Protokoll der Sitzung vom 30.07.2009

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 73. Sitzung des 14. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.

Urlaub für heute habe ich Frau Abg. Dr. Arnold, Frau Abg. Kipfer, Frau Abg. Mielich und Herrn Abg. Kübler erteilt.

Krankgemeldet sind Frau Abg. Dr. Unold sowie die Herren Abg. Braun, Palm und Reichardt.

Dienstlich verhindert sind Frau Staatsrätin Dr. Hübner und – heute Nachmittag – Herr Minister Professor Dr. Frankenberg.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Bildungsaufbruch in den Kommunen nicht länger blockieren! – beantragt von der Fraktion der SPD

Es gelten die üblichen Redezeiten: fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.

Ich erteile Herrn Abg. Schmiedel das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat Herr Staatssekretär Wacker an dieser Stelle betont, wie wichtig es für die Landesregierung ist, dass bei der Entwicklung der Bildungsangebote vor Ort und der Gestaltung der Schulen Eltern, Lehrer und Schulträger mitwirken, sich einbringen und die Bildungsangebote nach den Bedürfnissen vor Ort mitgestalten. Wir halten dies für einen zentralen Punkt bei der Weiterentwicklung der Bildungsangebote in Baden-Württemberg und möchten an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass wir in diesem Punkt mit Ihnen übereinstimmen.

Wir wollen heute bei dieser Debatte dafür werben, dass wir uns bei der Weiterentwicklung von Bildungsangeboten nicht unnötig in ein ganz enges Korsett einschnüren, das für die Standardangebote gilt, sondern dass wir uns öffnen. Dort, wo Lehrer, Eltern, Schüler, Schulträger, Handwerk und Mittelstand der Meinung sind, dass ein neues Angebot geschaffen werden soll, sollten wir dies nicht ohne Not ausbremsen, sondern nach Kräften unterstützen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Wir haben nicht verstanden, Herr Kultusminister, weshalb in Mosbach ein besonderes Angebot „G 8 plus“ nicht möglich sein kann. Denn wir haben doch in Baden-Württemberg nicht quer durch die Bank nur G 8. Wir haben G 9 in verschiedenen Varianten: Wir haben G 9 in Form der früheren Aufbaugymnasien ab der siebten Klasse, wir haben G 9 in Form verschiedener Wirtschaftsgymnasien an beruflichen Schulen ab der achten Klasse, und wir haben sogar das individuelle G 9 an G-8-Schulen. Herr Röhm hat in einem Zwischenruf festgestellt, dass es in seiner Schule durchaus möglich ist, zu sagen: Wenn jemandem das Tempo zu schnell wird, kann er freiwillig ein Schuljahr wiederholen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja! Dann bereite ich ihm den Weg!)

Dann bereiten Sie ihm den Weg. Dann, Herr Röhm, beantworten Sie doch die Frage, weshalb dieser Weg sinnvoll sein soll. Wenn jemandem das Tempo in der Unter- und der Mittelstufe zu schnell wird und ihm fünf Jahre zu kurz sind – Sie sagen, er kann das Ganze dann in sechs Jahren machen –,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sind alles indivi- duelle Lösungen!)

ist es dann nicht sinnvoller, den Stoff der Unter- und der Mittelstufe für diejenigen, die dies wollen, von Anfang an auf sechs Jahre zu verteilen,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Nein! Das ist nicht sinnvoll!)

anstatt jemandem zu sagen: „Du drehst eine Ehrenrunde und wiederholst in einem Jahr das, was du im Jahr zuvor gemacht hast“?

(Beifall bei der SPD)

Das muss man doch diskutieren.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Diskutieren kann man alles! Aber sinnvoll ist das nicht!)

Wenn Sie zubilligen, dass es Kinder gibt, denen das Tempo zu schnell ist, dann muss man doch darüber diskutieren, welcher Weg sinnvoll ist. Dieser Weg von Ihnen kann in einem Fall sinnvoll sein. Aber weshalb soll der andere Weg – von Anfang an – nicht sinnvoll sein?

Ich komme auf ein Projekt in Walddorfhäslach zu sprechen. Es geht um eine Hauptschule, die mehrfach mit einem Preis ausgezeichnet wurde. Schulleiter und Kollegium sind sehr engagiert, und die Gemeinde steht hinter dem Projekt. Es gibt

ein Netzwerk von Unternehmen, 80 Handwerksbetriebe und Mittelständler. Die Schule hat einen Preis für Wirtschaftskompetenz bekommen. Herr Späth ist für ein Jahr Schirmherr dieser Schule.

Jetzt will man vor Ort etwas, was gar nicht in unserer Philosophie liegt, nämlich die Werkrealschule. Man will, dass die Kinder dort nicht nur neun Jahre zur Schule gehen, sondern dort auch das zehnte Schuljahr absolvieren können und nicht 14 km bis zu einer anderen Schule fahren müssen, um die zehnte Klasse besuchen zu können und den Werkrealschulabschluss zu machen. Das liegt eigentlich auf Ihrer Linie, und trotzdem wird diese Schule ausgebremst, obwohl alle vor Ort hinter dem Vorhaben stehen.

Dazu meine ich: Wir sollten über unseren Schatten springen und sagen: „Wir sind von diesem Werkrealschulkonzept nicht überzeugt, aber wenn die das wollen und begründen, dann lasst sie doch machen und bremst sie nicht aus!“

(Beifall bei der SPD)

Es gibt andere Ansätze, die nicht auf das flache Land, sondern auf die großen Städte zielen, in denen die Schulen eine große Integrationsaufgabe haben. Sie sind nämlich die einzige Stelle, wo Kinder unterschiedlicher sozialer Herkunft zusammen sind. Aus Karlsruhe gibt es einen Antrag auf Einrichtung einer Modellschule, um dort die Kinder nach skandinavischem Vorbild zehn Jahre zusammen lernen zu lassen. In Stuttgart arbeitet Ihre Frau Eisenmann an einem sogar von der Bundesregierung unterstützten Projekt „Sechsjährige Grundschule“, und zwar wegen dieses Integrationsgedankens. Wir hören sofort, noch bevor der Antrag überhaupt auf dem Tisch liegt: Ist nicht möglich, ist nicht denkbar, lassen wir nicht zu.

(Abg. Ingo Rust SPD: Das ist ja unglaublich!)

Wir wollen heute an Sie appellieren: Wir als Parlamentarier sind Vertreter der Bürger.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wir übrigens auch!)

Sie auch, natürlich. Herr Röhm, ich sagte ja: „Wir als Parlamentarier“. – Dort, wo die politischen Parteien in Form der Gemeinderatsfraktionen übereinstimmen, wo Eltern zustimmen, wo Schulträger insgesamt zustimmen, wo die Gemeinde hinter solchen Projekten steht, da sollten wir doch den Schneid haben, zu sagen: Die Entscheidung über solche Projekte überlassen wir nicht der Schulverwaltung, sondern treffen wir auf politischer Ebene und helfen denen, die sich auf den Weg machen, den Bildungsaufbruch vor Ort zu organisieren. Denen verhelfen wir dazu, dass sie das auch umsetzen können, und die unterstützen wir nach Kräften.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Schebesta.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Opposition in Baden-Württemberg ist doch noch für Überraschungen gut:

(Zuruf von der SPD: Hoffentlich!)

Gestern haben die Grünen es als Pflicht empfunden, einem unsinnigen Antrag zuzustimmen, und nun hat die SPD diese Aktuelle Debatte beantragt.

Herr Schmiedel, Sie haben jetzt am Rednerpult zwei Punkte zur Begründung vorgebracht. Über den einen haben wir in der letzten Plenarwoche in einer Debatte, die auf einen Antrag Ihrer Fraktion zurückging, ausführlich beraten. Der andere betrifft die Rahmenbedingungen für die Werkrealschule. Darüber haben wir in der letzten Plenarwoche bei der Ersten Beratung des Gesetzentwurfs gesprochen, den wir heute Nachmittag mit zehn Minuten Redezeit je Fraktion in Zweiter Beratung behandeln. Sie beantragen trotzdem für heute Morgen eine Aktuelle Debatte

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Weil Sie sich nicht bewegen!)

mit Begründungen, über die wir an anderer Stelle schon vielfach diskutiert haben. Ich frage mich schon, ob Ihnen in diesen Tagen wirklich nichts anderes einfällt, als die immer gleichen Debatten zu beantragen und zu führen.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Das sind die immer glei- chen Probleme!)

Ich glaube auch nicht, dass es der bildungspolitischen Debatte hier im Landtag und den Notwendigkeiten, die bestehen, gerecht wird, dass Sie immer die gleichen Dinge einbringen und immer die gleiche Debatte führen,

(Abg. Ingo Rust SPD: Steter Tropfen höhlt den Stein!)

die im Übrigen auch auf der Pressetribüne niemanden mehr interessiert

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

und die auch hier im Landtag zu einer Abnutzung in diesen Fragen führt.

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Das geht so lan- ge, bis Sie es kapiert haben!)

Ich will Ihnen sagen, dass es auch inhaltlich keinen Grund gibt, darüber zu beraten, was man für einen Bildungsaufbruch in den Kommunen tun muss. Denn es gibt diesen Bildungsaufbruch. Das Konzept der Werkrealschule wird angegangen. Sie rufen, wenn wir das sagen, dazwischen: „Denen bleibt gar nichts anderes übrig, denn es kommt ja.“ Denen bleibt schon etwas anderes übrig. Wir werden heute Nachmittag darüber beraten.

Wenn das Konzept nämlich so schlecht wäre, wie Sie sagen, dann müsste ja niemand darauf eingehen, sondern es könnte bei den Hauptschulstandorten, wie es sie jetzt gibt, bleiben. Die Hauptschulkonzeption könnte weiter so umgesetzt werden. Die Kommunen, die Städte und Gemeinden, sehen aber die Möglichkeiten, die die neue Konzeption bietet, und gehen deshalb diesen Weg an. Ich habe sogar den Eindruck, dass es ihnen in vielen Fällen auch recht ist, dass wir ihnen einen Anlass gegeben haben, vor Ort die Standortkonzeption weiterzuentwickeln.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)