Protokoll der Sitzung vom 02.06.2005

und zwar wegen dieser Überregulierung und wegen dieser Angst vor totaler Kontrolle – genau aus diesen Gründen.

(Unruhe bei der SPD)

Wenn wir so weitermachen, kann sich in dieser Republik ein freier Mensch allmählich nicht mehr frei bewegen. Deshalb besteht Misstrauen.

(Lebhafter Widerspruch und Lachen bei der SPD – Unruhe)

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Birzele SPD: Und der Herr Noll unterstützt das! – Abg. Schmid SPD: Herr Noll fühlt sich wie in der Diktatur, der Arme! – Abg. Ruth Weckenmann SPD: Was ist denn das für ein Rechtsverständnis? – Abg. Birzele SPD: Herr Noll unterstützt Sozialbetrüger! – Ge- genruf des Abg. Theurer FDP/DVP: Ihr seid und bleibt Sozialisten! – Weitere Zurufe – Unruhe)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aktuelle Debatte unter Tagesordnungspunkt 1 beendet.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

a) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum – Gentechnik in HQZ-Produkten – Drucksache 13/3328

b) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum – Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher sichern und gentechnikfreie Produkte schützen – Drucksache 13/3329

c) Antrag der Fraktion SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum – Landwirtschaft ohne Gentechnik in Baden-Württemberg – Drucksache 13/2903 (geänderte Fassung)

d) Antrag der Fraktion SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum – Stärkung der Verbraucherinteressen in Baden-Württemberg bei der Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Futtermittel- und Fleischprodukte – Drucksache 13/3980

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: zur Begründung von a und b fünf Minuten, zur Begründung von c und d fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Das Wort zur Begründung erteile ich Herrn Abg. Walter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Debatte um die Gentechnik offenbart zwei große Lebenslügen sowohl der CDU als auch der FDP.

Die erste Lebenslüge heißt: Es gibt eine Koexistenz oder es könnte eine Koexistenz geben zwischen Gentechnik auf der einen Seite und konventioneller und ökologischer Landwirtschaft auf der anderen Seite. Das Vorstandsmitglied des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands, Hermann Ritter, hat dazu gesagt: „Die Koexistenz in Südbadens kleinparzellierter Landwirtschaft ist unmöglich.“ Damit hat er völlig Recht. Diese Koexistenz ist eine Lüge, die Sie den Menschen vorgaukeln. Diese Koexistenz wird es nicht ge

ben. Das Beispiel Kanada mit ganz anderen Strukturen, mit riesigen Flächen, mit riesigen Feldern zeigt, dass eine solche Koexistenz nicht möglich ist. Dort gibt es praktisch keine landwirtschaftlichen Produkte mehr, die nicht gentechnisch verunreinigt sind. Das, meine Damen und Herren, sollte Ihnen zu denken geben.

Die zweite Lebenslüge, die CDU und FDP verbreiten, heißt: „Wir wollen die bäuerliche Landwirtschaft, und wir wollen die Gentechnik.“ Es gibt kaum größere Gegensätze als die bäuerliche Landwirtschaft und die Gentechnik.

(Beifall bei den Grünen und der Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD)

Die Gentechnik, meine Damen und Herren, ist der letzte Schritt zur endgültigen Industrialisierung der Landwirtschaft. Die Abhängigkeit unserer Landwirte von der Saatgutindustrie wird enorm zunehmen. Wo soll es da noch eine bäuerliche Landwirtschaft geben, insbesondere vor dem Hintergrund der bei uns bestehenden Strukturen?

Deshalb, meine Damen und Herren von CDU und FDP, müssen Sie sich jetzt entscheiden: Fahren Sie den Monsanto-Kurs weiter – für die Gentechnik –, oder fahren Sie den Kurs weiter, den man früher in diesem Land praktiziert hat, nämlich für die bäuerliche Landwirtschaft? Diese Entscheidung müssen Sie jetzt treffen.

(Beifall bei den Grünen)

Die große Frage an Sie lautet: Weshalb verkämpfen Sie sich eigentlich so für diese Gentechnik? Was versprechen Sie sich davon für die Landwirte, für die Verbraucherinnen und Verbraucher? Es ist doch bekannt, dass von dieser Risikotechnologie letztendlich nur die Saatgutindustrie profitieren wird. Sie kennen die Strukturen in diesem Land – ich hoffe es zumindest –, und trotzdem tun Sie alles, um die Gentechnik zu fördern. Sie untergraben die Absichten von Frau Künast im Bundesrat. Sie nehmen in der öffentlichen Debatte eine mehr als positive Haltung zu dieser Technologie ein.

Wenn man zum Beispiel anschaut, wie einseitig pro Gentechnik im Bio-Lab die ganze Thematik dargestellt wird, dann sieht man doch schon, wohin die Reise bei Ihnen gehen soll. Anstatt dass Sie unsere Schülerinnen und Schüler aufklären über gesunde Ernährung, über regionale, natürlich erzeugte Kost, übernehmen Sie das Handwerk und die Arbeit der Gentechnikindustrie.

Herr Minister Stächele – ich hoffe, sein Amtsnachfolger zeigt da mehr ökonomischen Verstand – hat in einer Diskussion behauptet, unsere Landwirte hätten einen ökonomischen und einen Wettbewerbsnachteil, wenn wir auf die Gentechnik verzichten würden. Das Gegenteil ist doch der Fall. Angesichts der Strukturen unserer Landwirtschaft müssen wir uns doch von der anonymen Massenware auf dem Weltmarkt absetzen. Baden-Württemberg, meine Damen und Herren – das muss das Ziel sein –, muss zum Feinkostladen Europas werden. Das ist eine Vision, und genau diese Vision ist der baden-württembergischen Landesregierung in der Landwirtschaft schon lange abhanden gekommen.

(Beifall bei den Grünen)

Meine Damen und Herren, schauen Sie sich doch einmal an: Ich habe im letzten Urlaub in Südtirol Milch gekauft: Was steht dort auf der Milchverpackung? „Gentechnikfrei“. Spar in Österreich wirbt mit „gentechnikfrei“. Glauben Sie, die machen das, weil sie sich davon einen Wettbewerbsnachteil versprechen? Ich glaube, in diesen Lebensmittelkonzernen ist weniger Ideologie als bei der Landesregierung, aber mehr ökonomischer Sachverstand vorhanden. Deswegen wirbt man mit „gentechnikfrei“, weil die Verbraucherinnen und Verbraucher ebenso wie der Großteil der Landwirte gentechnisch behandelte Produkte nicht wollen.

(Beifall bei den Grünen)

Im Übrigen, Frau Kollegin Gurr-Hirsch, was den ökonomischen Sachverstand anbelangt: Auch Aldi verzichtet zukünftig auf Eier aus Batterien, nicht weil man bei Aldi besonders ökologisch denkt, sondern weil man merkt, wohin die ökonomische Reise geht.

Insgesamt muss man feststellen: Was Ihnen seit langem fehlt – ich muss auf das Stichwort Vision zurückkommen –, ist eine Vision. Sie hatten einmal eine solche, beispielsweise bei der Einführung des MEKA. Das war eine Vision bezüglich der Frage, wohin unsere Landwirtschaft gehen soll. Jetzt soll die Gentechnik diese Vision ersetzen. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Nicht umsonst haben Sie beim Herkunftszeichen die Gentechnik ausgeschlossen. Sie sind aber nicht konsequent. Ich nenne als Beispiel die Futtermittel. Es ist weiterhin möglich, gentechnisch manipulierte Futtermittel im Zusammenhang mit dem Herkunftszeichen einzusetzen. Zwar wird empfohlen, darauf zu verzichten, aber Sie verzichten auch auf die Kontrollen. Das ist die Inkonsequenz. Ich kann Ihnen sagen: Wenn es wieder zu einem Lebensmittelskandal kommt – alle großen Lebensmittelskandale standen im Zusammenhang mit den Futtermitteln –, werden Sie sehen, dass das Herkunftszeichen Baden-Württemberg darunter leiden wird.

Jetzt kommen wir zu einer anderen Frage. Sie haben aufgrund eines Antrags meiner Fraktion versprochen, nach Möglichkeit gentechnikfreie Zonen zu unterstützen. Jetzt frage ich Sie, was eigentlich daraus geworden ist. Ich habe nichts gehört. Ich habe noch nicht mitbekommen, dass Sie Vertreter der gentechnikfreien Zonen, die es in BadenWürttemberg gibt, eingeladen hätten und dass Sie denen in irgendeiner Weise Hilfe angeboten hätten, so wie Sie Monsanto auch immer Ihre Hilfe anbieten. Von dieser Unterstützung ist auf jeden Fall den Bäuerinnen und Bauern, den Verbrauchern und Verbraucherinnen in diesen Zonen gar nichts bekannt geworden.

Die Mehrheit – das habe ich schon erwähnt – möchte diese Technologie nicht. Sie lassen mit Ihrer Politik die Menschen im Land im Stich. Sie gehen einen Weg, den die Menschen hier gar nicht mitgehen wollen, und plappern die Heilsversprechen der Industrie nach. Ich möchte einmal einige davon nennen.

So wird zum Beispiel behauptet, der Pestizideinsatz gehe zurück. Selbst die Befürworter im Weißen Haus müssen nun in einer eigenen Studie einräumen, dass der Pestizideinsatz wieder zunimmt.

Zweitens wird behauptet, der Einsatz von Gentechnik mache der Artenvielfalt nichts aus. Selbst die früheren Gentechnikbefürworter der englischen Regierung unter Blair haben ihren Kurs geändert, weil die Artenvielfalt massiv zurückgeht.

Das Dritte ist – das muss man hier auch immer wieder erwähnen –: Die Risiken dieses gigantischen Freilandversuchs sind noch nicht einmal ansatzweise bekannt. Trotzdem setzen Sie auf diese Technologie. Jede Risikotechnologie, jede neue Technologie muss auf ihren Nutzen und auf ihre Gefahren untersucht werden. Erst wenn der Nutzen größer ist, als es die Gefahren sind, kann ich die Technologie einführen. Das können Sie aber bei der Gentechnik bisher nicht beweisen. Solange das so ist, ist das Vorgehen, das Sie hier an den Tag legen, unmöglich.

(Beifall bei den Grünen)

Ich möchte noch einen letzten Punkt erwähnen. Immer wieder wird gesagt, die Gentechnik beseitige oder verhindere den Hunger in der Welt. Wenn es irgendeinen Unfug gibt, den man in diesem Zusammenhang behaupten kann, ist es dies. Es ist doch offensichtlich – Sie müssen sich nur die Studien der WHO einmal genau anschauen –, welches die Ursachen für den Hunger in der Welt sind. Die Gentechnik hat da wirklich überhaupt nichts anzubieten, was zur Lösung des Problems führen würde. Wohin die Gentechnik führt, haben wir beispielsweise in Indien gesehen. Dort hat Monsanto den Bauern gesagt: Kauft unser Saatgut, nehmt Kredite dazu auf, dann steigen die Erträge, und alles wird gut werden.

(Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Ja!)

90 % dieser Landwirte in Indien sind inzwischen in Konkurs gegangen. Deswegen gibt es in Indien mittlerweile eine massive Bewegung gegen die Gentechnik.

Keines der Heilsversprechen, die jeweils gemacht wurden, wurde gehalten. Ich kann Ihnen nur sagen: Für die badenwürttembergische Landwirtschaft mit den Strukturen, die wir haben, wäre dies wirklich nicht nur der letzte Teil der Industrialisierung, sondern auch der Sargdeckel. Ändern Sie deswegen Ihren Kurs. Das ist auch der Appell an den Herrn Minister, der noch lernen muss, dass man von der Regierungsbank keine Zwischenrufe machen darf

(Minister Hauk: Ich komme gleich vor!)

Sie haben ja gleich Gelegenheit, zu sprechen, Herr Minister –: Entwickeln Sie wieder eine Vision für diese Landwirtschaft, wie sie einmal Herr Weiser hatte. Dazu gehört die Gentechnik aber sicherlich nicht.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Kipfer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Die SPD im Bund und in den Ländern steht der grünen Gentechnik weder mit allzu großer Begeisterung noch mit Ablehnung gegenüber. Diese Technik mag Chancen für den Anbau bieten, und zwar dort, wo er sich lohnt und praktikabel ist. Forschung

ist sicherlich wichtig. Möglicherweise gibt es auch hier und dort Wertschöpfung und die Chance für neue Arbeitsplätze. Nach bisherigem Kenntnisstand sind auch die Risiken grundsätzlich beherrschbar. So weit sind wir uns in diesem Hause wahrscheinlich alle einig.

Entscheidend ist jedoch die Frage, was man aus dieser Technologie hier in unserem Bundesland macht, in diesem Bundesland – Herr Kollege Walter ist darauf eingegangen –, das wegen seiner kleinräumigen Zergliederung kaum für die Koexistenz von gentechnikfreien und gentechnisch veränderten Organismen geeignet ist.

Dies bestätigt im Übrigen auch Herr Hockenberger, der Präsident der Arbeitsgemeinschaft der baden-württembergischen Bauernverbände. Er war offenbar auf einem CDUFachkongress zur grünen Gentechnik und sagte dort – ich zitiere aus dem Agrarblatt „BW agrar“, Heft 9/2005 –:

In einem so dicht besiedelten Raum wie Baden-Württemberg sei Koexistenz kaum möglich, weil eine Vermischungsgefahr von gentechnikfreien und veränderten Organismen bestünde, betonte Gerd Hockenberger.

Dann kommt er auf die Haftungsregelung zu sprechen, die ja von der CDU immer kritisiert wird, sagt aber nicht dazu, dass mit einer anderen Haftungsregelung die Vermischungsgefahr in keiner Weise beseitigt werden könnte, sondern eher noch begünstigt würde. Denn wenn die Landwirte künftig nicht direkt verschuldensunabhängig haften, wird es ihnen leichter fallen, diese Organismen anzubauen.

Vor dem Hintergrund, dass rund zwei Drittel der Verbraucher Gentechnik bei der Nahrungsmittelproduktion ablehnen, kommt die Landesregierung nicht darum herum, zuzugestehen – und ich zitiere weiter aus dem wichtigen Agrarblatt „BW agrar“, Heft 7/2005 –,