Protokoll der Sitzung vom 29.06.2005

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die bisherige Debatte zu diesem Thema – da schließe ich die Stellungnahmen der kommunalen Landesverbände ausdrücklich ein – ist meines Erachtens doch relativ oberflächlich abgelaufen und sehr, sehr formal geführt worden. Ich möchte deswegen meine heutigen Ausführungen etwas grundsätzlicher anlegen. Denn eines ist doch wohl klar, meine Damen und Herren, und, so hoffe ich, auch in diesem Haus unbestritten: Durch eine frühzeitige und eine echte Beteiligung an politischen Entscheidungen werden Jugendliche von Zuschauern zu Teilhabern der Demokratie, und zwar nicht nur theoretisch in Bildungszusammenhängen, nicht nur spielerisch und nicht nur in Simulationsverfahren. Genau dies wollen wir mit unserem Gesetzentwurf erreichen,

(Beifall bei der SPD)

und zwar in drei miteinander verknüpften Initiativen: erstens durch eine größere Vielfalt und durch eine größere Verbindlichkeit von kommunalpolitischer Beteiligung von Jugendlichen, zweitens durch eine Stärkung der Rechte von Jugendgemeinderäten und drittens durch eine Absenkung des aktiven Wahlalters bei Kommunal- und Landtagswahlen auf 16 Jahre.

Ich bin mir schon darüber im Klaren: Dort, wo wir ohnehin schon ein beteiligungsfreundliches Klima in Kommunen haben, sind diese Regelungen möglicherweise unnötig. Sie sind aber in jedem Fall völlig unschädlich. Und dort, wo dies nicht der Fall ist, sollen die Jugendlichen auch wirklich die Möglichkeit erhalten, sich auf konkrete Rechte zu berufen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Glauben Sie mir, meine Damen und Herren, es gibt in Baden-Württemberg noch genügend beteiligungsfreie Zonen für Jugendliche.

Die Forderungen in diesem Bereich sind auch nicht aus der Luft gegriffen, sondern sie kommen genau von denen, die es wissen müssen: vom Dachverband der Jugendgemeinderäte selbst. Und die Forderung nach Absenkung des Wahlalters wird unter anderem von den Jugendverbänden und den Jugendringen vorgetragen. Die sind ja ihrerseits Profis in puncto Demokratisierung von jugendlichen Lebenswelten.

(Zuruf des Abg. Herrmann CDU)

Meine Damen und Herren, Jugendliche mit 16 sind weder dumm noch unreif. In diesem Alter entscheiden sie unter anderem über Grundlagen ihres weiteren Lebenswegs. Mit 16 dürfen Jugendliche trinken, rauchen, ins Gefängnis kommen, allein verreisen, arbeiten, heiraten. Auch im finanziellen Bereich sind sie längst nicht unmündig. Weit mehr als zwei Drittel der Zwölfjährigen verwalten auf ihrem eigenen Konto autonom ihr Taschengeld und bewegen dabei Milliardensummen. Aber wählen dürfen sie nicht!

Mit welcher Argumentation, meine Damen und Herren, wollen Sie Jugendlichen dieses Recht verweigern?

(Beifall bei der SPD und der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE)

Vielleicht mit mangelnder Reife? Wenn es beim Wählen tatsächlich um Reife und um Urteilsfähigkeit ginge, dann hätte man möglicherweise keine Altersgrenze eingeführt. Sinnvoller wäre dann vielleicht ein Wahlfähigkeitstest. Aber wie hätte man festlegen sollen, worin die Wahlfähigkeit denn besteht?

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Hätte man vielleicht überprüfen sollen, ob die Leute alle Wahlprogramme gelesen haben?

(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Lebenserfahrung!)

Dann dürfte fast niemand wählen dürfen, wahrscheinlich auch kaum jemand hier in diesem Saal.

Für mich, meine Damen und Herren, gibt es zwei nennenswerte Einwände gegen die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre: Da stellt sich einerseits die Frage nach der juristischen Realisation. Aber jedes Wahlalter, auch jedes Wahlrecht – siehe die Einführung des Frauenwahlrechts – ist letztlich eine gesellschaftliche Konvention, die immer wieder neu verhandelt werden kann und neu verhandelt werden muss.

(Abg. Dr. Carmina Brenner CDU: Aber das Wahl- recht für Frauen wird nicht mehr neu verhandelt! – Heiterkeit – Gegenruf des Abg. Stickelberger SPD: Das überlegen wir uns noch!)

Ich hoffe, ja, Frau Kollegin.

Der zweite Einwand entsteht aus der Frage, ob man denn wirklich Macht und Einfluss mit jungen Menschen teilen möchte. Dieser Wille zur Teilung von Macht ist meines Erachtens in einer Gesellschaft, in der die Zahl junger Menschen und damit möglicherweise auch ihre gesellschaftspolitische Relevanz immer geringer wird, dringend notwendig.

Aber auch die befürchtete Beeinflussbarkeit von Jugendlichen kann kein Argument sein. Menschen beeinflussen einander eben. Eltern beeinflussen Großeltern, Kinder beeinflussen Eltern, Kinder beeinflussen andere Kinder. Würden sich Menschen nicht beeinflussen lassen, bräuchte man nur einmal im Leben zur Wahl zu gehen. Der ganze Wahlkampf wäre umsonst – Werbung ohnehin. Im Übrigen führt die erhöhte Beeinflussbarkeit von Altenheimbewohnern auch nicht zu einer Aberkennung ihres Wahlrechts.

Lassen Sie abschließend auch die betroffenen Jugendlichen einmal selbst zu Wort kommen. Ich zitiere aus einer großen Zahl von Äußerungen betroffener Jugendlicher. Dabei frage ich Sie noch einmal, mit welchen Argumenten Sie solche Jugendlichen von der Wahl fern halten wollen.

Janos Burghardt, 16 Jahre:

Ich bin politisch aktiv, ich bin politisch gebildet, und ich möchte endlich mitentscheiden dürfen!

Manuel Kupke, 16 Jahre:

Demokratie heißt Volksherrschaft! Ich gehöre zum Volk, seit 16 Jahren schon, und trotzdem darf ich nicht mitentscheiden?

(Dem Redner wird das Ende seiner Redezeit ange- zeigt.)

Ich komme gleich zum Ende, Herr Präsident.

Marianne Jenert, 17 Jahre:

Einerseits beschwert man sich über zu geringe Wahlbeteiligung, und dann lässt man einen Teil der Leute, die wählen w o l l e n , nicht gehen! Dann beschwert euch bitte nicht weiter, ihr seid selbst daran schuld!

Sonja Zimmermann, 15 Jahre:

Die Politiker tun immer so, als würde es nur ums Heute gehen. Aber viele Entscheidungen, die getroffen werden, haben Folgen, die u n s morgen betreffen. Ich bin der Meinung, dass die Jugendlichen auch das Recht haben, zu wählen. Schon allein deswegen, um über unsere Zukunft zu entscheiden!

(Abg. Dr. Caroli SPD: Vernünftig! Klingt gut!)

Meine Damen und Herren, es geht nicht um eine Wahlpflicht. Es geht um das Recht, zu wählen. Es geht um Initiativen, die geeignet sind, Jugendliche von Zuschauern zu Teilhabern der Demokratie zu machen.

In diesem Sinne hoffe ich sehr auf eine intensive und inhaltsreiche Debatte. Trotz der zu erwartenden Ablehnung unseres Gesetzentwurfs hoffe ich, dass dieser Themenkomplex ganz oben auf der Tagesordnung bleibt, insbesondere in den weiteren Beratungen der Enquetekommission.

In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE – Zuruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Schebesta.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Haltung der CDU-Landtagsfraktion hat sich auch in der Beratung des Gesetzentwurfs im Ständigen Ausschuss nicht geändert. Wir bleiben bei unserer in der Ersten Beratung geäußerten Haltung: Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab.

(Abg. Zeller SPD: Sagen Sie einmal die Gründe dafür!)

Noch einmal: Jugend für Politik zu interessieren ist die Aufgabe von vielen, auch und gerade der Politik. Am besten interessiert man Jugendliche für Politik, wenn man sie selbst an politischen Prozessen beteiligt.

Wir halten aber auch für richtig, dass das Wahlrecht an die Volljährigkeit geknüpft ist – mit vielen Rechten und Pflichten, die damit einhergehen.

(Abg. Zeller SPD: Das ist ein formales Argument, kein inhaltliches!)

Wir halten es auch für richtig, dass man innerhalb der Wahlen keine Differenzierung vornimmt, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass bestimmte Wahlen von minderer Qualität oder minderem Interesse seien.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Abg. Zeller SPD: Das ist nur ein formales Argument!)

Diese beiden Punkte sind für uns ein hohes Gut.

Politisches Interesse lässt sich auch mit der Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre nicht verordnen. Die Möglichkeit zu wählen wird – trotz der Aussagen, die Sie zitiert haben – von Jugendlichen für nicht besonders attraktiv gehalten. Dieses Instrument allein, das Wahlalter zu senken, bringt deshalb nicht viel.

Als Beleg dafür will ich einige Zahlen nennen. Wegen des begrenzten Umfangs der Stichproben gibt es nicht viele Zahlen zur Wahlbeteiligung von unter 18-Jährigen.

Bei der Landtagswahl in Niedersachsen im Jahr 1996 lag die Wahlbeteiligung der 16- und 17-Jährigen in der Stadt Braunschweig mit 50 % zwar deutlich höher als die Wahlbeteiligung der 18- bis 25-Jährigen mit 44,4 %, aber auch die 16- und 17-Jährigen haben sich deutlich unterdurchschnittlich an der Wahl beteiligt. Die Wahlbeteiligung lag insgesamt bei 57,9 %.

Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Jahr 1999 lag die Wahlbeteiligung insgesamt bei 55 %, bei den 16bis 21-Jährigen lag sie bei 46,2 %. Im Jahr 2004 lag die Wahlbeteiligung insgesamt bei 54,4 %, was einem Rückgang um 0,6 Prozentpunkte entspricht. Die Wahlbeteiligung der 16- bis 21-Jährigen lag hier bei 44,8 %; der Rückgang in dieser Altersgruppe um 1,4 Prozentpunkte war mehr als doppelt so hoch wie der Rückgang der Wahlbeteiligung insgesamt.

Meine Damen und Herren, wir halten deshalb die Bemühungen der Landesregierung, wie sie Staatssekretär Rau bei der Ersten Beratung vorgestellt hat, und die Jugendpartizipation, wie sie in vielen Kommunen praktiziert wird, für den besseren Weg. Eine solche Partizipation gibt es auch heute schon, ohne dass man mit Vorschriften weitere Regulierungen, wie Sie sie vorschlagen, einzuführen braucht. Auch die kommunale Selbstverwaltung ist für uns ein hohes Gut, bei dem wir uns gut überlegen müssen, ob wir unnötige, wenn auch unschädliche Regelungen – wie Sie, Herr Kollege Bayer, es eben formuliert haben – unbedingt in ein Gesetz aufnehmen müssen.