Protokoll der Sitzung vom 10.11.2004

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aussprache über die Regierungserklärung und über den interfraktionellen Antrag Drucksache 13/3727 eine Redezeit von 15 Minuten je Fraktion festgelegt.

Nach § 83 a Abs. 3 unserer Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abg. Drexler das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich schwerpunktmäßig mit der Münchner Erklärung beschäftigen, die wir vor drei Wochen in München diskutiert, ausformuliert und allen Landtagen zur Verfügung gestellt haben.

Klar ist, Herr Ministerpräsident – darüber gibt es überhaupt keinen Streit, weder mit Herrn Kretschmann, der die Grünen-Fraktionen in der Bundesrepublik Deutschland in der Föderalismuskommission vertritt, noch mit mir, der ich die SPD-Landtagsfraktionen aller Bundesländer vertrete –, dass uns – das ist zwar marginal – das Bemühen eint, zu einer Entflechtung zwischen Bundes- und Landeszuständigkeiten zu kommen.

Wir haben vor über einem Jahr schon einmal übereinstimmend einen Beschluss gefasst, in dem steht, was der Landtag von Baden-Württemberg von der Entflechtung hält. Dabei geht es natürlich nicht nur darum, das Regieren im Bund und möglicherweise auch in den Ländern zu erleichtern, sondern es geht auch darum, den Bürgerinnen und Bürgern zu sagen, wer wofür zuständig ist. Kein Mensch in der Bundesrepublik Deutschland, sage ich einmal, weiß – die Bürger schon überhaupt nicht –, wer wann wofür zuständig ist. Der Bundestag wird gewählt und kann das, was er versprochen hat, natürlich lange nicht umsetzen, weil inzwischen bei fast 60 % der Gesetze in der Bundesrepublik Deutschland der Bundesrat zustimmen muss und über einen Vermittlungsausschuss ständig Veränderungen vorgenommen und Kompromisse geschlossen werden.

Ich nenne einmal drei Zahlen, damit deutlich wird, dass sich die Bundesrepublik Deutschland das nicht mehr erlauben kann. Für das Zuwanderungsgesetz hat man drei Jahre gebraucht. Drei Jahre! Das wäre wahrscheinlich in keinem anderen Land der Fall gewesen, in Europa schon gar nicht. Es hat elf Monate gedauert, bis Hartz IV überhaupt beschlossen wurde, und das Vorziehen der Steuerreform hat sechs Monate gedauert. In anderen Ländern wie Frankreich und England wäre das innerhalb von ein oder zwei Monaten beschlossen worden und damit dort auch Gesetz.

Wir müssen also entzerren. Aber die Verringerung der Mitsprachemöglichkeiten der Ministerpräsidenten und die Reduzierung der Zustimmungserfordernisse des Bundesrats auf etwa 20 % der Gesetze würde natürlich bedeuten, dass die Landesparlamente mehr Rechte bekommen müssen. Dieser Austausch – da bin ich der gleichen Auffassung wie der Herr Ministerpräsident – muss Zug um Zug erfolgen. Es muss also im Gesamtkomplex klar sein: Was bekommen die Länder, und welche Zustimmungsrechte geben die Ministerpräsidenten der Länder dann im Bundesrat auf?

Ich habe mit dem Kollegen Kretschmann ausgemacht, dass er mehr auf den Bereich der Trennung eingeht und ich mich mehr auf die finanziellen Themen stürze, weil ich Mitglied

im Arbeitskreis „Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern“ bin. Herr Kretschmann hat im anderen Arbeitskreis aktiv mitgemacht.

Für uns ist klar, dass die Bildungs- und Kulturhoheit gemäß der Münchner Erklärung ausgebaut werden muss. Klar ist, dass die Länder das Beamtenrecht als ihr ureigenstes Recht wahrnehmen müssen. Sie müssen für die Menschen zuständig sein, die sie einstellen und die sie bezahlen. Deswegen muss dieses Recht auch zu den Ländern kommen. Ich glaube, das ist inzwischen auch unstrittig.

Es ist auch unstrittig, dass die Länder Unabhängigkeit im Verwaltungsvollzug erhalten und dafür die Zustimmungsrechte aufgeben. Außerdem sollen die Länder für regionale Bezüge – hier gibt es bei Einzelheiten noch Streit – tatsächlich zuständig sein.

Ich möchte jetzt zu einigen Themen sprechen und komme zunächst zum Finanzthema und hier zu den Gemeinschaftsaufgaben.

Der Herr Ministerpräsident hat die Gemeinschaftsaufgaben angeführt. Es gibt fast gar keinen Unterschied zwischen meiner Auffassung und seinen Darlegungen. Wir sind der Auffassung, dass im Grunde genommen alle Gemeinschaftsaufgaben abgeschafft werden müssen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Bund im Bayerischen Wald mit 10 Millionen € eine regionale Wirtschaftsförderung betreibt, obwohl Bayern, wenn es mittelfristig das Geld vom Bund bekäme, diese 10 Millionen € locker aus dem eigenen Haushalt bereitstellen könnte. Dieses Bundesland könnte das genauso allein tun, ohne dass eine Gemeinschaftsaufgabe vorliegen muss.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der einzige Bereich der Gemeinschaftsaufgaben, den der Bund behalten sollte, betrifft den Küstenschutz. Ohnehin versteht niemand, warum dies eine Gemeinschaftsaufgabe aller 16 Bundesländer sein muss. Der Bund könnte hierfür die alleinige Zuständigkeit bekommen. Alles andere gehört abgeschafft.

Hier – das muss ich einräumen – hat sich die Kommission noch nicht richtig bewegt. Richtiger müsste ich sagen: Die Bundesseite hat sich nicht bewegt. Ich befürchte, dass die Gemeinschaftsaufgaben Agrarstruktur und „Regionale Wirtschaftsstruktur“ bestehen bleiben, sodass wir lediglich den Hochschulbau aus der Gemeinschaftsaufgabe herausbekommen sowie den Küstenschutz um den Hochwasserschutz – was ja eine neue Aufgabe ist – ergänzen. Das wäre das schlechteste Ergebnis, das die Föderalismuskommission zustande bringen könnte.

Herr Ministerpräsident, über einen Bereich, den der Bund angeboten hat, würde ich an Ihrer Stelle als Ministerpräsident genau nachdenken. Der Bund hat angeboten, den Ländern auch die Zuständigkeit für die Bundesstraßen zu übertragen

(Abg. Schmiedel SPD: Sehr richtig!)

und den Ländern zusätzlich in einem gemittelten Verfahren auch die entsprechenden Finanzmittel zur Verfügung zu

stellen. Zu diesem Vorschlag gibt es offensichtlich eine große Zurückhaltung oder zumindest eine Teilzurückhaltung von Ministerpräsidenten. Ich würde es allein schon vom Investitionsvolumen her für einen interessanten Aspekt halten, wenn Bundesstraßen zusammen mit Landesstraßen geplant werden könnten. Sie wissen ja, dass wir die ÖPNVStruktur mit dem gleichen Geld um 40 % ausgebaut haben. Das könnten wir möglicherweise auch beim Bundesstraßenbau in Ergänzung machen.

(Zuruf des Abg. Schneider CDU)

Wir wären dann allein zuständig und könnten sagen, was wir tun und was nicht.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Kretschmann GRÜNE)

Dieses Hin- und Herschieben – mal ist der Bund schuld, mal ist das Land schuld – würde dann unterbleiben. Dies wäre im Grunde genommen für die Bürger wichtig.

(Unruhe)

Der zweite Bereich, bei dem es möglicherweise Unterschiede gibt, betrifft die Bekämpfung des Terrorismus. Es geht dabei auch um ein Weisungsrecht des BKA gegenüber den Landeskriminalämtern beim vorbeugenden Schutz gegen Terrorismus, also beim Verhindern terroristischer Anschläge. Ich bin für diesen Vorschlag offen, wenn uns der Bund beweist, dass er über ein Weisungsrecht tatsächlich auch in den Ländern einen besseren Schutz vor Terrorismus ermöglicht. Dann wäre ich dafür, dies zu tun. Die Sicherheit ist meiner Meinung nach so wichtig, dass wir dies dann machen müssten. Bisher hat uns der Bund dies allerdings noch nicht erläutern können, Herr Ministerpräsident. Es gibt aber eine Arbeitsgruppe, die sich darüber unterhält. Wenn der Bund dies nachweist, wenn dies nachvollziehbar ist, wäre ich bereit, zu sagen: Hier muss man Kompetenzen abtreten, weil der Schutz vor Terrorismus eine so wichtige Aufgabe ist, dass möglicherweise die eine oder andere Zuständigkeit auf den Bund übergehen muss.

(Abg. Fischer SPD: So ist es!)

Wie gesagt, bisher hat der Bund das nicht bewiesen. Er wird dies aber möglicherweise noch tun.

Lassen Sie mich jetzt zur regionalen Steuerautonomie kommen. Dieses Thema macht mich deswegen fuchsteufelswild, weil Herr Althaus heute Morgen im Frühstücksfernsehen schon wieder erklärt hat, dabei mache er nicht mit.

(Abg. Schmiedel SPD: Unmöglich! – Abg. Dr. Ca- roli SPD: Jetzt reicht es aber langsam! – Weitere lebhafte Zurufe von der SPD)

Er lieferte hierfür aber keine Begründung. Ich erkläre Ihnen das jetzt; wir haben an diesem Thema ja gearbeitet. Es geht um die zu 100 % den Ländern zustehenden Steuern: KfzSteuer, Grunderwerbsteuer, Erbschaftsteuer, die bislang nicht erhobene Vermögensteuer, Gewerbesteuer. Das sind die Steuerarten, um die es geht.

Ich verstehe die Angst der neuen Bundesländer, die sagen: „Außer der Vermögensteuer sind alle diese Steuern im Län

derfinanzausgleich enthalten. Möglicherweise kriegen wir da nachher nicht unseren Anteil.“ Die Bundesregierung hat – in diesem Fall darf man sie nicht schelten, sondern muss man ihr sogar ein großes Lob aussprechen – zugesagt, diese Steuern den Ländern zu geben – mit Veranlagung und allem. Auch die Bundestagsfraktionen haben das gemacht. Es liegt also an der Länderseite, und zwar hier möglicherweise an den Stadtstaaten, aber insbesondere an den neuen Bundesländern.

(Abg. Schmiedel SPD: An Althaus!)

Vom Finanzministerium wurde ein System vorgelegt, nach dem eine Normierung der bisher auf die Länder verteilten Steuern vorgesehen ist. Die Länder bekommen die zwar auch weiterhin, aber wenn ein Land von dieser Normierung abweicht und eine dieser Steuern erhöht, weil es beispielsweise kurzfristig Bildungsmaßnahmen oder sonst etwas finanzieren will, dann bekommt dieses Land den erhöhten Anteil des Steueraufkommens zu 100 %, und dann fließt er nicht in den Länderfinanzausgleich. Dies ist eine Möglichkeit, die den neuen Ländern die Angst nimmt, weil sie den Anteil, den sie bisher erhalten haben, nach wie vor bekommen. Was sagen die Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer dazu? Sie sagen: „Das wollen wir nicht.“ Wenn man dann nachfragt, warum sie es nicht wollen, antworten sie: „Das wollen wir nicht.“

Ich werfe den Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer vor – da bin ich ganz massiv –, dass sie in dieser ganz wichtigen Frage unwahrscheinlich beratungsresistent sind. Ich behaupte sogar, sie lesen zumindest die Protokolle nicht. Sie bestehen nach wie vor auf dem Anspruch, dass dieses System nicht eingeführt wird.

Kolleginnen und Kollegen, es wäre doch ganz wichtig, dass wir eine regionale Steuerautonomie bekommen, sodass derjenige, der die Steuergesetze erlässt, auch das Steuervolumen erhält. Zurzeit ist es so, dass der Bund darüber bestimmt, obwohl wir das Steuervolumen bekommen.

Das ist im Übrigen ein auf der Welt einmaliges Verfahren. Sogar die österreichischen Bundesländer – nichts gegen Österreich – haben eigene Steuerkompetenzen. Spanien hat als Zentralstaat selbstverständlich Barcelona eine Steuerkompetenz zugewiesen. Auch Großbritannien hat Schottland Steuerkompetenzen zugewiesen. Wir sind da also weit hinterher.

Ich sage den neuen Bundesländern immer: Es geht nicht um 50 € oder weniger, es geht um das Recht eines Parlaments,

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kretschmann GRÜNE)

nicht nur über die Einnahmen selber bestimmen zu können, sondern auch eigenverantwortlich Steuererhöhungen durchführen zu können. Das kann im Übrigen jeder Gemeinderat in Baden-Württemberg. Jeder Gemeinderat kann auch über die Gewerbesteuer die Einnahmen seiner Kommune beeinflussen. Wir in Baden-Württemberg können zur Verbesserung der Finanzsituation derzeit nur Aufgaben streichen oder zur Kompensation Schulden aufnehmen. Das ist eigentlich ein unhaltbarer Zustand.

Ich hoffe, dass uns diese begehrte Änderung noch in der uns verbleibenden Zeit bis 17. Dezember gelingt. Wir bemühen uns in jedem Fall darum. Wir haben die SPD-Bundestagsfraktion schon so weit, wir haben die Bundesregierung schon so weit – das war am Anfang nicht leicht –, und jetzt müssen wir sehen, dass wir die neuen Bundesländer davon überzeugen. Da hoffe ich, Herr Ministerpräsident – die neuen Bundesländer werden ja mehrheitlich von der CDU regiert –, dass wir es hinbekommen, dass in den neuen Bundesländern die Akzeptanz für die Übertragung der Steuerautonomie auf die Länder steigt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben im Grunde genommen nur einmal die Chance – und die haben wir jetzt –, ein Paket einer Entflechtung von Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern zu schnüren, sodass die Bürgerinnen und Bürger auch nachvollziehen können, wer wofür zuständig ist. Darum geht es eigentlich in der Föderalismuskommission.

Meine Bitte ist nur, dass sich Landesminister mit Äußerungen zur Föderalismusreform zurückhalten. Manchmal habe ich den Eindruck, sie haben davon nicht so viel Ahnung. Herr Mappus hat vor zwei Tagen verlangt, die Kfz-Steuer abzuschaffen. Das ist natürlich ein absoluter Unsinn, nachdem wir gerade dabei sind, die Kfz-Steuer in die Länderhoheit zu überführen.

(Abg. Capezzuto SPD: Mitdenken!)

Was für eine Ersatzsteuer sollen wir denn verlangen, wenn die Kfz-Steuer gestrichen wird? Man sollte vor solchen Äußerungen vielleicht ein bisschen mehr mitdenken.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Caroli SPD)

Zum Schluss noch: Auch Herr Pfister ist von den Ergebnissen der Föderalismuskommission nicht beseelt, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Er hat heute in der Presse verlangt – das halte ich für fatal –, den Länderfinanzausgleich zu verändern. Wir – der Herr Ministerpräsident auch – versuchen gerade in der Föderalismuskommission, den schwachen Ländern deutlich zu machen, dass wir am Länderfinanzausgleich und an der Vereinbarung zum Aufbau Ost bis 2019 nichts ändern wollen. Diese Länder haben ja alle Angst, dass sie nach Änderungen weniger bekämen. Da kann doch nicht der stellvertretende Ministerpräsident von Baden-Württemberg durch die Länder reisen und sagen, der Länderfinanzausgleich müsse verändert werden.

(Abg. Schmiedel SPD: Unmöglich!)

Das Thema Länderfinanzausgleich ist im Übrigen in der Föderalismuskommission ausdrücklich ausgenommen, weil man ansonsten keinen Kompromiss hinbekommt, Herr Noll.

Es wäre toll, wir würden uns darauf einigen, nicht an diesem Feld herumzumachen, sondern alle dafür kämpfen, dass wir die gewünschte Steuerautonomie bekommen. Die Übertragung der Steuerautonomie ist realistisch, sie ist zum Greifen nahe. Es geht nur noch darum, einzelne Bundesländer zu überzeugen. Dazu rufe ich jeden auf.