Protokoll der Sitzung vom 27.10.2010

(Zuruf des Abg. Winfried Scheuermann CDU)

Sie wird durch Ihre Politik ausgebremst. Durch Ihre Politik entstehen Wettbewerbsnachteile und Wettbewerbsverzerrun gen für die regenerativen Energien auf den Märkten.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: So ist es!)

Ich sage noch einmal: Unsere Politik setzt auf die dynami schen Sektoren unserer baden-württembergischen Volkswirt schaft

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Derivate! – Zuruf des Abg. Winfried Scheuermann CDU)

und nicht auf Altindustrien, wie Sie das tun.

(Beifall bei den Grünen)

Zur Bildung hat meine Kollegin Sitzmann das Notwendige gesagt.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Aber nichts Richtiges!)

Auch hier geht es klar um Alternativen und nicht darum, dass der eine etwas tut und der andere nichts.

Wir sind der Überzeugung, dass das, was wir vorschlagen, richtig ist. Wir fordern massive Investitionen in die frühkind liche Betreuung – da sind Sie schlecht aufgestellt – und mas sive Investitionen in Ganztagsschulen. Wir dürfen das beruf liche Schulwesen nicht absaufen lassen und müssen die inno vativen Ideen, die die Menschen vor Ort haben – Schulge meinschaften, Bürgermeister, Gemeinderäte –, um eigene in tegrative Schulprojekte durchzuführen, fördern.

(Zuruf der Abg. Veronika Netzhammer CDU – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Das Einzige, was absäuft, ist Ihr Niveau!)

Das alles ist bei Ihnen nicht möglich. Wir geben den Leuten, die vorhaben, etwas auf die Beine zu stellen, das Versprechen, das Schulwesen zu öffnen und die Rollläden in diesem Be reich hochzuziehen. Das ist das Versprechen, das wir in der Bildungspolitik machen.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU)

Die Integrationspolitik werden wir beim nächsten Tagesord nungspunkt thematisieren. Aber klar ist jedenfalls, dass da bei Ihnen in der Union eine Kakofonie herrscht. Das, was Seeho fer sagt, unterscheidet sich diamentral von dem, was Annette Schavan sagt. Da müssen Sie erst einmal für Orientierung in den eigenen Reihen sorgen. Natürlich müssen wir ältere Ar beitnehmer qualifizieren. Trotzdem brauchen wir die Zuwan derung qualifizierter Kräfte. Ich glaube, auch da sind wir bes ser aufgestellt als Sie.

Ich stelle abschließend fest: In Ihrer Rede sind folgende Fra ge offengeblieben: Was sind die Ziele? Was sind die klaren Strecken für eine Ordnungspolitik? Dafür ist die Politik ver antwortlich. Was sind Ihre Angebote, um in der Bildung wirk lich individuell zu qualifizieren?

Sie haben sich hauptsächlich mit der Vergangenheit beschäf tigt. Wir werden uns mit der Zukunft beschäftigen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf von den Grünen: Bravo!)

Nach § 82 Abs. 4 der Geschäftsord nung erhält jetzt Herr Fraktionsvorsitzender Schmiedel das Wort.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Der Wirtschaftsstandort Baden-Württem berg scheint eine Plattform für alle Felder der Politik zu sein, und wessen Herz voll ist, dem geht manchmal der Mund über.

(Heiterkeit des Abg. Peter Hofelich SPD)

Ich will jetzt versuchen, mich auf das Thema „Wirtschafts standort Baden-Württemberg“ zu konzentrieren. Ich hoffe, dass es gelingt.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Machen Sie es einfach umgekehrt!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Ministerpräsident, die Industrie in Baden-Württemberg ist viel schneller aus der tie fen Talsohle des Jahres 2009 herausgekommen, als alle erwar tet haben,

(Abg. Veronika Netzhammer CDU: Richtig!)

auch die Wirtschaftsführer selbst. Man hatte gedacht, es wür de nach dem Absturz erst einmal eine Horizontalbewegung geben, bevor es wieder hochgeht – also ein U –, tatsächlich aber stellt sich die Entwicklung wie ein V dar. Das heißt, nach dem steilen Absturz geht es wieder steil nach oben. Nur: Mit der Arbeit der baden-württembergischen Landesregierung hat das überhaupt nichts zu tun. Nichts!

(Beifall bei der SPD – Unruhe bei der CDU – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Von Ihnen kann man nichts anderes erwarten! – Abg. Thomas Knapp SPD: Die stürzt noch immer steil ab!)

Der Antrieb für die baden-württembergische Wirtschaft – ins besondere auch für das Haus Bosch – sind natürlich Bestel lungen aus dem Ausland. Das heißt, die Weltkonjunktur ist sehr viel schneller wieder in Gang gekommen. Das ist das ei ne.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Schauen Sie einmal in die USA!)

Das andere ist der Produktivitätsfortschritt, den wir in den ver gangenen Jahren auch in der Industrie in Baden-Württemberg erreicht haben. Es gab eine Steigerung um 10 %.

Wenn man aber jetzt einmal auf die politische Verantwortung zu sprechen kommt und fragt, weshalb die Krise unter dem Strich relativ glimpflich an den Unternehmen und an den Ar beitnehmern, insbesondere im Industriebereich – nehmen wir einmal die Firma Bosch –, vorbeigegangen ist, dann waren das im Wesentlichen zwei politische Entscheidungen. Auf ei ne wurde jetzt schon mehrfach hingewiesen: Das war die Ent scheidung für die Verlängerung der Kurzarbeit.

(Abg. Veronika Netzhammer CDU: Ja!)

Da war die FDP dagegen. Die andere ist die Entscheidung für die Abwrackprämie, die den tiefen Absturz gerade in der ba den-württembergischen Zulieferindustrie gedämpft hat; da waren FDP und Grüne dagegen. Wenn Sie also heute einse hen, dass diese Entscheidungen richtig waren, dann ist es gut. Aber damals haben Sie jedenfalls keinen Beitrag dazu geleis tet, dass dieser Abschwung der Weltwirtschaft für BadenWürttemberg so glimpflich verlaufen ist.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Winfried Scheuermann CDU)

Jetzt ist natürlich wichtig: Die Produktivität ist auch deshalb vorangekommen, weil die Arbeitnehmer, die Betriebsräte und die Gewerkschaften sich in den vergangenen Jahren sehr mo derat und sehr verantwortungsbewusst verhalten haben. Des halb ist es richtig, dass jetzt, da es wieder läuft, die Arbeitneh mer dran sind, und zwar mit einem kräftigen Schluck aus der

Pulle. Deshalb begrüßen wir, dass Bosch jetzt sagt: Wir neh men dies für uns in Anspruch – der Tarifvertrag sieht diese Möglichkeit vor – und führen die Lohnerhöhung zwei Mona te früher durch. Wir appellieren an die anderen Betriebe, dies auch zu tun. Das ist ein Anspruch, den die Schaffer in den Be trieben – bei Bosch, bei Daimler und überall sonst – haben.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt möchte ich auf etwas zu sprechen kommen, was Ihre Po litik kennzeichnet. Vor dem Hintergrund guter Statistiken, vor dem Hintergrund guter Entwicklungen vergessen Sie den ge nauen Blick darauf, dass es an anderer Stelle durchaus noch Handlungsbedarf gibt. Denn es ist beileibe nicht so, dass al le, die durch die zunehmenden Bestellungen in der Industrie jetzt in Beschäftigung kommen, angemessen beteiligt sind. Das Landesarbeitsamt weist darauf hin, dass 40 % der jetzt im Aufschwung neu angebotenen Stellen im Wege von Leih arbeit ausgeschrieben sind. 40 %! Herr Mappus, Sie wollten hören, wofür wir sind: Wir wollen, dass in Leiharbeit Beschäf tigte nicht die Stammbelegschaft ersetzen. Dafür sind wir, und deshalb muss Leiharbeit zurückgeführt werden.

(Beifall bei der SPD)

Denn diese Kolleginnen und Kollegen haben beileibe nicht so viel vom Aufschwung, wie es die Stammbelegschaft hat. Des halb müssen wir alles tun, damit tatsächlich wieder Stamm belegschaften aufgebaut werden und Leiharbeit wirklich nur zum Auftragsabbau, zur Abfederung von Aufschwung und Ab schwung genutzt wird und Leiharbeiter nicht zum Ersatz für die Stammbelegschaft werden.

In diesem Zusammenhang ein Satz zu Hartz IV und zum Lohnabstandsgebot: Das war jetzt eine kuriose Nummer von Ihnen, zu sagen, das Lohnabstandsgebot zwischen denen, die als Transfereinkommen Hartz IV bekommen, und denen, die arbeiten, soll dadurch hergestellt werden, dass der Mittel standsbauch abgeflacht wird. Das ist eine tolle Nummer. Neh men wir einmal als Beispiel einen verheirateten Arbeitnehmer mit zwei Kindern, der 36 000 € im Jahr verdient. Der zahlt überhaupt keine Steuern; da geht es gar nicht um Steuern; das ist gar nicht das Thema.

Wenn wir über das Lohnabstandsgebot reden, dann geht es schon einmal nicht an, zu sagen, wir müssten die Hartz-IVSätze reduzieren. Das geht nicht; da ist das Bundesverfas sungsgericht davor. Es sagt, das Einkommen, das jemand braucht, um an unserer Gesellschaft teilzuhaben, kann man nicht vom untersten Tariflohn ableiten. Man muss also etwas dafür tun, dass die niedrigen Löhne angehoben werden. Des halb ist die richtige Antwort im Sinne des Lohnabstandsge bots, dass wir uns endlich darauf verständigen, dass Tariflöh ne für alle verbindlich sind und dass es da, wo es keinen Ta riflohn gibt, einen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Dafür sind wir, Herr Mappus.

(Zuruf von der CDU)

Leider sind Sie dagegen.

Jetzt kommen wir einmal zum Thema „Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg“ und zu der Frage, wo wir stehen. Wo ein Land wirtschaftlich steht, ist nicht das Ergebnis einer Ent scheidung von vor einem Jahr oder zwei Jahren, sondern das

Ergebnis einer längerfristigen Entwicklung. Deshalb wäre es doch richtig und angezeigt, dass Sie wenigstens das zur Kennt nis nehmen, was Herr Prewo gesagt hat. Er hat nicht über die Regierungszeit von Herrn Mappus geredet, er hat nicht ein mal über die Regierungszeit von Herrn Oettinger geredet, son dern er hat einen Vergleich angestellt, der 20 Jahre umfasst. Dabei stellen wir fest, dass wir zwar natürlich noch immer besser sind als andere Länder, aber unseren relativen Vor sprung langsam einbüßen. Er hat darauf hingewiesen: Hessen hat uns überholt, Bayern hat uns überholt, aber auch die Re gion Mailand hat uns überholt, und die Region Barcelona hat ebenfalls mächtig aufgeholt.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Singapur auch!)

Deshalb muss man doch einmal die Frage stellen: Gibt es Be reiche, in denen wir uns besser aufstellen müssen, damit wir unsere Spitzenstellung, die wir in vielen Bereichen haben, hal ten? In puncto Wirtschaftsleistung haben wir sie schon einge büßt. Da ist es doch wichtig, dass man die Gutachten nicht nur bestellt und zur Kenntnis nimmt, sondern auch darauf reagiert.

Jetzt haben Sie gesagt, Sie setzen die Tradition von Herrn Teu fel fort, der damals das Roland-Berger-Gutachten bestellt hat. Ich sage: klasse. Das Roland-Berger-Gutachten hatte eine we sentliche Kernaussage: Wichtig sei, die Clusterbildung in Ba den-Württemberg voranzutreiben und zu unterstützen.

(Minister Ernst Pfister: Genau!)