Hans-Ulrich Rülke

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Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Das erste Wort der FDP/DVPFraktion richtet sich in diesen Tagen an die Opfer dieser fürch terlichen Katastrophe in Japan. Diese sind die Opfer einer Erd beben- und Tsunamikatastrophe wirklich biblischen Ausma ßes. Eine solche Katastrophe hätte sich so kaum jemand vor stellen können. Dies droht über manche Diskussionen, die in diesen Tagen in Deutschland geführt werden, in Vergessen heit zu geraten.
Ich denke, den individuellen Schicksalen dieser Menschen und natürlich auch den Ängsten, die in den nächsten Tagen und Wochen noch auf diese Menschen zukommen, sollten un sere allerersten Gedanken gelten.
Herr Kollege Kretschmann und Herr Kollege Schmid, der sich wahrscheinlich schon wieder im Wahlkampf befindet,
Ihr Vorwurf an diese Regierungskoalition ist sehr bemerkens wert. Sie werfen uns und insbesondere dem Ministerpräsiden ten im Grunde vor, deshalb nicht glaubwürdig zu sein, weil nach dieser Katastrophe in Japan Aspekte anders bewertet würden als zuvor.
Meine Damen und Herren, dieser Vorwurf fällt auf Sie selbst zurück. Das kann man durchaus beweisen: Auch Sie haben ei ne Neubewertung vorgenommen. Denn als Sie beispielswei se in den Jahren 2001/2002 diesen von Ihnen immer wieder gelobten und eingeforderten rot-grünen Atombeschluss ge fasst haben, bestand der Siedewasserreaktor in Philippsburg schon.
Sie, Herr Kollege Kretschmann, haben gerade gesagt, man müsse den Begriff „Restrisiko“ aus dem Wortschatz streichen. Aber offensichtlich haben Sie genau mit einem solchen Rest risiko hantiert. Sie haben nämlich im Jahr 2002 nicht be schlossen, den Siedewasserreaktor in Philippsburg umgehend stillzulegen. Vielmehr haben Sie ihm eine Restlaufzeit von mehr als zehn Jahren zugebilligt.
Sie selbst sind Brückenbauer,
gemeinsam mit der SPD.
Sie haben eine atomare Brücke ins Zeitalter der regenerativen Energien gebaut, genau wie wir. Das Einzige, was uns unter scheidet, ist die Länge dieser Brücke.
Aber tun Sie doch nicht immer so, als ob es diese Brücke in Ihrer Politik nicht gäbe. Genau diese Politik haben Sie ge macht, meine Damen und Herren.
Wir haben den sich jetzt schon wieder im Wahlkampf befind lichen Kollegen Schmid und Sie, Herr Kollege Kretschmann, gehört. Da hatte man den Eindruck, Sie argumentierten, als ob diese Technologie von vornherein moralisch so verwerf lich sei, dass man sofort aussteigen müsse; Sie haben bei spielsweise den Kardinal Höffner zitiert. Wenn man sich die Rede des Kollegen Schmid, der sich schon wieder im Wahl kampf befindet,
über einen langen Zeitraum angehört hat, kommt man zu dem Ergebnis: Da redet jemand, der der Meinung ist, sämtliche 17 Atomkraftwerke in Deutschland müssten sofort vom Netz. Im Grunde genommen haben Sie, Herr Kollege Kretschmann, ge nauso argumentiert.
Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Ich habe Respekt vor die ser Position. Wenn jemand äußert, diese Technologie habe Restrisiken, so hat er recht. Wenn jemand äußert, diese Tech nologie habe Nachteile, so hat er recht.
Deswegen wollen wir auch aus dieser Technologie aussteigen. Es stellt sich nur die Frage, über welchen Zeitraum das wirt schaftlich und technologisch machbar ist. Genau das ist die Frage.
Auch Sie, meine Herren von den Grünen und der SPD, haben diese Frage nicht beantwortet mit: „Wir steigen sofort aus.“ Denn wenn es nach Ihnen ginge, nach Ihrem rot-grünen Be schluss aus dem Jahr 2002, würden in den nächsten Monaten in Deutschland 15 Kernkraftwerke laufen. Nach dem, was jetzt in Berlin beschlossen wurde, werden nur zehn laufen.
Dies ist eine Konsequenz aus den Ereignissen in Japan.
Sie selbst haben eine ähnliche Konsequenz gezogen, denn an ders als früher fordern Sie jetzt eine schnellere Stilllegung von Philippsburg 1. Sie können doch gar nicht bestreiten, dass auch Sie Ihre Position revidiert haben.
Das ist verantwortungsvolle Politik.
Meine Damen und Herren, für die FDP war die Kernenergie immer eine Brückentechnologie. Wir haben noch nie gefor dert, die Kernkraftwerke endlos laufen zu lassen.
Wir haben auch nicht gefordert, neue Kernkraftwerke zu bau en. Vielmehr haben wir uns die Frage gestellt: Welche Kern kraftwerke sind vom obersten Prinzip Sicherheit her wie lan ge zu verantworten?
Das ist das oberste Prinzip. Wenn es neue Ereignisse gibt wie beispielsweise eine solche Katastrophe in Japan – egal, ob so etwas alle 1 000 Jahre oder alle 10 000 Jahre eintreten mag –, ist es verantwortungsvolle Politik, eine Neubewertung vorzu nehmen. Nichts anderes tun die Bundesregierung und auch die Landesregierung. Das, meine Damen und Herren, ist ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Es ist schäbig, diese Re gierungen dafür zu schelten.
Wir wollen verantwortbar aussteigen – unter dem obersten Prinzip Sicherheit, aber natürlich auch im Hinblick auf die Frage: Wie gelingt dies wirtschaftlich, und wie können wir die Energieversorgung und damit den Wohlstand für ein Land wie Baden-Württemberg sichern? Auch diese Frage ist zu be antworten. Diese Frage hatten auch Sie im Hinterkopf, als Sie den rot-grünen Beschluss zum Ausstieg gefasst haben. Ich darf Sie daran erinnern: 1998 gewannen Sie die Wahl; hinterher
haben Sie einen Ausstieg spätestens zum Jahr 2022 beschlos sen. Meine Damen und Herren, das sind Restlaufzeiten von 25 Jahren.
Auch Sie haben Brücken gebaut, meine Damen und Herren.
Ich stelle bei all diesen aufgeregten Debatten also fest,
dass es in diesem Haus einen Grundkonsens gibt, nämlich den Grundkonsens, dass alle eine Brücke bauen wollen und dass es unterschiedliche Auffassungen nur hinsichtlich der Frage gibt,
wie lang diese Brücke sein soll.
Meine Damen und Herren, wenn wir feststellen, dass es auf grund einer Katastrophe in Japan neue Erkenntnisse gibt oder geben könnte, dann müssen wir auch zu einer Neubewertung kommen. Nichts anderes tun wir, meine Damen und Herren.
Auch Sie, Herr Kollege Winkler, tun das jedes Mal. Sie kom men heute zu einer anderen Bewertung als vor zehn Jahren.
Ja, selbstverständlich! Warum wollten Sie dann Philipps burg 1 im Jahr 2002 noch zehn Jahre laufen lassen?
Nein, Sie wollten nicht aussteigen. Sie haben das beschlos sen. Sie haben im Jahr 2002 beschlossen, Philippsburg 1 noch zehn weitere Jahre laufen zu lassen. Das kann kein Mensch bestreiten, meine Damen und Herren.
Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass eine längere Lauf zeit eines Kernkraftwerks – egal, welches – aus Sicherheits gründen nicht zu verantworten ist, muss dieses Kernkraftwerk aber auch sofort abgeschaltet werden, und dann ist das keine Frage einer Laufzeitverkürzung.
Deshalb ist diese Diskussion um Laufzeitverlängerung oder Laufzeitverkürzung auch nicht die Antwort auf die Katastro phe in Japan, sondern es muss eine Analyse der Ereignisse und gegebenenfalls eine Neubewertung unserer Kernkraftwer ke erfolgen.
Deshalb ist es der richtige Schritt, ein Moratorium zu verhän gen und die Zeit dieses Moratoriums zu nutzen, um zu einer erneuten Sicherheitsüberprüfung zu gelangen – auch im Lich te der Erkenntnisse dessen, was in Japan tragischerweise pas siert ist.
Ich habe es mehrfach erwähnt: Die havarierten Reaktoren in Fukushima sind Siedewasserreaktoren, und einen solchen hat auch Philippsburg 1. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass in Philippsburg ein Erdbeben und ein Tsunami gleichzeitig auf treten.
Aber dennoch hat offensichtlich ein Siedewasserreaktor ver sagt. Deshalb müssen wir zu einer Neubewertung des Siede wasserreaktors in Philippsburg kommen. Das ist doch völlig klar und selbstverständlich.
Das ist offensichtlich auch Ihre Politik; sonst hätten Sie nicht vor zehn Jahren verlängert und würden erst heute den sofor tigen Ausstieg aus Philippsburg 1 fordern.
Ich sage es in aller Deutlichkeit: Wenn Ergebnisse vorliegen, dann kann man nichts ausschließen. Kernkraftwerke, die hun dertprozentig sicher sind, bleiben am Netz – für eine Über gangszeit, meine Damen und Herren. Denn auch für uns – das mache ich an dieser Stelle nochmals deutlich – ist die Kern energie eine Übergangstechnologie. Wir wollen abschalten, wenn wir bezahlbar in das Zeitalter der erneuerbaren Energi en hinübergekommen sind. Aber ich sage in gleicher Deut lichkeit: Wir sind auch bereit, wesentlich höhere Kosten in Kauf zu nehmen, wenn es die Sicherheit erfordert und wenn wir mehr Kernkraftwerke abschalten müssen, als ursprüng lich geplant war – auch dann, meine Damen und Herren von Rot-Grün, wenn wir mehr und schneller abschalten müssten, als Sie das im Jahr 2002 vereinbart hatten. Auch dazu sind wir bereit.
Wenn es Zweifel an der Sicherheit gibt, hilft keine Laufzeit verkürzung. Dann kann man nicht sagen: „Wir halten einen Reaktor für unsicher; deshalb läuft er nur noch zehn Jahre“, sondern dann muss man diesen Reaktor sofort abschalten. Wenn man hingegen einen Reaktor für sicher hält, kann die ser auch noch etwas länger laufen, wenn dies energiewirt schaftlich notwendig ist.
Wir sind bereit, Neckarwestheim I dauerhaft stillzulegen. Wir halten dies für machbar und für verkraftbar. Die Energiewirt schaft musste sich darauf einstellen, Neckarwestheim I im Jahr 2010 dauerhaft stillzulegen. Das war Gesetzeslage. Es hätte auch sein können, dass es keine neue gesetzliche Bewer
tung gegeben hätte. Aber ich sage in aller Deutlichkeit: Es wird für uns zu einer energiewirtschaftlichen Herausforde rung, wenn wir aus Sicherheitsgründen zu weiteren Abschal tungen gezwungen würden.
Vielleicht darf man es im Übrigen an dieser Stelle auch ein mal erwähnen: Die Kerntechnologie ist nicht etwa ein Prob lem, das isoliert für Deutschland betrachtet und in Deutsch land gelöst werden könnte.
Es ist vielmehr ein europäisches und auch ein weltweites Pro blem,
das entsprechender Diskussionen bedarf. Denn was nützt es uns, wenn wir in Deutschland alle 17 Reaktoren stilllegen, gleichzeitig um uns herum die Kernenergie aber eine Renais sance erlebt?
Wir brauchen daher eine gesamteuropäische Diskussion.
Deshalb streut sich selbst und anderen Sand in die Augen, wer so tut, als könnte in dieser Energiedebatte am deutschen We sen die Welt genesen.
Wenn wir über Neckarwestheim I hinaus zu weiteren Abschal tungen gezwungen sein sollten, beispielsweise bei Philipps burg 1 oder bei weiteren deutschen Kernkraftwerken, sind wir dazu bereit. Sicherheit ist das oberste Prinzip. Aber jeder muss wissen, dass ein noch kostenträchtigerer und noch schnelle rer Ausbau der erneuerbaren Energien die Folge sein muss. Das wird jedoch nicht billig, meine Damen und Herren. Das wird wesentliche Auswirkungen auf den Strompreis haben, und das wird auch wesentliche Auswirkungen auf die Not wendigkeit staatlichen Engagements haben. Auch unsere Haushalte wird dies belasten; da darf man sich nichts vorma chen.
Zu einem bekenne ich mich ebenfalls in aller Deutlichkeit: Die Bürger in diesem Land und die Wirtschaft als Fundament unseres Wohlstands brauchen auch in Zukunft unbedingt ei ne sichere und bezahlbare Energieversorgung.
Wenn Sie, Herr Kollege Kretschmann, in diesem Zusammen hang vom starken Ja und vom starken Nein reden, dann möch te ich anmerken: Beim starken Nein sind Sie besser als wir al le, aber was das starke Ja anbelangt, gibt es doch den einen oder anderen Zweifel. Sie haben behauptet, es gebe ein star kes Ja für die erneuerbaren Energien. Aber dann muss man
sich die Frage stellen: Wie konsequent ist diese starke Ja? Das darf dann nicht bei der Frage des Netzausbaus enden:
Sie dürfen dann nicht den Ausbau von Stromnetzen, beispiels weise in Thüringen, bekämpfen.
Die Grünen vor Ort bekämpfen dies.
Dann ist es wahrscheinlich auch Quatsch, Herr Kollege Kretschmann, dass Grüne gegen den Bau eines Pumpspeicher kraftwerks im Schwarzwald sind.
Daran zeigt sich bei Ihnen der Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Ihre Rede ist immer „Ja, ja“, aber Ihr Tun ist „Nein, nein“. Das ist die Realität in diesem Land.
Ich fordere Sie auf: Wenn Sie hier an dieser Stelle ein starkes Ja für den Ausbau der erneuerbaren Energien formulieren, dann beenden Sie auch den Kampf Ihrer grünen Parteigänger vor Ort gegen Stromnetze und gegen Pumpspeicherkraftwer ke.
Sonst wird es nämlich nichts mit den erneuerbaren Energien in diesem Land, Herr Kollege Kretschmann.
Meine Damen und Herren, wir bekennen uns zur Sicherheit als oberstem Prinzip. Deshalb sind wir bereit, noch wesent lich stärker als bisher in erneuerbare Energien, in Energiespei chertechnologien und in den Netzausbau zu investieren. Denn wir brauchen bezahlbaren und vor allem auch gesicherten Strom für die Zukunft unseres Landes und für Wohlstand auch in der Zukunft. Deshalb bringen uns Schwarz-Weiß-Diskus sionen nicht weiter.
Wir müssen darüber diskutieren, wie einerseits die Sicherheit der Bevölkerung gewährleistet werden kann und andererseits Wohlstand in diesem Land möglich ist. Deshalb ist es eine richtige und ausgewogene Entscheidung, eine Entscheidung mit Augenmaß, die in Berlin und in Stuttgart dieser Tage ge troffen wurde.
Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Die FDP/DVP-Fraktion be kennt sich ohne Wenn und Aber zum Anspruch des Grundge setzes auf vergleichbare Lebensverhältnisse. Wir bekennen uns auch dazu, dass Baden-Württemberg als starkes Land, als Land, das wirtschaftlich erfolgreich ist, eine gewisse solida rische Verantwortung für Länder hat, die vielleicht nicht ganz so erfolgreich sind, u. a. auch deshalb, weil es dort andere Re gierungskonstellationen gibt.
Wir lassen uns aber nicht ausplündern. Wenn Sie, Herr Kol lege Drexler, sich darüber aufregen, wenn man Stehlampen und dergleichen erwähnt – –
Das hat damit sehr wohl etwas zu tun.
Denn dort gibt es die Mentalität: „Wir können das Geld ver prassen, weil es Länder gibt, die uns das Geld überweisen.“ Genau das ist die Haushaltspolitik von Rot-Grün in Nord rhein-Westfalen. Wenn Sie es nicht glauben, dann schauen Sie sich einmal die Haushaltsentwicklung dort an. Wenn Sie es dann noch immer nicht glauben, fragen Sie beim Verfassungs gerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen an.
Wenn die grüne Vizeministerpräsidentin dort einen Bürostuhl braucht, der teurer als 1 500 € ist, dann regt sich der Steuer zahlerbund zu Recht auf, weil die Mentalität dort entspre chend ist. Ich empfehle Ihnen: Gehen Sie in Ihren Wahlkreis und erklären Sie den Leuten einmal: „Das alles spielt eigent lich gar keine Rolle. Es ist kleinkariert, sich darüber aufzure gen, wenn man das Geld verprasst.“
Mittlerweile sehen das auch einige in den Nehmerländern ein, z. B. die FDP in Sachsen oder jüngst bei einem Parteitag der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Das sind Politiker aus Nehmerländern, aber sie se hen ein, dass es so mittlerweile nicht mehr funktioniert. Es gibt sogar grüne Fraktionsvorsitzende – natürlich nicht in Ba den-Württemberg, aber in anderen Bundesländern –, die deut lich gemacht haben, dass es so nicht bleiben könne. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Angelegenheit verändern können.
Kollege Groh hat es deutlich gemacht: Das Land Baden-Würt temberg hat in den vergangenen Jahrzehnten deutlich mehr in den Länderfinanzausgleich einbezahlt, als es an Schulden auf genommen hat. Das müssen Sie den Bürgerinnen und Bürgern im Land erklären. Wie kann es sein, dass das Land in den Län derfinanzausgleich Beträge einbezahlt hat, die in der Summe höher sind als seine Verschuldung? Diese Mentalität ist vor handen. Deshalb erklärt Herr Wowereit, er verlange keine Ge bühren für die Kindergärten, und Herr Beck schafft die Stu diengebühren ab. Grund dafür ist, dass es keine Anreize gibt, besser zu werden. Das ist der Punkt. Das ist der Angriffspunkt, den wir sehen. Deshalb wollen wir vor dem Bundesverfas sungsgericht klagen.
Ich bin dankbar dafür, Herr Kollege Schmid, dass auch Sie die „Einwohnerveredelung“ genannt haben. Denn erklären Sie einmal jemandem in Baden-Württemberg, warum ein Bürger hier auf dem flachen Land nur einen Faktor 1,0, jemand in Bremen aber den Faktor 1,35 wert ist. Das kann so nicht blei ben, meine Damen und Herren. Auch das ist mit dem Gleich heitsgebot des Grundgesetzes nicht vereinbar.
Deshalb haben die drei FDP-Fraktionen der Landtage von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen ein Gutachten in Auftrag gegeben. Ich bin der Landesregierung dankbar, dass sie ein weiteres Gutachten bei einem anderen renommierten Verfassungsrechtler in Auftrag gegeben hat. Beide Gutachten kommen zu einem vergleichbaren Ergebnis, nämlich dass es im Länderfinanzausgleich wesentliche Ansatzpunkte gibt, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind. Das ist auf der ei nen Seite die „Einwohnerveredelung“ und auf der anderen Seite die Tatsache, dass keine Anreize vorhanden sind.
Wenn Sie, Herr Kollege Kretschmann, erklären, beim Länder finanzausgleich gehe es gar nicht um Ausgaben, sondern nur um Einnahmen, dann erklären Sie das einmal den Bürgern in Baden-Württemberg. Für sie geht es sehr wohl um Ausgaben, nämlich um das, was wir zu überweisen haben. Das sind Aus gaben, meine Damen und Herren, und die sind zu hoch.
Wenn Sie schließlich erklären, wir würden das Ganze nur ma chen, um die Menschen in den Festzelten auf die Bäume zu jagen, dann stellt sich zunächst einmal die Frage, wie viele Bäume Sie in baden-württembergischen Festzelten sehen.
Herr Kollege Kretschmann, wenn ich durch Stuttgart gehe, stelle ich mir wirklich die Frage, wer in diesem Land die Leu te auf die Bäume treibt.
Wir sind für Ihr Konzept offen. Das sage ich ganz deutlich. Wir sind offen, darüber zu diskutieren, wie man den Länder finanzausgleich so reformieren kann, dass das Ganze für die Einzelnen gerechter wird, dass es Anreize gibt und dass es letztlich dazu führt, dass wir in Baden-Württemberg nicht – da haben Sie recht, was die Einnahmen betrifft – für unsere Steuerkraft bestraft werden. Denn darum geht es.
Aber dazu muss man zunächst einmal das bestehende System angreifen. Wir sind bereit, zu verhandeln. Aber die Reaktio nen, die wir erfahren, sind relativ eindeutig. Das grenzt ja für jemanden wie Herrn Wowereit – arm, aber sexy; das Erste kann jeder bestätigen, über das Zweite kann man streiten –
an Majestätsbeleidigung. Er erklärte, er sei empört, dass in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen überhaupt darüber geredet wird. Wir müssen aber darüber reden, denn wir müs sen Veränderungen herbeiführen.
Wenn Sie, Herr Kollege Schmid, in Ihrer Argumentation nun dem Ministerpräsidenten vorwerfen, er sei ein „Maulheld“, es gehe um Vertagung, dann finde ich das schon sehr bemerkens wert. Als wir im Landtag von Baden-Württemberg zum ers ten Mal darüber diskutiert haben, haben Sie die Vermutung geäußert, es gehe nur darum, vor der Landtagswahl zu klagen,
um den Effekt im Wahlkampf zu haben. Wenn man nun sagt: „Wir geben noch einmal die Möglichkeit, zu verhandeln, und klagen dann später“, ist das auch wieder nicht recht.
Das ist die Logik Ihrer Argumentation.
Ich verdrehe überhaupt nichts. Sie haben damals den Vor wurf gemacht, dieses Thema käme jetzt aufgrund der Land tagswahl. Das war Ihr Vorwurf in diesem Haus.
Jetzt plötzlich passt Ihnen die Verschiebung nicht mehr. Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Wenn Sie klagen wollen, brauchen Sie natürlich auch eine Klageschrift; denn Sie müs sen das begründen. Sie können nicht einfach nur sagen: „Wir gehen vor das Verfassungsgericht.
Jetzt stehen wir hier. Wir klagen.“
Nein, das muss ordentlich begründet werden. Deshalb be grüßen wir die Entscheidung der drei Landesregierungen, die beiden renommierten Verfassungsrechtler damit zu beauftra gen, diese Klageschrift einzureichen.
Wir können die Zeit parallel dazu nutzen, einen Verhandlungs versuch zu machen. Wenn wir aber die Reaktionen beispiels weise aus Berlin und Rheinland-Pfalz hören, dann müssen wir feststellen: Die Hoffnung ist gering, im Guten, auf dem Ver handlungsweg, etwas zu erreichen. Aber wenn deutlich wird, dass wir nichts erreichen, dann muss geklagt werden, wenn diese Klageschrift vorliegt, und zwar sofort.
Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kretschmann, Sie haben der Landesregierung vorgeworfen, ihr Niveau sei im Laufe der Zeit gesunken. Einen solchen Vorwurf kann man Ihnen nicht machen; denn Sie argumentieren immer auf dem gleichen Niveau.
Sie sind sich treu geblieben, Herr Kollege Kretschmann. Denn die grüne Widersprüchlichkeit binden Sie in jede Rede ein.
Selbst in diesem kurzen Redebeitrag waren Sie dazu wieder in der Lage. Sie haben einerseits jetzt gerade hier an diesem Pult gesagt, dieser Länderfinanzausgleich sei schlecht, er müs se weg. Gleichzeitig haben Sie festgestellt, man könne gegen diesen Länderfinanzausgleich vor dem Bundesverfassungsge richt nur klagen. Sie können also nicht mit irgendwelchen Al ternativvorschlägen vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Als Schlussfolgerung kommen Sie zu dem Ergebnis, man sol le halt nicht klagen. Das ist die typische grüne Widersprüch lichkeit
einer „Dagegen-Partei“, die keine Konzepte hat, sondern es in einer zweiminütigen Rede auch noch schafft, die Position in einem Zickzackkurs dreimal zu wechseln.
Man muss die Dinge zunächst einmal auseinanderbekommen, um eine Strategie zu haben. Im Übrigen stimmt auch der Vor wurf nicht, wir hätten keine Alternativvorschläge. Wir sagen klipp und klar: Die „Einwohnerveredelung“ ist ungerecht; sie
muss weg. Wir sagen klipp und klar: Es müssen Leistungsan reize gesetzt werden.
Diese Alternativvorschläge haben wir. Aber diese können Sie doch nicht in eine Klageschrift hineinschreiben, sondern Sie müssen in diese Klageschrift hineinschreiben, was Sie kriti sieren. Dann brauchen Sie ein Urteil des Bundesverfassungs gerichts, das diesen – wie Sie selbst sagen – unsäglichen Län derfinanzausgleich kippt. Anschließend können Sie über Al ternativen verhandeln. Aber Sie können nicht über Alternati ven mit Leuten verhandeln, die nicht verhandlungsbereit sind.
Sie auch nicht, Herr Kollege Kretschmann.
Sie können per se schon gar nicht verhandeln, weil Sie gar keine Position haben bzw. weil Sie Ihre Position innerhalb von zwei Minuten dreimal ändern.
Was den Länderfinanzausgleich betrifft, Herr Kollege Schmid, haben Sie natürlich schon recht: Es ist nicht sinnvoll, an die ser Stelle und bei der Klage vor dem Bundesverfassungsge richt sämtliche Ausgleichs- und Verschiebungssysteme mit einzurechnen. Man kann hier an dieser Stelle darüber reden; das ist zur Bestandsaufnahme notwendig. Aber bei der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht – das ist auch der Auftrag an diejenigen, die die Klageschriften erstellen – geht es ein zig und allein um den reinen Länderfinanzausgleich. Mit dem müssen wir uns zunächst einmal befassen.
Ich glaube, diejenigen, die in diesem Haus für das Land Ba den-Württemberg Verantwortung tragen, sollten sich zumin dest darin einig sein, dass dieser Länderfinanzausgleich den Interessen des Landes und seiner Menschen nicht dient und dass es deshalb sogar die Pflicht der Landesregierung ist, da gegen vorzugehen.
Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! In dem Titel unserer Aktuellen Debatte ist vom „Erfolgsmodell Baden-Württemberg“ die Re de. Ich glaube, insbesondere die jüngsten Wirtschafts- und Ar beitsmarktdaten machen deutlich, dass wenige Wochen vor der anstehenden Landtagswahl in der Tat vor allem von einem Erfolgsmodell im wirtschaftlichen Bereich gesprochen wer den kann.
Saisonbedingt haben wir nach einigen harten Winterwochen bundesweit einen spürbaren Anstieg der Arbeitslosenquote festzustellen. Auch in Baden-Württemberg gibt es einen sol chen Anstieg. Aber es ist deutlich geworden, wie stark die wirtschaftlichen Strukturen in Baden-Württemberg sind und wie gut die Wirtschaft in Baden-Württemberg aus der Krise herausgekommen ist. Denn erstmals seit zwei Jahren nimmt Baden-Württemberg wieder die Spitzenposition ein, was den Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland betrifft. Das ist ein unbestreitbarer Erfolg der Menschen im Land, aber auch der Politik.
Das Bruttoinlandsprodukt ist im Jahr 2010 um 4,8 % gewach sen. Das hätte uns vor Jahresfrist niemand zugetraut. Wir ha ben ausweislich des Statistischen Landesamts zu erwarten, dass das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2011 im Ver gleich zum Vorjahr um 5,5 % wächst. Der Auftragseingang im verarbeitenden Gewerbe ist von Januar bis November 2010 gar um 25,6 % gewachsen. Für die Aufträge im Kraftfahrzeug gewerbe bzw. für Kraftwagenteile ist von Januar bis Novem ber ebenfalls ein Zuwachs um 25 % zu verzeichnen. Im Ma schinenbau hatten wir gar eine Steigerung um 34 % und bei Werkzeugmaschinen um sage und schreibe 67,8 %. Der Ifo
Geschäftsklimaindex ist auf dem höchsten Niveau seit dem Jahr 1990. Im Jahr 2010 hatten wir 3 885 000 sozialversiche rungspflichtig Beschäftigte. Das waren 20 000 mehr als im Jahr 2009.
Damit wird auch deutlich, dass eben nicht, wie manche be haupten, über Buchungstricks die Statistik der Bundesagen tur für Arbeit gefälscht würde. Vielmehr gibt es einen realen, nachweisbaren Zuwachs an Arbeitsplätzen, meine Damen und Herren.
Wir haben in Baden-Württemberg mit einem Anteil von 10,9 % auch das niedrigste Armutsrisiko bundesweit. Zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt liegt es bei 14,6 %. Das zeigt auch, dass jene falsch liegen, die immer behauten, die Politik in unserem Land sei unsozial. Wir hätten solche Wer te nicht, wenn dies den Tatsachen entspräche.
Der Prognos Zukunftsatlas sieht zehn von 25 Topregionen in Baden-Württemberg, und sogar 13 der 20 Topmaschinenbau regionen werden in Baden-Württemberg angesiedelt. Das ist die eindrucksvolle Bilanz nach 15 Jahren christlich-liberaler Koalition in Baden-Württemberg. Darauf werden wir mit Selbstbewusstsein aufbauen, meine Damen und Herren.
Wir wollen aber noch besser werden. Die Menschen wählen nicht für die Verdienste der Vergangenheit, sondern sie wäh len für die Zukunftsaussichten, meine Damen und Herren.
Deshalb wollen wir die Empfehlungen umsetzen, die uns der Innovationsrat vorgelegt hat. Wir wollen umsetzen, was im McKinsey-Gutachten steht. Deshalb werden wir mit dem Drit ten Nachtrag zum Staatshaushaltsplan zunächst einmal 60 Millionen € für diesen Zweck ausweisen und dann in ei ner zweiten Tranche weitere 60 Millionen € bereitstellen.
Um nur einige Stichworte zu nennen: das Modellprojekt Stutt gart als Musterregion für nachhaltige Mobilität; Umwelttech nik und Ressourceneffizienz, auch Breitenanwendung moder ner Umwelttechnologien; „Medizin und Pflege“, ein Modell projekt zur Telemedizin; Ausbau der Informationstechnologi en, insbesondere Fachkräftesicherung, ein Topthema unserer Wirtschaft. Die Reduzierung der Zahl der Studienabbrecher aus Migrantenfamilien ist uns ganz wichtig, ebenfalls die Ver besserung des Technologietransfers. Das ist schon in den zu rückliegenden Jahren ein zentrales Thema der Wirtschaftspo litik des Landes Baden-Württemberg gewesen. Das wollen wir noch weiter verstärken. Die Verbesserung des Technolo gietransfersystems ist ein absolutes Topthema der Zukunft.
Ebenso die Existenzgründerinitiative. Da ist es richtig, meine Damen und Herren: Die Dynamik im Bereich der Existenz gründer ist auf hohem Niveau, aber sie ist nicht dort, wo wir sie haben wollen. Wir sind die Besten, wir sind die Innova
tivsten, aber wir können gerade in diesem Bereich noch bes ser werden. Deshalb werden wir den Seedfonds für Existenz gründer Baden-Württemberg auf den Weg bringen und ihn zu kunftsgerichtet ausstatten.
Wir werden eine Fraunhofer-Projektgruppe für Automatisie rung in der Medizin- und Biotechnologie in Mannheim ansie deln, und wir werden vor allem den erfolgreichen Weg des Wirtschaftsministers mit den Innovationsgutscheinen – sie sind ein Exportschlager des Landes Baden-Württemberg ge worden – weitergehen. Wir werden sie mit den Bereichen Hightech und Creativity ausbauen.
Nach der Wahl, meine Damen und Herren, werden wir in Ba den-Württemberg weiter die Verantwortung tragen,
und wir werden genau in diesem Bereich einen Ausbau vor nehmen,
insbesondere im Bereich der Modellprojekte.
Die Automobilindustrie wird in Baden-Württemberg weiter Ankerpunkt unserer Wirtschaft sein. Wir begehen das 125-JahrJubiläum von Daimler-Benz und haben im vierten Quartal 2010 genau dort das beste Quartal in der Unternehmensge schichte.
Das Thema Antriebskräfte/Antriebskonzepte wird ein zentra les Zukunftsthema im Technologiebereich in der Automobil wirtschaft sein. Wir sehen einen Wettbewerb dieser Antriebs konzepte, und für eine absehbare Zeit werden die Verbren nungsmotoren noch eine wesentliche Rolle spielen. Sie wer den noch lange gebraucht werden. Sie haben auch ein erheb liches Effizienzpotenzial. Daran werden wir weiter arbeiten.
Aber auch die Brennstoffzelle und selbstverständlich die E-Mobilität sind von Interesse. Deshalb wollen wir nach der Wahl ein Landespilotprojekt für das Batterieleasing bei Elek troautos auf den Weg bringen.
Das ist ein Thema, bei dem es erhebliches Steigerungspoten zial gibt. Das ist ein innovatives Thema, das wir nach der Landtagswahl auf den Weg bringen werden, meine Damen und Herren.
Herr Präsident, mei ne Damen und Herren! Diese Debatte ist – insbesondere so, wie sie von der Opposition geführt wird – mit Sicherheit kein Beitrag zur politischen Kultur in diesem Land.
Sie, Herr Kollege Schmid, haben heute wiederholt von Lüge gesprochen.
Aber nach alldem, was wir in den letzten Monaten in der Stadt Stuttgart erlebt haben, als Menschen draußen gestanden ha ben und „Lügenpack!“ gerufen haben, sollten Sie mit dieser Terminologie zurückhaltend sein, Herr Kollege Schmid –
vor allem dann, wenn man selbst Behauptungen aufstellt, die man nicht beweisen kann. Sie haben beispielsweise behaup tet, das Gutachten von Gleiss Lutz sei nachträglich erstellt worden. Der Kollege Hauk hat Ihnen nachgewiesen, dass Gleiss Lutz selbst
in Form einer Pressemitteilung zu Protokoll gegeben hat, dass das so nicht stimmt, sondern dass diese gutachterliche Bera tung vorgelegen hat.
Darauf sind Sie mit keinem Wort eingegangen.
Sie haben wiederholt darauf hingewiesen, dass die Qualität des Gutachtens infrage zu stellen sei, weil es so kurz sei. Herr Kollege Schmid, ist die Länge eines Gutachtens nun etwa das entscheidende Qualitätsmerkmal? Es ist genau wie bei Ihren Reden: Nicht auf die Länge kommt es an, Herr Kollege Schmid.
Immerhin haben Sie eingeräumt, der Ankauf sei richtig. Es ist schön, dass wir das von Ihnen erfahren haben.
Als der Landtag von Baden-Württemberg diese Frage zu be antworten hatte, sind Sie doch aus dem Saal gegangen und ha ben sich vor einer Entscheidung gedrückt.
Denn einerseits wollten Sie nicht durch Ihre Zustimmung zur Regierungsentscheidung deutlich machen, dass Sie dafür sind, und andererseits haben Sie nach einem Ausweg gesucht, ei ner Entscheidung auszuweichen. Das war der Grund dafür.
Insofern, meine Damen und Herren, vermissen wir in den Rei hen der Sozialdemokraten Leute vom Schlage eines Herbert Wehner. Der hätte Ihnen nämlich sagen können: „Wer raus geht, muss auch wieder reinkommen.“
Das haben Sie in diesem Zusammenhang nicht berücksich tigt.
Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit namens der Fraktion der FDP/DVP: Für uns war entscheidend, ob der Ankauf richtig oder falsch ist.
Auf dieser Basis haben wir entschieden.
Jetzt kommen wir, Herr Kollege Drexler, zur Frage des Ver fassungsbruchs.
Jetzt stellt sich die Frage, ob es möglich war, dieses Geschäft ohne das Parlament zu machen.
Da sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit: Es war nicht möglich, dieses Geschäft ohne das Parlament zu machen, und dieses Geschäft wurde auch nicht ohne das Parlament gemacht.
Denn wir haben in diesem Haus dem Geschäft zugestimmt,
sonst wäre es nicht zustande gekommen.
Herr Kollege Drexler, wie hätten Sie denn sonst die 6 Mil liarden € auftreiben wollen? Wäre ein Wolfgang Drexler viel leicht zur Kreissparkasse Esslingen gegangen, um eine priva te Bürgschaft anzufordern, oder wie stellen Sie sich das vor?
Nein, für uns war klar: Diese Debatte verträgt natürlich nicht das Licht der Öffentlichkeit, bevor die Sache schließlich zum Abschluss kommt.
Das ist doch völlig klar. Sie können doch nicht im Landtag von Baden-Württemberg öffentlich hierüber diskutieren. Sonst wäre der Aktienkurs explodiert;
das ist doch völlig klar.
Deshalb gab es eben nur den einen Weg, nämlich zunächst einmal die Vereinbarung zu treffen und sie dann dem Land tag mit der Frage vorzulegen, ob der Landtag zustimmt oder nicht. Wir haben die Entscheidung getroffen:
Wir stimmen zu. Sie haben sich davor gedrückt und sind hin ausgegangen.
An einer Stelle, Herr Kollege Schmid, haben Sie sich verra ten und haben erkennen lassen, worum es Ihnen eigentlich geht.
Sie haben, wie so häufig, den Polizeieinsatz vom vergange nen September erwähnt. Daran ist deutlich geworden, worum es Ihnen geht: In Ermangelung inhaltlicher Themen, in Er mangelung einer politischen Linie – Sie verfolgen ja einen Zickzackkurs: Sie sind einmal für Stuttgart 21, und dann sind Sie wieder für eine Volksabstimmung – gehen Ihnen die In halte aus. Sie haben keine Botschaften.
Deshalb setzen Sie allein auf eine persönliche Diffamierung der Person des Ministerpräsidenten.
So sieht nämlich Ihr Wahlkampf seit dem 30. September letz ten Jahres aus.
Herr Kollege Kretschmann, Sie fordern Stil und politische Kultur in diesem Land.
Zu Stil und zu politischer Kultur zählt, glaube ich, auch eine gewisse Verlässlichkeit, eine gewisse Zuverlässigkeit statt Wi dersprüchlichkeiten von Anfang bis Ende. Denn das, was Sie unter Stil und politischer Kultur verstehen,
haben wir auch schon im Nachgang zu Stuttgart 21 erlebt: Erst schlagen Sie einen Schlichter Geißler vor, und anschließend sind Sie wieder dagegen.
Sie sitzen in den Büschen.
Dann erklären Sie heute, Herr Kollege Kretschmann – ich zi tiere –: „Wir gehen zum Staatsgerichtshof.“ Das habe ich doch richtig zitiert, nicht wahr? Wie kommt es dann, dass die „Stutt garter Nachrichten“ am 26. Januar 2011 den Politiker und Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Winfried Kretschmann, mit dem Satz „Politik ist nicht dazu da, vor Gericht zu gehen“ zitieren? Wie passt denn das zusammen, Herr Kollege Kretsch mann? Oder gilt vielleicht beim Länderfinanzausgleich etwas anderes als bei dieser Angelegenheit? Das müssen Sie einmal begründen.
Ihr Problem ist nicht das Thema „Dagegen-Partei“. Ihr Prob lem ist die Widersprüchlichkeit, dass bei Ihnen nichts gilt und dass Sie alles so drehen, wie es Ihnen passt.
Ich sage Ihnen, Herr Kollege Kretschmann: Sie können gar nicht Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg wer den – selbst wenn Sie die Wahl gewinnen. Denn Sie bringen es fertig, auch bei der Vereidigung noch Nein zu sagen.
Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Wir sind einigermaßen über rascht: Die Grünen sind dagegen.
In der vergangenen Woche, am vergangenen Montag waren wir überrascht, von ihnen nichts zu hören. Die Sache wurde um die Mittagszeit bekannt. 14:00 Uhr, 16:00 Uhr, 18:00 Uhr – den Grünen hatte es noch immer die Sprache verschlagen.
Das war ein Hinweis darauf, dass sie zunächst einmal nichts finden konnten, was sie an dieser ganzen Sache auszusetzen hätten. Zu diesem Zeitpunkt war übrigens die SPD längst da für
und hat erklärt: Wunderbar, guter Tag für Baden-Württem berg. Die Grünen waren da etwas schlauer. Die Grünen haben sich vermutlich darauf verständigt: „Jetzt warten wir einmal; vielleicht finden wir das Haar in der Suppe noch irgendwo.“ Das haben sie dann offensichtlich gefunden und haben es zum Anlass genommen, ausnahmsweise einmal, Herr Kollege Kretschmann, irgendwo dagegen zu sein.
Die SPD hat das Haar dann irgendwann auch gefunden, um ausnahmsweise umzufallen. Das ist auch etwas ganz Neues im Land Baden-Württemberg.
Ein Satz in Ihrer Rede, Herr Kollege Schmid, war richtig, nämlich die Frage zu formulieren: Wem nutzt es? Die Frage hatten Sie und Ihr Kollege Schmiedel am letzten Montag be antwortet: Es nutzt dem Land. Sie haben es begrüßt.
Das ist doch die entscheidende Frage.
Jetzt haben Sie aber festgestellt: Es gibt die Möglichkeit, an der technischen Abwicklung des Ganzen Kritikpunkte zu fin den.
Diese Kritikpunkte haben Sie dann zum Anlass genommen, Ihre Haltung zu verändern. Das macht deutlich: Es geht Ihnen nicht um das Interesse des Landes, sondern es geht Ihnen um reine Oppositionspolitik, um die Regierung im Wahlkampf anzugreifen.
Es ist schon eigenartig, mit welcher Inbrunst sich die SPD zum Gralshüter der Landesverfassung aufschwingt
nach den Verrenkungen, die Sie unternommen haben, um für Stuttgart 21 eine Volksabstimmung herbeizubiegen.
Es ist keineswegs so, dass im Land Baden-Württemberg das Kapitalmarktrecht die Verfassung aushebelt. Wir haben einen Weg gewählt, der pragmatisch und sinnvoll war.
Denn es hätte eben nicht funktioniert, hier im Landtag auf of fener Bühne oder auch nur im Finanzausschuss ein solches Geschäft zu diskutieren
und es dann vielleicht im Nachgang zu tätigen. Das wissen Sie ganz genau.
Diese politische Erfahrung und diese Lebenserfahrung haben Sie.
Deshalb war es der Weg der Regierung, im Vertrauen darauf, dass das Parlament diesen Weg mitgeht, zunächst einmal die sen Vertrag zu schließen und dann anschließend um einen Nachtragshaushalt zu bitten.
Genau das machen wir am heutigen Tag. Genau deshalb wird die Mehrheit des Landtags von Baden-Württemberg auch die sen Nachtragshaushalt beschließen.
Wenn Sie, Herr Kollege Kretschmann, nun der Auffassung sind, dass im Wege des Artikels 81 der Landesverfassung der Landtag ausgespielt worden sei, wenn Sie nun der Meinung sind, meine Damen und Herren von der Opposition, dass die ser Weg nicht verfassungsgemäß sei, wenn Sie der Meinung sind, dass das Kapitalmarktrecht die Verfassung aushebeln würde, dann können Sie, wenn der Landtag von Baden-Würt temberg heute entschieden hat, vor den Staatsgerichtshof zie hen.
Gehen Sie doch vor den Staatsgerichtshof und greifen diese Entscheidungen an! Dann werden wir sehen, ob die Verfas sung gebrochen wurde oder nicht.
Die Regierung und die Parlamentsmehrheit haben einen Weg gefunden, der pragmatisch und sinnvoll war und der verfas sungsgemäß die Interessen des Landes unterstützt hat.
Vor diesem Hintergrund werden wir heute so handeln. Sie ha ben alle Möglichkeiten, um dagegen vorzugehen. Tun Sie es bitte.
Nun zu der Frage, wem es nutzt. Das ist die eigentliche Fra ge. Es ist schon interessant, dass sich beide Redner der Oppo sition nur mit der Technik, nur mit der Frage der Verfassung,
nur mit der Frage, welche Haare man in der Suppe finden kann, auseinandergesetzt haben und nicht mit der inhaltlichen Frage, ob dies, wie es der Kollege Schmid formuliert hat, dem Land nutzt oder nicht.
Der Ministerpräsident hat völlig recht, wenn er sagt, dass die se Entwicklung nun offensichtlich auch eine Folge der Ener giepolitik der Bundes- und der Landesregierung ist. Es ist ein deutig klargestellt worden: Wir wollen in Zukunft mehr für die erneuerbaren Energien tun. Deshalb soll eben auch bei den vier großen Konzernen in erheblichem Umfang abgeschöpft werden, um die erneuerbaren Energien zu unterstützen. Des halb gibt es auch die Brennelementesteuer,
die sich in der Tat für die Unternehmen negativ auswirkt. Denn sie möchten sie nicht gern bezahlen. Deshalb werden etwa 58 % der Zusatzgewinne aus der Laufzeitverlängerung abgeschöpft. Darüber hat sich Herr Villis von der EnBW im mer beklagt. Offensichtlich ist es eben nicht so, wie Sie im mer behauptet haben, dass diese Laufzeitverlängerung dazu führt, dass bei den Energiekonzernen die Gewinne explodie ren. Das ist eben nicht so.
Was einem Staatskonzern wie der EdF, der sich rein in Rich tung Atomenergie entwickelt, nicht passt, ist die Ausrichtung auf erneuerbare Energien im Land und im Bund. Sie sollten diese Ausrichtung begrüßen. Aber bisher haben wir von Ih nen nur Kritik gehört.
Der Unterschied ist offensichtlich der, dass wir abschöpfen
und dass sich die EdF bei uns offensichtlich nicht mehr wohl fühlt.
Offensichtlich ist die EnBW und offensichtlich ist der badenwürttembergische Markt für die EdF nicht mehr so attraktiv wie zu rot-grüner Zeit.
Das müssen wir feststellen: Zu rot-grüner Zeit hat man ge kauft, und heute will man verkaufen. Das ist ein Faktum, mei ne Damen und Herren.
Wenn die EdF ankündigt und in Gesprächen deutlich macht, dass sie zum Ende des Jahres 2011 aussteigen will, dann ist die Landesregierung sehr wohl in der Verantwortung, ihre Po litik darauf auszurichten und sich die Frage zu stellen: Wol len wir, dass vielleicht ein anderer Staatskonzern einsteigt – möglicherweise in Russland,
möglicherweise in China –, oder wollen wir eine andere Re gelung? Ich sage Ihnen ganz eindeutig: Lieber Stadtwerke als Staatskonzerne.
An dieser Stelle, meine Damen und Herren, gilt auch nicht die reine Lehre vom freien Markt. Wir haben nämlich keinen frei en Markt auf dem Energiesektor, sondern ein Oligopol.
Bei einem solchen Oligopol ist die Ordnungspolitik gefordert.
Da ist die Ordnungspolitik gefordert. Wenn Sie das nämlich bestreiten, Herr Kollege Gall, dann brauchen Sie keine Kar tellgesetzgebung; dann können Sie sagen: Der Markt soll al les richten,
wir akzeptieren jedes Monopol, wir akzeptieren jedes Oligo pol. – Nein, das ist nicht unsere These. Wir sind für Ordnungs politik.
Wir sind dafür, dass der Staat Monopole nicht akzeptiert und dass er Oligopole, wenn möglich, auflöst. Deshalb ist es auch richtig, dieses Aktienpaket zu übernehmen und das Ziel zu verfolgen, künftig mehr und nicht weniger Wettbewerb auf dem Energiesektor zu haben.
Dieses Geschäft wird für das Land Baden-Württemberg ab sehbar keine Risiken und Nachteile bringen. Im Moment ha
ben wir eine Dividendenstruktur mit Dividenden zwischen 3 % und 4 % und ein erwartbares Zinsniveau zwischen 2 % und 2,5 %. Kollege Hauk hat richtig gesagt: Es gibt natürlich die Möglichkeit, dass sich dies ändert. Ganz ohne Risiken geht so etwas nie. Aber Sie können eine zukunftsgerichtete Politik niemals ganz ohne Risiken machen. An dieser Stelle war es richtig, dieses relativ geringe und relativ überschaubare Risi ko einzugehen, weil das Geschäft nämlich zum Wohl des Lan des Baden-Württemberg ist. Zu diesem Thema hat man von Ihnen nichts gehört.
Für die FDP/DVP-Fraktion ist es elementar wichtig, dass sich das Land, dass sich die Politik aus der Geschäftspolitik her aushält. Deshalb wollen wir in einem überschaubaren Zeit raum auch wieder veräußern. Deshalb ist auch ein Börsengang für die FDP/DVP-Fraktion durchaus ein vorstellbarer Weg. Wir werden für den Fall der weiteren Regierungsbeteiligung nach der Landtagswahl auch im Koalitionsvertrag festschrei ben, dass dieses Aktienpaket nicht dauerhaft im Besitz des Landes Baden-Württemberg verbleibt.
Wir können uns – wie es der Ministerpräsident auch ausge führt hat – beispielsweise eine Beteiligung von Stadtwerkever bünden vorstellen.
Es gibt solche Beispiele: Als sich die E.ON von der Thüga ge trennt hat, hat ein Stadtwerkeverbund die Thüga gekauft. Wa rum sollte es solche Möglichkeiten nicht auch bei der EnBW geben?
Beispielsweise Streubesitz: Es ist durchaus möglich, einen er heblichen Teil dieser Aktien über einen Börsengang oder wie auch immer in Streubesitz zu veräußern. Wir wollen beispiels weise auch innovative mittelständische Unternehmen, die die erneuerbaren Energien voranbringen, hieran beteiligen. Wir sind auf dem Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien, aber nicht so ideologisch und nicht so überstürzt, wie Sie es tun, sondern mit einer realistischen Energiepolitik. Das braucht eine gewisse Zeit.
Deshalb ist es notwendig, die Ausrichtung der EnBW im Lau fe der Zeit zu verändern. Wenn wir einen Beitrag dazu leis ten, dass wir letztlich mehr Wettbewerb und mehr Chancen für die erneuerbaren Energien haben, dann wird es ohnehin der richtige Weg sein, den wir hier an dieser Stelle einschla gen, meine Damen und Herren.
Vor dem Hintergrund eines solchen Oligopols ist es die Auf gabe der Wirtschaftspolitik, ist es auch die Aufgabe einer ord nungspolitisch verstandenen Wirtschaftspolitik, sich einzu bringen, um mehr Wettbewerb auf dem Energiesektor zu schaffen und den Weg zu den erneuerbaren Energien zu eb nen.
Deshalb, meine Damen und Herren, rechtfertigt sich auch – auch für die FDP/DVP-Fraktion, auch für eine liberale Wirt schaftspolitik – dieser vorübergehende Einstieg des Landes bei der EnBW. Deshalb trägt ihn die FDP/DVP-Fraktion mit. Deshalb werden wir diesen Weg auch weiterhin begleiten.
Herr Präsident, mei ne Damen und Herren! Wir haben wieder einmal nicht erfah ren, ob die Grünen „Stuttgart 21 plus“ mittragen würden, wenn der Stresstest bestanden wird, oder nicht. Vielleicht kön nen Sie im zweiten Teil – –
Auf jeden Fall würden Sie es mittragen? Gut.
Sie sagen Bescheid. Aha.
Jetzt haben wir wieder ein bemerkenswertes Beispiel grüner Dialektik.
Es wurde ein Schlichter vorgeschlagen, Herr Geißler, bei dem manche, die ihn nicht vorgeschlagen hatten, erst einmal schlu cken mussten.
Aber er wurde von allen mitgetragen, weil die Chance bestan den hat, durch dieses Schlichtungsverfahren einen Konsens zu finden. Sie beispielsweise, Herr Wölfle – auch Herr Kretschmann und einige andere –, haben Herrn Geißler nicht nur vorgeschlagen, sondern mit ihm auch viele Stunden in der Schlichtung verbracht. Sie waren also für den Schlichter und für die Schlichtung.