Protokoll der Sitzung vom 17.12.2003

(Abg. Herrmann CDU: Die Rede war gut! Lobende Worte!)

nein, Sie werden noch hören, was ich sage – mit dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses auseinander gesetzt hat. Danach komme ich auf die Rede des Herrn Finanzministers von letzter Woche zurück.

Herr Oettinger, natürlich ist es gut, dass im Vermittlungsausschuss irgendetwas beschlossen worden ist und dass wir keine Stagnation haben. Aber dass Sie nicht bereit waren,

bei der Steuerreform dem Bürger 8 Milliarden € mehr zurückzugeben, das halten wir für einen Fehler. Das halten wir für einen Fehler!

(Beifall bei der SPD – Abg. Pfisterer CDU: Über Schulden wäre das gelaufen! Schulden wären das gewesen! – Abg. Dr. Birk CDU: Schuldentreibe- rei!)

Das ist nicht nur unsere Meinung, sondern diese Auffassung vertritt auch Herr Klaus Zimmermann, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, DIW, Berlin. Er sagt – im „Handelsblatt“ vom 16. Dezember können Sie es nachlesen – ganz deutlich:

Die Konjunktur quält sich voran. Eine 2004 weitgehend durch Verschuldung finanzierte vorzeitige und vollständige Steuerreform hätte einen zusätzlichen psychologischen Impuls und ganz real mehr makroökonomische Nachfrage geschaffen.

(Zuruf des Abg. Pfisterer CDU)

Die Steuerlast soll rasch sinken. Was 2005 strukturpolitisch gut ist, kann 2004 nicht falsch sein. Die Bürger hätten sich der sinkenden Steuerlast sicher sein können.

Bei der im Vermittlungsausschuss beschlossenen Gegenfinanzierung wird ein Großteil der Menschen in Deutschland auf der einen Seite zwar eine Steuerentlastung bekommen, auf der anderen Seite aber auch belastet werden. Das sehen Sie an den Kürzungen bei der Pendlerpauschale und bei der Eigenheimzulage. Insofern wird der Wachstumsschub, den wir uns alle erhofft haben, möglicherweise nicht eintreten.

(Zuruf des Abg. Pfisterer CDU: Ach was! Über Schulden!)

Wenn Sie mit „Schulden“-Zwischenrufen kommen, muss ich Ihnen einfach noch einmal sagen: Der Bund hat jetzt 800 Milliarden € Schulden; 650 Milliarden € davon haben Sie zu verantworten. Wir haben gerade einmal 140 Milliarden € zu verantworten.

(Beifall bei der SPD – Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es! – Lachen des Abg. Fleischer CDU – Zuruf des Abg. Pfisterer CDU)

Seien Sie also ruhig, was Schulden angeht!

Es wäre gut gewesen, wenn unser Vorschlag gebilligt worden wäre, nach dem eine Familie mit zwei Kindern und einem Jahresverdienst von 37 000 € keinerlei Einkommensteuer mehr zahlen müsste. Das wäre für Deutschland gut gewesen.

(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Dann macht es doch!)

Das tritt jetzt nicht ein.

Im Übrigen, weil Sie den Vermittlungsausschuss so gelobt haben:

(Abg. Dr. Birk CDU: Sie waren doch beteiligt!)

Dieses Spiel kann man den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland nur noch sehr schwer vermitteln. Gestern Abend kam dann heraus, dass man sich verrechnet hat.

(Zuruf des Abg. Fleischer CDU)

Die Union wollte nur 25 % Schuldenaufnahme; jetzt sind es halt 30 %, weil man sich verrechnet hatte. Wer hat das denn aufgebaut? Also, meine sehr verehrten Damen und Herren: Das ist keine gute Geschichte.

(Abg. Pfisterer CDU: Wer hat sich verrechnet? Wer hat sich eigentlich verrechnet? – Abg. Herr- mann CDU: Die SPD kann nicht rechnen! Das ha- ben wir schon immer gesagt! – Weitere Zurufe von der CDU – Gegenruf des Abg. Capezzuto SPD: Der Stratthaus hat es doch gemacht! – Unruhe)

Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen. Sprechen Sie doch mit Herrn Stratthaus; sprechen Sie mit Frau Merkel. Die waren bei den Verhandlungen dabei.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Herr Drexler, wer hat sich verrechnet?)

Ich weiß nicht, wer sich verrechnet hat. Wir haben uns nicht verrechnet; wir wollten mehr Steuerentlastung. Jetzt ist eben noch ein bisschen mehr herausgekommen. Das kann man doch nur begrüßen, Herr Kollege.

(Beifall bei der SPD – Abg. Pfister FDP/DVP: Ich wollte nur wissen, wer sich verrechnet hat!)

Der Herr Finanzminister hält seinen Haushalt deshalb für verfassungsgemäß, weil er plötzlich das Gesetz zur Amnestie für Schwarzgeldsünder mit heranzieht.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Wer hat das denn einge- bracht?)

Das finde ich ganz toll. Ich kritisiere das nicht.

(Abg. Dr. Birk CDU: Eiertanz!)

Aber als Herr Eichel diese Milliarden in Berlin in den Haushalt eingestellt hat, damit das Schwarzgeld wieder zurückkommt und die Leute das, was sie zurückbringen, zu 25 % versteuern, hat die ganze Unionsseite, bis tief nach Baden-Württemberg,

(Abg. Schmiedel SPD: Und Herr Oettinger persön- lich!)

mit „Taschenspielertricks“ und „unmögliche Art“ argumentiert, weil man dies nicht einstellen und bemessen könne. Jetzt geht der Finanzminister von Baden-Württemberg plötzlich in genau der gleichen Art und Weise vor. Sie gehen also ideologisch gerade so vor, wie Sie wollen: Wenn es die SPD macht, wird es massiv kritisiert; macht es die CDU, wird es gelobt, weil es zu einem verfassungsgemäßen Haushalt führt. Also: Lassen Sie doch diese Geschichte einfach bleiben.

(Zuruf von der SPD: Unglaublich! – Abg. Capez- zuto SPD: Beschämend! – Unruhe)

Wenden wir uns der Sache zu; kommen wir zur Eigenheimzulage. Herr Kollege Oettinger, Sie müssten ehrlicherweise sagen, dass das Merz-Modell die vollständige Streichung der Eigenheimzulage und der Pendlerpauschale vorsieht. Das müssten Sie eigentlich sagen.

(Abg. Dr. Birk CDU: Dafür gibt es ja auch eine entsprechende Steuerentlastung! Niedrigere Steu- ersätze!)

Das müssten Sie den Baden-Württembergern sagen, den Menschen in einem Land, in dem – wir kennen die Berechnungen – jährlich 50 000 neue Wohnungen benötigt werden.

Jetzt erfolgt ein 30-prozentiger Einschnitt bei der Eigenheimzulage. Selbstverständlich weiß ich, Herr Ministerpräsident, dass die Eigenheimzulage vor allem in den neuen Bundesländern kein gutes Argument ist. Die wollen das alles nicht. Deswegen haben wir Ihnen schon im Frühjahr gesagt: Die Eigenheimzulage muss anders strukturiert werden. Wir müssen sie regionalisieren. Dann können die neuen Bundesländer ihre 3 Milliarden € zum Abriss leer stehender Wohnungen nehmen, und wir können das Geld zum Neubau von Wohnungen verwenden. Wenn man natürlich keinen eigenen Vorschlag macht, wird man rasiert. Deswegen sind jetzt 30 % weniger da. Das schadet dem Neubau in BadenWürttemberg. Wir haben in den Großstädten Wohnungsnot, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Birk CDU: Aber das war doch nicht der Vorschlag der Bundesregie- rung, Herr Kollege!)

Das größte Eigentor, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, gab es in den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses – Sie können es heute in der Zeitung nachlesen – bei der Streichung der Investitionen im öffentlichen Personennahverkehr, das heißt im Schienenverkehr.

(Zuruf des Abg. Blenke CDU)

831 Millionen € – fast eine Milliarde – haben Sie im Vermittlungsausschuss gestrichen,

(Abg. Schmiedel SPD: Stratthaus!)

obwohl das Land Baden-Württemberg extrem darauf angewiesen ist, im Schienenverkehrsbereich Geld aus Berlin zu bekommen. Baden-Württemberg ist mit seinen Großprojekten im Schienenbereich extrem darauf angewiesen. Sie haben diese Streichungsmaßnahmen vorgenommen. Dann gehen Sie zu Herrn Mehdorn und sagen: „Aber Stuttgart 21 muss natürlich kommen.“ Vorher rasieren Sie im Vermittlungsausschuss fast 1 Milliarde € im Schienenbereich weg. Das kann nicht aufgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir werden Sie daran erinnern, wenn Sie wieder diese Nummer abziehen: „Berlin streicht.“ Dann werden wir Sie darauf hinweisen, was im Vermittlungsausschuss geschehen ist.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Natürlich. Das hat alles miteinander zu tun.

Dann zur Gemeindefinanzierung. Herr Kollege Oettinger, haben Sie eigentlich heute in den Zeitungen gelesen, wie der Städtetag gegen die Art und Weise protestiert, wie man jetzt mit den Kommunen umgegangen ist? Man hat zwar die Gewerbesteuerumlage reduziert, damit nächstes Jahr Geld kommt. Aber zu einer Verstetigung der Gewerbesteuer haben Sie nicht beigetragen. Das wäre nur gegangen, wenn man die Freiberufler mit einbezogen hätte. Sie wollen nach wie vor die Abschaffung der Gewerbesteuerumlage und wollen die Menschen in den Städten mit einer erhöhten Einkommensteuer belasten. Das ist Ihr Modell. Da sind wir strikt dagegen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Pfister FDP/ DVP)

Im Übrigen: Fragen Sie von der FDP/DVP und CDU doch einmal Ihre Kommunalpolitiker. Fragen Sie doch einmal Herrn Rommel, der deutlich sagt: Lasst die Gewerbesteuer bestehen, damit es eine enge Verbindung zwischen der Kommune und den örtlichen Betrieben gibt. Es ist ganz wichtig, dass die Kommune auch noch Gewerbegebiete hat.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Richtig!)