Protokoll der Sitzung vom 28.07.2005

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Oh! Da wird der Justiz- minister aber toben!)

Auf diese Weise soll die Behörde Kenntnisse über Geldströme und Kontenbewegungen von terrorismusverdächtigen Personen und Organisationen erlangen können. Die entsprechenden Informationen können uns helfen, in die Netz

werke einzudringen, indem wir Einblicke in die logistischen Strukturen dieses Milieus gewinnen.

Der Verfassungsschutz soll zukünftig auch das Recht haben, Auskünfte bei Luftverkehrsunternehmen einzuholen. Terroristische Gruppen, und zwar die Täter ebenso wie die Hintermänner, sind in der Regel außerordentlich mobil. Informationen über Reisewege internationaler terroristischer Gruppen oder Einzelpersonen sollen dazu dienen, rechtzeitig die Ruhe- und Vorbereitungsräume, aber auch die Zielgebiete von Terroristen aufspüren zu können.

Des Weiteren wollen wir das Sicherheitsüberprüfungsgesetz unseres Landes um den vorbeugenden personellen Sabotageschutz erweitern. Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen von lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind, sollen umfassender, als das bisher möglich war, auf ihre Zuverlässigkeit hin überprüft werden können. Hier geht es um die Sicherung der Funktionsfähigkeit von Einrichtungen, deren Ausfall oder Zerstörung die Gesundheit großer Bevölkerungsteile bedrohen könnte und die deshalb vor so genannten Innentätern geschützt werden müssen.

Mit den angesprochenen Neuregelungen setzt das Land Baden-Württemberg die Vorschriften des Terrorismusbekämpfungsgesetzes des Bundes um. Richtig ist, dass andere Bundesländer dies bereits vor uns getan haben. Wer daraus aber jetzt vorschnell falsche Schlüsse ziehen will, dem möchte ich Folgendes sagen: Das Land Baden-Württemberg war eines der ersten Länder, welches auf die Anschläge vom 11. September 2001 entschlossen und energisch reagiert hat. Mit dem Antiterrorsofortprogramm haben wir Polizei und Verfassungsschutz in Baden-Württemberg massiv verstärkt und erhebliche Sachmittel für die Beschaffung modernster technischer Ausrüstung zur Verfügung gestellt.

Die damit einhergehende Verbesserung der operativen Einsatzfähigkeit unserer Sicherheitsbehörden war damals das Gebot der Stunde. Speziell beim Landesamt für Verfassungsschutz haben wir mit der Einrichtung der Kompetenzgruppe „Islamismus“ etwas geschaffen, worum uns alle Bundesländer sowie auch der Bund beneiden. Darüber hinaus haben wir durch die Bereitstellung erheblicher finanzieller Mittel die technisch-logistische Ausstattung des Landesamts verbessert.

Die Ereignisse vom 11. September 2001 haben uns aber auch mehr als deutlich vor Augen geführt, dass wir die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit des Verfassungsschutzes umfassend überprüfen müssen. Das sind ja immer zwei Seiten derselben Medaille: Einerseits geht es um die sächliche und personelle Ausstattung, aber andererseits ist natürlich der rechtliche Handlungsrahmen, den wir setzen und bestimmen können und auch müssen, genauso wichtig.

Wir haben dies sorgfältig überprüft. Wir haben diese Prüfung rasch eingeleitet. Wir sind dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass wir uns nicht – wie viele andere Bundesländer – darauf beschränken sollten, nur dasjenige vom Bund zu übernehmen, was dieser im Terrorismusbekämpfungsgesetz geregelt hat. Deshalb sieht unser Entwurf eine ganze Reihe von darüber hinausgehenden wichtigen Punkten vor,

(Minister Rech)

die speziell unsere sicherheitlichen Binnenstrukturen im Land betreffen. Auch hiervon will ich Ihnen nur die wichtigsten nennen:

Wir stellen zum Beispiel im Bereich des Rechtsextremismus, aber auch des militanten Islamismus eine zunehmende Verjüngung des Kreises der Täter und der Verdächtigen fest. Wir wissen, dass es in der rechtsextremistischen Skinheadszene Jugendliche im Alter von 12 und 13 Jahren gibt, die zum Teil äußerst gewaltbereit sind. Wir haben daraus die Konsequenz gezogen, dass wir das Mindestalter für die Speicherung von Erkenntnissen über Jugendliche in Dateien von 16 auf 14 Jahre absenken wollen und auch müssen, damit wir unsere Pappenheimer, die häufig wiederkehren, tatsächlich auch beobachten können und deren Entwicklung verfolgen können. Das können wir nicht, wenn wir Erkenntnisse über sie erst ab 16 Jahren speichern. Ich sage Ihnen ganz unverhohlen: Es erschreckt mich schon auch, wenn 12-, 13- und 14-Jährige zum Baseballschläger greifen – und dies mehrfach – und häufig in diesem Sinne als Serientäter auftauchen. Da müssen wir, wenn Sie so wollen, den Entwicklungsweg verfolgen können, um dann auch rechtzeitig eingreifen zu können.

Wir streben ferner an, den Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden des Landes zu verbessern und zu intensivieren. Wir wollen sowohl die Pflicht anderer Behörden, dem Landesamt für Verfassungsschutz Informationen über extremistische Bestrebungen zu übermitteln, als auch die Verpflichtung des Landesamts selbst, anderen Behörden Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zugänglich zu machen, erweitern.

Darüber hinaus wollen wir sicherstellen, dass das Landesamt für Verfassungsschutz unter bestimmten, eng umgrenzten Voraussetzungen auch personenbezogene Daten an Private, insbesondere an Unternehmen der Daseinsvorsorge, weitergeben kann. Wir wollen damit verhindern, dass zum Beispiel ein dem Verfassungsschutz bekannter Extremist eine Anstellung beispielsweise in einem Wasserwerk oder in einem Krankenhaus findet.

Sie sehen aus diesen Zusammenhängen: Wir haben gewissermaßen eine Generalrevision des Verfassungsschutzgesetzes und der anderen Sicherheitsgesetze vorgenommen. Selbstverständlich mussten wir dieses große Paket sorgfältig vorbereiten und mit einer Vielzahl von Stellen, etwa den anderen Ministerien, dem Landesbeauftragten für den Datenschutz oder der G-10-Kommission und dem G-10-Gremium des Landtags, abstimmen. Wir konnten diese komplexen Regelungen nicht nur einfach mit lockerer Hand durchpeitschen, sondern mussten Sorgfalt und Genauigkeit walten lassen. Wer also dem Land Baden-Württemberg in diesem Zusammenhang die Rolle des Nachzüglers unter den Ländern zuschieben will, der argumentiert völlig an der Sache vorbei.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen, den Kampf gegen den internationalen Terrorismus können wir nur dann gewinnen, wenn die für die innere Sicherheit zuständigen Behörden in der Lage sind, verwertbare Erkenntnisse über Strukturen und Strategien von Terroristen zu gewinnen. Hierzu ist eine ständige Anpassung der rechtlichen Grundlagen erforderlich. Wir glauben, dass der vorliegende

Gesetzentwurf den neuen Herausforderungen gerecht wird. Ich bitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzesvorhaben und bedanke mich im Voraus dafür.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Blenke.

Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 haben Bund und Länder zahlreiche Novellierungen der Sicherheitsgesetze vorgenommen, um die Sicherheitsbehörden an die neuen Herausforderungen durch den internationalen Terrorismus anzupassen. Die jüngsten feigen und schrecklichen Anschläge in London und in Scharm el Scheich zeigen, dass der globale Terrorismus nicht aufgibt und dass der Staat die innere Sicherheit weiterhin gewährleisten muss.

Zur Gewährleistung eines höchstmöglichen Maßes an Sicherheit für die Bevölkerung ist der Verfassungsschutz bei der vorbeugenden Bekämpfung des Terrorismus unverzichtbar. Der Verfassungsschutz liefert im Vorfeld unverzichtbare, wichtige Erkenntnisse, wo sich, um es einmal etwas flapsig auszudrücken, etwas zusammenbrauen könnte, um den Sicherheitsbehörden die Möglichkeit zu geben, zu reagieren und geplante Straftaten zu verhindern.

Ich möchte an dieser Stelle den Mitarbeitern des Landesamts für Verfassungsschutz ausdrücklich einen sehr herzlichen Dank, eine Anerkennung für ihre ausgesprochen wichtige Arbeit, die sie für die Sicherheit der Bevölkerung leisten, aussprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Hofer FDP/DVP)

Diese Arbeit der Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz findet oftmals nicht die öffentliche Anerkennung, die eigentlich erforderlich wäre. Das liegt aber in der Natur dieser Behörde, die im Verborgenen arbeiten muss. Deswegen soll den Mitarbeitern hier ausdrücklich einmal gedankt werden.

Ich möchte die einzelnen Regelungstatbestände des Gesetzentwurfs nicht mehr aufführen – der Minister hat dies in seinem Einführungsbeitrag bereits getan –, sondern nur zu einigen wenigen Punkten noch Anmerkungen machen.

Ich halte es für sehr sinnvoll und für sehr richtig, dass der Verfassungsschutz künftig auch Bestrebungen beobachten soll – das muss er auch –, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung, gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten. Hiermit wird dem Verfassungsschutz insbesondere ein vorbeugendes Instrument auch gegen Hassprediger und andere in die Hand gegeben.

Ich halte es auch für wichtig, Telekommunikationsdienstleistungen und Kontenbewegungen zu überwachen. Denn der weltweite Terrorismus ist mobil, und nur so lässt sich gewährleisten, dass die mobilen Täter verfolgt werden können.

Nun erschrecken wir vielleicht ein wenig, wenn die Altersgrenze für die Speicherung von Erkenntnissen über Jugendliche in Dateien beim Verfassungsschutz von 16 Jahren auf 14 Jahre gesenkt werden soll. Wir beobachten aber immer wieder – nicht nur beim Terrorismus, sondern beispielsweise auch bei Skinheads –, dass das Einstiegsalter des akquirierten Nachwuchses immer weiter sinkt. Zum Teil werden schon Jugendliche im Alter von zwölf Jahren für diese Aktivitäten rekrutiert. Wir brauchen, um in dieser Hinsicht wirksam vorbeugen zu können, einfach solche Speicherungen.

Das Gleiche gilt für die Verlängerung der Speicherdauer von 10 Jahren auf 15 Jahre. Wenn wir wissen, dass wir viele so genannte Schläfer haben, die Jahre, vielleicht Jahrzehnte

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Geschlafen haben!)

redlich und unerkannt leben, brauchen wir eine längere Speicherung der betreffenden Daten.

Meine Damen und Herren, niemand kann ausschließen, dass auch – das ist schlimm – Deutschland einmal Ziel von terroristischen Anschlägen wird. Niemand wünscht dies.

(Zuruf des Abg. Oelmayer GRÜNE)

Wir müssen den Sicherheitsbehörden – der Polizei und dem Verfassungsschutz – aber die rechtlichen Instrumentarien in die Hand geben, um die Risiken für die Bevölkerung so weit wie möglich zu mindern. Wir geben mit diesem Gesetzentwurf insbesondere dem Landesamt für Verfassungsschutz bessere und wirkungsvollere Instrumentarien in die Hand. Es geht um den Schutz der Bevölkerung. Dies muss man immer wieder sagen, vor allem angesichts der Diskussion um die hierdurch zweifelsohne tangierten Bürgerrechte, Kollege Oelmayer. Denn in solchen Diskussionen wird immer wieder argumentiert, Freiheit wiege schwerer als Sicherheit. Ich bin da anderer Meinung. Die CDU sagt: Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit mehr. Deswegen kommen wir angesichts dieser Bedrohungslage nicht umhin, unseren Sicherheitsbehörden auch verschärfte Kontroll- und Ermittlungsinstrumente in die Hand zu geben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält Herr Abg. Braun.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Aufgrund der traurigen Aktualität ein Wort vorweg: Die jüngsten Anschläge zeigen wieder einmal: Auch eine noch so gute Gesetzgebung kann Terror nicht mit hundertprozentiger Sicherheit verhindern.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Das ist wohl wahr!)

Daran werden auch erweiterte Rechte für den Verfassungsschutz leider nichts ändern. Dennoch sind sie nötig.

Was also ist zu diesem Gesetzentwurf zu sagen?

Das Positive vorweg: Es ist weitgehend eine brave Umsetzung des G-10-Gesetzes und des Terrorismusbekämpfungs

gesetzes der SPD-geführten Bundesregierung. Über Details werden wir noch reden.

Auffallend ist vor allem die Genese dieses Entwurfs: Am 26. Januar 2001, also vor mehr als vier Jahren, hatten wir dieses Thema erstmals auf der Tagesordnung des Gremiums nach Artikel 10 GG. Damals hatten Sie versprochen, noch im Herbst des Jahres 2001 einen Entwurf vorzulegen. Dann kam das, was keiner von uns auf der Rechnung hatte: die Anschläge vom 11. September 2001. Otto Schily hat umgehend das Terrorismusbekämpfungsgesetz auf den Weg gebracht, Sie wollten es in das Landesverfassungsschutzgesetz einarbeiten. Das war ein richtiger Ansatz.

Doch jetzt kommt der Unterschied: Der Bund machte Tempo, das Terrorismusbekämpfungsgesetz konnte bereits im Januar 2002 in Kraft treten. Vorbildlich! Sie dagegen haben auf einmal die Langsamkeit entdeckt: Dreieinhalb Jahre, zwei Innenminister und zwei Ministerpräsidenten haben Sie gebraucht, bis Sie endlich einen Entwurf zur ersten Lesung eingebracht haben, dreieinhalb Jahre, in denen der Terrorismus nichts von seinem Bedrohungspotenzial eingebüßt hat.

Erst vor kurzem haben der Ministerpräsident und der Innenminister wieder erklärt – ich zitiere –:

Die Sicherheitsbehörden … brauchen die rechtlichen und materiellen Instrumente, um den Schutz der Bevölkerung sicherzustellen.

Richtig! Aber warum brauchen Sie dann dreieinhalb Jahre? Sie sind zusammen mit Sachsen-Anhalt einsames Schlusslicht. Das zeugt nicht von großem innenpolitischem Interesse, nicht von großem Engagement und auch nicht von großer Kompetenz.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Zweitens: Ihnen fehlt auch die Orientierung, der klare Kurs, den Ihre Spitzenkandidatin so gern für sich in Anspruch nehmen würde. Nach dem 11. September haben Sie mit unserer Unterstützung neue Stellen bei Verfassungsschutz und Polizei eingerichtet – das war gut und richtig so –, aber just in dem Augenblick, in dem die öffentliche Aufmerksamkeit nachlässt, in dem sich die Menschen wieder anderen Themen zuwenden, haben Sie die Stellen als „künftig wegfallend“ gekennzeichnet, einen Teil davon bereits abgebaut und Gelder gestrichen. Ich will Ihnen jetzt nicht vorwerfen, die Menschen bewusst getäuscht und hinters Licht geführt zu haben,

(Abg. Blenke CDU: Das wäre auch ungerechtfer- tigt!)