Protokoll der Sitzung vom 03.02.2011

Ich möchte mich deshalb, Herr Minister, sehr herzlich bei al len beteiligten Häusern, bei allen Ressorts bedanken, die je weils aus ihren Bereichen die entsprechenden Informationen für den Europabericht gegeben haben.

Meine Damen und Herren, die CDU und die FDP/DVP wol len jetzt den bisherigen Europabericht im Zuge des Europa beteiligungsgesetzes durch eine andere Form der Berichter stattung ersetzen. Warum? Der vorliegende Bericht – wenn Sie ihn anschauen, dann sehen Sie es – ist ein hervorragendes geschichtliches Nachschlagewerk, aber es mangelt ihm an Ak tualität. Wir wollen in Europa jedoch nach vorn schauen und nicht nach hinten.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Nicht nur da!)

Der Berichtszeitraum – allein er belegt es – von Mitte 2009 bis Mitte 2010 zeigt: Heute, am 3. Februar 2011, also einein halb Jahre nach Beginn des Berichtszeitraums und ein halbes Jahr nach Redaktionsschluss für den Bericht, beraten wir den Europabericht. Das zeigt – das ist allerdings kein Vorwurf –, dass dieser Bericht keine Aktualität haben kann. Diese brau chen wir aber, wenn wir nicht nur schöne Lyrik betreiben wol len, sondern uns aktiv mit einbringen wollen.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Aber ein Bericht soll es schon noch sein!)

Wir wissen, dass sich im politischen Geschehen viel tut. Des wegen wollen wir die künftige Berichterstattung lebendiger und vor allem aktueller haben. Durch die umfangreichen Pflichten, die wir jetzt mit dem Beteiligungsgesetz einbrin gen, haben wir die laufende Berichterstattung gesichert. Da rüber hinaus werden wir die Europapolitik mit quartalsweise erscheinenden aktuellen und lebendigen Berichten aktueller und besser hier bei uns einbringen können.

Meine Damen und Herren, mit dem neuen Beteiligungsgesetz und einem aktuellen Berichtswesen machen wir Europa zum zentralen Thema baden-württembergischer Politik. Die CDUFraktion wird deshalb dem Beteiligungsgesetz und der ent sprechenden Verfassungsänderung zustimmen. Ich bitte Sie, die Kollegen von SPD und Grünen, dem Versuch, den Euro pabericht aktueller, lebendiger, informativer und handlungs kräftiger zu machen, beizutreten. Ich weiß, Sie haben gewis se Bedenken. Springen Sie aber doch einmal über Ihren Schat

ten. Ich glaube, das wird zu Verbesserungen führen. Schauen wir es uns doch einfach einmal an.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Ho felich.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Herr Blenke, wir schie ßen schneller als unser Schatten, so wie Lucky Luke.

(Heiterkeit – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist nett!)

Wir haben heute den Europabericht der Landesregierung zu besprechen, und ich freue mich sehr darüber. Ich habe vorher gedacht: Wenn es beim Thema Länderfinanzausgleich schon so hoch hergeht, wie mag es dann erst beim Thema Europa hergehen? Denn auch dort gibt es Ausgleichsmechanismen ohne Ende, Herr Minister. Aber alle bleiben ruhig und gelas sen. Das ist gut so. Europa hat bis jetzt – das wird auch noch nach meiner Rede, hoffe ich, so sein – Gelassenheit, aber auch Begeisterung verdient.

Ich denke, es ist ein Vorteil, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir, wie wir berichten können, im Europaausschuss De batten haben, die in der Regel eine weitgehend gemeinsame Grundlage haben und davon geprägt sind, dass wir badenwürttembergische Interessen in Europa vertreten wollen, vor allem aber in Europa auch präsent sein wollen. Ich denke, das ist nach fünf Jahren eine gute Zwischenbilanz des seinerzeit neu gegründeten Europaausschusses; am Ende dieser Legis laturperiode werden wir ja Bilanz zu ziehen haben.

Unser Land liegt mitten in Europa. Es hat vielfältige Bezüge zu Europa. Unsere Wirtschaft ist eine Exportwirtschaft, unse re jungen Leute suchen Ausbildungsmöglichkeiten auch au ßerhalb des Landes, und viele Menschen wissen natürlich, wie sehr sie die Landschaften in Europa schätzen, ob als Urlauber oder anlässlich von Besuchen bei Bekannten oder Verwand ten.

Das alles ist heute Europa. Aber klar ist auch: Man muss, wenn man im Land Baden-Württemberg tätig ist, europäisch denken und handeln. Es wird die künftige Herausforderung für die Landespolitik sein, die mit der heutigen Verfassungs änderung auch eine neue Dimension erhält, dass wir uns als Baden-Württemberger nun in Europa tatsächlich so verhalten, dass wir uns nicht als abgeschottete Landschaft empfinden, sondern dass wir Bürger sind, die sich in Europa zurechtfin den und wissen, wie andere denken, etwa Briten oder die Ein wohner von Südfrankreich. Das sind wichtige Eigenschaften, die von uns verlangt werden.

Das, was die Amerikaner „Mindset“ nennen, die Frage, wie man eingestellt ist, ist eine ganz wichtige Frage. Ich plädiere dafür, dass wir in Baden-Württemberg nicht nur mit den Lip pen, sondern auch mit dem Herzen positiv zu Europa einge stellt sind.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Sehr gut! – Abg. Jür gen Walter GRÜNE zur SPD: Da müsst ihr klatschen! – Gegenruf der Abg. Katrin Altpeter SPD: Machen wir doch!)

Meine Damen und Herren, dennoch gibt es das, was Kollege Groh vorhin das „gesellschaftliche Unbehagen“ genannt hat. Dieses gesellschaftliche Unbehagen in Bezug auf Europa ist uns völlig bewusst. Es existiert, wenn Mitbürgerinnen und Mitbürger darüber reden, was wir anderen geben, was wir et wa den Griechen garantieren müssen, und was andere dann aus dem, was wir hier erwirtschaften, für den Aufbau eigener Infrastrukturen einsetzen können. Auf Straßenschildern, etwa in Andalusien, können wir lesen: „Danke an die Europäische Union“.

Manchmal entstehen dabei seltsame Gefühle. Einerseits weiß man, dass man für Europa ist, andererseits verspürt man mit unter ein Unbehagen. Trotz unbestreitbarer Leistungen der Europäischen Union und der Europäischen Kommission, Herr Minister, für die Krisenbewältigung wird von manchen die Krise noch immer als eine Ursache der bestehenden europäi schen Ländervielfalt betrachtet – nach dem Motto: Da gibt es Länder, mit denen man nicht so richtig kalkulieren kann. Des wegen ist diese Ambivalenz, dieses gesellschaftliche Unbe hagen etwas, was wir politisch aufgreifen müssen – nicht im Sinne von „andere überreden, dass Europa einfach gut ist“, sondern tatsächlich im Sinne dessen, dass wir sowohl die Me chanismen als auch die Leistungen erklären müssen, die Eu ropa erbracht hat.

Dies fasst der Europabericht zusammen. Der Europabericht ist ein gutes Kompendium, bei dem auch unsere Ministerien mit ihren Geschäftsbereichen zeigen, was sie in den vergan genen zwei Jahren geleistet haben. Er ist, Herr Kollege Blen ke, so umfangreich wie noch nie. Doch weder die SPD-Frak tion noch die anderen Fraktionen haben die Ministerien dazu aufgefordert, ihn so in einem solch großen Umfang zu verfas sen. Für uns kann er auch etwas komprimierter sein.

Der Bericht ist auch vergangenheitsorientiert, nämlich vor al lem insofern, als er berichtet. Auch da sind wir der Meinung, dass das nicht unbedingt so sein muss. Er kann gern nach vorn schauen; er kann fragen: „Was wollen wir künftig anpacken? Worüber sollen wir im Parlament künftig diskutieren? Wel che europapolitischen Initiativen sollen vonseiten der Ressorts vorgeschlagen werden?“ Wir meinen, dass der Europabericht nicht abgeschafft, sondern neu ausgerichtet werden sollte. Das ist das, was dieses Parlament braucht, meine Damen und Her ren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Jür gen Walter GRÜNE)

Deswegen versuchen wir, Sie zu überzeugen, dass Sie über Ihren Schatten springen, damit wir das tun, was wir eigentlich tun sollten. Wir brauchen eine neue Form. Wir sollten aber einmal im Jahr die Europapolitik in den Mittelpunkt stellen. Das muss vor allem für die Europa-Union, für die europäische Bewegung, für die Kammern und die Gewerkschaften, die eu ropapolitisch unterwegs sind, etwas sein, woraus ersehen wer den kann und wo dokumentiert wird, was das Land tut.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, nennen wir einmal ein paar Punkte, die uns als Parlament in der vergangenen Zeit wichtig waren und mit denen wir ge zeigt haben, dass der Europaausschuss und das Parlament auch tatsächlich etwas erreichen.

Wir konnten am Beispiel des sensiblen Themas Wasserver sorgung auf den Weg bringen, dass das, was wir in Kontinen taleuropa unter öffentlicher Daseinsvorsorge verstehen, nicht einem anderen Verständnis unterworfen, also privatisiert wird. Wir haben auf europäischer Ebene durchgesetzt, dass dies kommunale Angelegenheit bleiben kann, und so praktizieren wir das auch. Wir haben also einen Fortschritt erzielt.

Wir haben uns für die Zeit nach dem Ende der Krise – Herr Minister Pfister ist anwesend – für eine europäische Rating agentur ausgesprochen. Diese europäische Ratingagentur ent spricht der Beschlusslage dieses Hauses. Das haben Sie auch in den Bundesrat eingebracht. Das ist keine Sache gewesen, bei der andere sozusagen jubiliert haben. Wir haben es jetzt auf den Weg gebracht.

Es gibt natürlich entlang der politischen Linien eine Unter scheidung. Die Landesregierung will diese Ratingagentur pri vat ausgestalten. Das Europäische Parlament will eine öffent liche Ratingagentur. Wir Sozialdemokraten wollen ebenfalls eine öffentliche Ratingagentur. Die Richtung ist aber vorge geben. Das Land Baden-Württemberg sagt: Wir wollen aus der Finanzkrise lernen. Das heißt, wir wollen in Europa eine Agentur haben, die uns so bewertet, wie wir sind, wobei wir aber nicht das Objekt, sondern das Subjekt der Bewertung sind. Wir wollen nicht – ich sage es noch einmal –, dass 22-jährige BWL-Studenten an der Börse darüber entscheiden, ob baden-württembergische Unternehmen eine Zukunft oder keine Zukunft haben. Das ist uns wichtig. Wir wollen eine Ra tingagentur.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Wir alle haben uns dafür eingesetzt, dass das Land BadenWürttemberg bei der Erweiterung im Rahmen des Konzepts der großen Region, also der zusammenhängenden Länder, die Donaustrategie unterstützt. Die Donaustrategie bietet die Ge legenheit zur Zusammenarbeit in einem Teil Europas, der erst in die Europäische Union hineinwächst, bei dem etwas ge macht werden muss und bei dem die Regeln nicht so einfach sind wie bei uns. Dort müssen die Regeln erst aufgestellt wer den. Ich nenne beispielhaft die Polizei und die Korruptions bekämpfung.

Wir sagen: Da gehen wir hinein. Wir wollen eine Donaustra tegie. Diese Donaustrategie hat auch Köpfe. Sie werden es mir sicher nachsehen, wenn ich sage: Es ist schön, dass sich der Ulmer Oberbürgermeister mit seiner besonderen Bezie hung zur Stadt Ulm an der Donau dazu bereit erklärt hat, ei ner dieser Köpfe zu sein. Das ist gut für Baden-Württemberg; denn Köpfe aus Baden-Württemberg werben in Europa für unser Land.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt auch Konfliktstellen. Eine Konfliktstelle ist die Arbeit nehmerfreizügigkeit. Dieses Land lebt davon, dass wir einen

sozialen Konsens haben und dass Ordnung auf dem Arbeits markt herrscht. Diese Ordnung auf dem innerdeutschen Ar beitsmarkt muss noch besser werden. Dazu gibt es auch Vor schläge.

Es muss aber auch auf europäischer Ebene funktionieren. Des wegen haben wir mit der Dienstleistungsrichtlinie klargestellt, dass die Löhne gezahlt werden müssen, die in dem Land gel ten, in dem die Dienstleistung erbracht wird. Es darf nicht das Land, aus dem die dienstleistenden Arbeitnehmer kommen, die Arbeitsbedingungen sowie die Regeln für die Löhne und Gehälter aufstellen.

Neben der Frage der Dienstleistungsrichtlinie werden wir nun die Frage klären müssen, wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit hinsichtlich der neu hinzukommenden Länder – ab dem 1. Mai werden neue Länder hinzukommen – gestaltet wird. Auch da bei wird man Zähne zeigen müssen.

Wir sind der Meinung, dass wir Mindestlöhne für Leiharbeit in Deutschland brauchen und dass diese auch für die Leihar beitsfirmen von außerhalb gelten müssen, die Leiharbeiter nach Deutschland bringen. Für diese müssen die Löhne und Tarife gelten, die hier in diesem Land herrschen. Das ist un ser Interesse in Europa, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich glaube, dass dazu auch gehört, dass wir in der europäi schen Förderpraxis bei den Strukturprogrammen weiterhin ei nen Anspruch auf das erheben, was wir als Baden-Württem berger insgesamt – also unsere Städte, Gemeinden, Regionen – aus den großen Fördertöpfen der Europäischen Union be kommen können; denn europäische Strukturförderung ist nicht allein eine Strukturförderung für die Schwachen. Vielmehr ist sie auch eine Strukturförderung, um Stärken zu stärken. Ba den-Württemberg hat viele Stärken.

Deswegen ist es notwendig, dass wir auch künftig Mittel aus dem ESF-Programm und aus dem EFRE-Programm sinnvoll einsetzen können. Das bedeutet aber auch, dass wir es nicht allein einem Ressort – beispielsweise dem Landwirtschafts ressort – überlassen, wohin die Mittel fließen. Vielmehr müs sen die Ressorts, die die Flaggschiffe für unsere Wirtschafts entwicklung sind – das Wirtschaftsministerium und das Wis senschaftsministerium –, Projekte definieren, die in Zukunft weitaus gewichtiger sind. Denn wir wollen – Stichwort Inno vation – an diesen Strukturprogrammen künftig stärker teil haben als bisher, und zwar mit der ganz klaren Richtung: Fort schritt für Baden-Württemberg.

Ich denke, dass also genug Themen in diesem Europabericht vorhanden sind, bei denen wir nach vorn denkend argumen tieren. Die Verfassungsänderung gibt uns dafür eine besonde re Chance. Herr Kollege Blenke hat alles dargestellt, sodass ich es jetzt nicht noch einmal neu formulieren muss; Herr Kol lege Mack wird dies natürlich profund weiterführen.

Ich denke, dass für uns eine Sache bei dieser Verfassungsän derung in der künftigen Legislaturperiode wichtig sein wird: Europa kommt in dieses Parlament hinein. Jetzt geht es nicht mehr allein darum, dass wir sagen, was wir nicht wollen oder was allein unsere Sache ist. Vielmehr argumentieren wir jetzt und sind im Dialog, um zu äußern, was wir europapolitisch

für richtig und was wir für falsch halten – bei unseren origi nären Verfassungsaufgaben, aber auch bei den Aufgaben, bei denen wir meinen, dass sich dieses Parlament einbringen soll te.

Deswegen werden wir wesentlich mehr im europäischen Di alog sein müssen. Wir als Parlament müssen aber auch mehr Informationen aufnehmen. Dies wird uns in unserer parlamen tarischen Arbeit in der nächsten Zeit sicherlich beschäftigen. Denn die Vielfalt der Informationen, die von Europa ausge hen, ist im Grunde genommen kaum zu bewältigen. Deswe gen werden wir uns hier kluge Mechanismen einfallen lassen müssen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute habe ich versucht, die Punkte aufzugreifen, die nicht nur unserer Fraktion wichtig sind, sondern von denen ich glaube, dass sie den meisten von uns wichtig sind.

Am Ende möchte ich noch eine Sache ansprechen: Es gibt ei nen eindeutigen Bedarf, der über die tagespolitische Ausein andersetzung hinausgeht, nämlich dass sich sowohl die Nati onalstaaten in Europa neu aufstellen als auch Europa insge samt neu aufstellt. In den Nationalstaaten ist nach einer star ken Welle neoliberalen Zeitgeistes eine Rückbesinnung spür bar.

(Oh-Rufe von der FDP/DVP – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: So ein Quatsch! – Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Herr Kollege Wetzel, ich versuche doch gerade zu verbin den. Vielleicht versuchen Sie noch einmal, mir zuhören. – Ich spreche von einem neoliberalen Zeitgeist, der so gar nichts mit dem Freiburger Programm zu tun hatte, sondern der über den Atlantik zu uns herübergeschwappt ist.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Man kann gar nicht mehr zuhören! – Zuruf der Abg. Beate Fau ser FDP/DVP)

Warum müssen Sie immer gleich reflexartig vorgehen, wenn man über die Schwierigkeiten redet, die in diesem Land wahr genommen werden, nämlich dass sich die Menschen ausge grenzt fühlen?