Große Anfrage der Fraktion der FDP/DVP und Antwort der Landesregierung – Dienstleistungen als Motor für In novationen, Beschäftigung und Wohlstand in Baden-Würt temberg – Drucksache 14/5173
Das Präsidium hat für die Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion und für das Schlusswort der antragstel lenden Fraktion eine Redezeit von fünf Minuten festgelegt.
Herr Präsident, mei ne Damen und Herren! Es wird vermutlich nicht ganz einfach, die jetzige Debatte mit einer ähnlichen Emotionalität weiter zuführen,
Aber ich denke, es ist durchaus sinnvoll, inhaltlich an das an zuknüpfen, worüber wir gestern im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes Baden-Württem berg diskutiert haben.
Der Schwerpunkt der gestrigen Debatte lag auf der industri ellen Entwicklung des Landes. Ich denke, es ist durchaus sinn voll und hilfreich, auch den Bereich Dienstleistungen einmal in den Blick zu rücken.
Es ist völlig richtig, dass die wirtschaftliche Entwicklung im Land Baden-Württemberg im Jahr 2010 – vor allem export gestützt – außerordentlich erfreulich ist. Wir wollen aber nicht, wie uns häufig unterstellt wird, nur die Erfolge abfeiern. Viel mehr wollen wir uns auch die Frage stellen: Wo können wir noch besser werden?
Das bezieht sich zum einen auf den Vergleich mit dem Bun desdurchschnitt. Im Bundesdurchschnitt betrug das Wachs tum im ersten Halbjahr etwa 3 %. Mit einem Wachstum von 5 % liegen wir deutlich über dem Bundesdurchschnitt.
Was die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angeht, nähern wir uns jetzt der Marke von 4 %. In Baden-Württemberg ha ben wir im Jahresvergleich die Arbeitslosigkeit um etwa 13 % abbauen können.
Ich habe bereits gestern erwähnt, dass ein Abbau der Jugend arbeitslosigkeit um etwa 25 % erreicht wurde. Auch haben wir in Baden-Württemberg mittlerweile sage und schreibe 75 % weniger Kurzarbeit.
Es gibt weitere unbestreitbar positive wirtschaftliche und in dustrielle Entwicklungen. Der Prognos Zukunftsatlas etwa weist aus, dass von 25 Regionen mit aussichtsreichen Bran chen 10 in Baden-Württemberg liegen. Von den Topmaschi nenbauregionen liegen gar 13 von 20 in Baden-Württemberg. Der Auftragseingang im verarbeitenden Gewerbe steigerte sich im ersten Halbjahr um 29 %. Der Umsatz im Fahrzeug bau hat sich um 35 % erhöht, und der Auftragseingang im Ma schinenbau ist gar um 37 % gestiegen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist auch wichtig, Fol gendes einmal zu erwähnen: Nachweislich des Armutsberichts hat Baden-Württemberg mit einer Quote von 10,9 % das bun desweit niedrigste Armutsrisiko; im Vergleich dazu liegt das Armutsrisiko im Bundesdurchschnitt bei 14,6 %, in Mecklen burg-Vorpommern bei 23,1 %. Das macht auch deutlich, mei ne Damen und Herren, dass in diesem Land Baden-Württem berg nicht nur die Unternehmer und die Besserverdienenden profitieren, sondern der Wohlstand in breiten Schichten der Bevölkerung ankommt.
Wir haben gestern – ich erwähnte das bereits – darüber ge sprochen, dass das produzierende Gewerbe in Baden-Würt temberg einen Anteil von etwa 40 % am Bruttoinlandsprodukt des Landes hat. Etwa 60 % der Bruttowertschöpfung – das er gibt sich im Umkehrschluss – finden im Bereich der Dienst leistungen statt. Deshalb lohnt es sich, meine Damen und Her ren, darüber nachzudenken, wie wir im Dienstleistungsbereich noch besser werden können. Dies geschieht beispielsweise durch die Dienstleistungsinitiative Baden-Württemberg. Es
soll nicht darum gehen, Produktion zu verdrängen, sondern es muss darum gehen, weitere Standbeine zu entwickeln. Stich worte sind „Wissensintensive Dienstleistungen“ oder bei spielsweise auch das Thema „Hybride Wertschöpfung“.
Die Forschungs- und Technologiepolitik des Landes BadenWürttemberg – hier darf ich noch einmal betonen, dass die Behauptung, wir würden das, was im Innovationsrat beschlos sen wird, nicht umsetzen, ins Leere geht – hat einen klaren Fokus auf dem Bereich der Cluster und der Hochschulnetz werke. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen wird der Austausch von Personal zwischen der Forschung und diesen KMUs gefördert, beispielsweise durch die „Industry on Campus“-Initiative.
Es bedarf aber weiterer Strategien und Konzepte. Beispiels weise müssen wir in der Zukunft die eigenständige Forschung im Bereich Dienstleistungen verstärken und verstetigen. Wir brauchen einen Ausbau des neuen Tourismus- und Bäderkon zepts, weil dieser Bereich innerhalb des Dienstleistungssek tors ein absolutes Zukunftsthema für das Land Baden-Würt temberg ist.
Wir brauchen darüber hinaus auch Wissenstransfer aus der Dienstleistungsforschung, wie das bei der Landesstiftung schon vorbildhaft geschieht. Diesen Bereich müssen wir wei ter ausbauen.
Weitere Themen sind der Logistik-Dialog in Baden-Württem berg oder auch die Netzwerkinitiative im Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft, die vom Wirtschaftsministerium im Zusammenhang mit den EFRE-Programmen der EU geför dert wird.
Was wir aber auch brauchen, meine Damen und Herren, sind die notwendigen Fachkräfte für die Entwicklung auch im Dienstleistungsbereich. Deshalb habe ich gestern deutlich zu machen versucht, dass gerade für den Dienstleistungsbereich Mindestlöhne der falsche Weg sind. Denn wir brauchen in die sem Bereich auch die Möglichkeit, geringer Qualifizierte zu beschäftigen. Es muss möglich sein, mit Arbeitsplätzen in die sem Bereich des Dienstleistungssektors Wertschöpfung in Ba den-Württemberg zu erreichen.
Wir müssen darüber hinaus Ältere und auch Frauen stärker an die Erwerbstätigkeit heranführen, und wir brauchen die rich tige Zuwanderung, meine Damen und Herren.
Ich stimme mit dem Ministerpräsidenten völlig überein, der gestern gesagt hat, wir wollen keine Zuwanderung in die so zialen Sicherungssysteme.
Aber wir brauchen Zuwanderung Hochqualifizierter. Wir müs sen besser als bisher die Möglichkeit schaffen, diejenigen aus ländischen Mitbürger am Standort – auch in Baden-Württem berg – zu halten, die bei uns einen Universitätsabschluss oder einen anderen hoch qualifizierten Abschluss erwerben. Des halb muss auch die Jahreseinkommensgrenze, die als Voraus setzung für ein Daueraufenthaltsrecht gilt, weiter abgesenkt
Ich glaube, es wäre auch der richtige Weg, ein mit dem aust ralischen oder dem kanadischen System vergleichbares Punk tesystem einzuführen, indem wir ganz klare Kriterien erarbei ten, welche qualifizierte Zuwanderung wir wollen, und diese Zuwanderung an den Bedürfnissen unseres Arbeitsmarkts, auch im Dienstleistungsbereich, auszurichten.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Die wirtschaftliche Talfahrt während der Finanzkrise hat einmal mehr die kritische Frage nach der Ausrichtung unserer Wirtschaft aufgeworfen. Der Vorwurf war: Der außergewöhnlich hohe Industrieanteil sowie die star ke Orientierung auf den Weltmarkt hätten der heimischen Wirtschaft während der globalen Konjunkturturbulenzen be sonders geschadet.
In der Tat unterscheidet sich unsere Wirtschaftsstruktur von der in anderen großen Volkswirtschaften. Bei uns steuert das verarbeitende Gewerbe etwa ein Viertel zum Bruttoinlands produkt bei. Das ist deutlich mehr als in anderen europäischen Regionen und Ländern. Auch bei der Exportquote von fast 50 % spielt die baden-württembergische Wirtschaft in einer anderen Liga als ihre Konkurrenten und lässt selbst Länder wie Belgien, Dänemark, Österreich, Portugal oder Schweden hinter sich.
Richtig ist, dass unsere erfolgsverwöhnte Wirtschaft zuletzt arg gebeutelt wurde. Als die Konjunktur im April 2009 die Talsohle erreichte, lagen Industrieproduktion und nominale Warenausfuhren ein Viertel unter dem Höchststand vom Au gust 2008.
Jetzt sind wir wieder da – schneller als erwartet! Die Auftrags bücher der Industrie sind voll. Die Umsätze steigen um zwei stellige Raten. Die Wirtschaft brummt. Im ersten Halbjahr 2010 legte das Bruttoinlandsprodukt preisbereinigt im Ver gleich zu Vorjahreszeitraum um 5 % zu –
Der Erfolg basiert nicht nur auf einer hohen Auslandsnachfra ge, sondern auch auf einem wachsenden Binnenmarkt. Die Arbeitslosenzahlen sinken im Monatsrhythmus, und wir ha ben die niedrigste Jugendarbeitslosenquote in Europa.
Der Erfolg hat viele Gründe. Einer der entscheidenden Grün de ist, dass wir die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeits offensive der Lissabon-Strategie besser umgesetzt haben als andere europäische Länder.
Bei den wichtigen Indikatoren wie Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, Arbeitsproduktivität oder Erwerbstätigenquote kann Europa mit anderen Wirtschaftsräumen nicht mithalten, Baden-Württemberg aber schon.
Wir im Land haben erkannt, dass Wettbewerbsfähigkeit nicht allein per EU-Dekret verordnet werden kann, sondern dass bei der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auf der Ebene der Un ternehmen anzusetzen ist. Denn sie allein müssen sich auf dem Weltmarkt durchsetzen.
Unser Mittelstand profitiert von unserer Clusterpolitik, die ho rizontal die Wertschöpfungskette schließt und vertikal die Ver netzung zu Forschungseinrichtungen schafft. Er profitiert vom Innovationstransfer durch die Steinbeis-Stiftung, durch Coa chingförderprogramme, Innovationsassistenten und Verbund forschung. Mit dieser Hilfe können sich auch kleine und mitt lere Unternehmen über Forschungs- und Entwicklungsaufträ ge das wissenschaftliche Know-how bei ihren Innovationsak tivitäten erschließen.
Mit 1 Million € fördert die Landesstiftung vier Projekte, um den Transfer der neuesten Erkenntnisse der Dienstleistungs forschung in kleine und mittlere Unternehmen zu verbessern.
Wir haben in der Krise einen Strukturwandel auf den Weg ge bracht. Mit den Veränderungen der Wertschöpfungsstrukturen und mit der Senkung der Zugangsschwellen zu Forschungs ressourcen wachsen unternehmensbezogene und wissensbe zogene Dienstleistungen. Sie wachsen, weil zum einen Fix kosten reduziert und die Produktqualität gesteigert werden, weil ein besserer Transfer von Know-how und Technologie die Innovationsfähigkeit erhöht. Sie wachsen aber auch, weil Kunden von Herstellern industrieller Produkte vermehrt vor gelagerte, nachgelagerte und begleitende Dienstleistungen nachfragen.
Service, Finanzierung, Betreuung, Informations- und Kom munikationsdienstleistungen sowie individuelle Problemlö sungen werden zum entscheidenden Qualitätsfaktor auf satu rierten Märkten. Das physische Produkt und die immateriel le Dienstleistung, die Produkt- und die Prozessinnovation ver schmelzen untrennbar miteinander. Diese Branche wächst schneller als jede andere, und sie ist der Erfolgsgarant für die globale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen.