Protokoll der Sitzung vom 08.11.2006

(Abg. Michael Theurer FDP/DVP: Schön wär’s manchmal!)

Davon kann keine Rede sein. Wir haben doch in diesem Land – und das sage ich durchaus auch an die Adresse von Parteifreunden – in den vergangenen Jahren nicht ein Problem von zu viel Freiheit gehabt,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

sondern wir haben ein Problem von zu viel Gleichheit gehabt. Im Vergleich der Standorte sollten wir uns überhaupt von Ländergrenzen lösen; denn wir konkurrieren nicht innerhalb Europas, sondern wir konkurrieren mit den großen Zentren der Welt, wir konkurrieren mit Asien, wir konkurrieren mit den Vereinigten Staaten von Amerika, wir konkurrieren mit Indien, und wir konkurrieren mit China. Das sind die Herausforderungen! Wer sich vor der Globalisierung versteckt, der wird über kurz oder lang weitere Arbeitsplätze in diesem Land verlieren, weil sie sich automatisch verlagern. Das ist leider die Realität.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Aus Zeitgründen möchte ich hier nur zwei Themen ansprechen. Das erste ist das Thema Bürokratieabbau. Auch das gehört zur Lissabon-Strategie. Ich finde es absolut richtig, dass der EU-Kommissar Günter Verheugen als erster Kommissar dieses Thema erkannt hat und gesagt hat: Wir haben die Apparate nicht mehr im Griff; ich weiß überhaupt nicht, was wir in der EU-Kommission beschlossen haben. Das war seine Aussage, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Wenn wir in Europa nicht von der Bürokratiebelastung herunterkommen, wenn wir nicht andere Standards anwenden, dann wird dieses europäische Projekt über kurz oder lang Schiffbruch erleiden. Mittlerweile sieht das selbst ein profunder Kommissar so und hat gesagt: Die Apparate haben uns im Griff und nicht mehr wir die Apparate.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, machen wir im Rahmen der Lissabon-Strategie auf allen politischen Ebenen endlich Ernst mit Bürokratieabbau! Das ist das Gebot der Stunde; darum muss es gehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Was heißt das? Das heißt: Themen beschränken, Statistiken weg, Standards zurücknehmen! Ich halte für den einzig Erfolg versprechenden Ansatz von allen, die ich bisher zum Thema Bürokratieabbau gehört habe, den, das niederländische Modell vom Ziel her zu diskutieren und zu sagen: Je

des Gesetz muss binnen eines bestimmten Zeitraums 25 % weniger Kosten für die Wirtschaft, für die Menschen auslösen; nur dann wird es verabschiedet. Das ist das Standardkostenmodell nach niederländischem Vorbild. Nur wenn wir dieses Modell in Europa nationalstaatlich und gesamteuropäisch verwirklichen, kommen wir von dieser Krake Bürokratie herunter. Darum muss es gehen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Dem widerspricht diametral, dass fortlaufend neue EU-Reglementierungen und Handlungsempfehlungen kommen, neue Institute vom Gleichstellungsinstitut bis hin zu einem Technologieinstitut, aktuell eine Kompetenz Europas gegen Alkoholmissbrauch, eine Bodenschutzrichtlinie, die in der Tat – Kollege Blenke hat es gesagt – niemand braucht, die den Fehler der FFH-Richtlinie parzellenscharf wiederholen wird, oder eine Sparkasseneingrenzungspolitik, mit der ein über Jahrhunderte bewährtes Instrumentarium wie das mitteleuropäische Sparkassenwesen jetzt einfach zur Disposition gestellt wird. Das alles brauchen wir nicht.

Europa muss sich, meine sehr verehrten Damen und Herren, um die großen Themen kümmern, dann kümmert es sich um die richtigen Themen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Nachrichtlich einen zweiten und letzten Punkt – Kollege Hofelich hat es angesprochen –: Wissensgesellschaft, Bildungsorientierung. Wenn es überhaupt eine Königsdisziplin gibt, bei der Baden-Württemberg seine Aufgaben im europäischen Vergleich vorbildlich gemacht hat, dann ist es der Gesamtkomplex der Patentpolitik, der Forschungspolitik, der Hochschulpolitik, der Innovationspolitik. Wir haben den höchsten Anteil am Bruttoinlandsprodukt – das darf man doch einmal sagen, ohne bescheinigt zu bekommen, dass man sich selbst beweihräuchert; Realitäten müssen doch benannt werden – von Ausgaben für Forschung und Entwicklung, nämlich 3,9 %.

Wir werden in Europa als Modellregion, als Musterregion für einen gelungenen Technologietransfer, für eine vorbildliche, moderne Wissenschafts- und Forschungspolitik vorgeführt. Darauf sind wir stolz. Das müssen wir mit einer konsequenten Cluster-Politik, Verbundpolitik mit unterschiedlichen Kompetenz-Clustern in den kommenden Jahren fortführen. Ich bin sicher, dass das die Landesregierung mit einem guten Europaminister und einer hervorragenden Wissenschafts- und Technologiepolitik auch tun wird. Das ist unsere Antwort auf die Herausforderungen der LissabonStrategie.

Ich habe die Bitte, dass wir nicht müde werden, beim Bürokratieabbau in diesem Land voranzukommen. Aber auch da hat die Landesregierung mit der Schaffung des Ombudsmanns und der Erkenntnis, dass viele zu detaillierte Normen weg müssen, Richtiges auf den Weg gebracht. Wir ermuntern die Landesregierung, genau diese Politik so fortzusetzen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält Herr Europaminister Willi Stächele.

Verehrter Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Ich glaube, alle spüren, dass es Spaß macht, weil Europapolitik immer mehr den Landtag erreicht und der Landtag sich damit beschäftigt. Ich denke, das haben wir dem Europaausschuss zu verdanken; denn viele Initiativen kommen vom Europaausschuss.

Auf der anderen Seite, lieber Kollege Hofelich, kann ich die Anmerkung, dass es keine einheitliche Stimme zu Europa oder in Sachen Europa gebe, nicht ganz verstehen. Wir wollen keinen Einheitsbrei.

(Beifall des Abg. Theurer FDP/DVP)

Bei der Absprache, wie Ausschüsse untereinander operieren und wie sie miteinander kooperieren können – das haben Sie ja gemerkt –, ist der Europaausschuss vielfach führend. Er wäre aber dumm, wenn er auf das, was an Sachverstand in den anderen Fachausschüssen vorhanden ist, verzichten würde.

Genau das können Sie auf die Landesregierung übertragen. Da geht es nicht darum, ein Einheitsministerium zu schaffen. Ich will vielmehr, dass wir entsprechend der Ressortzuständigkeit bei jedem einzelnen Mitarbeiter immer mehr auch Verantwortungsgefühl für das entwickeln, was die europäischen Themen sind. Dann geht es. Schauen Sie: 60 % der Regelungen, die im Land Baden-Württemberg und in Deutschland gelten, haben ihren Ursprung in Brüssel. Jeder einzelne Mitarbeiter, jedes einzelne Ressort muss zu diesem Gesamtkonzert beitragen. Deswegen kann auch eine solche Antwort wie die vorliegende mannigfach gelobt werden.

Jetzt aber zu der Lissabon-Strategie, meine sehr geehrten Damen und Herren: Das war in der Tat – das ist angesprochen worden – ein außerordentlich ehrgeiziges Ziel. Kollege Theurer hat das noch einmal angesprochen: wissensorientiert, wettbewerbsstärkste Region, arbeitsplatzstärkste Region. Das bedeutet im Grunde die Spitzenposition in der Welt. Das war damals im Jahr 2000. Ich sage Ihnen: Mir ist es lieber, wenn der Ehrgeiz ein bisschen überschäumt, als wenn man den Hund zum Jagen tragen muss.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Am meisten hat mir an der Lissabon-Strategie gefallen, dass man auch psychologisch aus der Defensive herauskommen wollte. Man starrte immer noch zu sehr – wie das Kaninchen auf die Schlange – auf China, Indien und wie die Länder alle heißen. Man wollte aus der Defensive herauskommen und sich auf die eigenen Aktivpotenziale besinnen und dann sagen: Das können wir auch!

Ein weiterer Punkt: Was damals formuliert wurde, ist nicht Überheblichkeit, sondern berechtigter Stolz von uns. Es ist realistisch, was man da formuliert hat. Schaut her auf Baden-Württemberg! Nochmals: Das ist keine Selbstgefälligkeit. Es ist vielmehr möglich. Schauen Sie einmal, was für offene Türen die Lissabon-Strategie bereits heute in BadenWürttemberg einrennt.

Forschung: Dafür sollten Mittel in Höhe von 3 % des Bruttoinlandsprodukts eingesetzt werden. Baden-Württemberg liegt bei 3,9 %. Das ist übrigens die Spitzenstellung in Europa, wohl in etwa gleichauf mit Finnland.

(Minister Ernst Pfister: In der Welt!)

In der Welt möglicherweise. Vielen Dank, Herr Wirtschaftsminister.

Zweitens: Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote.

Drittens: Wir haben eine universitäre Landschaft in BadenWürttemberg, die einmalig ist. Wir sind stolz darauf, dass bei uns mit der Universität Karlsruhe ausdrücklich eine weitere Spitzenposition im Bereich der Naturwissenschaft und der Technik ausgewiesen worden ist.

Schließlich weise ich auf die Frage hin: Wie kann man auch bei hohen Preisen, höheren Löhnen, höheren Sozialstandards als anderswo international wettbewerbsfähig sein? Auch hier sage ich: Schaut nach Baden-Württemberg! 130 Milliarden € beträgt der Export Baden-Württembergs. Es ist also durchaus möglich, statt ängstlich auf andere zu starren, im Wege einer Offensivstrategie dafür Sorge zu tragen, dass es so, wie es jetzt ist, auch in der Zukunft bleiben kann. Ich will im Grunde gar nicht überschwänglich sein. Aber wenn es so, wie es jetzt in Baden-Württemberg ist, in der Zukunft gehalten werden kann, haben wir hehre und hohe Ziele erreicht. Ich kann nur allen in Europa, die noch nicht so weit sind, sagen: Schaut her, es ist durchaus machbar. Gebt einem Land eine Chance, und schaut insbesondere, was unsere Rezepte waren. Das war eben auch eine gute Mittelstandspolitik. Es sind fleißige und heimatverbundene Leute hier,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

und, was ganz entscheidend ist, sie haben Zuversicht, sie wollen Zukunft gestalten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Lissabon-Strategie – da darf man nicht auf den falschen Dampfer kommen – bedeutet zunächst einmal Handlungsbedarf für die Mitgliedsstaaten. Sie ist ein Handlungsauftrag für alle Nationalstaaten, die in der europäischen Gemeinschaft versammelt sind. Da muss man in der Tat sagen: Auch bei uns in Deutschland gibt es noch das eine oder andere zu richten. Ich will ein paar Dinge ansprechen.

Meine Damen und Herren, Energiesicherung ist das A und O, ist der Schlüssel für die Zukunft. Da sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit: Ich kann nicht verstehen, dass wir bei uns Kraftwerke abschalten wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Michael Theurer FDP/DVP)

Wir brauchen diesen Mix, zu dem die Kernenergie gehört. Schauen Sie sich einmal in Europa um. Ich war unlängst bei einer Konferenz in Helsinki. Dort wurde ganz klar gesagt: „Wir brauchen noch ein oder zwei Kernkraftwerke“, und die Bevölkerung versteht das.

(Zuruf des Abg. Gustav-Adolf Haas SPD)

(Minister Willi Stächele)

Dort wird keine Angst davor verbreitet, sondern es wird klargemacht: Dies ist Zukunft.

Das Zweite: Wir brauchen Deregulierung – das ist vom Kollegen Dr. Palmer angesprochen worden – und Entbürokratisierung. Baden-Württemberg hat das erste EU-Graubuch vorgelegt, in dem eine ganze Reihe von Vorschriften aufgezählt werden, die abgebaut werden könnten.

Das Dritte – das ist auch zu beachten –: Wir brauchen Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt. Ich bin ein bisschen erstaunt über die Debatte, die über den entsprechenden Vorschlag von Michael Glos geführt wird. Warum können wir nicht einmal unbefangen an die Sache herangehen? Da gibt es unser europäisches Nachbarland Dänemark: Dort wird das gemacht. Dann kann es doch nicht nur des Teufels sein, zumal Dänemark damit seine Arbeitslosenzahl halbiert.

(Beifall des Abg. Dr. Christoph Palmer CDU)

Warum sind wir nicht einmal – denn wir haben einige Bundesländer, in denen es „zappenduster“ aussieht – bereit, das Ganze irgendwann einmal für ein oder zwei Jahre auszuprobieren? Ich bin der Letzte, der Hire and Fire für Arbeitnehmer propagiert. Ich bin für Arbeitnehmerschutz. Aber der beste Schutz der Arbeitnehmer ist doch der, sie zumindest zeitweise in Arbeit zu bekommen, anstatt sie aus ideologischer Borniertheit draußen zu lassen. Das ist doch der Punkt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Probieren wir doch einmal aus, was ringsum in Europa an anderen Modellen vorhanden ist und dort auch zugegebenermaßen zur Minderung der Arbeitslosigkeit geführt hat.

Meine Damen und Herren, ich denke an die Verkehrsinfrastruktur. Heute Morgen haben wir unter Punkt 1 über dieses Thema gesprochen. Mir ist dabei aber zu selten der Begriff einer europäischen Verkehrstransversale gefallen.