Peter Hofelich

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Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Herr Blenke, wir schie ßen schneller als unser Schatten, so wie Lucky Luke.
Wir haben heute den Europabericht der Landesregierung zu besprechen, und ich freue mich sehr darüber. Ich habe vorher gedacht: Wenn es beim Thema Länderfinanzausgleich schon so hoch hergeht, wie mag es dann erst beim Thema Europa hergehen? Denn auch dort gibt es Ausgleichsmechanismen ohne Ende, Herr Minister. Aber alle bleiben ruhig und gelas sen. Das ist gut so. Europa hat bis jetzt – das wird auch noch nach meiner Rede, hoffe ich, so sein – Gelassenheit, aber auch Begeisterung verdient.
Ich denke, es ist ein Vorteil, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir, wie wir berichten können, im Europaausschuss De batten haben, die in der Regel eine weitgehend gemeinsame Grundlage haben und davon geprägt sind, dass wir badenwürttembergische Interessen in Europa vertreten wollen, vor allem aber in Europa auch präsent sein wollen. Ich denke, das ist nach fünf Jahren eine gute Zwischenbilanz des seinerzeit neu gegründeten Europaausschusses; am Ende dieser Legis laturperiode werden wir ja Bilanz zu ziehen haben.
Unser Land liegt mitten in Europa. Es hat vielfältige Bezüge zu Europa. Unsere Wirtschaft ist eine Exportwirtschaft, unse re jungen Leute suchen Ausbildungsmöglichkeiten auch au ßerhalb des Landes, und viele Menschen wissen natürlich, wie sehr sie die Landschaften in Europa schätzen, ob als Urlauber oder anlässlich von Besuchen bei Bekannten oder Verwand ten.
Das alles ist heute Europa. Aber klar ist auch: Man muss, wenn man im Land Baden-Württemberg tätig ist, europäisch denken und handeln. Es wird die künftige Herausforderung für die Landespolitik sein, die mit der heutigen Verfassungs änderung auch eine neue Dimension erhält, dass wir uns als Baden-Württemberger nun in Europa tatsächlich so verhalten, dass wir uns nicht als abgeschottete Landschaft empfinden, sondern dass wir Bürger sind, die sich in Europa zurechtfin den und wissen, wie andere denken, etwa Briten oder die Ein wohner von Südfrankreich. Das sind wichtige Eigenschaften, die von uns verlangt werden.
Das, was die Amerikaner „Mindset“ nennen, die Frage, wie man eingestellt ist, ist eine ganz wichtige Frage. Ich plädiere dafür, dass wir in Baden-Württemberg nicht nur mit den Lip pen, sondern auch mit dem Herzen positiv zu Europa einge stellt sind.
Meine Damen und Herren, dennoch gibt es das, was Kollege Groh vorhin das „gesellschaftliche Unbehagen“ genannt hat. Dieses gesellschaftliche Unbehagen in Bezug auf Europa ist uns völlig bewusst. Es existiert, wenn Mitbürgerinnen und Mitbürger darüber reden, was wir anderen geben, was wir et wa den Griechen garantieren müssen, und was andere dann aus dem, was wir hier erwirtschaften, für den Aufbau eigener Infrastrukturen einsetzen können. Auf Straßenschildern, etwa in Andalusien, können wir lesen: „Danke an die Europäische Union“.
Manchmal entstehen dabei seltsame Gefühle. Einerseits weiß man, dass man für Europa ist, andererseits verspürt man mit unter ein Unbehagen. Trotz unbestreitbarer Leistungen der Europäischen Union und der Europäischen Kommission, Herr Minister, für die Krisenbewältigung wird von manchen die Krise noch immer als eine Ursache der bestehenden europäi schen Ländervielfalt betrachtet – nach dem Motto: Da gibt es Länder, mit denen man nicht so richtig kalkulieren kann. Des wegen ist diese Ambivalenz, dieses gesellschaftliche Unbe hagen etwas, was wir politisch aufgreifen müssen – nicht im Sinne von „andere überreden, dass Europa einfach gut ist“, sondern tatsächlich im Sinne dessen, dass wir sowohl die Me chanismen als auch die Leistungen erklären müssen, die Eu ropa erbracht hat.
Dies fasst der Europabericht zusammen. Der Europabericht ist ein gutes Kompendium, bei dem auch unsere Ministerien mit ihren Geschäftsbereichen zeigen, was sie in den vergan genen zwei Jahren geleistet haben. Er ist, Herr Kollege Blen ke, so umfangreich wie noch nie. Doch weder die SPD-Frak tion noch die anderen Fraktionen haben die Ministerien dazu aufgefordert, ihn so in einem solch großen Umfang zu verfas sen. Für uns kann er auch etwas komprimierter sein.
Der Bericht ist auch vergangenheitsorientiert, nämlich vor al lem insofern, als er berichtet. Auch da sind wir der Meinung, dass das nicht unbedingt so sein muss. Er kann gern nach vorn schauen; er kann fragen: „Was wollen wir künftig anpacken? Worüber sollen wir im Parlament künftig diskutieren? Wel che europapolitischen Initiativen sollen vonseiten der Ressorts vorgeschlagen werden?“ Wir meinen, dass der Europabericht nicht abgeschafft, sondern neu ausgerichtet werden sollte. Das ist das, was dieses Parlament braucht, meine Damen und Her ren.
Deswegen versuchen wir, Sie zu überzeugen, dass Sie über Ihren Schatten springen, damit wir das tun, was wir eigentlich tun sollten. Wir brauchen eine neue Form. Wir sollten aber einmal im Jahr die Europapolitik in den Mittelpunkt stellen. Das muss vor allem für die Europa-Union, für die europäische Bewegung, für die Kammern und die Gewerkschaften, die eu ropapolitisch unterwegs sind, etwas sein, woraus ersehen wer den kann und wo dokumentiert wird, was das Land tut.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, nennen wir einmal ein paar Punkte, die uns als Parlament in der vergangenen Zeit wichtig waren und mit denen wir ge zeigt haben, dass der Europaausschuss und das Parlament auch tatsächlich etwas erreichen.
Wir konnten am Beispiel des sensiblen Themas Wasserver sorgung auf den Weg bringen, dass das, was wir in Kontinen taleuropa unter öffentlicher Daseinsvorsorge verstehen, nicht einem anderen Verständnis unterworfen, also privatisiert wird. Wir haben auf europäischer Ebene durchgesetzt, dass dies kommunale Angelegenheit bleiben kann, und so praktizieren wir das auch. Wir haben also einen Fortschritt erzielt.
Wir haben uns für die Zeit nach dem Ende der Krise – Herr Minister Pfister ist anwesend – für eine europäische Rating agentur ausgesprochen. Diese europäische Ratingagentur ent spricht der Beschlusslage dieses Hauses. Das haben Sie auch in den Bundesrat eingebracht. Das ist keine Sache gewesen, bei der andere sozusagen jubiliert haben. Wir haben es jetzt auf den Weg gebracht.
Es gibt natürlich entlang der politischen Linien eine Unter scheidung. Die Landesregierung will diese Ratingagentur pri vat ausgestalten. Das Europäische Parlament will eine öffent liche Ratingagentur. Wir Sozialdemokraten wollen ebenfalls eine öffentliche Ratingagentur. Die Richtung ist aber vorge geben. Das Land Baden-Württemberg sagt: Wir wollen aus der Finanzkrise lernen. Das heißt, wir wollen in Europa eine Agentur haben, die uns so bewertet, wie wir sind, wobei wir aber nicht das Objekt, sondern das Subjekt der Bewertung sind. Wir wollen nicht – ich sage es noch einmal –, dass 22-jährige BWL-Studenten an der Börse darüber entscheiden, ob baden-württembergische Unternehmen eine Zukunft oder keine Zukunft haben. Das ist uns wichtig. Wir wollen eine Ra tingagentur.
Wir alle haben uns dafür eingesetzt, dass das Land BadenWürttemberg bei der Erweiterung im Rahmen des Konzepts der großen Region, also der zusammenhängenden Länder, die Donaustrategie unterstützt. Die Donaustrategie bietet die Ge legenheit zur Zusammenarbeit in einem Teil Europas, der erst in die Europäische Union hineinwächst, bei dem etwas ge macht werden muss und bei dem die Regeln nicht so einfach sind wie bei uns. Dort müssen die Regeln erst aufgestellt wer den. Ich nenne beispielhaft die Polizei und die Korruptions bekämpfung.
Wir sagen: Da gehen wir hinein. Wir wollen eine Donaustra tegie. Diese Donaustrategie hat auch Köpfe. Sie werden es mir sicher nachsehen, wenn ich sage: Es ist schön, dass sich der Ulmer Oberbürgermeister mit seiner besonderen Bezie hung zur Stadt Ulm an der Donau dazu bereit erklärt hat, ei ner dieser Köpfe zu sein. Das ist gut für Baden-Württemberg; denn Köpfe aus Baden-Württemberg werben in Europa für unser Land.
Es gibt auch Konfliktstellen. Eine Konfliktstelle ist die Arbeit nehmerfreizügigkeit. Dieses Land lebt davon, dass wir einen
sozialen Konsens haben und dass Ordnung auf dem Arbeits markt herrscht. Diese Ordnung auf dem innerdeutschen Ar beitsmarkt muss noch besser werden. Dazu gibt es auch Vor schläge.
Es muss aber auch auf europäischer Ebene funktionieren. Des wegen haben wir mit der Dienstleistungsrichtlinie klargestellt, dass die Löhne gezahlt werden müssen, die in dem Land gel ten, in dem die Dienstleistung erbracht wird. Es darf nicht das Land, aus dem die dienstleistenden Arbeitnehmer kommen, die Arbeitsbedingungen sowie die Regeln für die Löhne und Gehälter aufstellen.
Neben der Frage der Dienstleistungsrichtlinie werden wir nun die Frage klären müssen, wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit hinsichtlich der neu hinzukommenden Länder – ab dem 1. Mai werden neue Länder hinzukommen – gestaltet wird. Auch da bei wird man Zähne zeigen müssen.
Wir sind der Meinung, dass wir Mindestlöhne für Leiharbeit in Deutschland brauchen und dass diese auch für die Leihar beitsfirmen von außerhalb gelten müssen, die Leiharbeiter nach Deutschland bringen. Für diese müssen die Löhne und Tarife gelten, die hier in diesem Land herrschen. Das ist un ser Interesse in Europa, meine Damen und Herren.
Ich glaube, dass dazu auch gehört, dass wir in der europäi schen Förderpraxis bei den Strukturprogrammen weiterhin ei nen Anspruch auf das erheben, was wir als Baden-Württem berger insgesamt – also unsere Städte, Gemeinden, Regionen – aus den großen Fördertöpfen der Europäischen Union be kommen können; denn europäische Strukturförderung ist nicht allein eine Strukturförderung für die Schwachen. Vielmehr ist sie auch eine Strukturförderung, um Stärken zu stärken. Ba den-Württemberg hat viele Stärken.
Deswegen ist es notwendig, dass wir auch künftig Mittel aus dem ESF-Programm und aus dem EFRE-Programm sinnvoll einsetzen können. Das bedeutet aber auch, dass wir es nicht allein einem Ressort – beispielsweise dem Landwirtschafts ressort – überlassen, wohin die Mittel fließen. Vielmehr müs sen die Ressorts, die die Flaggschiffe für unsere Wirtschafts entwicklung sind – das Wirtschaftsministerium und das Wis senschaftsministerium –, Projekte definieren, die in Zukunft weitaus gewichtiger sind. Denn wir wollen – Stichwort Inno vation – an diesen Strukturprogrammen künftig stärker teil haben als bisher, und zwar mit der ganz klaren Richtung: Fort schritt für Baden-Württemberg.
Ich denke, dass also genug Themen in diesem Europabericht vorhanden sind, bei denen wir nach vorn denkend argumen tieren. Die Verfassungsänderung gibt uns dafür eine besonde re Chance. Herr Kollege Blenke hat alles dargestellt, sodass ich es jetzt nicht noch einmal neu formulieren muss; Herr Kol lege Mack wird dies natürlich profund weiterführen.
Ich denke, dass für uns eine Sache bei dieser Verfassungsän derung in der künftigen Legislaturperiode wichtig sein wird: Europa kommt in dieses Parlament hinein. Jetzt geht es nicht mehr allein darum, dass wir sagen, was wir nicht wollen oder was allein unsere Sache ist. Vielmehr argumentieren wir jetzt und sind im Dialog, um zu äußern, was wir europapolitisch
für richtig und was wir für falsch halten – bei unseren origi nären Verfassungsaufgaben, aber auch bei den Aufgaben, bei denen wir meinen, dass sich dieses Parlament einbringen soll te.
Deswegen werden wir wesentlich mehr im europäischen Di alog sein müssen. Wir als Parlament müssen aber auch mehr Informationen aufnehmen. Dies wird uns in unserer parlamen tarischen Arbeit in der nächsten Zeit sicherlich beschäftigen. Denn die Vielfalt der Informationen, die von Europa ausge hen, ist im Grunde genommen kaum zu bewältigen. Deswe gen werden wir uns hier kluge Mechanismen einfallen lassen müssen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute habe ich versucht, die Punkte aufzugreifen, die nicht nur unserer Fraktion wichtig sind, sondern von denen ich glaube, dass sie den meisten von uns wichtig sind.
Am Ende möchte ich noch eine Sache ansprechen: Es gibt ei nen eindeutigen Bedarf, der über die tagespolitische Ausein andersetzung hinausgeht, nämlich dass sich sowohl die Nati onalstaaten in Europa neu aufstellen als auch Europa insge samt neu aufstellt. In den Nationalstaaten ist nach einer star ken Welle neoliberalen Zeitgeistes eine Rückbesinnung spür bar.
Herr Kollege Wetzel, ich versuche doch gerade zu verbin den. Vielleicht versuchen Sie noch einmal, mir zuhören. – Ich spreche von einem neoliberalen Zeitgeist, der so gar nichts mit dem Freiburger Programm zu tun hatte, sondern der über den Atlantik zu uns herübergeschwappt ist.
Warum müssen Sie immer gleich reflexartig vorgehen, wenn man über die Schwierigkeiten redet, die in diesem Land wahr genommen werden, nämlich dass sich die Menschen ausge grenzt fühlen?
Ich verstehe dieses Zucken nicht.
Wir haben die Situation, dass die Menschen in den europäi schen Ländern erwarten, dass die Politik Gemeinsamkeiten für sie formuliert. Das ist der vorhandene Grundzug. Ich schaue jetzt einmal zu Ihnen von der CDU, wenn Sie es ge statten, weil ich bei Ihnen eine gewisse Hoffnung habe. Die Menschen erwarten, dass diese Gemeinsamkeiten im Aus gleich von Solidarität, Wettbewerb und persönlicher Leistung von der Politik formuliert werden. Darum geht es. Wir sind derzeit dabei, dies in den Nationalstaaten über das hinausge hend, was sozusagen im täglichen Wettbewerb der Parteien geschieht, neu zu formulieren. Hoffentlich geschieht dies auf einer sauberen Grundlage, die darüber hinausreicht.
Das Besinnen auf eine Neuordnung in den Nationalstaaten kann zu einer Abwendung von Europa führen, indem man sagt: Wir wollen uns vor etwas schützen. Tatsächlich geht es aber auch um eine Neuordnung in Europa. Wir wollen die Starken stärken, aber auch die Schwachen mitnehmen. Die ser Spagat, Deutschland und seine Ausrichtung ein Stück weit neu zu ordnen und sich zugleich zu Europa zu bekennen und aktiv mitzumachen, wird nicht ganz einfach sein. Das wird keine einfache Sache.
Ich lese zurzeit – ich gebe zu, es ist ein bisschen weit herge holt; es liegt 800 Jahre zurück, aber das ist nun einmal meine staufische Heimat – das Buch „Der Falke von Palermo“.
Noch 19 Sekunden. – Irgendwie hat man es damals ge schafft, dass man auch damals europäisch gedacht hat.
Ich finde, das europäische Denken steht uns eigentlich gut. Deswegen bin ich dafür, dass wir in den kommenden Jahren jenseits von europäischem Wirtschaftsregime –
über das man reden muss –, jenseits von einem Pakt für Wett bewerbsfähigkeit – was die Kanzlerin jetzt am Wochenende mit Sarkozy und anderen zu besprechen hat – dafür sorgen, dass wir in Europa eine politische Aktion hinbekommen, mit der der Kontinent sozusagen gemeinsame Themen für sich entdeckt. Ob das bezüglich der Steuerpolitik oder beim Ver gleich von Lohnstückkosten wirklich so tief gehen muss, wie es jetzt am Wochenende besprochen wird, weiß ich nicht,
aber eine Richtung von gemeinsamen Themen einzuschlagen, finde ich gut. Wenn wir hier immer – zu Recht – sagen, dass wir eines der europäischsten Länder in Europa sind, dann, fin de ich, ist es auch unsere Aufgabe, so zu denken und so zu handeln.
Vielen Dank.
Herr Rülke, das, was Ihnen kurz vor Torschluss noch alles an „Heftpflästerchen“ einfällt, ist schon interessant.
Herr Präsident, Kolleginnen, Kollegen, meine Damen und Herren! Baden-Württemberg ist ein starkes und ein chancen reiches Land. Es gründet auf der „Schaffigkeit“ und auf der Qualifikation, auf der Neugier und dem Wagemut seiner Be schäftigten, seiner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sei ner Unternehmerinnen und Unternehmer. Es gründet damit auf dem, was auch über dieser Debatte steht: auf Innovation. Jede wirtschaftspolitische und innovationspolitische Debatte in diesem Haus kann sich nicht darum drehen, ob das so ist. Natürlich ist das in unserer Heimat so. Es geht nur um die Fra ge, was die Landesregierung und das Parlament daraus ma chen.
Auch wenn Sie gerade sehr viel Statistik vorgetragen haben – Fakt ist: Es gibt in diesem Land ein Unbehagen darüber, dass diese Landesregierung zu selbstsicher und selbstzufrie den ist und dass sie zu wenig daraus macht. Das ist die Si tuation.
Bei Ihnen im Wahlkreis, Herr Zimmermann.
Das war die erste Überheblichkeit. Herr Zimmermann, wir zählen nachher einmal durch.
Ich sehe gerade auch in lachende Gesichter von Menschen, die es eigentlich besser wissen müssten. Die Frage ist, ob die se Landesregierung dem, was tagtäglich in Fabriken, Labors, Büros passiert – auch ohne die Hochglanzprospekte der Re gierung, auch ohne eine „Wir-sind-spitze“-Rhetorik; es pas siert einfach –, etwas Sinnvolles und etwas Wirksames hinzu fügen kann.
Die Frage ist, was hier hinzugefügt wird. Sie werden mich und uns nicht in der Rolle der Kritiker sehen. Wir sagen einfach: Dieses Land ist spitze. Wir sind gut.
Aber die Frage ist: Was tut die Landesregierung hier über haupt?
Jetzt tut es wieder weh.
Die Frage ist, ob wir das Ganze hier beschreiben können, ob wir auch in der Lage sind, unbestechlich und analytisch fest zustellen, wo das Land steht, und ob wir in der Lage sind, Herr Minister, bei dem, was wir im Einzelnen und im Strukturel len fördern wollen, ein Instrumentarium zu entwickeln, bei dem wir sagen können: Da wird es wirklich wirksam, da set zen wir richtig an. Das ist die Frage, die sich hier im Parla ment stellt.
Deswegen sage ich Ihnen: Ich würde nicht die Tonlage an schlagen, mit der Sie begonnen haben. Ich würde vielmehr vorschlagen, dass wir erstens in dieser Aktuellen Debatte da rüber reden, wie die Situation ist, in der wir uns befinden, dass wir zweitens schauen, welche Vorschläge zum Haushalt es da zu von der Landesregierung gibt, was daran zu schätzen ist, was vielleicht etwas tiefer zu hängen ist und etwas mehr zu hinterfragen ist, und drittens fragen, welche Perspektiven wir als Parlamentarier, als Politiker für dieses Land formulieren sollten. Übrigens sollten wir, was Wirtschaftsfragen angeht, in der Rhetorik Zurückhaltung üben und nicht sagen: „Wir kriegen alles hin“, weil, wie gesagt, vieles andere auch ohne uns geschieht.
Ich will an dieser Stelle aus meiner Sicht – Herr Rülke, Sie werden mir jetzt nachsehen, dass ich mir noch ein bisschen Einblick bewahrt habe – ein paar Dinge zur Situation sa gen.
Das Erste ist: Gerade wurde so locker gesagt: „Wir haben mit Kurzarbeit...“ Erster Sachverhalt ist: Dieses Land BadenWürttemberg hat als stark export- und industrieorientiertes Land eine, wie ich immer sage, starke Jojo-Ökonomie: Wenn es aufwärtsgeht, geht es richtig aufwärts, wenn es abwärts geht, geht es aber auch richtig abwärts – aber Gott sei Dank auf ein Niveau, bei dem wir noch immer sagen können, wir liegen über dem Durchschnitt. Aber bei dieser Auf-ab-Öko nomie ist doch die Frage, wie und warum wir aus der Krise herausgekommen sind.
Ich sage es Ihnen, damit Sie es selbst wissen: Wir sind aus der Krise herausgekommen, weil Belegschaften Zeitkonten abgebaut haben. Wir sind aus der Krise herausgekommen, weil es Kurzarbeit gab. Wir sind aus der Krise herausgekom men, weil es Konjunkturprogramme gab. Darum ging es, Frau Schütz.
Es ging um diese wirksame Politik. Diese Politik verbindet sich nicht mit dem Namen Brüderle, sondern mit dem Namen Steinbrück, dem Namen Scholz und dem Namen Gerhard Schröder.
Ich könnte mir vorstellen, dass es nicht ganz schlecht wäre, das auch einmal vonseiten der anderen Fraktionen auszuspre chen.
Das Zweite, was ich zur Situation sagen will, ist: Wir erleb ten schon vor der Krise, dass dieses – –
Herr Zimmermann, jetzt hören Sie doch einfach einmal zu.
Das Zweite ist: Wir in Baden-Württemberg leben mit einem Risiko, das andere vielleicht gern tragen würden, das wir aber erkennen müssen. Das ist das Risiko, dass wir einen gebrems ten Vorsprung haben. Das sagen uns McKinsey, der Innovati onsrat und andere. Dieses Land ist vorn, aber es hat sozusa gen eine Bremse, was die anderen näher an uns heranrücken lässt. Das ist die Schwierigkeit.
Diese Bremse kann nur durch Innovation gelöst werden.
Deswegen will ich Ihnen auch Folgendes zum Thema Inno vation sagen: Für eine Psychologie des Aufschwungs, die nur darin bestehen kann, nicht allein aus der jetzigen Substanz zu wachsen, sondern aus neuer Substanz, ist Ihre Selbstzufrie denheit Gift. Wir brauchen eine Psychologie der Bewegung und des Wandels und nicht eine Psychologie des Sich-auf-dieSchulter-Klopfens.
Ich habe gerade niemandem auf die Schulter geklopft.
Darf man nicht mehr sagen, dass wirksame Maßnahmen er griffen wurden?
Herr Rülke, netter Versuch. Amerikanische Sportreporter sa gen: Nice try. Das ist aber leider nicht angekommen.
Wir haben über Maßnahmen zu sprechen, darüber, was ge schieht. Das ist das, Herr Minister, was Sie heute einbringen. Ich habe darüber gerade etwas gehört. Aber ich möchte ein fach einmal sagen: Die 60 Millionen € als Resultat der Emp fehlungen des Innovationsrats – Innovationsprogramm – sind auf fünf Jahre eingestellt. 60 Millionen € auf fünf Jahre heißt 12 Millionen € pro Jahr. 2,8 Millionen € wollen Sie in einem sogenannten Innovationspaket für den Mittelstand einsetzen. Für mich persönlich ist das eher ein Sammelsurium als ein wirklich kompaktes Paket. Aber das stellen Sie ein.
Ich will Ihnen einfach einmal sagen, was Sie damit tun: Sie reagieren damit auf das, was wir Ihnen schon über Monate und Jahre sagen.
So ist es.
Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen, weil mein Kollege Dr. Rainer Prewo vor der gesamten Kulisse hier gelegentlich als kritisierender Analytiker „heruntergemacht“ wird.
Ich will Ihnen einmal Punkte nennen, die hier angeführt wor den sind. Eine Schwäche des Mittelstands in Forschungsfra gen,
die Schwierigkeit, neue FuE-Einrichtungen in diesem Land anzuziehen, ein eklatanter Mangel an Risikokapital für junge Existenzgründer in diesem Land, eine schwierige Situation durch ein Schwinden der industriellen Substanz in diesem Land, das sind Themen, die wir angesprochen hatten. Sie re agieren. Sie agieren nicht. Das ist die Situation.
Jetzt nennen Sie einige Punkte. Ich finde es in Ordnung, wenn in Mannheim ein Fraunhofer-Institut neu dazukommt.
Ja. Das ist der Stil, den ich hier gern pflegen würde, dass wir sagen: Da ist etwas, was sinnvoll ist;
und wenn es anders ist, machen wir unsere Anmerkungen da zu.
Es gibt Dinge, bei denen ich der Meinung bin, dass sie in der Wirksamkeit fragwürdig sind. Das ist das, was Sie mit den In novationsgutscheinen in der Größenordnung von 750 000 € aufsatteln. Ich sage Ihnen, Herr Minister, Sie haben ein Pro blem: Sie haben relativ geringe Mittel und brauchen dafür im Wirtschaftsministerium enorm viel Bürokratie. Die Wirksam keit Ihrer Maßnahmen hinterfrage ich im Hinblick auf den tat sächlichen administrativen Aufwand, der dahintersteckt. Ich sage nicht, dass Sie auf dem falschen Feld unterwegs sind.
Es stellt sich die Frage nach der Stärke des Hauses Wirt schaftsministerium. Über die letzten Jahrzehnte hinweg war das ein stolzes Haus, das für das Industrieland Baden-Würt temberg – das wirtschaftsstärkste Land in Deutschland – tat sächlich auch ein Flaggschiff sein muss. Ich erwarte, dass sich das Wirtschaftsministerium stark positioniert und dass es Pro gramme auflegt, bei denen es nicht im Kleinen arbeitet. Ich möchte gern, dass unser Wirtschaftsministerium mit fähigen Beamten im Großen arbeitet. Das ist wichtig.
Deswegen habe ich Ihnen heute zu vermitteln versucht: Un ser Land ist eines, das Antrieb braucht, das Anschub braucht und das Maßnahmen braucht, die am Ende auch eine größere Wirksamkeit erzeugen.
Ich möchte im zweiten Teil gern über einige der Zukunftsli nien reden, die für dieses Land wichtig sind. Eines sage ich Ihnen: Ich freue mich darüber, dass die FDP/DVP diese De batte beantragt hat.
Ich freue mich aber auch darüber, dass ein Ergebnis dieser De batte sein wird, dass unser Land mehr tun muss, als es derzeit tut.
Vielen Dank.
Diesen Gefallen tue ich Ihnen nicht. Deswegen ärgern Sie sich ja.
Kolleginnen und Kollegen, Herr Präsident, Herr Minister! Meine Damen und Herren, ich hatte Ihnen versprochen, dass
ich in der zweiten Runde die Frage beantworte, wohin sich unser Land entwickeln sollte und was wir dafür tun können.
Herr Minister, ich danke Ihnen zunächst einmal dafür, dass Sie versucht haben, eine Beschreibung unserer Lage aus Ih rer Sicht vorzunehmen. Das verdient Respekt. Ich finde aber, dass Sie in einigen Punkten auch wieder erlegen sind, zu sa gen: „Wir machen etwas.“ Da ist es sehr schwer, zu benen nen, wer eigentlich „wir“ ist. Ich nenne das Beispiel Fraun hofer-Institute. Diese werden zu 90 % vom Bund und zu 10 % vom Land gefördert. Das wissen Sie.
Ja. – Aber da muss man bei der Rhetorik ein bisschen auf passen. Sie sagen immer: „Wir machen das; wir machen das“, wenn es eigentlich ganz anders aussieht. Diesen roten Faden erkenne ich in der Debatte bei den derzeitigen Regierungs fraktionen. Sie bringen sozusagen mehr in der Rhetorik, als faktisch tatsächlich geschieht. Das ist die Schwierigkeit.
Deswegen will ich Ihnen am Schluss aus meiner Sicht ein paar wenige Punkte nennen – meine Redezeit ist gleich zu Ende. Ich glaube, dass wir bei den Existenzgründungen wesentlich mehr tun müssen. Unsere Kolleginnen und Kollegen in Bay ern haben in den letzten Jahren 99 Millionen €, glaube ich, für Risikokapital bereitgestellt.
Ihr eigener Innovationsrat sagt, dass Baden-Württemberg von einer nachlassenden Gründungsintensität im industriellen Hightechbereich betroffen sei und das Eigenkapitalangebot für junge innovative Hightechunternehmen in Baden-Würt temberg ungenügend sei.
Herr Minister, Sie können viel sagen. Baden-Württemberg liegt in der Bereitstellung von Risikokapital für junge techno logieintensive Firmen hinten. Es ist zu wenig geschehen. Wir müssen mehr tun, meine Damen und Herren.
Zweitens will ich Ihnen sagen: Zu den Aufgaben der Zukunft gehört auch, dass wir darauf achten, dass die Vergabepolitik der öffentlichen Hand nicht dirigistisch ist, sondern die An reize setzt, bei der öffentlichen Vergabe Wert auf Innovation zu legen.
Ich frage mich, warum wir nicht etwa bei der Informations technik stärker auf offene Systeme setzen, indem wir ganz klar sagen: Wir verlangen in unseren Ausschreibungen, dass künf tig auch Open-Source-Lösungen angeboten werden. Das müsste bei diesen Riesenausgabenposten für Informations technik einmal im Querschnitt aller Häuser vereinbart wer den. Auch hier erwarte ich von der Landesregierung mehr Be reitschaft zur Innovation.
Ich will drittens sagen: Wir sind jetzt, was das Thema Fach kräftemangel angeht, das immer wieder gestreift wird, in der Situation, dass die am besten ausgebildete Frauengeneration,
die es in Baden-Württemberg je gab, nicht genügend in der Lage ist, ihre Fähigkeiten einzubringen.
Deswegen sind wir gefordert, endlich durch eine gute Fami lien- und Bildungspolitik in diesem Land einiges zu verän dern.
Deswegen ist Wirtschaftspolitik für dieses Land auch eine Querschnittsaufgabe. Wir müssen einen Diskurs in der Bevöl kerung führen, bei dem wir sagen: Dieses Land geht als Kern land der Industrie in Europa die nächsten Jahrzehnte an. Die Landespolitik ist verpflichtet, das ihr Mögliche dafür zu tun. Darauf kommt es an, meine Damen und Herren.
Danke schön.
Danke schön, Herr Präsident Drex ler.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind in der Situation, dass der Europaausschuss in der ersten Wahl periode seit seiner Einsetzung bisher viereinhalb Jahre lang Arbeit leisten konnte. Wir konnten dabei sehen, was an Euro papolitik im Landtag gemacht werden kann.
Von Anfang an war klar, dass das sogenannte Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch für das, was den Land tag und die Politik insgesamt angeht, eine Rolle spielt. Des wegen haben wir auch immer einen Blick darauf gehabt, was man aus dem Lissabon-Urteil machen kann.
Die Gefahr war relativ konkret, dass sich im Zuge einer ver stärkten europäischen Rechtsetzung Aufgabenverlagerungen zwischen den Parlamenten in Richtung Europa ergeben, dass der Bund und auch die Länder erlittene Verluste in der Recht setzung dadurch kompensiert bekommen, dass sie stärkere Beteiligungsrechte haben. Was die Länder angeht, gehen die se Beteiligungsrechte aber vor allem über den Bundesrat und damit über die Landesregierung und nicht über den Landtag.
Das wäre die Situation gewesen, wenn alles so gelaufen wä re. Es hat sich auch nie jemand wirklich darum gekümmert, ob das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eigentlich auch Auswirkungen auf Landtage hat, bis wir selbst initiativ ge worden sind und bis – auch das muss man sagen – der ehema lige Verfassungsgerichtspräsident Papier eine Meinung ver treten hat. Diese Meinung – die zunächst eine Minderheits meinung war – lautete: Wir können bei den ausschließlichen Gesetzgebungsaufgaben der Länder nicht einfach sagen, dass dies Aufgaben sind, bei denen wir uns als Landesparlament nicht beteiligen, wenn sie in die bundespolitische, europapo litische Auseinandersetzung hineingehen.
Deswegen die heutige Verfassungsänderung, die heutige Ge setzesänderung. Wir haben ein Signal des Selbstbewusstseins gesetzt. Wir sagen: Der Landtag wird bei den ausschließlichen Gesetzgebungsaufgaben beteiligt. Er wird nicht nur beteiligt, sondern das, was er sagt, ist auch bindend für die Landesre gierung. Das ist ein Fortschritt für dieses Landesparlament.
Ich würde gern einmal in aller Kürze beleuchten, dass es nicht allein darum geht – und auch nicht vorrangig darum geht –, dass sich der Landtag gegenüber Europa abgrenzt,
dass man sozusagen im Sinne von Subsidiarität sagt: Bei dem, was die hier an ausschließlichen Gesetzgebungsaufgaben ha ben, dürft ihr nicht mitmachen. Das wird sich auch nicht durchhalten lassen. Das, was vor allem heute das Signal ist, das, was wir gesetzlich einleiten, ist, dass wir eine stärkere Teilhabe an europäischer Politik haben, dass wir uns mehr ein mischen und dass wir dort, wo es unsere ureigenen Aufgaben
sind, dies auch mit einer klaren politischen Stimme versehen. Das ist heute die Hauptaussage: nicht Abschottung, sondern europäische Teilhabe, Kolleginnen und Kollegen.
In diesem Sinn nehmen wir heute eine wichtige Positionsbe stimmung vor, und wir leiten den Prozess ein. Ich halte das auch für richtig.
Ich will ebenfalls im Sinne eines straffen Sitzungsablaufs nur einen Ausblick geben: Wir werden in der nächsten Wahlperi ode des Landtags sicherlich sehen, dass es für die Arbeit die ses Gremiums, dieses Landtags und seiner Ausschüsse – in der Mehrzahl – auch Folgen haben wird. Denn das frühere Einbeziehen in europäische Politik, das Antizipieren dessen, was sich auf Bundesebene, auf Europaebene an politischen Alternativen anbietet und anbahnt, wird uns, was die Bearbei tung der Vorgänge angeht, mehr Zeit kosten und wird von uns mehr politische Aufmerksamkeit verlangen.
Das heißt: Wir werden auch eine Europäisierung der Land tagsarbeit erleben. Ich will dies nicht zu hoch hängen. Aber es ist auf jeden Fall so, dass wir uns auch mehr mit diesen Themen befassen müssen, wenn wir stärker beteiligt sein wol len und mehr Teilhabe haben. Wir werden dann, Herr Präsi dent, auch darüber sprechen müssen, wie das Prozedere künf tig aussieht.
Ich kann mir gut vorstellen, dass wir hier auch zu einer ver nünftigen Arbeitsteilung zwischen den Fachausschüssen und dem Europaausschuss kommen werden. Man wird darüber in der nächsten Wahlperiode sprechen müssen.
Insgesamt: Wir werden die Details mit dem Minister weiter beraten. Dies ist eine gemeinsame Grundlage des Parlaments, die wir heute vorlegen. Wir sind froh, dass wir einen Schritt vorangekommen sind, dass wir nicht passiv, sondern aktiv sind. Wir wollen aktive Europapolitik machen.
Danke schön.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister! Unter den zahlreichen Gedenktagen, die unsere Republik zu bieten hat, ist der heutige Tag, der IHK-Tag, sicher nicht der bekannteste. Industrie und Handel sind aber trotzdem zwei ganz wesentliche Säulen, auf denen die Stärke Baden-Württembergs beruht. Deswegen bietet es sich an, am heutigen Tag über einen ganz wichtigen, vitalen Faktor für Industrie und Handel zu sprechen, nämlich über Existenzgründungen und deren Finanzierung.
Herr Minister, ich habe ein paar Fragen, die sich darauf be ziehen, wie Ihr Haus dazu derzeit aufgestellt ist. Es schmerzt uns als Sozialdemokraten, dass unser substanziell und poten ziell so starkes Land bei dem Dynamikfaktor der Existenz gründungen derzeit nur im Mittelmaß verharrt und offenbar aus dieser Position auch nicht herauskommt.
Ein Verweis auf das Innovationsland Baden-Württemberg, wie er am Wochenende vom Statistischen Landesamt gemacht worden ist, kann darüber nicht hinweghelfen, weil der Haupt faktor die Patente im Land sind. Die Patentstatistik hängt letzt lich ganz wesentlich von den großen Patentgebern ab, näm lich von Firmen wie SAP, Daimler, Bosch, ZF oder IBM. Das allein macht nicht das Innovationsland aus, auch wenn das ganz wichtig ist.
Das Gründungsgeschehen selbst rückt in den Mittelpunkt der politischen Debatte, weil wir in diesem Bereich Schwächen haben. Historisch gesehen ist es so, dass nach dem Internet hype der späten Neunzigerjahre das Thema Existenzgründun gen in den Vordergrund gerückt ist. Jetzt merken wir, dass wir nicht in der Lage sind, das Niveau der Existenzgründungen in Baden-Württemberg zu halten.
Der Verweis auf den Innovationsrat, der zwei Arbeitsgruppen hatte, die sich dieses Themas annahmen und dann eine Unter arbeitsgruppe gegründet haben, die sich vor allem um Risiko kapital gekümmert hat, ist hilfreich. Diese Unterarbeitsgrup pe hat kritische Ergebnisse zum Stand der Existenzgründun gen in Baden-Württemberg erbracht.
Zusätzlich hat „Stuttgart Financial“, ein Ableger der Börse, der vom Wirtschaftsministerium mit gefördert wird, eine Ana lyse bei einer Münchner Beratungsgesellschaft in Auftrag ge geben, die ebenfalls kritische Ergebnisse zum Thema „Exis tenzgründungen in Baden-Württemberg“ gezeitigt hat.
Das alles ist Grund genug, einige Nachfragen zu stellen.
Meine erste Frage bezieht sich auf die Gründungsintensität in Baden-Württemberg. Trifft es zu, Herr Minister, dass wir in Baden-Württemberg eine nachlassende Gründungsintensität, insbesondere bei Hightechfirmen, haben? Trifft es zu, dass da für vor allem ein unzureichendes Eigenkapitalangebot für jun ge Gründer verantwortlich ist?
Trifft es zu, dass wir, was die Gründungsverbünde von Hoch schulen angeht, eine nachlassende Bindungskraft insofern ha ben, als Hochschulen sich nicht mehr so gern zu regionalen Verbünden zusammenschließen?
Trifft es zu, dass die Existenzgründungsförderung in Ihrem Haus derzeit eher unübersichtlich ist und man nicht in der La ge ist, neue Mittel aus europäischen oder deutschen Quellen zu akquirieren?
Wenn es richtig ist, dass das Eigenkapitalangebot für junge Existenzgründer, insbesondere im Hightechbereich, einen Engpass darstellt, trifft es dann zu, dass dies vor allem für die Frühphasenfinanzierung gilt, also für die sogenannte Seedfi nanzierung? Wenn das so ist, warum steht am Ende dann ein solch schwaches Ergebnis?
Trifft es zu, dass wir im bundesdeutschen Vergleich bei der Seedfinanzierung bestenfalls im Mittelfeld liegen? Trifft es zu, dass wir nachlassende private Risikokapitalfinanzierun gen nicht durch öffentliche Fonds kompensieren können, und trifft es zu, dass wir nicht genügend Anteile für Baden-Würt temberg aus dem sogenannten Hightech-Gründerfonds des Bundes ziehen können? Derzeit sind dies gerade einmal 6,6 %.
Trifft es schließlich zu, dass Sie nicht zugeschlagen haben, als es darum ging, aus Mitteln des Europäischen Regionalfonds EFRE, wie es andere Länder getan haben, einen eigenen Fonds zu gründen, der dieser Schwäche hätte abhelfen kön nen?
Vielen Dank für Ihre Antworten.
Herr Minister, gestatten Sie mir, noch einmal nachzufassen.
Ich habe viele spezifische Fragen gestellt und mich dem Ri siko ausgesetzt, dass die Kolleginnen und Kollegen das als et was strapaziös empfinden. Ich habe das vor allem deshalb ge tan, weil ich der Meinung bin, dass man mit dem Zitieren von Zeitungsüberschriften nicht mehr über die spezifischen Schwächen im Unterbau hinwegkommen kann. Das war der Grund meiner sehr ausdifferenzierten Fragen. Sie haben ei nen Teil davon beantworten können – auch mit der Ankündi gung, die Sie jetzt gerade gemacht haben.
Ich will aber auf zwei Punkte noch einmal substanziell einge hen.
Das Erste ist, dass wir erkennen müssen, dass Baden-Würt temberg im Abschwung vielleicht mehr Existenzgründungen hat, wir aber nicht wissen, ob das wirklich Hightechgründun gen sind. Darüber konnten Sie auch nichts sagen. Das Jahr 2009 als Noch-Krisenjahr müsste dann eigentlich mehr High techgründungen bringen. Ich persönlich glaube das auch. Ich glaube, das Hauptthema in Baden-Württemberg ist – das ist eine Frage der Gründungskultur –, ob die junge Frau oder der junge Mann in der Lage ist, zu entscheiden: Ich gehe jetzt in eine eigenständige Unternehmung, statt dem Lockruf eines großen Unternehmens zu folgen. Das ist die Frage, die sich immer stellt. Ich denke, da haben wir noch Aufholbedarf. Das ist eine Frage der Gründungskultur. Da würde ich Sie gern fra gen – auch zusammen mit dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst –, wie Sie eigentlich an den Hochschu len diese Gründungskultur künftig fördern wollen.
Jetzt komme ich aber zu dem, was uns heute vor allem be schäftigt: das Thema Venture-Capital, Gründungskapital vor allem in der Frühphase. Die Situation ist die, dass in den letz ten fünf Jahren im Land Bayern öffentliche Fonds in der Grö ßenordnung von 77 Millionen € und im Land Nordrhein-West falen von 101 Millionen € aufgelegt worden sind. In Nord rhein-Westfalen sind es fünf Fonds, in Bayern drei; mögli cherweise habe ich die Zahlen verwechselt, aber die Größen ordnung stimmt. In Baden-Württemberg sind wir bei 1 Milli on € und einem Fonds, den wir in den letzten fünf Jahren auf gelegt haben. Sie haben jetzt einen zusätzlichen angekündigt.
Erstens: Wie wird die Größenordnung dieses Fonds sein? Zweitens: Geht es darum, dass Sie vor allem öffentliches Ka pital mobilisieren wollen? Denn gerade beim öffentlichen Ka pital besteht im Augenblick ein Engpass. Deswegen habe ich das Stichwort EFRE-Mittel genannt. Sind Sie in der Lage, dann zusätzlich über Business-Angel-Foren oder was auch immer privates Kapital zu sammeln? Das ist doch die wirkli che Fragestellung, und da muss das Land Baden-Württemberg nicht nur eine kleine Bewegung, sondern einen großen Ruck nach vorn machen.
Kolleginnen und Kollegen! Die 59 Seiten, die das Wirtschaftsministerium und die anderen Mi nisterien als Antwort auf die Große Anfrage der FDP/DVP zu sammengestellt haben, waren interessant und erhellend. Sie taugen wahrscheinlich nicht für eine politisch konfrontative Debatte. Aber es ist auch gut, einfach einmal so ein bisschen zu reden. Natürlich überlegt man auch, welche Aspekte man diesem Thema abgewinnen kann. Das will ich gern tun.
Eingangs will ich gleich sagen: Herr Dr. Rülke und Herr Dr. Löffler, wir hätten kein Problem damit, eine gemeinsame In itiative zur Zuwanderung für junge Studierende, die hier ih ren Abschluss machen, mit dem Ziel auf den Weg zu bringen, dass diese Menschen hier beruflich weitermachen können. Das können wir gemeinsam machen. Wenn von Baden-Württem berg das Signal ausgeht, dass wir in unserem Land Qualifi zierte, die bleiben wollen, mit offenen Armen empfangen, dann tun wir das sehr gern. Wir wären dabei.
Die Lissabon-Strategie – das will ich hier gleich sagen – ist kein Dekret der EU, sondern ein Leitbild, dem ich gern folge, weil es sinnvolle Ziele enthält. Insofern würde ich an dieser Stelle keine Gegnerschaft aufbauen, Herr Kollege Dr. Löffler.
Kommen wir nun aber zu dem, was für unser Land wichtig ist, wenn wir über dieses Thema reden.
Die Dienstleistungsökonomie umfasst 60 % der Wertschöp fung und eine Mehrheit der Beschäftigten. Insofern reden wir über nahezu die gesamte Volkswirtschaft. Es ist sehr schwer, dies überhaupt in einen Gesamtkontext zu fassen und zu sa gen: Ich mache etwas Spezifisches. Wir reden vielmehr über den Großteil der Wirtschaft. In Amerika macht die Dienstleis tungsbranche sogar über 80 % der Wirtschaftsleistung aus.
Insofern habe ich ein gewisses Problem damit, wenn man sagt, die Politik mache hier etwas. Wir werden Anreize setzen kön nen; wir werden Vorgaben im Sinne von Gesetzen machen können, etwa wenn es um Löhne und Gehälter geht. Aber ich glaube nicht, dass wir die ganz großen Räder drehen können. Wir können z. B. das, was die Bevölkerung in Baden-Würt temberg denkt, und die Art und Weise, wie sie zu den Fragen steht, durch die Art, wie wir reden, beeinflussen. Ich möchte das versuchen.
Erstens: Wir haben, Herr Wirtschaftsminister, eine Jo-Jo-Öko nomie. Durch die starke Export- und die starke Industrieori entierung Baden-Württembergs geht die Kurve schneller hoch, wenn es gut läuft. Wenn es schlecht läuft, geht die Kurve aber auch stärker nach unten. Das haben wir in den letzten Jahren in besonderer Ausprägung erlebt.
Ich bin nicht der Meinung, dass wir dieses Privileg – das ist es in gewisser Weise – durch den verführerischen Gedanken einer Glättung durch eine Dienstleistungsökonomie, die ge ringere Schwankungen aufweist, aufgeben sollten. Ich finde, unser Land hat eine Mission, und diese Mission ist die eines Industrielands. Darauf bin ich stolz, und diese Mission will ich auch weiterhin haben.
Zweitens: Wir sind bei Dienstleistungen nicht so schwach, wie wir denken. Das ist keine neue Erkenntnis. Die Antwort auf die Große Anfrage hat das ergeben, was man ohnehin weiß, nämlich, dass es versteckte Dienstleistungen im Industriebe reich gibt. Denn im Industriebereich – das habe ich selbst und das haben auch andere erlebt, die aus der Industrie kommen – sind die Fertigungstätigkeiten, die reinen Produktionstätig keiten, mittlerweile in der Minderzahl.
Im industriellen Bereich schwingen, statistisch gesehen, na türlich jede Menge unternehmensnahe Dienstleistungen mit. Das ist auch gut so. Das macht die Unternehmen robust. Üb rigens ist ein Anzeichen hierfür auch, dass Zentralen von In dustrieunternehmen in Baden-Württemberg sind, und es ist auch eine schöne Sache, wenn Zentralen ihren Standort in Ba den-Württemberg haben.
Auch hierzu sage ich: Unsere Mission ist die des Industrie lands. Davon möchte ich nicht abgehen.
Bei der Antwort der Landesregierung handelt es sich um ein Kompendium, an dem mehrere Häuser mitgewirkt haben. An einer Stelle steht, der Strukturwandel im verarbeitenden Ge werbe könnte durch Tourismus kompensiert werden. Das ist natürlich ein Irrweg, den ich nicht beschreiten würde. Dass der Tourismus wächst und besser werden muss, ist das eine. Eine Kompensation des Strukturwandels im verarbeitenden Gewerbe durch Tourismus halte ich aber nicht für richtig.
Je stärker die Industrie ist – das hat der Bezirksleiter der IG Metall, Jörg Hofmann, bei einer Veranstaltung unserer Partei gestern bestätigt –, desto mehr Sog entsteht für Dienstleistun gen in diesem Land. Das ist im Wesentlichen die Erfolgsfor mel, auf die wir uns stützen sollten.
Ich möchte noch etwas zu den hochwertigen und den einfa chen Dienstleistungen sagen, weil dabei gewisse Zungen schläge deutlich werden. Natürlich ist das Streben nach wis sensbasierten hochwertigen Dienstleistungen richtig. Sie ma chen uns robust und sorgen dafür, dass wir uns richtig anstren gen, was die Qualifikation angeht. Aber nach meinem Men schenbild – ich bin in einer Gastwirtschaft und Metzgerei groß geworden – wird es immer Menschen geben, die einfache Tä tigkeiten verrichten. Es wird immer Menschen geben, die ein bisschen „Dummerle“ sind und einfache Tätigkeiten verrich ten.
Davon profitieren wir alle. – Es kommt aber darauf an, dass man nicht kühn niedrigere Löhne ansetzt, wenn es um Tätig keiten im Haushalt geht, die man selbst erbringen könnte. Richtig ist, dass auch einfache Dienstleistungen in diesem Land anständig bezahlt werden müssen. Das müssen wir an gehen.
Herr Dr. Löffler, deshalb halte ich auch ein Armutsrisiko von 10 % für nicht akzeptabel.
Ich glaube, wir müssen uns stärker dem Export von Dienst leistungen zuwenden. Die baden-württembergische Bevölke rung ist es gewohnt, dass Fachleute nach Dubai fliegen und die Menschen vor Ort beraten, wie eine Meerwasserentsal zungsanlage funktionieren kann. Das muss man verstärken. Dabei müssen auch rechtliche Hindernisse beiseitegeräumt werden. Diejenigen, die in die Ferne gehen, müssen auch den entsprechenden Rückhalt bei uns im Land haben. Sie müssen mit ihren Familien auch wieder zurückkommen können, wenn sie das wollen. Der Export von Dienstleistungen wird ein Zu kunftsthema von Baden-Württemberg sein.
Ich möchte noch etwas zur FuE-Politik sagen, weil das auch immer angesprochen wird. Ich habe mich bereits im Rahmen eines Praktikums im Ministerium während meines Studiums damit beschäftigt. Ich möchte es einfach einmal kurz aufklä ren. Das Land muss sich nicht dafür schämen, dass wir so vie le Forschungsförderungseinrichtungen haben, obwohl das Grundgesetz und die Gesetze die Forschungsförderung vor al lem beim Bund angesiedelt sehen. Deshalb besteht unsere Stärke, abgesehen von dem großen Anteil an Industrieunter nehmen, die eigene Forschung betreiben, natürlich darin, dass wir Trägerorganisationen wie die Max-Planck-Gesellschaft, die zu jeweils 50 % aus Bundes- und Landesmitteln finanziert wird, und die Fraunhofer-Gesellschaft, die zu 90 % vom Bund und zu 10 % vom Land finanziert wird, bei uns im Land ha ben.
Von diesen Einrichtungen, die in den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren aufgebaut worden sind, profitieren wir.
Herr Minister, es kommt darauf an, dass die Institute mit den neuen Forschungsfeldern, die die Trägerorganisationen inte ressieren – dies sind vor allem die Grenzbereiche zwischen den Disziplinen –, nach Baden-Württemberg kommen. Dafür müssen wir uns mehr engagieren.
Ich komme zu den Existenzgründungen. Das ist der Aufwuchs von unten bei Dienstleistern. Unser Land hat ein Problem bei der Förderung und beim Aufwuchs von Existenzgründungen. Herr Minister, wenden Sie bitte endlich Ihre volle Aufmerk samkeit diesem Thema zu. Der Innovationsrat hat sowohl die Wagnisfinanzierung als auch die unübersichtlichen Förderin strumentarien Ihres Hauses kritisiert. Das ist nachzulesen. Wir brauchen mehr bei der Frühphasenfinanzierung. Wir brauchen Mezzanine-Kapital. Wir brauchen eine bessere und übersicht lichere Forschungsförderung und Existenzgründungsförde rung aus dem Wirtschaftsministerium heraus. Das ist notwen dig. Machen Sie das in den letzten Monaten Ihrer Amtszeit, damit wir bei Existenzgründungen nicht weiter ins Hintertref fen kommen.
Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Landtagspräsident, möchte ich noch ein weiteres Thema ansprechen. Die öffentlichen Dienstleis tungen verstecken sich in der Statistik. Dieses Land hat sich eine Verwaltungsreform geleistet, die unzeitgemäß war, die nach hinten losgegangen ist, weil sie nicht das betont hat, was wirklich notwendig ist, nämlich eine Verschlankung und eine Reduzierung der Zahl der Verwaltungsebenen.
Wir werden künftig darüber reden müssen, wie wir es errei chen, dass öffentliche Dienstleistungen zwar nicht weniger werden, dass aber eine Verschiebung dergestalt stattfindet, dass sie näher am Bürger sind. Dies betrifft die Sicherheit, die Bildung und die Ausbildung. Die öffentlichen Dienstleistun gen im Hintergrund – neudeutsch: Backoffice – bei denen man sich gegenseitig verwaltet und kontrolliert, müssen hingegen weniger werden. Bei den öffentlichen Dienstleistungen Ver schiebungen vorzunehmen ist eine große, wichtige Zukunfts aufgabe. Davor drückt sich diese Landesregierung aber.
Zur Schluss will ich noch Folgendes erwähnen: Mein frühe rer Chef Hans-Olaf Henkel hat im Jahr 1992 beim Deutschen Betriebswirtschafter-Tag zum Generalthema des Kongresses eine Rede gehalten. Der Titel hieß: „Die Dienstleistung – wichtiger als das Produkt?“ Hans-Olaf Henkel hat mit der Quintessenz geendet: Die Dienstleistung ist das Produkt. Wir brauchen in diesem Land die Mentalität, dass die Dienstleis tung das Produkt ist, aber immer sehr angelehnt an das, was industriell geleistet wird. Das ist die Botschaft für unser Land, Kolleginnen und Kollegen.
Danke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! In der Tat ist es ein wichtiges Thema, über das ich heute für meine Fraktion sprechen darf. Kollegin Margot Queitsch, die Fachsprecherin zu diesem Thema, ist leider nicht da. Ich will aus meiner Sicht ein paar Gedanken dazu beitragen.
Natürlich gehen die Gedanken zurück in die Kindheit, und man denkt an den Sportunterricht an der damaligen Schule zurück – bei mir war das die Staufeneckschule in Salach –: roter Asphalt, irgendwelche gymnastischen Übungen in der dritten Klasse und eigentlich nichts besonders Begeisterndes. Sport hat anderswo stattgefunden. Sport hat außerhalb der Schule stattgefunden. Eigentlich war das ganze Leben Sport. Der Wetz auf der Straße oder das Verstecken irgendwo auf ei nem Fabrikgelände oder wo auch immer, das war eigentlich Sport als Lebenswirklichkeit, Sport als Alltag.
Damit diese Debatte nicht zur Nostalgiedebatte wird, betrach ten wir im Kontrast dazu die heutige Situation, in der wir se hen, dass Bewegungsarmut leider ein Merkmal bei vielen Kin dern und Jugendlichen ist, und in der wir sehen, dass der Sport in der Schule einen ganz anderen Stellenwert einnehmen muss. Denn diese Bewegung außerhalb der Schule ist nicht mehr in dem Maße erreichbar, wie es vielleicht in der Vergan genheit der Fall war, ob das nun am Straßenverkehr liegt oder ob es daran liegt, dass in den Familien andere Verhältnisse herrschen, dass Kinder nicht mehr die gewohnte Quartierum gebung in ihrer Heimatgemeinde, in ihrer Heimatstadt haben. Das ist die Situation.
Es gibt bekannte Phänomene, die man bei Kleinkindern schon oft sieht: Sie können gar nicht mehr richtig rückwärtsgehen oder haben andere motorische Defizite. Ich finde, Frau Kol legin Neuenhaus hat schön beschrieben, was daraus als Auf gabenstellung erwächst.
Ich will an dieser Stelle als kleines Zwischenfazit sagen: Heu te hat Schule für Sport eine höhere Bedeutung, einfach weil anderes, auch wenn es wünschenswert wäre, im normalen All tag nicht mehr als Kompensation vorhanden ist. Deswegen müssen wir auch der Schule und dem Sport eine höhere Auf merksamkeit schenken.
Ich will drei Punkte ansprechen, die aus Sicht unserer Frakti on wichtig sind, und will dann noch auf den Antrag zum The ma Schulsportmentoren zu sprechen kommen, der von unse rer Fraktion eingebracht wurde.
Zunächst zum generellen Thema, das die Grünen als Große Anfrage eingebracht haben. Ich darf dazu auch sagen, Herr Staatssekretär: Man bedankt sich nicht für die Antworten, man hat dabei etwas zu lernen – das ist überhaupt keine Frage –, aber ich hätte mir in der Antwort an mancher Stelle doch et was mehr Realität und ein bisschen weniger Formales ge wünscht.
Erster Punkt: Schulsport insgesamt an den Grundschulen, aber auch an den weiterführenden Schulen. Ich finde, zunächst soll te man sagen, Kolleginnen und Kollegen, dass wir alle uns leichter tun würden, wenn das Prinzip der Ganztagsschule in Baden-Württemberg gesetzlich gelten würde, wenn Sie von CDU und FDP/DVP sich dazu entschließen könnten, die Ganztagsschule gesetzlich zu verankern. Dann würden wir uns auch leichter damit tun, dass Sport im Alltag der Schulen einen höheren Stellenwert einnimmt. Das sollte geschehen.
Diese eine Stunde Bewegung pro Tag sollte es geben – am besten auf jeden Fall mit drei Stunden Sport in der Woche. Wir sollten versuchen, dies auch mit denen durchzuführen, die fachlich dafür ausgebildet sind, nämlich mit Sportlehrern, und in einem Fach Sport, bei dem ich mich auch dazu beken ne – ich fand dies bemerkenswert –, dass auch eine faire Be notung stattfinden sollte. Weil Sport auch etwas mit Messen, Wettkampf und Vergleichen zu tun hat, soll in dieser Sache auch eine Benotung stattfinden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP/ DVP, ich finde, wir sollten ein Stück weit davon abrücken, in schönen Farben zu malen, wie gut das Jugendbegleiterpro gramm ankommt. Wir alle wissen, dass diejenigen, die Sport stunden geben können, während der Zeiten, in denen Schule stattfindet, beruflich oft nicht zur Verfügung stehen. Deswe gen kann dies eine Ergänzung sein. Aber Sie sind gefordert, in den Schulen auf der professionellen Seite im Sport mehr zu tun. Da besteht gegenwärtig eindeutig ein Defizit.
Auch über das Lehrbeauftragtenprogramm des Landes, bei dem gekürzt worden ist, könnten an dieser Stelle mehr Ak zente gesetzt werden.
Ansonsten möchte ich mich dem anschließen, was die Kolle gin zu den Erkenntnissen ausgeführt hat, die sie selbst gewon nen hat.
Ich komme zu einem zweiten Punkt: Ich fand – das beschäf tigt mich seit vielen Jahren –, dass nur sehr knappe Ausfüh rungen zum Sport an Berufsschulen gemacht worden sind, Herr Staatssekretär. Sportunterricht an Berufsschulen wird ge geben, wenn es gerade passt. Tatsache ist aber, dass diejeni gen, die im dualen System ausgebildet werden, heute prak tisch keine Chance auf Sport in der Berufsschule haben. Tat sache ist ferner, dass auch diejenigen, die nicht im dualen Sys tem ausgebildet werden, mit Sport mit Sicherheit unterver sorgt sind.
Gerade in dieser Phase, von der wir auch wissen, dass sich da rin in gewisser Weise entscheidet, ob junge Leute auf ihrem weiteren Lebensweg Sport treiben, ob sie sich ein bisschen dafür interessieren, in einer Phase, in der man auch merkt, dass es soziale Schichtungen gibt, die in Berufsschulen zum Tragen kommen, ist Sport, finde ich, wichtig. Sport muss an
Berufsschulen bei uns in Baden-Württemberg einen Platz ha ben, auch wenn das Handwerk und die Industrie vielleicht sa gen: „Wir brauchen viel Platz für Ausbildung.“ Derzeit hat der Sport keinen Platz. Das muss sich ändern, Kolleginnen und Kollegen.
Der dritte Punkt: Ich finde – auch wenn heute die Konzentra tion auf die Schule, auf den Schulsport im Zentrum der De batte steht –, dass wir alle dazu aufgefordert sind, bei der Ent wicklung unserer Städte und Gemeinden darauf zu achten, dass Sport für die Jugendlichen und die Kinder tatsächlich wieder etwas mehr in ihrer Lebensumgebung stattfinden kann. Das heißt, es müssen mehr geeignete Plätze geschaffen wer den – es gibt sie bereits in rührigen Kommunen –, nämlich Basketballplätze, Bolzplätze. Aber wir müssen auch dafür sor gen und sollten uns entsprechend anstrengen, dass die Zahl dieser allgemein verfügbaren Plätze in unseren Gemeinden wieder steigen kann, und zwar durch eine bewusste Entwick lung nach innen, aber eben auch durch Möglichkeiten, die Schaffung solcher Plätze zu fördern.
Andernfalls passiert Folgendes: Ich schicke meine Kinder ein fach in die Kindersportschule, in die benachbarte Gemeinde, in der dies möglich ist. Andere können es sich aber vielleicht nicht leisten, ihre Kinder in die Kindersportschule zu schi cken. Dann sind wir jedoch in einer Situation, in der bereits in der Freizeit für die Kinder eine Selektion beginnt: Die ei nen haben Sport, die anderen haben keinen Sport.
Wer zu welcher Gruppe gehört, hängt vom Geldbeutel der El tern ab, und die soziale Integration des Sports fehlt.
Deswegen müssen wir durch gestärkte Sportvereine, Frau Kollegin, aber auch durch öffentliche Plätze für Sport in un seren Gemeinden Sport für alle möglich machen. Denn Sport ist auch etwas, was uns in sozialer Hinsicht hilft.
Lieber Herr Kollege von der FDP/DVP, dass Sie sich vor al lem auf Golfplätze konzentrieren, kann ich mir vorstellen.
Aber Tatsache ist eben, dass die große Mehrheit unseres Vol kes in der Regel in anderen Sportarten zu Hause ist.
Das Wort „Golf“ ist überhaupt nicht über meine Lippen ge kommen.
Schulmentoren: Wir haben eine begrüßenswerte Einrichtung. Das sind Schulmentoren. Das sind junge Leute, die ab dem 15. Lebensjahr ihre Ausbildung in Schulen begleitend machen können, indem sie z. B. Arbeitsgemeinschaften für Sport be treuen, indem sie Wettkämpfe organisieren, indem sie die Ko operation Schule/Verein pflegen. Das sind Schulmentorinnen und -mentoren. Dies wird derzeit auch mit finanzieller Unter stützung der Fachverbände des Sports durchgeführt. Die Sicht des Sports – des Landessportverbands, aber auch des WLSB und des Badischen Sportbunds – ist die, die auch ich mir zu eigen mache: Wir wollen dies. Wir bitten aber auch die Poli tik darum, dass über das hinaus, was wir heute in Ausbildungs lehrgängen haben, nämlich 50, mehr möglich ist, dass wir die sen Engpass beseitigen. Es gibt mehr Bewerberinnen und Be werber für diese Mentorenlehrgänge.
Wir wollen ferner, dass es auch möglich ist, dass sich zusätz lich zu dem, was wir selbst an eigenen finanziellen Anstren gungen im Sport unternehmen – das sind derzeit geschätzt 100 000 € im Jahr plus eigene personelle Anstrengungen –, auch das Land beteiligt. Ich halte es für eine kostengünstige Forderung, für eine richtige Forderung, dass sich das Land bei dieser guten Idee des Mentorinnen- und Mentorenprogramms, Herr Staatssekretär, mehr engagiert. Ich bin gespannt auf Ih re Antwort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Ende. Sport in der Schule ist für uns Sozialdemokraten und Sozialdemo kratinnen ein Anliegen, ein Thema, bei dem wir glauben, dass unser Land aufholen muss. Wir sagen das nicht von dem Standpunkt aus, dass nichts gelingt, sondern wir sagen ein fach: Es ist eine Herausforderung der Zukunft, dass Sport in der Schule mehr Platz haben muss. Deshalb müssen wir un sere Anstrengungen hier auch verstärken. Darum bitten wir, und dazu fordern wir die Landesregierung auch auf.
Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Wenn man aus Sicht derer, die uns von außen und natürlich auch von innen sehen, ein Imagebild des Landes Baden-Würt temberg zeichnen würde, dann würde der Begriff „Mittel standsland“ mit hoher Wahrscheinlichkeit eine vordere Posi tion einnehmen. Baden-Württemberg wird mit gewerblichem Mittelstand assoziiert. Das ist gut so.
Dies hängt nicht nur damit zusammen, dass fast 99 % aller Betriebseinheiten mittelständische Betriebe sind – das ist ei gentlich klar – und dass, glaube ich, 63 % oder 62 % der Be schäftigten in kleinen und mittleren Unternehmen und Hand werksbetrieben tätig sind, sondern das hängt auch damit zu sammen, dass sich die baden-württembergischen Unterneh men auch als Mittelstand fühlen. Selbst Firmen wie Kärcher oder wie Trumpf, deren Geschäftsfeld weit in die Welt hin ausreicht, fühlen sich noch irgendwie mittelständisch. Das ist ein besonderes Signum.
Das ist auch etwas, was ich persönlich für bewahrenswert hal te, weil es die enge Bindung zwischen der Firmenleitung – hoffentlich sind es noch viele Eigentümerunternehmen – und den Beschäftigten sowie den Kunden aufzeigt. Dies ist ein we sentliches Kriterium einer mittelständischen Wirtschaft. Inso fern freut man sich, dass dies gegeben ist.
Der Mittelstandsbericht gibt unabhängig von dem, was die Landesregierung spezifisch leisten kann oder leisten will, ein Bild vom Mittelstandsland Baden-Württemberg wieder, das aber – darauf lege ich Wert – im Grunde genommen über die Zulieferindustrien – dies gehört zur strukturellen Bemerkung – immer eine verbundene Stärke zwischen Großen und Klei
nen, zwischen Zulieferern und Endmontierern und zwischen unterschiedlichen Branchen aufweist.
Ich will noch eine zweite Bemerkung voranstellen. Das ist die Frage, ob sich das Bild wandelt. Wenn ich mit dem Bevoll mächtigten der IG Metall bei mir im Landkreis Göppingen re de, dann sagt er mir: „Lieber Freund, es ist nicht mehr so, dass der schwäbische Tüftler, dessen Bild wir alle gern hochhal ten, das Bild insgesamt bestimmt.“ Es hat Firmenübernahmen gegeben. Manche früher eigenständigen Firmen sind Teile ei nes größeren Konzerns geworden und haben heute vielleicht 200 oder 100 Beschäftigte. Da tun sich die Firmenleitungen von Handwerksbetrieben schwer, eigenständig zu bleiben.
Das Bild des schwäbischen Eigentümerunternehmers, des Tüftlers, das wir gern über die gesamte Breite ausführen möchten, trifft nicht mehr allein die Wirklichkeit. Auch dies gehört zur Beschreibung des Mittelstands. Es gibt heute in den Leitungen von Handwerksbetrieben und vor allem von klei nen und mittleren Unternehmen Personen, die dieses Bild nicht mehr so leben und im Grunde genommen leitende An gestellte sind – auch in kleineren Einheiten –, die einfach ih ren Job machen und bei denen man sich am Ende fragen muss, wie dieses Unternehmen eigentlich geführt wird.
Ich finde, dies sollte im Landtag von Baden-Württemberg auch zu einer Bildbeschreibung gehören; denn ich glaube – das will ich in Richtung der Regierungsseite sagen –, gerade in dieser fragilen Situation, die wir zwei, drei oder vier Jahre lang erlebt haben, sollten wir die Welt der Hochglanzprospek te nicht für die Realität nehmen. Der Landtag ist dafür zustän dig, dass er eine gute Diagnose macht.
Deswegen sage ich: Wir müssen uns einmal darüber unterhal ten, wie sich Mittelstand und Selbstständigkeit heute verhal ten. Das gehört zu einer realistischen Bestandsaufnahme. Dass Zulieferer nicht unbedingt immer selbstständig sind, sondern kleine Industrien und Handwerksbetriebe, das ist ohnehin klar. Die Frage ist aber schon, ob diese Selbstständigkeit in Ver hältnisse übergeht, die wir nicht wollen.
Ich war kürzlich bei der Firma SÜDRAD in Ebersbach an der Fils, einer Firma mit 280 Beschäftigten, die, wie der Name schon sagt, Räder und Felgen produziert. Dort wird an sechs Tagen in der Woche im 21-Schicht-Betrieb gearbeitet. Jetzt ist der Abnehmer gekommen und hat gesagt: „Ich brauche, weil der Aufschwung da ist, folgende Größenordnungen an Felgen. Ihr müsst deswegen sieben Tage in der Woche arbei ten. Wenn ihr das nicht tut, dann muss ich leider von meiner Einherstellerpolitik abweichen und zu einer Zweihersteller politik übergehen.“ Das erzeugt Druck, der auf die Kleineren durchschlägt. Das ist das Leben, wie es sich darstellt. Dieser Druck ist manchmal grenzüberschreitend. Das sollte auch zur Wahrheit dazugehören.
Nach diesen paar Vorbemerkungen möchte ich auf folgenden Punkt zu sprechen kommen: Der Mittelstand, also die kleinen und mittleren Unternehmen, die Handwerksbetriebe, hat eine eigene Einstellung zu dem, was wir machen. Er will eigent lich eine gemischte Wirtschaftsordnung haben. Er will nicht, dass alles allein in der Hand der Privatwirtschaft liegt. Er will, dass der Staat hierbei auch eine Rolle spielt. Das hat vor vie len Hundert Jahren bei den Zunftordnungen begonnen. Dabei
war klar, dass ein öffentliches Interesse vorhanden ist. Auch heute wollen die meisten Betriebe, dass sich der Staat dort ein mischt, wo es sinnvoll ist.
Viele Betriebe des Ausbaugewerks, Handwerksbetriebe ins gesamt, haben mit dem Konjunkturprogramm II in schwieri ger Zeit eine enorme Stützung bekommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Konjunkturprogramm II hat vor allem dem Handwerk, dem Mittelstand geholfen. Das ist eine Erfolgsge schichte. Das ist, denke ich, ein großes Verdienst der Regie rung in Berlin, die das auch mit angestoßen hat, u. a. auch durch unseren Impuls, Kolleginnen und Kollegen.
Gemeinsam.
Ich möchte noch auf ein paar Punkte eingehen, weil der Mi nisterpräsident gestern die Tonlage ausgegeben hat, die mir ganz sympathisch ist: Man soll sagen, was man will.
Erster Punkt: Basel III kommt. Deshalb müssen wir an den Stellen intervenieren, an denen diese Richtlinie für Hand werksbetriebe, für kleine und mittlere Unternehmen in BadenWürttemberg schädlich ist.
Zweiter Punkt: Ich denke, dass wir im Hinblick auf die zu künftige Gewerbeflächenentwicklung und darauf, dass wir ei ne Entwicklung nach innen mit wenig Spielraum für den Flä chenverbrauch wollen, in den Programmen des Wirtschafts ministeriums Akzente auf Flächenrecycling, auf Maßnahmen zur Sanierung alter Industriebrachen für Handwerksbetriebe setzen müssen, die sich vergrößern wollen, die umsiedeln wol len.
Dritter Punkt: Dass wir bei Existenzgründungen viel mehr tun müssen, hat Kollege Löffler gerade schon angetippt. Ich ha be heute Morgen das Nötige dazu gesagt. Ich fordere eine Re vision der Existenzgründungspolitik des Landes.
Der vierte Punkt sind die Wertgrenzen.