Protokoll der Sitzung vom 25.11.2010

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass ein neuer Tatbestand beim Schulausschluss, also beim völligen Ausschluss aus der Schule, in das Gesetz aufgenommen wird. Der Opferschutz erhält Vorrang bei unzumutbaren Beeinträchtigungen durch Mitschüler. Das ist leider Gottes dringend notwendig gewor den.

Es gibt hierfür eine Reihe von Beispielen. Nehmen Sie das Mobbing an Schulen, das manche Schüler unter erheblichen Druck setzt.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Aber häufig muss der gemobbte Schüler gehen und nicht der Täter. Das kann nicht gut sein.

(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: So ist es!)

Hier kann dieser Paragraf nun greifen.

Ein weiteres Beispiel: Ein Lehrer erhält eine Mordandrohung durch einen Schüler im Internet. Der Schulleiter schließt den Schüler aus. Daraufhin klagt die Mutter und bekommt recht. Die Schule muss diesen Schüler wieder aufnehmen. Die Be gründung lautet, die betreffende Gruppe von Schülern habe nur spaßeshalber die Szene mit der Mordandrohung gespielt, und das habe gar nicht der Schüler selbst ins Netz gestellt, sondern ein Freund. Meine Damen und Herren, Gerichtsur teile können gelegentlich fassungslos machen. Dieses gehört dazu.

Ein weiteres Urteil, das in diesem Zusammenhang zu nennen ist, ist das Urteil zu „spickmich.de“. In diesem Internetforum können Schüler anhand einer Notenskala und verbaler Äuße rungen Lehrer beurteilen. Sie können aber selbst anonym blei ben und müssen ihre Namen nicht ins Netz stellen.

Ich frage mich, was manche Richter da antreibt. Es geht hier weniger um die juristische Dimension. Es geht darum, dass die pädagogische Dimension hier völlig verloren geht. Wie soll ein Schüler lernen, dass er etwas ganz Unglaubliches ge tan hat? Wie soll er erfahren, dass er für seine Taten auch ge radestehen und die Konsequenzen ertragen muss? Wie soll ein solcher Schüler Zivilcourage lernen und im Leben bestehen können, wenn die Konsequenzen aus dem unrechten Verhal ten sorgfältigst beiseitegeräumt werden und der Schüler sich mit höchstrichterlicher Genehmigung verstecken darf?

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, dass die Autorität der Schule in je dem dieser Fälle untergraben wird, ist offensichtlich, scheint aber keine Rolle zu spielen. Deshalb sind für uns diese Ände rungen im Gesetz wichtig. Die CDU-Fraktion wird zustim men. Ich hoffe, Sie können sich dem anschließen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort für die FDP/ DVP-Fraktion erteile ich Frau Abg. Dr. Arnold.

Herr Präsident, ich habe eine Frage zum Verfahren: Kann ich meine Redezeit auch en bloc in Anspruch nehmen?

Ja. Sie bekommen das ohne Wenn und Aber gestattet.

Wunderbar. Dann werde ich das nutzen.

Verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht in diesem gemeinsamen Gesetzentwurf der Regierungskoalition – Frau Vossschulte hat es schon dargelegt – um § 90 des Schulgeset zes: Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen. Die Neuregelung dieses Paragrafen hat vor allem Klarstellungen, eine Erhöhung der Rechtssicherheit für die Schulen und eine Erweiterung der pädagogischen Möglichkeiten der Schulen zum Ziel.

Frau Vossschulte hat schon wesentliche Punkte angesprochen. Ich darf noch ergänzen, dass dieser Paragraf auch festlegt, dass eine Gesprächspflicht zwischen Jugendamt und Schule besteht, wenn die Schule das Jugendamt darüber benachrich tigt hat, dass ein Schüler zeitweise oder ganz vom Unterricht ausgeschlossen wird. Diese Kontaktaufnahme ist schon bis her im Schulgesetz enthalten. Aber jetzt legt der novellierte Paragraf fest, dass hier auch ein Gespräch zwischen Jugend amt und Schule stattfinden soll. Wir halten dieses Vorgehen für sehr sinnvoll, damit hier die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und Schule umgesetzt werden kann.

Zu erwähnen ist außerdem der Wegfall der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage. Bisher be stand die Möglichkeit, einen Schulausschluss durch diese le gislativen Möglichkeiten rückgängig zu machen. Die auf schiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gibt es schon. Die neue Regelung gilt jetzt aber auch für eine vorläufige Untersagung des Schulbesuchs, sodass mehr Rechtssicherheit geschaffen wird.

Aus unserer Sicht ist es sehr zu begrüßen – auch das wurde schon angesprochen –, dass die Schulen jetzt Wiedergutma chungsleistungen von Schülern einfordern können. Dies ist natürlich nur mit Zustimmung der Eltern und der Schüler möglich. Wir haben bewusst das Wort „Wiedergutmachung“ in den Gesetzestext aufgenommen, weil wir die Schulen er mutigen wollen, in Zukunft verstärkt von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.

Ähnlich gelagert ist die Möglichkeit, dass man das Nachsit zen außerhalb der Unterrichtszeit, das in der Regel mit schrift

lichen Arbeiten verbracht wird, auch für eine praktische Tä tigkeit des Schülers nutzen kann, mit der er ein eventuelles Fehlverhalten kompensieren kann. Es ist aus unserer Sicht ei ne sinnvolle Maßnahme, diese Zeit im Sinne der Kompensa tion eines Fehlverhaltens gut zu nutzen.

Auch der Opferschutz wurde schon angesprochen. Dies ist ein neuer Tatbestand, der einen Schulausschluss rechtfertigt. Wir wollen es den Schulen erleichtern, sich schützend vor ge mobbte Schülerinnen und Schüler zu stellen, und ihnen eine Handhabe dafür zu geben, dass nicht, wie es bisher des Öfte ren der Fall gewesen ist, der gemobbte Schüler die Schule ver lässt, sondern der Schüler, von dem diese Tätlichkeiten aus gehen, die Schule verlassen muss.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Bei dieser Gesetzesnovellierung war keine umfassende An hörung vorgesehen. Dennoch haben wir Kontakt mit den be troffenen Verbänden aufgenommen. Erste Rückmeldungen zeigen eine sehr große Zustimmung zur Novellierung des § 90. Es wird sehr begrüßt, dass den Schulen bei den ange sprochenen Punkten nun eine größere Rechtssicherheit ge währt wird. Es wird zudem begrüßt, dass die Maßnahmen, die Schulen bereits freiwillig ergriffen haben, z. B. die Verord nung sozialer Dienste, nun auch gesetzlich geregelt werden. Die eindeutigen Festlegungen zugunsten des Opferschutzes werden ebenfalls sehr begrüßt.

Deshalb kann ich – ich habe noch viel Redezeit übrig, aber wir alle wollen in absehbarer Zeit in die Mittagpause gehen – von unserer Seite signalisieren, dass die Fraktion der FDP/ DVP natürlich der Novellierung des § 90 des Schulgesetzes zustimmen wird.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Zeller das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Junge Menschen nicht schulisch auszuschließen, son dern ihnen eine Brücke zu bauen, war eine der Kernpositio nen des Sonderausschusses „Amoklauf“. Der vorliegende Ge setzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes trägt diesem An sinnen Rechnung.

Allerdings – das will ich an die beiden Regierungsfraktionen gerichtet sagen, Frau Vossschulte – hätten wir uns gewünscht, dass wir im Geiste der guten Zusammenarbeit im Sonderaus schuss gemeinsam einen Gesetzentwurf formuliert hätten. Ich kann Ihnen aber sagen, dass wir dieser Gesetzesänderung zu stimmen werden, wenngleich ich mit einigen Anmerkungen noch aufzeigen möchte, was noch verbessert werden könnte.

Meine Damen und Herren, auf der praktischen schulischen Ebene wurde schon immer versucht, Maßnahmen zur Scha denswiedergutmachung zu ergreifen. Es wurden beispielswei se soziale Dienste vereinbart, anstatt harte Strafen zu verhän gen. Das ist schulische Alltagspraxis. Insofern ist es gut, dass

diese schulische Alltagspraxis nun gesetzlich verankert wird und damit eine gewisse Rechtsunsicherheit beseitigt wird.

Natürlich ist es wichtig und richtig, dass auch die Erziehungs berechtigten mit einbezogen werden. Das versteht sich eigent lich von selbst.

Ein ganz zentraler Punkt, den wir in den Debatten immer wie der angesprochen haben, bezieht sich auf den Bereich „Schu le und Jugendamt“. Bislang war es immer so – dies war auch die Kritik im Sonderausschuss –, dass die Zusammenarbeit eher auf der freiwilligen Ebene stattgefunden hat. Es macht ja keinen Sinn, wenn beide Institutionen, Schule und Jugendamt, am selben Kind und mit derselben Familie arbeiten, dann je doch keine Verbindlichkeit des Zusammenkommens vorhan den ist. Das ist also eine Forderung, die wir nur voll und ganz unterstreichen können und die wir, wie gesagt, hier auch schon mehrfach gestellt haben.

Ich will auch das unterstreichen, was Sie zum Opferschutz ge sagt haben. Wir müssen beide Seiten berücksichtigen. Auch dies wurde – das will ich deutlich machen – im schulischen Alltag bereits so gehandhabt. Aber jetzt geht es, wie bereits gesagt, um die gesetzliche Grundlage.

Klar wird auch, dass die Prävention nach wie vor ein Schwer punkt sein wird. Das ist Erziehungs- und Bildungsarbeit in der Schule und in allen anderen Institutionen. Letztlich sollten die Sanktionsmaßnahmen erst am Ende einer Maßnahmenliste stehen.

Dass ein Schulausschluss, wenn ein solcher beschlossen wur de, keine aufschiebende Wirkung haben darf, versteht sich ebenfalls von selbst.

Frau Vossschulte, wir möchten allerdings noch Folgendes an regen: Bislang sieht der Gesetzentwurf der Regierungsfrakti onen vor – das entspricht auch der jetzigen Regelung –, dass es letztlich immer die Schulleitung – der Schulleiter oder die Schulleiterin – ist, die entscheidet. Wir halten es für sinnvoll, bei diesem Prozess auch diejenigen in eine Bewertung einzu beziehen – und zwar verbindlich –, die viel intensiver als ei ne Schulleitung mit den Kindern befasst sind, nämlich die Lehrkräfte, die Lehrerinnen und Lehrer. Dass es auch einmal Eilentscheidungen geben muss, ist völlig klar; darum geht es nicht. Aber bevor solche Maßnahmen getroffen werden – dem geht ja eine Entwicklung voraus; das geschieht in der Regel nicht von heute auf morgen –, sollten Klassen- und Jahrgangs stufenkonferenzen und damit auch die Lehrkräfte einbezogen werden.

Diese Anregung würden wir gern noch einbringen. Es wäre schön, wenn Sie sich damit noch befassen würden und die sem Ansinnen Rechnung tragen könnten.

Im Übrigen sind wir für diese gesetzliche Änderung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion GRÜ NE erhält Herr Abg. Lehmann das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es wurde schon gesagt: Die im vorgeleg ten Gesetzentwurf begehrte Änderung von § 90 des Schulge setzes – Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen – ist basie rend auf dem im Sonderausschuss „Amoklauf“ gefundenen Konsens diskutiert worden. Der Expertenkreis Amok hat zu diesem Punkt auch fünf Vorschläge eingereicht, mit denen wir uns im Schulausschuss bereits beschäftigt haben.

Der vorliegende Gesetzentwurf deckt einen großen Teil der vorgeschlagenen Maßnahmen ab. Das ist gut und richtig so, und ich kann von unserer Seite bereits ankündigen, dass wir den Vorschlägen insoweit zustimmen werden. Mir fehlen je doch in diesem Bereich – das muss ich auch sagen – noch ei ne oder zwei Konkretisierungen.

Der Expertenkreis hat in seiner Handlungsempfehlung Num mer 11 vorgeschlagen, dass vor einem Schulausschluss abge stufte Maßnahmen ergriffen werden sollten. Bereits heute sind an den Schulen natürlich abgestufte Maßnahmen möglich; verantwortungsvolle Schulen und Lehrer verfahren heute auch schon so. An unserer Schule beispielsweise haben wir einen Stufenplan eingeführt, mit dessen Hilfe dann, wenn Ordnungs widrigkeiten vorkommen, auch für die Schüler ganz klar und transparent dokumentiert wird, was geschehen ist und welche Maßnahmen mit den Schülern jeweils vereinbart wurden. Zu dem werden Zielvereinbarungen getroffen, wonach innerhalb eines gewissen Zeitraums auch Verhaltensänderungen eintre ten müssen. Auch Stützmaßnahmen müssen darin enthalten sein.

Wir haben dies nicht etwa in Reaktion auf den Amoklauf in Winnenden und Wendlingen eingeführt, sondern weil wir an unserer Schule gemerkt haben, dass wir irgendwann an einen Punkt kommen, an dem sich zeigt, dass ein Schulausschluss – zumindest zeitweise – erforderlich ist, wir aber gar nicht richtig hatten dokumentieren können, dass eine solche Maß nahme wirklich angemessen ist. Da gab es rechtliche Unsi cherheiten.

Ich glaube, genauso wie wir sagen, dass soziale Dienste ver einbart werden können statt Ordnungsmaßnahmen zu verhän gen, ist es auch wichtig, ins Schulgesetz aufzunehmen, dass es ein gestuftes Vorgehen geben soll und eben auch Zielver einbarungen mit den jungen Leuten getroffen werden sollen.

(Vereinzelt Beifall)