Protokoll der Sitzung vom 28.07.2005

(Abg. Blenke CDU: Das wäre auch ungerechtfer- tigt!)

aber dass Sie einen Schlingerkurs fahren, dass Sie offensichtlich keine Orientierung haben und dass dieses Hü und Hott fehlende Ernsthaftigkeit und fahrlässige Unentschlossenheit verrät, wird Ihnen, denke ich, auch der Gutmütigste attestieren müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Drittens: Das Terrorismusbekämpfungsgesetz und das Landesverfassungsschutzgesetz richten sich gegen alle Spielarten extremistischer Bedrohung, auch wenn derzeit der

gewaltbereite Islamismus im Vordergrund der Diskussion steht. Ich denke, wir dürfen dabei nicht vergessen, dass die weit überwiegende Mehrheit der Muslime Gewalt und erst recht Terrorismus ablehnt. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass sie alle glühende Verfechter unseres Grundgesetzes wären. Das Versprechen von Freiheit und Demokratie sehen viele von ihnen durch den Irak-Krieg, durch Guantanamo und durch Abu Ghraib diskreditiert. Gleichzeitig haben viele von ihnen den Eindruck, hier im Westen einem erhöhten sozialen und gesellschaftlichen Druck ausgesetzt zu sein und für die Taten einiger weniger in kollektive Verantwortung genommen zu werden.

Junge Muslime erleben einerseits einen zerrütteten Zustand großer Teile der islamischen Welt, andererseits fühlen sie sich hier im Westen in ihrer neuen Heimat, auch wenn es in der dritten Generation ist, von der Mehrheitsbevölkerung häufig nicht angenommen. Dies ist eine ausgesprochen prekäre Situation.

Gefragt wäre deshalb begleitend ein groß angelegter interkultureller und auch interreligiöser Dialog mit aktivem Zuhören und aktivem Werben für die Werte, die uns hier verbinden. Ressortmäßig wäre so etwas dem Kultusministerium zugeordnet. Aber da ist Fehlanzeige.

Das Gleiche gilt natürlich auch für die großen Integrationsprojekte, beispielsweise die Sprachförderung. Das ist ein einziges Drama. Aus der Schulsozialarbeit ist man ausgestiegen. Die Gemeinschaftskunde bei der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern wurde gestrichen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Es ist ein Trauerspiel. Ich sage Ihnen: Das Schlimmste, was Sie machen können, ist, dass Sie junge Menschen in prekären Situationen, in prekären Lebenssituationen allein lassen.

(Abg. Blenke CDU: Reden Sie doch mal zum Ge- setzentwurf! Thema verfehlt!)

Andere, auch extreme Gruppen, werben um sie. Das kann uns nicht recht sein.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb mein Appell: Kommen Sie endlich in die Gänge! Beziehen Sie die Bildungs- und die Sozialpolitik mit ein! Finden Sie endlich zu einer Linie, und lernen Sie, dass Ernsthaftigkeit auch ein zügiges Arbeiten verlangt! Wozu Otto Schily, wozu Ute Vogt dreieinhalb Monate brauchten, dazu brauchen Sie dreieinhalb Jahre, zwei Innenminister und zwei Ministerpräsidenten. Guten Morgen und herzlichen Glückwunsch zum Meister aller Schlafmützen!

(Beifall bei der SPD – Abg. Blenke CDU: Ein dummes Geschwätz!)

Das Wort erhält Herr Abg. Hofer.

(Abg. Zeller SPD: Jetzt kommt die Schlafmütze! – Weiterer Zuruf von der SPD: Eine der Schlafmüt- zen!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann zunächst der Aussage meines Vorredners zustimmen, dass der Schutz vor Terrorismus eine

Aufgabe der gesamten Politik ist und nicht allein mit polizeilichen, geheimdienstlichen oder militärischen Mitteln erreicht werden kann. Das ist eine Gesamtaufgabe und auch eine außenpolitische Aufgabe. Das schließt die Bekämpfung der Ursachen des Terrorismus ein.

Aber es ist genauso klar, dass der Rechtsstaat – darum geht es heute – die selbstverständliche Pflicht hat, die innere Sicherheit mit allen polizeilichen Mitteln, die zur Verfügung stehen, zielgerichtet zu gewährleisten und damit eben die durch den Terrorismus bestehenden – wir hören es ja immer wieder, es ist vorhin noch einmal deutlich gemacht worden – Sicherheitsrisiken für die Bevölkerung, für uns alle zu minimieren. Dass dabei der Staat weder im Einzelnen mit einer Maßnahme noch in der Summe der Reaktionen die Qualität des liberalen Verfassungsstaats verlassen darf, ist genauso klar. Ich denke, dies gewährleistet dieser Gesetzentwurf, der jetzt vorgelegt worden ist.

Es mag sein, dass der Gesetzentwurf auch nach dem Motto behandelt werden kann, wie Sie es getan haben: Spät kommt er, doch er kommt. Aber ich denke schon: Im Vordergrund steht die Gründlichkeit der Aufarbeitung dieser gesetzlichen Materie, so wie es vorhin der Innenminister genannt hat, die Gründlichkeit, die eben nicht nur bedeutet, dass das übertragen und vereinheitlicht wird, was die Antiterrorismusgesetze des Bundes jetzt auch für die Länderinstitutionen, für die entsprechenden Verfassungsämter ermöglichen,

(Abg. Braun SPD: Dreieinhalb Jahre!)

sondern die auch bedeutet, dass man die Möglichkeiten optimiert, das gesamte Handeln im Vorfeld, um das es geht, zu beobachten. Das ist meines Erachtens durch dieses Gesetz sehr gut gelungen. Einen vollkommenen Schutz gibt es nicht.

Dass man dabei peinlich darauf geachtet hat – ich möchte das einfach ergänzend sagen –, dass die Kontrollrechte, insbesondere die Kontrollrechte der parlamentarischen Gremien, die Pflicht zur Beachtung der Rechte der Betroffenen und vor allem der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit trotz all der umfangreichen Maßnahmen mit eingebaut sind, ist ganz wichtig.

Ich will das nur an einem Punkt aufzeigen, der uns wichtig war und der in dem Gesetzentwurf erfreulicherweise enthalten ist. Wenn ich personenbezogene Daten berechtigterweise und notwendigerweise herauszugeben habe – etwa an Betriebe der Daseinsfürsorge –, müssen dafür natürlich enge gesetzliche Voraussetzungen festgelegt sein. Das ist auch von allen gewollt. Da geht es natürlich nicht, eine Art Vorratsbeschluss zu fassen, sondern das muss im Einzelnen jeweils auch über den Innenminister laufen. So etwas hat man in das Gesetz eingebaut. Ich halte das für wichtig.

Ganz wichtig ist sicherlich auch – das muss ich jetzt nicht groß ausführen –, dass eben Gewalt und Terrorismus immer ein Vorfeld haben

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

und dass aus Hasspredigten,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

aus Vorgängen, die mit Völkerverständigung und einem freiheitlichen und friedlichen Zusammenleben der Menschen auf dieser Welt nichts zu tun haben, häufig eine Negierung dieser Werte resultiert, die dazu führt, dass solche Dinge überhaupt erst entstehen können. Es ist zu spät, erst dann anzusetzen, wenn Gewalt in Vorbereitung ist,

(Abg. Blenke CDU: So ist es!)

und es ist notwendig, hier umfassend vorzugehen und die Dinge im Keim zu ersticken, soweit das überhaupt noch möglich ist.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Deshalb sind auch Maßnahmen wie der vorbeugende Sabotageschutz und all die anderen Maßnahmen, die hier zuvor genannt worden sind – ich will sie nicht im Einzelnen wiederholen –, notwendig. Ergänzen möchte ich nur, dass wir mit eingeschaltet sind in die Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Personen, die mit Waffen, Sprengstoff oder Jagdrecht zu tun haben. Dazu bedarf es auch einer guten Abstimmung in ausländerrechtlichen Verfahren; das ist keine Frage.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig! – Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Meines Erachtens bleibt noch zu sagen, dass der Informationsaustausch notwendig ist. Es ist ganz klar – lassen Sie mich das zum Schluss noch sagen –: Immer dann, wenn es wieder zu einem schrecklichen terroristischen Anschlag gekommen ist, sagen die Leute – ich tue das auch –: „Wir brauchen noch strengere Gesetze.“ Wir haben jetzt zunächst einmal umfassende Gesetze, und es wird notwendig sein, diese konsequent anzuwenden. Man kann dann nach einer gewissen Zeit einen Erfahrungsbericht machen und fragen, ob irgendwo gesetzlich nachgebessert werden muss. Aber die Erfahrung zeigt, dass meistens nicht die gesetzliche Nachbesserung notwendig ist, sondern die praktische Anwendung und die Zusammenarbeit. Wir wollen keinen Zentralismus insofern, als wir das alles nur über ein Bundesverfassungsschutzamt laufen ließen, aber wir wollen, dass das Vorgehen auf Bundesebene konzentriert wird, und wir wollen es auf Landesebene. Dabei wollen wir, dass die Ämter gut zusammenarbeiten. Das tun sie bereits jetzt; aber durch dieses Gesetz ergeben sich noch bessere Möglichkeiten. Eben das wollen wir erreichen.

Übrigens wollen wir nicht die Bundeswehr hier als Träger all dieser Maßnahmen mit einführen.

(Beifall des Abg. Braun SPD)

Die hat für den Schutz nach außen zu sorgen,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

und die Sicherheitsorgane, die Polizei und der Verfassungsschutz, müssen für den Schutz nach innen sorgen. Wenn die Bundeswehr als „Hilfsbeamte“, gewissermaßen im Wege der Amtshilfe, hinzugezogen werden muss, weil die Polizei den Schutz nach innen nicht schafft,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Dann haben wir nichts einzuwenden!)

dann soll das richtig sein.

Es gibt viele Einzelpunkte, die hier noch zu beraten sind. Das sollte man auch in der nötigen Gründlichkeit tun. Ich denke, wir haben einen guten Gesetzentwurf vorgelegt.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Oelmayer.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Thema Terrorismus und insbesondere der islamistisch orientierte Terrorismus hat uns in den letzten Tagen wieder offenbart, wie gefährdet wir sind und wie schwer es ist, unsere freiheitlichen Gesellschaften vor terroristischen Anschlägen zu schützen.

Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass wir in unseren freiheitlichen, rechtsstaatlich und demokratisch organisierten Gesellschaften alles unternehmen müssen, um uns vor dem Terrorismus zu schützen. Wir sind uns sicher aber auch darin einig – das zeigt das Beispiel London –, dass es trotz aller Observation, trotz perfekt funktionierender Sicherheitsbehörden – das sieht man jetzt auch in den Ermittlungsverfahren – nicht möglich ist, solche Anschläge zu verhindern.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Leider, ja!)

Leider; da sind wir ja völlig einer Meinung; darüber brauchen wir überhaupt nicht zu diskutieren.

Heute diskutieren wir über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landesverfassungsschutzgesetzes sowie weitere Gesetzesvorhaben, die ja in dem Artikelgesetz zusammengefasst sind, die logischerweise immer weitere Einschränkungen von Grundrechten mit sich bringen.

Ich will jetzt in der ersten Runde nicht auf Einzelmaßnahmen eingehen, insbesondere nicht auf solche, mit denen das Land über die Vorgaben des Terrorismusbekämpfungsgesetzes des Bundes hinausgeht, das auch wir – wenn auch, was die Einschränkung der Bürgerrechte angeht, mit Bauchschmerzen – aufgrund der terroristischen Bedrohung in Europa mitgetragen haben. Wir haben ja in der Zwischenzeit auch erlebt, dass diese Bedrohung in vielen Ländern ganz real ist.