Protokoll der Sitzung vom 27.10.2010

Sie versagen aber bei den Kernaufgaben des Staates, und das müssen unsere Bürgerinnen und Bürger und unsere Unterneh men am Ende büßen. Also: Wir können wieder zum Muster ländle werden,

(Abg. Veronika Netzhammer CDU: Wir sind es!)

aber dann: Musterländle, come back.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Ministerprä sident Mappus.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte gegen Ende der Debatte schon noch auf zwei Punkte eingehen, von denen ich glaube, dass man diese hier nicht so durchgehen lassen darf.

Herr Kretschmann, Sie haben sich zu dem Satz verstiegen, Sie machten Politik für die Zukunft, die Landesregierung mache Politik in die Vergangenheit, und Sie haben die Formulierung benutzt, wir würden uns für Altindustrien einsetzen.

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Genau so ist es!)

Jetzt frage ich Sie einfach einmal: Ist die Tatsache, dass wir den modernsten Automobilbau weltweit haben, der neben den Japanern ohne weitere Konkurrenz auf dieser Welt moderns te Technologie einsetzt, energieeffiziente Techniken einsetzt, seit Neuestem ein Beweis für eine Altindustrie?

(Zuruf des Abg. Franz Untersteller GRÜNE)

Ist die Tatsache, dass wir einen weltweit führenden Maschi nenbau haben, der – von der einfachen Maschine bis hin zu modernster Lasertechnik – durch die Firma Trumpf und an dere mehr in Baden-Württemberg beheimatet ist, Ausdruck von Altindustrie? Ist die Tatsache, dass 25 % aller Unterneh men im Bereich der erneuerbaren Energien in ganz Deutsch land ihren Sitz in Baden-Württemberg haben, seit Neuestem ein Ausdruck von Altindustrie?

(Zuruf der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

Ist die Tatsache, dass mehr als 20 % des in Deutschland durch Sonnenenergie erzeugten Stroms in Baden-Württemberg pro

duziert werden, ein Ausdruck von Altindustrie? Ist die Tatsa che, dass in der modernsten Medizintechnologie, in der Deutschland führend ist, 90 % der Unternehmen ihren Sitz in Baden-Württemberg – vor allem im Raum Tuttlingen und im Nordbadischen – haben, ein Ausdruck von Altindustrie? Ist die Tatsache, dass die Biotechnologieregion im Rhein-NeckarRaum zu den modernsten europaweit gehört, ein Ausdruck von Altindustrie?

(Abg. Veronika Netzhammer CDU: Nach Kretsch mann schon! – Zuruf des Abg. Dr. Dietrich Birk CDU)

Ist die Tatsache, dass im Bereich der IT-Technologie deutsch landweit die führenden Unternehmen – SAP und viele ande re mehr – in Baden-Württemberg beheimatet sind, seit Neu estem ein Ausdruck von Altindustrie? Hören Sie doch endlich auf, die Menschen in diesem Land schlechtzureden! Das ist unverschämt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl! Un glaublich! – Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Wissen Sie, Herr Kretschmann: Das Problem ist nicht nur, dass Ihre Aussagen gezeigt haben, dass Sie gar nicht wissen, was in Baden-Württemberg läuft.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Das eigentliche Problem ist doch, dass Sie im Schaufenster der Grünen stehen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Kretschmann ist sozusagen die Vorzeigepuppe der Grünen, die all das bedient, womit man im Zweifel auch manche Bür gerlichen dazugewinnen kann.

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Aber ganz sicher! Da spricht der pure Neid!)

Sie haben sich ja – das fand ich schon ein bisschen mutig – in der letzten „Welt am Sonntag“ als der eigentlich Wertkonser vative in Baden-Württemberg dargestellt.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU – Abg. Veronika Netzhammer CDU: Der einzige!)

In Ordnung. Aber das Problem ist: Sie stehen im Schaufens ter, jedoch im Ladengeschäft haben andere das Sagen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ladenhüter!)

Da sind Özdemir und Palmer unterwegs. Palmer nimmt in der Zwischenzeit an der Schlichtung teil, während Sie gar nicht mehr stattfinden. Özdemir hat von uns gemachte Aussagen und zwischen uns getroffene Abmachungen am nächsten Tag im Fernsehen vor 400 000 Zuschauern, etwa wenn es um das Grundwassermanagement und anderes mehr geht, wieder ein gesammelt. So ist die Situation der Grünen in Baden-Würt temberg. Dort gibt es Sie gar nicht, Herr Kretschmann.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Wie groß muss die Verzweiflung sein!)

Deshalb: Bringen Sie Palmer und Özdemir, wenn Sie Minis terpräsident werden wollen. Ich diskutiere gern mit ihnen, da mit die Menschen in diesem Land endlich einmal wissen, wo ran sie bei dieser Truppe sind. Ich will den Faktencheck, aber nicht nur bei Stuttgart 21, sondern in allen Punkten, etwa wenn es um Wirtschaftspolitik und anderes mehr geht.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Wie groß muss Ihre Verzweiflung sein!)

Ein letzter Punkt: Sie haben sich vorhin wieder einmal zu der Aussage verstiegen, die Neubaustrecke Stuttgart–Wendlin gen–Ulm wäre nicht güterverkehrstauglich.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Genau!)

Das Schlimme ist, dass Sie am letzten Freitag nicht nur nicht vor Ort waren, sondern dass Sie offensichtlich auch nicht die Gelegenheit genutzt haben, sich über das Schlichtungsge spräch zu informieren.

(Zuruf des Abg. Reinhold Pix GRÜNE)

Denn selbst Herr Palmer hat auf Nachfrage zugegeben, dass die schnellen Güterverkehre, die leichten Güterverkehre, de ren Zahl in Zukunft aufgrund der Variabilität des Güterver kehrsverhaltens massiv zunehmen wird, gerade auf die neue Schnellbahnstecke verlagert werden müssen, damit wir auf der alten Strecke für schwere Güterverkehre, aber vor allem für den Regionalverkehr überhaupt die notwendige Kapazität bekommen. Das heißt, Sie haben auch da einfach keine Ah nung von dem, was Sie erzählen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es! – Zuruf des Abg. Reinhold Pix GRÜNE)

Eines lasse ich Ihnen nicht durchgehen, Herr Kretschmann: In den letzten 60 Jahren hat bei allen unterschiedlichen An sichten – egal, ob in einer Koalition mit der SPD oder zu Zei ten, in denen wir nicht in einer Koalition waren oder in denen wir mit der FDP oder anderen koalierten – eines in unserem Land eigentlich parteiübergreifend immer gegolten, nämlich dass man Regionen nicht gegeneinander ausspielt. Als die Schnellbahntrasse Stuttgart–Mannheim gebaut wurde – da mals haben übrigens auch Zehntausende demonstriert, auch mit den gleichen Argumenten: „zu teuer“, „das brauchen wir nicht“, „die Tunnel brechen zusammen, weil die Geologie das nicht hergibt“, „die Brücken verschandeln die Landschaft“, „außerdem brauchen wir Hochgeschwindigkeitsstrecken so wieso nicht“; dazu kann ich Ihnen nur den Tipp geben: fah ren Sie da einmal mit; Sie werden staunen, wen Sie in diesen Zügen alles an Passagieren finden; aber seiʼs drum –, hat man unabhängig vom Projekt akzeptiert, dass Großprojekte nach einander kommen müssen. Kein Mensch ist damals auf die Idee gekommen, zu sagen: Südbaden oder der Bodenseeraum werden benachteiligt, wenn die Schnellbahntrasse Stuttgart– Mannheim gebaut wird.

Sie haben heute hier im Plenum – am Freitag hat dies auch schon mehrfach stattgefunden – zum wiederholten Mal den Versuch unternommen, Stuttgart 21 und die Schnellbahntras se Stuttgart–Wendlingen–Ulm gegen die Rheintalbahn und gegen die Menschen, die im Rheintal leben, auszuspielen. Das

lasse ich Ihnen nicht durchgehen, Herr Kretschmann; verlas sen Sie sich darauf.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie bei Abgeordneten der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl! Sehr gut!)

Übrigens sei nur nebenbei erwähnt: Selbst wenn man noch so viel Geld hätte, könnte man im Moment noch gar nicht bau en, weil die Menschen auch dort vor Ort munter gegeneinan der mobilgemacht werden.

(Heiterkeit der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Wenn Sie sich die Lage im Raum Kenzingen einmal anschau en, werden Sie feststellen: Der Kreistag und die Region sind für eine Trassenführung parallel zur Autobahn. 14 Bürger meister und vermutlich auch die dahinter stehenden Gemein deräte sind aber nicht für diese Trasse, sondern sie sind für die Antragstrasse, die entlang der jetzigen Trasse führt. Wir sind im Moment dabei – auch ich habe aus Stuttgart 21 eine Men ge gelernt –, vor Ort einen Prozess hinzubekommen, der da zu führt, dass man sich vor Ort einig ist.

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Aha!)

Sie versuchen immer wieder, den Menschen zu vermitteln, in Stuttgart werde Geld verbaut, das man an anderer Stelle viel besser einsetzen könnte. Aber zur Wahrheit gehört natürlich schon, dass das gar nicht gehen würde, weil wir dort noch gar kein Baurecht haben. Hören Sie deshalb doch endlich auf, die Menschen in diesem Land, ihre Überzeugung und die Not wendigkeiten vor Ort gegeneinander auszuspielen. Das wird Ihnen nicht gelingen.

(Vereinzelt Beifall)

Wir brauchen die Rheintalbahn ebenso, wie wir die Strecke Mannheim–Frankfurt brauchen. Wir verwirklichen dies je doch nacheinander, weil nun einmal nicht alles gleichzeitig geht. Aber hören Sie endlich damit auf, die Menschen zum Zweck der Wahlkampfpropaganda gegeneinander auszuspie len.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Bravo!)

Übrigens – als kleines abschließendes Bonmot zu dieser schö nen Aktuellen Debatte –: Nachdem Sie bis letzten Freitag be züglich der Äußerung von Herrn Özdemir und Herrn Palmer, wir bräuchten unbedingt einen Volksentscheid, noch sehr zu rückhaltend waren, sind Sie jetzt auch für einen Volksent scheid.

(Zuruf von den Grünen: Schon lange!)