Protokoll der Sitzung vom 05.02.2004

Leider ist das heute nicht mehr möglich.

(Abg. Herrmann CDU: Nicht mehr nötig! – Weite- re Zurufe von der CDU)

Das liegt vielleicht auch daran, dass man glaubt – das ist vielleicht auch eine deutsche politische Unsitte geworden –, wenn man ein Jota ändern würde, dann bräche eine Regierung zusammen. Sie wissen, was ein Jota ist, Herr Kollege Kleinmann?

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Aber natürlich! Ich habe ja Griechisch gehabt!)

Eigentlich ist das Gegenteil der Fall. Eine Regierung muss durch ein Parlament nicht nur kontrolliert und nicht nur mit

Vollmacht ausgestattet werden, sondern manchmal muss eine Regierung auch geführt werden.

(Beifall bei der SPD – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Ich glaube, dass ein Teil der Krisen, in denen wir uns im Parlamentarismus befinden, auch dadurch entsteht, dass die Regierungsfraktionen zu sehr an der Brust der Regierungen saugen, anstatt sich zu emanzipieren. Was der Abgeordnete eigentlich als Volkswille in das Parlament hineintragen muss, ist umzusetzen, auch wenn dies ein schwieriger Prozess ist.

Ich glaube, erst wenn die Parlamente wieder Gestaltungskraft bekommen, können wir erhobenen Hauptes behaupten, dass das Haushaltsrecht das Königsrecht des Parlaments ist.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

Heute ist das Haushaltsrecht das Königsrecht der Regierung. Das ist nicht gut so.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Nun zu den Staatsfinanzen. Es ist richtig: Sie sind nicht rosig. Wahrscheinlich waren sie es nie, aber man ist vergesslich.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Scheffold CDU)

Man muss aber zugestehen, dass sie heute tatsächlich nicht rosig sind. Vorhin habe ich gesagt: Hätten wir das gemacht, was aus dem Lager der Opposition in Berlin gekommen ist, hätten wir noch weniger Geld, weil überall nach unten gefahren werden soll. Ich persönlich bin der Meinung, dass wir hinsichtlich der Absenkungen der Steuern jetzt in eine ruhigere Phase hineinkommen müssen, weil die Länder und Kommunen es nicht mehr verkraften.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Bedenken Sie doch, dass wir in diesem Jahr 2 Milliarden €, 4 Milliarden DM, Schulden machen – in nur einem Jahr! Das ist fast eine Rekordverschuldung.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

Wir sind jetzt bei 39, vielleicht auch bei 40 Milliarden € Schulden angelangt – je nachdem, wie man rechnet. Das sind 4 000 € pro Kopf der Bevölkerung. Wir sind in einer Verschuldungsbeschleunigung, die wir nicht mehr hinnehmen dürfen. Es gibt nicht nur die positiven Nachrichten hinsichtlich der Gewerbesteuer, sondern es gibt aus Berlin – Sie werden es nicht glauben – auch positive Nachrichten, auch in der letzten Woche.

(Abg. Wieser CDU: So! Das ist aber interessant! – Zuruf von der SPD – Zuruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Zurufe von der CDU: Ach, das glaube ich nicht! – Ist der Kanzler zurückgetreten?)

Im ZDF gibt es die Werbung: „Mit dem Zweiten sieht man besser“. Machen Sie doch einmal eines Ihrer beiden Augen auf, und seien Sie einfach einmal ehrlich.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Heike Dederer GRÜNE – Zuruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Aus Berlin kam in der letzten Woche nämlich die interessante Nachricht – sogar zweimal –, dass die Verschuldungsgeschwindigkeit abnimmt. Berlin strengt sich an und kommt wieder an die 3 % heran.

(Lachen des Abg. Dr. Scheffold CDU)

Das ist der richtige Weg. – Wissen Sie, es haben sich schon ganz andere als Sie, Herr Scheffold aus dem Remstal,

(Heiterkeit bei der SPD)

Gedanken darüber gemacht, was der Stabilitätspakt eigentlich bedeutet und wie man intelligente Finanzpolitik macht.

(Lachen des Abg. Dr. Scheffold CDU)

Die wichtigsten Staaten der EU haben aus strukturellen Gründen Probleme, die 3 % einzuhalten, und sagen – und das ist richtig; das habe ich übrigens hier im Haus immer zur Nullverschuldung des Landes Baden-Württemberg vertreten –: „Wenn man es nicht bis zum Ziel A schafft, dann geht man eben zum Ziel B.“ Wenn sie es in zwei Jahren nicht schaffen, dann schaffen sie es eben in drei Jahren.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es, ja!)

Richtig und wichtig für die Stabilität einer Währung ist, dass Sie langfristig den richtigen Trend haben, aber nicht, dass Sie das unbedingt innerhalb eines Jahres hinbekommen.

(Beifall bei der SPD)

Schauen Sie sich unseren Haushalt an: Wir nehmen Schulden auf, mit denen wir im Prinzip nur Zinsen bezahlen. Wir haben einen Haushalt, der – wenn man scharf rechnet – wahrscheinlich schon heute die Grenze zur Verfassungswidrigkeit überschreitet. Herr Kollege Schmid hat in seiner Rede in der zweiten Lesung dargelegt, welche Tricks Sie anwenden:

(Widerspruch des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Gegenruf des Abg. Drexler SPD: Natürlich!)

über Finanzierungsgesellschaften, Straßenbau, Hochbau usw. usf. Sie werfen uns vor, dass wir Forderungen verkaufen wollen – und tun es selbst. Wenn Sie das alles einrechnen, haben Sie wahrscheinlich schon heute die Grenze zur Verfassungswidrigkeit überschritten. Aber das Witzige an der ganzen Geschichte ist, dass die Verfassungsmäßigkeit bei der Aufstellung des Plans festgestellt wird und nicht im Vollzug. Das heißt, wenn Sie einen verfassungskonformen Haushalt aufstellen, der im Laufe des Vollzugs verfassungswidrig wird, bleibt er verfassungskonform, weil er am Anfang verfassungskonform war.

(Abg. Drexler SPD: So ist das, ja!)

Das erinnert mich an das Einstellungsgespräch mit Bewerbern für eine Stelle als Bilanzbuchhalter, in dem gefragt wird: „Wie viel ist zwei plus zwei?“, und derjenige genommen wird, der zur Antwort gibt: „Wie hätten Sie es denn gerne?“

(Heiterkeit bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Drexler SPD zur CDU: Herr Wieser kommt nicht so richtig mit! – Gegenruf des Abg. Wieser CDU: Nein, der Vergleich wird dem Thema nicht gerecht!)

Doch, der Landeshaushalt ist eine Bilanz, die wir erstellen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung befindet sich in einem schwierigen Reformprozess. Es gibt – auch das sage ich einmal – führende CDU-Leute, die in einem privaten Gespräch zu mir gesagt haben: „Macht ihr es nur noch eine Weile. Ihr müsst jetzt die Schweinereien machen; die sind dann erledigt. Danach kommen wir wieder an die Regierung und haben ein frei geräumtes Feld.“

(Abg. Drexler SPD: So ist es! – Abg. Dr. Scheffold CDU: Ihr macht doch gar nichts!)

So ähnlich oder genauso war auch Ihre Rede, Herr Kollege Scheffold, im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Wenn man etwas miteinander ausmacht, dann müssen beide Seiten dazu stehen.

(Abg. Drexler SPD: So ist es!)

Das macht manchmal keinen Spaß; das weiß ich.

Trotzdem: Die Daten zeigen nach oben. Wir stehen vor einem verbesserten Wachstum; das Wachstum wird kommen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Prinzip Hoffnung!)

Wir stehen – was ein weiteres Problem ist – vor einem Anstieg der Zinsen. Es deutet sich an, dass sie nach oben gehen, nicht kometenhaft, aber spürbar. Deswegen werden wir für diesen Haushalt beantragen, dass jeder Euro, der über die Ansätze hinausgehend eingenommen wird, dem Schuldenabbau zugeführt wird, damit wir dadurch, dass wir weniger Schulden machen als vorgesehen, neue Spielräume gewinnen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Vergessen Sie nicht: Alleine der Anstieg um zehn Basispunkte – nur für die Neuverschuldung – kostet uns 2 Millionen €; 25 Basispunkte kosten über 5 Millionen €. Wenn Sie die Umschuldungen hinzunehmen, die ja im Laufe eines Finanzjahres vorgenommen werden müssen, sind wir bei einem Anstieg der Zinskosten schnell bei zweistelligen Millionenbeträgen, die wir zusätzlich aufwenden müssen. Das Geld wird einfach weggesogen, kann nicht mehr politisch verwendet werden.