Wissen Sie überhaupt, warum wir vier Jahre Grundschule haben? Weil das eine Folge des Weimarer Schulkompromisses ist. Der Weimarer Schulkompromiss war, dass nach dem Kaiserreich die Vermögenden in dem Reich gesagt haben: Bis zum Jahr 1918 waren unsere Kinder nicht zusammen mit den Arbeiterkindern; das soll so bleiben. Die damalige Regierung hat gesagt: Alle müssen in die gleiche Schule gehen, und zwar acht Jahre lang. Und die anderen haben gesagt: null Jahre. Dann hat man, wie das halt so ist, diesen Kompromiss mit vier Jahren gemacht. Das war ein politischer Kompromiss. Mit Pädagogik hat das überhaupt nichts zu tun. Und heutzutage verteidigt die CDU in diesem Land die vier Jahre als pädagogisches Konzept.
Dann sprechen Sie von großen Chancen Osteuropas. Sie sprechen wieder die Bundespolitik an. Was machen Sie hier? Sie streichen genau in diesem Haushalt 200 000 € für die Universitäten, und zwar für die Sprachförderung bei ausländischen Studentinnen und Studenten. Das machen Sie. Die Universitäten und Fachhochschulen teilen uns mit, sie müssten jetzt die Gebühren erheblich erhöhen. Das wird ganz schwierig für die Studentinnen und Studenten aus Osteuropa. Die Hochschulen befürchten, dass dann der eine oder andere nicht mehr zu uns kommt. Was ist denn das für eine vorausschauende Politik? Auf der einen Seite wollen Sie international sein, auf der anderen Seite streichen Sie den Universitäten den lächerlichen Betrag für die Sprachförderung bei ausländischen Studentinnen und Studenten. Die findet dann gar nicht mehr statt.
Lassen Sie mich etwas zu Ihrer großen Steuerreform sagen. Herr Ministerpräsident, das haben Sie ja glänzend gemacht. Bloß haben Sie natürlich verschwiegen, dass Ihr Beschluss bedeutet, dass Sie die staatlichen Haushalte mit 24 Milliarden € zugunsten der Bürgerinnen und Bürger belasten, und das nach einer der größten Steuerreformen, die wir gehabt
haben und fast nicht bezahlen konnten. Jetzt sagt die CDU: noch einmal 24 Milliarden €. Da sagt sogar Herr Stoiber: Das geht nicht, sondern höchstens 10 Milliarden €, wenn wir es überhaupt machen können. Ihr Problem ist doch, dass Sie sich innerhalb der CDU/CSU nicht einigen können. Das liegt doch gar nicht an uns. Sie können sich über die Struktur und über die Entlastungsmomente nicht einigen. Das ist Ihr Problem und nicht unser Problem. Wir sagen immer noch: Wir sind für eine dramatische Vereinfachung des Steuersystems; aber wir können uns nicht vorstellen, dass wir die Bürgerinnen und Bürger noch einmal um 24 Milliarden € entlasten können. Das verträgt weder der Landeshaushalt noch der Bundeshaushalt, und das vertragen auch nicht die Kommunen. Das müssen Sie einfach einmal zur Kenntnis nehmen.
Herr Ministerpräsident, Sie haben nichts zu NSI gesagt, zum Millionen- und Milliardengrab des Landes BadenWürttemberg. Keinen Ton!
Seit zwei Jahren diskutieren wir mit Ihnen, dass das ein Unsinn ist bei der Polizei, dass es ein Unsinn ist bei der Justiz, dass es ein Unsinn ist bei den Hochschulen. Das sagen alle Fachleute. Dann haben Sie Ihre, wie gesagt, lang angedachte Verwaltungsreform gemacht und haben Zehntausende von Beamten und Angestellten, die Sie schon geschult hatten, aus dem NSI-Projekt herausgenommen. Jetzt halten die Koalitionsfraktionen in diesem Haushaltsjahr immer noch an 74 Millionen € für NSI fest. Wir werden zum Schluss vielleicht bei einer halben Milliarde Euro liegen. Das ist hinausgeschmissenes Geld. Und das bei der derzeitigen Finanznot! Dazu sagen Sie keinen Ton. Sie schweigen das tot. Sie werden es aber nicht totschweigen können, denn der Landesrechnungshof wird das Mitte des Jahres prüfen. Dann werden wir sehen, was dabei herauskommt, warum man das gemacht hat und was für eine politische Idee dahinter gestanden hat. Darauf werden wir warten. Dann werden wir Sie auch stellen bei dem Geldhinauswerfen. Das hat dann aber nichts mit der Bundesregierung zu tun. Das alles haben Sie beschlossen, obwohl es auch in Ihren eigenen Reihen große Kritik gab.
Dann noch etwas, Herr Ministerpräsident. Sie beschweren sich, dass einerseits die Steuerentlastung gekommen sei und andererseits die Bundesregierung den Leuten das Geld wieder aus der anderen Tasche geholt habe. Da spielen Sie natürlich auf den Gesundheitskompromiss an. Wir wissen, dass das ganz schwierig ist. Sie wissen das auch. Die SPD kriegt es jetzt in den Umfrageergebnissen ins Wachs gedrückt, dass sie Reformen gemacht hat, die bestimmte Bevölkerungskreise belastet haben.
Aber eines, Herr Scheuermann, kann man nicht durchgehen lassen, auch nicht dem Ministerpräsidenten: Sie haben zuerst beim Gesundheitskompromiss mitgemacht. Die FDP hat sich ausgeklinkt, weil sie die Wettbewerbsgeschichten, die wir haben wollten, nicht mitmachen wollte.
Aber dann, als per Seehofer die 10 € Praxisgebühr eingeführt wurden, die wir geschluckt haben, und eine Welle des Widerstands gegen die Praxisgebühr kam,
tauchte der Herr Sozialminister der baden-württembergischen Landesregierung, der diesen Kompromiss ausgehandelt hatte, ab. So ist Ihre Solidarität bei Kompromissen.
Nun zu dem Thema Gutachten. Erst neulich habe ich im Übrigen eine Anfrage der Grünen gelesen, aus der hervorgeht, dass von der baden-württembergischen Landesregierung Hunderte von Gutachten vergeben worden sind, die viel Geld gekostet haben. Es ist sogar so, dass der Herr Wirtschaftsminister Gutachten in Auftrag gibt, die sich widersprechen.
Es gibt sogar Gutachten, die Sie in der Schublade verschwinden lassen, obwohl sie Steuergelder gekostet haben.
Zum Beispiel gibt es ein Gutachten über den Bedarf an Zuwanderung in Baden-Württemberg. Darüber redet keiner mehr, obwohl es das natürlich gibt.
Das Nächste ist das Energie-Gutachten. Darin ist genau festgeschrieben, mit welchen Schritten Baden-Württemberg Energie einsparen und die Energiewende schaffen kann.
Die Gutachter sagen: „Wenn ihr so weitermacht, werdet ihr in Baden-Württemberg die Energiewende nicht schaffen. Ihr müsst mindestens 17 Millionen € pro Jahr ausgeben. Ihr habt 9 Millionen € drin.“ Jetzt nehmen wir dieses staatliche Regierungsgutachten und sagen als Opposition: „Tolle Sache. Lasst uns noch 10 Millionen € drauflegen, damit die Empfehlung des Gutachtens befolgt wird!“ Das lehnen Sie von den Regierungsfraktionen ab.
Kommen Sie mir also nicht mit Gutachten. Sie richten sich nicht einmal nach den Ergebnissen der Gutachten, die Sie selbst in Auftrag gegeben haben, Herr Ministerpräsident.
Jetzt noch etwas zu Ihrem großen Reformwerk Verwaltungsreform. In der Zwischenzeit redet ja keiner mehr von einer „großen“ Verwaltungsreform, sondern wir wissen ja alle, dass das ein Verschiebebahnhof ist.
Doch, ich habe es schon verstanden. Das sagen ja in der Zwischenzeit alle, die es verstanden haben, Herr Kollege.
Sie haben folgende Fehler gemacht: Es gab am Anfang keine Aufgabenkritik. Zweitens wurde nicht darüber nachgedacht, welche Ebene man möglicherweise einsparen könnte – nur dadurch hätte man tatsächlich gewaltig eingespart. Drittens sagt mittlerweile keiner mehr, dass man 20 % einsparen kann. Das glauben schon gar nicht mehr die Landräte, obwohl man die Frist verlängert hat. Ich sage Ihnen: Letztendlich wird die Einsparquote über die Kreisumlage erwirtschaftet.
Jetzt kommt das eigentlich Maßgebliche, worüber wir noch erheblichen Streit haben werden, nicht nur inhaltlich, sondern auch über das Verfahren: Ich halte es für unmöglich, dass die Frist für eine Stellungnahme bis zum 8. März, die für alle Verbände gilt, bei einem Werk mit einem solchen Umfang eingehalten werden kann. Das geht nicht. Deswegen werden wir den Antrag stellen, dass der baden-württembergische Landtag die Frist für die Verbände in BadenWürttemberg verlängert. Es ist doch ein absoluter Unsinn, zu glauben, dass innerhalb eines Monats oder innerhalb von fünf Wochen eine Stellungnahme zu diesem Werk mit 900 Seiten abgegeben werden kann. Wir haben auch ehrenamtliche Verbände. Das ist das Erste.
Das viel Schlimmere ist, dass Sie nach Ihrer Zeitplanung dem Landtag nur den Monat Juni für die Beratung einräumen, ohne dass es Anhörungen geben soll. Der Landtag erhält lediglich die schriftlichen Stellungnahmen der Verbände zur Kenntnis. Wir kündigen Ihnen an, dass wir, weil es bei dieser Verwaltungsreform überhaupt keine differenzierte Debatte gab und man keine Anhörungen Außenstehender gemacht hat, in jedem Ausschuss Fachleute benennen werden, die angehört werden sollen, um externen Sachverstand in die Ausschüsse zu bringen. Wenn Sie das ablehnen, haben Sie Ihr schlechtes Gewissen in der Öffentlichkeit schon gezeigt, weil Sie da nicht widersprechen dürfen; das sage ich Ihnen.
Nun noch etwas zur Doppelmoral. Sie sprechen davon, wir würden immer das Gleiche bringen. Wir haben Wohnungsnot. Seit Jahren verlangen wir, weil wir nicht so viel Geld aus dem Haushalt aufbringen können,
durch einen Forderungsverkauf Mittel für den Bau neuer Wohnungen bereitzustellen. Immerhin haben wir jährlich eine Nettozuwanderung nach Baden-Württemberg von 50 000 Menschen. Diese Zuwanderer brauchen Wohnungen.
Schauen Sie doch einmal, wie es in den Universitätsstädten aussieht. Wir müssen also den Wohnungsbau unabhängig von der Frage der Beschäftigung fördern.
Wir haben immer vorgeschlagen: Lassen Sie uns den Forderungsverkauf durchführen. Das hat im Übrigen Herr
Späth in den Achtzigerjahren ja auch gemacht. Was hat uns der Finanzminister für den vorgeschlagenen Forderungsverkauf gescholten! Was haben sich die CDU und die FDP/ DVP darüber ereifert! Was haben nun die Koalitionsfraktionen gemacht? Sie haben selber kurzfristig einen Forderungsverkauf von 40 Millionen € vorgeschlagen, weil sie gesehen haben, dass der Haushalt sonst nicht in Ordnung zu bringen ist. Man nimmt die frei werdenden Mittel aber nicht, wie von uns vorgeschlagen, zur Vermögensbildung, sondern zum Stopfen von Haushaltslöchern. So viel zu Ihrer Klarheit und Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Jetzt noch etwas zur Autonomie. Bei der Hochschulautonomie schimpfen Sie wieder auf den Bund. Machen Sie sie doch selber einmal! Gucken Sie doch einmal Ihr neues Hochschulgesetz an! Was war denn im Vorentwurf enthalten? Da haben Sie vorgeschlagen, dass der Aufsichtsrat zur Hälfte nach den Vorschlägen des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst besetzt wird und die andere Hälfte von der Universität benannt wird, wobei diese Vorschläge auch noch dem Ministerium zur Genehmigung vorgelegt werden müssen. So stelle ich mir Autonomie der Hochschulen nicht vor, liebe Kolleginnen und Kollegen.
In allen anderen Ländern wählen die Hochschulen ihre Gremien. Das wollen Sie nicht. Wenn Sie von Autonomie sprechen, kann ich mir nicht vorstellen, dass dieses Gesetz hier Wirklichkeit werden soll.
Was die Leitungs- und Organisationsstrukturen angeht, so ist es auch ein Wahn der CDU, dass sich alles nach wirtschaftlichen, nach ökonomischen Gesichtspunkten richten müsse. Wenn Sie schon dauernd die Universität Tübingen im Munde führen, Herr Ministerpräsident, dann sollten Sie nicht nur die „Welt“ oder das „Handelsblatt“ lesen, sondern auch einmal Stellungnahmen der Rektoren der für Sie immer so wichtigen Universitäten.