Protokoll der Sitzung vom 14.07.2004

(Unruhe)

Forschungspolitik: Herr Ministerpräsident, 4 % stimmt, 3 % Bund stimmt auch. Ich frage mich bloß, wie es während der Koalition unter Kohl war. Da war es katastrophal. Da war man, glaube ich, bei 1,4 oder 1,5, um das nur zu sagen. Damals habe ich nicht gehört, dass der Herr Ministerpräsident einmal in Richtung Bonn gesagt hätte: „Macht mal etwas mit Forschungspolitik! Wir sind gut.“ Sie haben nur angefangen, gegenüber Berlin zu argumentieren, als es eine neue Regierung gab. Vorher waren Sie gegenüber der Bundesregierung mucksmäuschenstill. Mucksmäuschenstill!

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Ich will Ihnen schon etwas sagen: Dagegen – und das ist nicht ganz einfach – sagt die SPD-Landtagsfraktion immer, wenn baden-württembergische Interessen berührt sind, auch in Richtung Berlin ihre Meinung, wenn sie der Auffassung ist, dass Baden-Württemberg nicht richtig bedacht wird.

Jetzt komme ich zur Eigenheimzulage. Dazu will ich sagen, es war nicht nur der Bundeskanzler, sondern auch der Chef von Bosch, der gesagt hat, die Eigenheimzulage könne man zugunsten von Forschung und Technologie weglassen. Das hat der Chef der Bosch GmbH gesagt.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Der hat schon ein Eigen- heim!)

Wir haben einen Brief geschrieben. Wir haben Sie aufgefordert, etwas zu machen, was aber die Landesregierung nicht macht, weil sie gerne auf die Bundesregierung in Berlin draufhaut. Wir haben gesagt: Lasst uns doch einmal überlegen. Es gibt unterschiedliche Entwicklungen in den Bundesländern. Herr Ministerpräsident, die neuen Bundesländer müssen sogar sanierte Wohnungen abreißen, und zwar mit Milliardenbeträgen, weil dort niemand mehr wohnt. Und das machen sie auch: Hunderttausende von Wohnungen werden dort abgerissen. Andere Bundesländer haben keinen Neubaubedarf. Wir haben Neubaubedarf. 40 000 Menschen wandern jährlich bei uns zu. Das ist ein Vorteil, aber die brauchen auch Wohnungen. Warum haben Sie nicht schon längst – das haben wir vorgeschlagen – über den Bundesrat eingebracht, dass es eine gewisse Regionalisierung dieser Mittel gibt, nicht aller, aber eines Teils? Dann könnten wir weiter neue Wohnungen bauen, und die anderen reißen Wohnungen ab.

(Beifall bei der SPD)

Nein, es wird draufgehauen. Bis zum Schluss wird man diese Haltung haben, ohne für Baden-Württemberg etwas zu erreichen, nur um die bösen Rot-Grünen in Berlin zu brandmarken.

(Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP)

Wir haben den Vorschlag gemacht, aber auf der Bundesratsebene gab es dafür keine Hilfe, auch nicht vom Land Baden-Württemberg. Es ist doch ganz klar, die neuen Bundesländer haben daran kein Interesse. Die bekommen Direktzuschüsse, und die anderen Bundesländer haben keinen Neubaubedarf mehr, Herr Kollege. Aber wir haben einen.

(Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP)

Es müsste in unserem Interesse sein, in Berlin deutlich zu machen – und das sagen wir –, dass es Bundesländer gibt wie unser Land, die Wohnungsneubau brauchen und wo eine Eigenheimförderung sinnvoll wäre.

(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Dieser Auffassung sind wir nach wie vor. Aber, Herr Bundes... – –

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Bundeskanzler! Bundes- präsident!)

Bundesratsmitglied, wollte ich sagen. – Herr Teufel, Sie hätten sich auch einmal überlegen können, wie es mit dem Landeswohnungsbauprogramm aussieht.

(Abg. Schmiedel SPD: Katastrophal!)

Wenn der Bund reduziert, dann muss man doch sehen, was das Land macht. Da hat man fast alles auf null gefahren. Baden-Württemberg finanziert mit 3,08 € pro Kopf seiner Einwohner gerade noch das Landeswohnungsbauprogramm. Bei einer Zuwanderung von 40 000! Bayern gibt über 40 € pro Kopf seiner Einwohner und Schleswig-Holstein 25 € pro Kopf seiner Einwohner dafür aus. Nordrhein-Westfalen brauche ich überhaupt nicht zu erwähnen. Dort gibt es zusätzliche Landesmittel, obwohl die überhaupt keine Zuwanderung haben. Ich fordere Sie auf, wenn Sie hier schon Reden gegen Berlin halten: Sorgen Sie im eigenen Laden dafür, dass wir mit einem eigenständigen Landeswohnungsbauprogramm Wohnungen bauen können!

(Beifall bei der SPD)

Wir haben in den letzten Haushaltsberatungen Vorschläge gemacht. Man kann darüber reden, ob die Vorschläge von Herrn Späth schlecht waren. Aber wenn wir kein Geld haben, dann sind wir nach wie vor für einen Forderungsverkauf. Da hätten wir ein gutes Landesprogramm für den Wohnungsbau auflegen können.

(Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP – Abg. Dr. Birk CDU: Das geht doch gar nicht!)

Die anderen Vorschläge sind, nichts zu machen. Nichts zu machen heißt, dass wir in den großen Städten in diesem Land Wohnungsnot haben. Das muss man zur Kenntnis nehmen.

Jetzt kommen wir zum Föderalismus. Da kann ich den Dank zurückgegeben. Ich kann nur sagen, da ziehen wir an einem Strang. Wir sind möglicherweise gegenüber den Zentralisten aller Parteien und auch im Bundesrat im Nachteil, weil in den neuen Bundesländern eher Ängste vorherrschen, dass die angeblich reichen Länder – – Wobei wir nur vor dem Länderfinanzausgleich und nicht nach dem Finanzaus

gleich reich sind; darum sage ich, man muss immer sehen, ob man von vorher oder nachher redet. Wenn man über „nachher“ redet, dann sind alle gleich, da sind wir mittendrin oder noch schlechter. Von daher hoffe ich auch, dass wir über alle Parteien hinweg – in der letzten Sitzung ist man, glaube ich, ein Stück weitergekommen – einiges machen können. Eine eigene Steuerhoheit zu bekommen für die Steuern, die uns sowieso hundertprozentig zustehen, das wird schwierig. Wir haben drei Projektgruppen. Mal sehen, ob sich etwas bewegt. Da ist die Angst der neuen Bundesländer riesig. Sie haben panische Angst, dass sie abgehängt werden. Deswegen plädiere ich für lange Übergangszeiten. Aber, wie gesagt, da kann ich überhaupt keine Kritik an der Arbeit, die Sie machen, äußern.

(Beifall des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Jetzt komme ich zu den drei Bereichen, die Sie genannt haben.

Rentenversicherung: Lieber Herr Ministerpräsident Teufel, wer bei der Rentenversicherung ehrlich ist, der muss natürlich schon sagen, dass in den letzten 15 Jahren viele Bereiche in die Rentenversicherung übernommen worden sind – und zwar unter Führung der CDU in Bonn –, die keine müde Mark in die Rentenversicherung gezahlt haben,

(Beifall bei der SPD)

wobei ich nichts dagegen sage, dass Rentner aus der ehemaligen DDR und Zuwanderer in die Rentenversicherung sollen.

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Nur: Das Prinzip ist falsch. Jede Versicherung wäre kaputtgegangen, wenn man das gemacht hätte.

Insofern muss man sich da auch an die eigene Nase fassen. Das gilt vor allem dann, wenn das Bundesverfassungsgericht sagt, dass die Renten versteuert werden müssen, und es eine Auflage des Verfassungsgerichts gibt, während man schließlich im Bundesrat aus purem Populismus gegen das Alterseinkünftegesetz ist. Das halten wir für falsch.

(Beifall bei der SPD)

Wenn ich mir die finanzielle Situation ansehe, frage ich mich: Wie können Sie als Ministerpräsident, wie kann die CDU-Landtagsfraktion, wie kann die von der CDU geführte Landesregierung immer noch das Kirchhof-Modell vertreten?

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das ist doch nicht das Thema! – Gegenruf des Abg. Fischer SPD)

Lesen Sie einmal durch, was der Herr Ministerpräsident im Programm für die nächsten Jahre schriftlich niedergelegt hat: Kirchhof-Modell – –

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Nein, nicht wegwischen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das ist doch wieder eine Stellvertreterdebatte!)

Das ist überhaupt keine Stellvertreterdebatte. Ich gehe nur auf das ein, was der Ministerpräsident vorhin über Steuern, Finanzen und die schlechte Lage des Landes gesagt hat. Wenn das Kirchhof-Modell umgesetzt würde – darüber haben wir hier doch debattiert –, würde das in den ersten drei Jahren für die Bundesrepublik Deutschland einen Steuerausfall von insgesamt 93 Milliarden € bedeuten. Das haben nicht wir festgestellt, sondern das haben das Finanzministerium und die in der Finanzverwaltung aller Bundesländer tätigen Beamten festgestellt. Lassen Sie den Steuerausfall 80 Milliarden € betragen. Aber selbst das reiche BadenWürttemberg könnte dies politisch und finanziell nicht überleben. Wieso hängt man dann an einer Forderung, deren Umsetzung es überhaupt nicht ermöglichen würde, dass wir in diesem Land etwas weiter finanzieren?

(Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)

Deswegen: Schminken Sie sich das Kirchhof-Modell ab! Gehen Sie realistisch auf ein Steuermodell ein, das auch tragbar ist, und erzählen Sie der Bevölkerung nicht: Kirchhof ist großartig, Bierdeckel, 25 % Höchststeuersatz.

Im Übrigen, Herr Ministerpräsident, hätten Sie dann auch nicht mehr die Frage zu beantworten, ob Sie irgendwelche Gebühren nach sozialen Staffelungen erheben. Die Frau Kultusministerin – dazu haben Sie heute nichts gesagt – will die Lernmittelfreiheit abschaffen

(Abg. Schmiedel SPD: Das ist ja unmöglich! – Abg. Capezzuto SPD: Unsozial!)

und meint, für sozial Schwächere könnte man dann wieder etwas machen, während die übrigen die Kosten selbst tragen sollten. Wenn in Deutschland richtigerweise Steuern gezahlt werden – nämlich 42 % von denjenigen, die dies leisten können –, dann ist auch genügend Geld vorhanden, um die Lernmittelfreiheit zu finanzieren und um nicht jede Gebühr sozial staffeln zu müssen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das ist ein ordnungspolitischer Streit. Wir müssen auch einmal darüber diskutieren, was Sie ordnungspolitisch machen, wovon Sie sagen, der Staat solle sich heraushalten, und wo sich der Staat in Baden-Württemberg überall einmischt und seinen Einflussbereich erweitert, Stichwort „Staatsanzeiger“. Darüber werden wir ein anderes Mal diskutieren. Sie stellen immer hehre Forderungen auf, der Staat solle weniger machen, aber tatsächlich findet dies in Baden-Württemberg so nicht statt.

Gemeinsamkeiten: Wenn ich von „Gemeinsamkeit“ in einem Land rede, Herr Ministerpräsident, meine ich: Es gibt soziale Sicherungssysteme. Das ist der erste Ausdruck von Gemeinsamkeit: die Starken für die Schwachen. Das ist in Deutschland immerhin seit 140 Jahren der Grundsatz für drei soziale Sicherungssysteme. Das ist zum Teil auch sozialer Kitt.

Wenn ich sehe, was Sie mit Ihrer Kopfprämienpauschale machen – im Gegensatz zu unserer Bürgerversicherung –, dann muss ich sagen: Das ist natürlich eine tolle Entsolidarisierung, was Sie hier veranstalten, und der Staat soll das auch noch über Steuern bezahlen.

(Beifall bei der SPD)