Protokoll der Sitzung vom 06.10.2010

sche Niemandsland geführt, weil sie nicht deutlich gemacht haben, wie der Weg mit einer Bürgerbeteiligung aussieht, und nicht deutlich gemacht haben, dass ein Ausstieg natürlich mit Kosten verbunden ist. Auch haben sie nicht gesagt, wie ein Ausstiegsszenario konkret aussehen soll.

Deshalb sage ich Ihnen: Wenn wir eine Volksabstimmung ver anstalten, muss all dies auf den Tisch. Dann müssen auch die Gegner die Karten auf den Tisch legen, genauso, wie die Be fürworter für ihre Argumente kämpfen müssen. Ich bin der Überzeugung: Die Mehrheit des Landes wird dann sehen, dass es ein richtiges Projekt ist.

Ich bin auch überzeugt, dass alle im Land den Ausgang die ser Volksabstimmung akzeptieren werden und das Projekt dann mit verstärkter demokratischer Legitimation zu Ende durchgeführt werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Diese Volksabstimmung ist also in der Tat dazu geeignet, die Situation zu befrieden.

Rückblickend auf die letzten Wochen und Aspekte dieser De batte stelle ich fest, dass es auf beiden Seiten viele Denunzi ationen gab: Die einen wurden als „Berufsdemonstranten“ und „Demokratiefeinde“ geschmäht, und Abgeordnete dieses Hau ses, die S 21 unterstützten, wurden als „Lügenpack“ be schimpft. Es gibt weder für das eine noch für das andere eine Rechtfertigung.

Diese Form der Auseinandersetzung hat zu genau der Kon frontation geführt, die wir jetzt beklagen. Genauso klar ist aber auch, dass eine Regierung gegenüber den demonstrierenden Bürgerinnen und Bürgern eine Bringschuld hat, die ihr unse re Verfassung auferlegt. Das Demonstrationsrecht gebietet den Regierenden Respekt und verlangt zugleich Schutz für dieje nigen, die es in Anspruch nehmen. Wenn dann von „Berufs revoluzzern“ und „Berufsdemonstranten“, von „Altlinken, die hier ihren letzten Kampf ausfechten“ gesprochen wird und Pflastersteine erfunden werden, wo es keine gab, dann ist das natürlich ein schwieriger Weg. Dann ist da aufseiten der Re gierung auch ein fundamentales Missverständnis über das De monstrationsrecht festzustellen.

(Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Unfug!)

Ich habe mir am Donnerstag und am Freitag selbst ein Bild gemacht und teile die Einschätzung derjenigen, die sagen: Das ist zum weit überwiegenden Teil eine friedliche Demonstran tenschar. Ich sage gerade auch an die Adresse der sogenann ten liberal-bürgerlichen Partei hier im Hause: Das ist das Bür gertum dieser Stadt und dieser Gesellschaft, das dort unter wegs ist. Wir sollten das nicht gering schätzen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Die gestrige Innenausschusssitzung hat aber auch gezeigt: Es gab Provokation und Aggression vonseiten der Demonstran ten. Dies war auch schon vor der Eskalation der Fall. Ich er innere an die ausgespannten Drahtschnüre im Schlossgarten, um Polizeipferde zum Stolpern zu bringen.

(Zurufe von der CDU: Tierquälerei! – So eine Saue rei!)

Deshalb sage ich genauso deutlich: Auch Demonstranten müs sen sich an Recht und Gesetz halten. Aber wir haben es nicht nötig, in diesem Haus einzelnen Abgeordneten oder einzelnen Fraktionen Treueschwüre zum Rechtsstaat abzuverlangen. Diese Zeiten sind vorbei. Das will ich auch deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Albrecht Fischer CDU: Das hat niemand ge fordert!)

Der massive Polizeieinsatz wurde im Innenausschuss aufge arbeitet. Wir sind der Meinung: Der Einsatz ist aus dem Ru der gelaufen. Ich weise aber vor allem darauf hin, dass dieser Einsatz nach unserer Auffassung völlig überflüssig war. Wir haben einen Baustopp gefordert, um eine Volksabstimmung durchzuführen. Deshalb sind auch diese Baumfällarbeiten nicht nötig gewesen.

(Oh-Rufe von der CDU und der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Hans Heinz CDU)

Wir wollen gerade nicht, dass dieses Bauvorhaben durchge knüppelt wird.

Sie, Herr Mappus und Herr Rech, haben diesen Vorschlag ab gelehnt.

(Zuruf des Abg. Thomas Blenke CDU)

Damit tragen Sie für die Eskalation am vergangenen Donners tag die politische Verantwortung.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Gleichzeitig sind unsere Polizistinnen und Polizisten zum Prellbock für politische Fehlentscheidungen geworden. Auch das müssen wir ändern, meine sehr verehrten Damen und Her ren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Winfried Kretsch mann GRÜNE – Abg. Dieter Hillebrand CDU: Wo sind politische Fehlentscheidungen?)

Schließlich hat am gestrigen Tag die Polizeiführung die Ver antwortung für den Einsatz und den Ablauf des Einsatzes übernommen. Da bekennt sich also Herr Stumpf tapfer zu sei ner Verantwortung, und daneben steht ein Innenminister, der so tut, als ginge ihn das alles gar nichts an.

(Abg. Theresia Bauer GRÜNE: Er war nicht da!)

Entweder er hat wirklich nicht gewusst, was da abläuft, oder er verschleiert seine Rolle. Zur weißen Weste, Herr Rech, reicht es jedenfalls nicht.

(Beifall bei der SPD – Abg. Thomas Blenke CDU: Das ist unredlich, was Sie machen! Wenn er es ge macht hätte, hätten Sie ihm genau das vorgeworfen!)

Deshalb sage ich erneut: Herr Rech, Sie sind Ihrer politischen Verantwortung nicht gerecht geworden. Ich fordere Sie auf, selbst Konsequenzen daraus zu ziehen.

(Beifall bei der SPD – Oh-Rufe von der CDU – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Im Protokoll wird ste hen: „Vereinzelt Beifall bei der SPD“!)

Zum Abschluss will ich auf eines hinweisen, meine sehr ver ehrten Damen und Herren: Wir freuen uns alle zu Recht Jahr für Jahr über viele Bürgerinnen und Bürger, die sich öffent lich engagieren. Sie haben bislang vergessen, zu sagen, wo Ihnen dieses Engagement angenehm und wo es Ihnen nicht angenehm ist. Jetzt wissen wir es: Solange es Ihnen in den Kram passt, ist das Engagement gut. Wenn es Ihnen aber nicht mehr passt, wird es stigmatisiert und teilweise auch krimina lisiert. So kann man mit den Bürgerinnen und Bürgern des Landes nicht umgehen, Herr Mappus.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

Wir werden weiterhin dafür kämpfen, dass wir nicht vorde mokratisch die Motive derjenigen hinterfragen, die sich poli tisch engagieren. Nein, in unserem Bürgerschaftsland BadenWürttemberg, dem Land des bürgerschaftlichen Engagements, ist ein Nützlichkeitsverständnis zu politischem Engagement fehl am Platze. Ich freue mich über jeden Bürger und jede Bür gerin, die sich für öffentliche Angelegenheiten interessieren und sich für unser Gemeinwesen engagieren.

Wir wissen doch aus der eigenen Erfahrung: Ein solches En gagement beginnt meist mit der direkten Betroffenheit. Da gibt es die jungen Leute, die sagen: „Das Jugendhaus ist ge fährdet, weil die Finanzierung nicht stimmt.“ Da gibt es An wohner, die eine Umgehungsstraße fordern, und andere, die eine Umgehungsstraße ablehnen. Es gibt Bürger, die in Sport vereinen engagiert sind und der Meinung sind, der Bürger meister tue zu wenig für diese Vereine, und die sich deshalb vor Ort einbringen. Und es gibt Leute, die aus ihrem berufli chen Umfeld heraus den Weg zum gesellschaftlichen und po litischen Engagement finden: die Betriebsrätin bei Schlecker, die mit den Arbeitsbedingungen dort nicht einverstanden ist, der Unternehmer, der sagt: „Die Politik vergisst meine Anlie gen“, oder auch ein Zahnarzt wie Herr Dr. Noll, der sagt: „Die Politik vergisst das, was in der Zahnarztpraxis vor sich geht.“

Ich sage Ihnen: Ein jeder und eine jede ist gleich viel wert. Wir brauchen viel mehr Menschen, die sich für das öffentli che Wohl interessieren und engagieren, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Winfried Kretsch mann GRÜNE)

Der Ruf des Landes ist beschädigt. Landauf, landab wird ge fragt, welche Zustände in Baden-Württemberg eingerissen sind, wie weit sich eine Regierung vom Volk entfernen kann, um so gegen Kinder und Jugendliche vorzugehen, wie es im Schlossgarten geschehen ist.

(Oh-Rufe von Abgeordneten der CDU – Abg. Hel mut Walter Rüeck CDU: Das ist tief gegriffen! – Zu ruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Es ist genauso richtig: Der Ruf unseres Landes könnte auch darunter leiden, dass sich ein großes Zukunftsprojekt als un durchführbar erweisen könnte. Diese Sorge wäre aber unbe gründet, wenn Herr Mappus und seine Amtsvorgänger es ver standen hätten, Stuttgart 21 wirklich offensiv zu kommunizie ren und Überzeugungsarbeit zu leisten.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Thomas Blen ke CDU)

Wir sind in Sorge um den Wirtschaftsstandort Baden-Würt temberg. In einem Land, in dem der Verbrennungsmotor er funden wurde, in dem der Zeppelin gebaut wurde und wird, in dem Hunderttausende in Entwicklung und Forschung ar beiten und tagtäglich erleben, was eine Gesellschaft voran bringt, in einem solchen Land ist es ohne Weiteres möglich, Pro und Kontra eines solchen Bahnhofsprojekts zu vermitteln und die Menschen auch darüber abstimmen zu lassen. Dann würde auch nicht der Ruf entstehen, in Baden-Württemberg ginge es grundsätzlich technikfeindlich zu.

Wer aber zur Durchsetzung eines solchen Vorhabens Tränen gas in Kinderaugen gibt und Knüppel auch gegen alte Men schen freigibt,

(Widerspruch bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das ist unglaublich! Das ist nur peinlich!)

der hat schon davor politisch versagt, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf: Das ist unglaublich! – Abg. Thomas Blenke CDU meldet sich. – Unruhe)

Der Ministerpräsident und auch Herr Hauk haben in ihren Re den noch einmal deutlich gemacht: Sie haben die Dimension des Problems nicht erkannt.

(Oh-Rufe von der CDU und der FDP/DVP)

Sie haben nicht erkannt, dass es nicht allein um den Bahnhof geht, sondern um den Zusammenhalt der Gesellschaft.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Dr. Schmid, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Blenke?

(Zurufe von der SPD: Nein!)

Nein, ich führe meine Rede zu Ende. Aber gern später.