf diesem Gebiet, und wir finden Resonanz. Dazu sage ich einmal ganz kritisch: Manche Veranstaltung hätte es verdient, auch vom einen oder anderen Abgeordneten dieses Hauses – quer durch alle Fraktionen –

einmal besucht zu werden. Wir machen da wunderschöne Dinge.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Aber nicht während einer Plenarsitzung!)

Nein, es hat noch nie eine während einer Plenarsitzung stattgefunden. Darauf achte ich schon. Ich bin ein ganz korrekter Mensch. Ich bin selbst Parlamentarier, Herr Dr. Caroli. Damit können Sie sich nicht entschuldigen. Aber wenn Sie sich mit diesen Worten, die ich gerade gewählt habe, im Sinne einer Einladung angesprochen fühlen, soll mir das recht sein.

Also, kurz und klein: Wir haben eine Szene aufgebaut und können operieren. Und ich glaube, dass das auch notwendig ist. Wir brauchen Einsicht bei der Bevölkerung, wir brauchen die vielen kleinen Schritte, und wir brauchen die politische Grundakzeptanz, die wir damit erzielen, auch für größere Maßnahmen und für größere Schritte.

Ich sage ist nur einmal ein Beispiel: Das Thema Klimaschutz ist in der Bevölkerung „durch“. Das setzt aber voraus, dass man es entsprechend thematisiert hat und eben genau solche Netzwerke aufgebaut hat.

Ich will zu meinem dritten Punkt kommen: Ökoeffizienz. Sie ist unser Ziel, und das deswegen, weil wir ehrgeizige Ziele haben und sie mit einem möglichst geringen Kraftaufwand erreichen und verwirklichen sollten. Umgekehrt formuliert: Wir sollten mit einem bestimmten Kraftaufwand – das ist ja das ökonomische Prinzip – ein möglichst weit reichendes Ziel erreichen. Wir müssen die wichtigen Probleme und nicht die Nischenprobleme identifizieren; wir müssen die effizienteren Lösungen anstreben und strukturelle, nicht punktuelle Maßnahmen ergreifen. So würde ich es zunächst einmal ganz allgemein formulieren.

Jetzt will ich an drei Beispielen deutlich machen, was das dann praktisch bedeutet:

Nehmen Sie den ganzen Bereich der Luftschadstoffe, bei dem wir bekanntlich wirklich eine glänzende Bilanz vorweisen können. Welche Instrumente haben wir denn unter dem Gesichtspunkt der Effizienzsteigerung angewandt? Das hat eine Tradition in Baden-Württemberg. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch daran erinnern, aber es war Ministerpräsident Lothar Späth, der seinerzeit für die Einführung des Katalysators und für die Entstickung der Kraftwerke gekämpft hat.

(Abg. Haller SPD: Mit Worten!)

Nein, nicht mit Worten, sondern mit sehr, sehr handfesten Taten. Das gilt für die Kraftwerksentstickung und auch für den Übergang von schwerem Heizöl auf leichtes Heizöl und auf Erdgas. Das waren Strategien, die schon in den Achtzigerjahren praktiziert worden sind.

Jetzt nehme ich aber nur die Zeit der eigenen politischen Verantwortung, also die Zeit, seitdem ich im Amt bin. Da nenne ich unseren Kampf auf europäischer Ebene und auf Bundesebene –

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Da läuft es gut!)

(Minister Müller)

und das war ein erfolgreicher Kampf – zum Thema „schwefelfreie Kraftstoffe“, zum Thema „schwefelfreie Heizöle“, zum Thema „Zwölfpunkteprogramm zur Bekämpfung des bodennahen Ozons“. Und ich nehme etwas ganz Aktuelles dazu – Sie haben das vielleicht in der Zeitung gelesen –: Die Umweltministerkonferenz hat vor einer Woche gesagt, wir sollten jetzt Vorgaben zum Dieselrußfilter machen. Dabei war es derjenige Umweltminister, der gerade vor Ihnen spricht, der gesagt hat: „Wenn wir das nur auf diejenigen Fahrzeuge beziehen, die neu gebaut werden, werden wir das Problem noch verdammt lange haben. Wir werden etwas für den Dieselrußfilter in den Altfahrzeugen, in dem großen Bestand tun müssen.“

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Kein Fahrzeug des Landes hat Filter! Wann fangen Sie denn an, Herr Minister?)

Denn die Auswechslung des Bestands von Kraftfahrzeugen dauert zehn Jahre.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Ich will mal eine Tat sehen und nicht bloß eine halbe Stunde allgemeines Geschwätz hören! – Gegenruf von der CDU)