Protokoll der Sitzung vom 08.12.2004

der konsumiert, muss einer sein, der davon überzeugt ist, dass die zukünftige Wirtschaftslage besser ist oder zumindest so gut wie die jetzige. Das sind unsere Bürger offensichtlich nicht. Wir brauchen deswegen beim Verbraucher mehr Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft. Nur dann kann die Binnennachfrage anspringen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Allein auf eine zyklische Erholung zu hoffen wäre fatal. Ebenso falsch ist der Ruf nach kurzatmigen schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen. Damit verschlimmern wir die Krise der öffentlichen Haushalte nur noch weiter. Wir haben es mit ausgeprägten strukturellen Problemen zu tun, die ohne eine tief greifende und einschneidende Reform nicht gelöst werden können. Zu spät und zu zaghaft, meine Damen und Herren, wurden die Verkrustungen auf dem Arbeitsmarkt aufgebrochen. Die Sanierung der sozialen Sicherungssysteme muss entschlossener vorangetrieben werden. Die mit der Hartz-Reform eingeleiteten Maßnahmen und die Rücknahme falscher Ansätze bei der Rentenpolitik gehen in die richtige Richtung, aber sie reichen eben noch nicht aus. Erforderlich sind Reformmaßnahmen, die unsere Unternehmen von Kosten entlasten und von Reglementierungen befreien. Erst dann wird wieder Wirtschaftswachstum möglich, das mit Beschäftigungsaufbau und Mehreinnahmen bei den Steuern und für die Haushalte einhergeht.

Nachhaltige Wirkungen auf Wachstum und Haushalte sind nicht von heute auf morgen zu erwarten. Zwar ist auf der Ausgabenseite der Budgets in den vergangenen Jahren vieles getan worden. Angesichts des flachen Wachstumspfads muss aber klar sein, dass die Ausgabenspielräume auch in den nächsten Jahren außerordentlich eng sein werden. Zur Konsolidierung gibt es schon deshalb keine Alternative, weil der beschleunigte Weg in die Staatsverschuldung dauerhaft als Bremse für das Wirtschaftswachstum wirkt.

Meine Damen und Herren, wir müssen die Vertrauenskrise überwinden. Das gelingt nur mit mutigen, zielgerichteten Reformen. Das wissen die Bürger, und sie sind bereit dazu. Sie wollen aber auch ehrliche Antworten. Andere Staaten haben uns das bereits vorgemacht. Dort hat der Reformprozess früher eingesetzt, und er hat gegriffen. In Deutschland besteht hier ein enormer Nachholbedarf.

Und jetzt tut der Herr Bundeskanzler so, als hätte er mit der Agenda 2010 als Erster die Notwendigkeiten erkannt.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Ich darf noch einmal sagen: Die Agenda 2010 geht in die richtige Richtung, aber es sind

(Unruhe bei der SPD)

wir haben zugestimmt –

(Zuruf des Abg. Drexler SPD)

die gleichen Reformfelder, die bereits im Jahr 1996 von der damaligen Bundesregierung angegangen worden sind.

(Abg. Theurer FDP/DVP: Richtig!)

Ich darf zur Steuerreform an die Petersberger Beschlüsse erinnern.

(Beifall des Abg. Theurer FDP/DVP)

Ich darf an den demografischen Faktor in der Rentenversicherung erinnern,

(Abg. Theurer FDP/DVP: Richtig!)

ich darf an die Karenztage bei der Krankenversicherung erinnern, ich darf auch daran erinnern, dass man damals den Kündigungsschutz lockern wollte.

(Abg. Theurer FDP/DVP: Richtig! – Unruhe bei der SPD)

Das waren genau die gleichen Themen, wie sie heute in der Agenda 2010 angegangen werden.

(Abg. Drexler SPD: Zusätzlich!)

Meine Damen und Herren, was ist aber geschehen? Die Steuerreform, die wir im Jahr 1997 hätten haben können, haben Sie im Bundesrat verhindert,

(Abg. Fleischer CDU: So ist es!)

und die anderen Reformansätze haben Sie wieder rückgängig gemacht.

(Abg. Theurer FDP/DVP: So ist es!)

Wir haben durch diese Politik leider ein Jahrzehnt verloren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Stickelberger SPD: Oh! – Abg. Drexler SPD: Wenn überhaupt, dann zwei Jahre!)

Die fehlende Dynamik bei den Einnahmen ist das eine. Das andere ist die geringe Flexibilität auf der Ausgabenseite. Hier waren die Spielräume der Länderhaushalte schon immer sehr eng. Über die Jahre ist aber eine Struktur entstanden, die kaum noch Bewegungsfreiheit lässt.

55 % der Gesamtausgaben entfallen auf Leistungen, die aufgrund von Bundes- und Landesgesetzen erbracht werden, auf Zinsausgaben oder auf sonstige Rechtsverpflichtungen. 43 % geben wir für unser Personal aus, und für nicht zwangsläufige Sachausgaben haben wir gerade noch 2 %. Flexibilität ist bei der derzeitigen Ausgabenstruktur praktisch nicht mehr vorhanden.

Jahr für Jahr zeichnen sich erhebliche Steigerungen der Personalkosten ab, und das, obwohl wir in den letzten Jahren insbesondere bei den Beamten Sparmaßnahmen durchgeführt haben. Eine Ursache sind die Tarif- und Besoldungserhöhungen in der Vergangenheit. Eine andere, eine viel gefährlichere und wichtigere sind die rasant wachsenden Versorgungsausgaben. Nicht zuletzt schlagen sich natürlich – und das möchte ich jetzt einmal positiv bemerken – die zusätzlichen Lehrerstellen, die wir angesichts der noch wachsenden Schülerzahlen geschaffen haben, nieder.

Obwohl wir unseren Beamten, meine Damen und Herren, schon viel zugemutet haben, werden wir im Jahr 2005 für das Personal 17 % mehr ausgeben müssen, als wir es im

(Minister Stratthaus)

Jahr 1999 getan haben. Ich darf Sie noch einmal an meine vorherige Aussage erinnern: Wir haben heute eine halbe Milliarde Euro weniger Einnahmen, aber 17 % mehr Personalausgaben.

Der Anteil der Personalausgaben am Gesamtbudget beträgt im nächsten Jahr formal 41,3 %. In Wirklichkeit sind es 43 %. Die Zahl geht etwas zurück, und zwar durch die Verwaltungsreform und die Schaffung von Landesbetrieben. Wenn wir diesen Effekt herausrechnen, dann liegen wir bei 43 %. Meine Damen und Herren, ich weise immer darauf hin, dass dieser Anteil, wirtschaftlich gesehen, in Wirklichkeit noch höher ist; denn wir zahlen an bestimmte Institutionen Zuschüsse, die dort direkt zur Deckung von Personalausgaben verwendet werden. Deswegen sind die Personalausgaben wirtschaftlich sogar noch höher als die rechtlichen 43 % in unserem Haushalt.

Nicht viel anders sieht es mit den Zinsen aus: Die Bedienung der vorhandenen und der jährlich neu hinzugekommenen Schulden schnürt uns ein. 1 Milliarde € Kreditaufnahme – das wissen Sie – kostet im nächsten Jahr und in allen kommenden Jahren 45 Millionen €. Mittlerweile müssen wir 10 % unserer Steuereinnahmen für den Schuldendienst aufwenden, und das, meine Damen und Herren, in einer Zeit, in der wir schon seit vielen Jahren historisch niedrige Zinssätze haben. Man kann sich geradezu das Horrorszenario ausrechnen, das eintreten würde, wenn die Zinssätze wieder einmal auf Werte von 6 % oder gar 8 % oder 9 %, wie wir sie alle schon erlebt haben, steigen würden.

Dies alles zeigt, wie schwierig die Ausgangslage für die Deckung einer Finanzierungslücke von gut 3,5 Milliarden € jährlich ist. Die Handlungsspielräume sind eng, und sie lassen sich jedenfalls kurzfristig nicht wesentlich erweitern. Daran müssen wir uns bei der Entscheidung, was machbar ist und was nicht, orientieren.

Damit bin ich bei der Diskussion um die große Steuerreform. Im Mittelpunkt dabei stehen, meine Damen und Herren, zwei Wünsche: eine durchgreifende Vereinfachung des Steuerrechts und – das wünschen sich viele – eine großzügige Gesamtentlastung.

Ich will es relativ kurz machen: Für eine durchgehende großzügige Gesamtentlastung ist einfach kein Geld da. Was eine Steuerstrukturreform bringen muss, sind in der Tat eine Vereinfachung, mehr Transparenz und größere internationale Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere unserer Unternehmen. Es muss deswegen die Steuerstruktur geändert werden. Die Möglichkeit einer Senkung der gesamten Steuerbelastung sehe ich im Augenblick nicht. Dies wäre erst – –

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Ist das Konsens in Ihrer Partei? – Zurufe von der SPD: Das ist nicht Konsens! – Da gibt es aber andere Forderungen!)

Das ist Konsens in unserer Partei.

(Widerspruch bei der SPD)

Moment. Wir haben in den letzten drei Jahren bei jeder Gelegenheit, auch bei der Diskussion des Kirchhof-Modells, darauf hingewiesen, dass wir von Aufkommensneu

tralität ausgehen. Das heißt nicht, dass es nicht eventuell zwischen einzelnen Steuerarten oder innerhalb der Steuerarten Veränderungen geben kann. Ich habe es vorhin schon einmal kurz angedeutet, und ich lege auf diese Feststellung sehr großen Wert: Wenn Sie die Bemessungsgrundlage verbreitern und den Steuersatz senken, haben Sie bereits etwas für die Wirtschaft getan.

(Abg. Fleischer CDU: So ist es!)

Dann ist es einfach auch nicht mehr so interessant, nach Möglichkeiten des Steuersparens zu suchen.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Das habt ihr bei der Gewerbesteuer gerade verhindert!)

Deshalb müssen wir das in den Vordergrund stellen. – Ich habe hier so viel zu sagen, dass ich jetzt auf einzelne Zwischenrufe nicht eingehen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Flei- scher CDU: Auch wenn sie falsch sind! Selbst wenn sie falsch sind! – Abg. Kretschmann GRÜ- NE: Das brauchen Sie auch nicht! Es gibt keine Verpflichtung, auf Zwischenrufe einzugehen!)

Ich habe es einmal kurz ausgerechnet: Ich rede eine Stunde lang über 60 Milliarden €. Das sind ungefähr 1 Milliarde € pro Minute, und in der Sekunde sind es rund 20 Millionen €. Der Zwischenruf kostet also 100 Millionen €.

(Heiterkeit – Abg. Drexler SPD: Wenn hier in Ba- den-Württemberg so gerechnet wird, ist mir jetzt klar, warum da Geld fehlt! – Abg. Kretschmann GRÜNE: Da wäre es doch ertragreicher, Sie ver- kürzten Ihre Redezeit um eine halbe Stunde! – Abg. Seimetz CDU: Dann wäre die Sekunde noch teurer!)

Mir geht es darum, dass die schwierigen Zusammenhänge auch von der Opposition verstanden werden. Deswegen werde ich etwas länger sprechen.