Protokoll der Sitzung vom 28.07.2005

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Wintruff SPD: Und wir fragen: Wie viele bleiben auf der Strecke? BVJ ist das Thema! Das überge- hen Sie! Sie interessieren diese 10 000 gar nicht!)

Nein, das übergehe ich nicht. Keiner darf auf der Strecke bleiben. Aber nirgends bleiben so wenige auf der Strecke wie in Baden-Württemberg. So ist das.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Döpper CDU: So ist es! – Abg. Wintruff SPD: Mehr als 10 000 im BVJ! – Gegenruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Seien wir doch froh, dass wir es haben! – Abg. Wacker CDU: Sonst wä- ren sie auf der Straße! – Abg. Schmiedel SPD: Je- der Einzelne ein Schicksal! – Unruhe)

Regen Sie sich doch jetzt nicht so auf!

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Sie waren gerade ziemlich laut!)

Lesen Sie die Zahlen SPD-regierter Länder, dann werden Sie in sich gehen und bei Ihrem Anspruch von Gerechtigkeit Ihre Genossen fragen, wie sie es verantworten können, einen so verheerenden Arbeitsmarkt und einen so verheerenden Ausbildungsmarkt zuzulassen und zu fördern. Das ist der rote Faden durch die letzten sieben Jahre gewesen. Das ist ungerecht im Blick auf die Zukunftschancen der jungen Generation.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Berufliche Schulen waren an PISA-E beteiligt. Wir sind dabei, auch an der Vergleichbarkeit der beruflichen Bildung im europäischen Vergleich zu arbeiten. Das wird ein wichtiges Thema der nächsten Jahre werden.

Das dritte wichtige Thema, das sich aus PISA ganz deutlich ergibt und das im Blick auf die Gerechtigkeitsfrage wichtig ist, ist die frühkindliche Bildung. Baden-Württemberg hat seit Mitte der Neunzigerjahre den „Schulanfang auf neuen Wegen“ eingeführt. Wir haben jetzt genügend Erfahrungen, um einen Orientierungsplan für Bildung und Erziehung einzuführen und den Bildungsauftrag der Kindergärten zu stärken.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Ja wann kommt er denn?)

Der kommt.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Ja wann denn?)

Im September. Da können Sie ganz sicher sein. Das machen wir noch.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Da bin ich ge- spannt!)

Wir wollen keine Vorschule. Wir wollen kein Curriculum für den Kindergarten.

(Zuruf der Abg. Marianne Wonnay SPD)

Wir wollen Schule nicht einfach vorziehen, weil wir wissen, dass Frankreich mit der École maternelle nicht die Erfolge hat, über die wir hier immer reden,

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Es spricht doch kein Mensch von der École maternelle! Sie sind ge- rade bei den Nebelkerzen!)

und weil das letzte Jahr viel zu spät ist für eine gezielte Förderung.

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Das will doch der Oettinger!)

Wir werden einen Orientierungsplan einführen, der im Wesentlichen das Alter zwischen drei und sechs Jahren in den Blick nimmt. Ich füge aber hinzu: Noch so viel Förderung in öffentlichen Institutionen ersetzt nicht das, was erwachsene Menschen in der Familie für Kinder tun können.

(Lebhafter Beifall bei der CDU – Beifall bei Abge- ordneten der FDP/DVP – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Auch das gehört zu den Erkenntnissen, die wir aus den vielen Studien, die mittlerweile vorliegen, haben. Das sage ich an die Adresse aller. Das ist keine politische Frage, sondern das ist wiederum eine Kulturfrage.

Eine Gesellschaft, die glaubt, sie könne das Thema „Bildung und Erziehung“ dem Kindergarten und der Schule überlassen, ist schon verloren – die können es allein nicht.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dr. Scheffold CDU: So ist es! – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Einer Gesellschaft, in der nicht alle bereit sind, an einer starken Erziehung mitzuwirken, an einer Kultur mitzuwirken, in der Kinder und Jugendliche Vorbilder erfahren, nützt die komplizierteste Didaktik nichts.

Wir brauchen auch für die Bildungspolitik, auch für die Entwicklung in unseren Schulen wieder die Rückkehr zum Naheliegenden, wir brauchen eine Gesellschaft, die weiß, was Disziplin im Kopf und im Herzen bedeutet, eine Gesellschaft, die Kinder konsequent wahrnimmt, die nicht ständig überlegt, ob Kinder überfordert sind, sondern die Kinder endlich die Möglichkeiten, die in ihnen stecken, entfalten lässt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Dort, wo dies vorhanden ist, wo sich eine Kultur entwickelt, die den Stellenwert der Bildung achtet, wird sich auch schulische Arbeit kontinuierlich verbessern. Die Grundlagen dafür sind gelegt. In jedem Jahrzehnt hat Baden-Württemberg Bildung kontinuierlich weiterentwickelt. Das haben wir auch im letzten Jahrzehnt versucht.

Ich möchte, weil dies meine letzte Rede in diesem Parlament ist,

(Abg. Stickelberger SPD: Oh!)

Ihnen allen für das danken, was wir gemeinsam an Auseinandersetzung und Ringen bewirken konnten. Ich danke der Opposition

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

für einen fairen Streit,

(Abg. Dr. Scheffold CDU: Na, na, na! – Abg. Kleinmann FDP/DVP: „Zelleritis“! – Unruhe)

für hartes Ringen. Herr Zeller, das war die letzte Runde „Schavanismus“.

(Heiterkeit – Abg. Zeller SPD: Ich habe das heute noch nicht gesagt!)

Jetzt ist Schluss. Jetzt müssen Sie neue Begriffe erfinden.

(Heiterkeit)

Die „Zelleritis“ bleibt.

(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP und des Abg. Seltenreich SPD)

Ich danke. Sie haben es gespürt: Mir macht das Streiten Spaß. So richtig beleidigt haben Sie mich auch nie. Auch dafür danke ich Ihnen. Hartes Ringen und Streiten gehören zur politischen Kultur. Das gilt auch für den Respekt voreinander, den Respekt der Regierung vor der Opposition im Wissen, dass es für eine Opposition nicht leicht ist, Opposition zu sein, und den Respekt der Opposition vor der Regierung, die nun dummerweise nicht nur kommentieren darf, sondern handeln muss. Ich danke Ihnen für diesen Respekt. Das Streiten mit Ihnen hat mir Spaß gemacht.

Ich danke den Regierungsfraktionen für zehn Jahre gutes Miteinander. Ich danke ihnen dafür, dass sie der Bildungspolitik, dass sie einer Politik für Kinder und Jugendliche in Baden-Württemberg einen so hohen Stellenwert eingeräumt haben. Kultusministerin in Baden-Württemberg zu sein ist eine wunderbare Aufgabe, weil diese Regierungsfraktionen an dieser Priorität in der Landespolitik, am Herzstück der Landespolitik, so stark festhalten. Auch dafür danke ich ihnen sehr.

Ich danke den Lehrerinnen und Lehrern – einige sind heute hier – für ihren Dienst in unseren Schulen.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Sie haben eine der schönsten und schwierigsten Aufgaben. Das habe ich auch in jedem Jahr den Junglehrerinnen und -lehrern bei ihrer Vereidigung gesagt. Ich bin davon überzeugt. Mein Respekt vor ihrer Arbeit ist in den zehn Jahren nicht gesunken, sondern gestiegen. Ich freue mich darüber, dass mir auch im letzten Jahr meiner Amtszeit nichts an meiner hohen Achtung vor der Arbeit unserer Schulen sowie der Lehrerinnen und Lehrer, der Schulleiterinnen und Schulleiter verloren gegangen ist. Sie leisten großartige Arbeit für unsere Schulen. Das Land Baden-Württemberg kann stolz auf seine Schulen sein.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Gute Bildungspolitik braucht viele Partner in den Städten und Gemeinden, in den Elternbeiräten und den Schülerbeiräten, in vielen Vereinen und Verbänden, in der Schulverwaltung und im Ministerium. Den vielen Partnern in diesen zehn Jahren, den vielen, die Impulse in unserem Land gesetzt haben, den vielen, mit denen wir gemeinsam Konzepte entwickelt und durchgesetzt haben, danke ich von Herzen, meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Schulverwaltung und im Ministerium ebenso wie den vielen im Land und im Kontext von über 4 000 Schulen und 100 000 Lehrerinnen und Lehrern, die bei uns wirken.

Herzlichen Dank Ihnen allen, verbunden mit guten Wünschen für Sie persönlich und für das hohe Haus, von dem

(Ministerin Dr. Annette Schavan)