Protokoll der Sitzung vom 08.11.2006

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Junginger.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Zunächst eine Vorbemerkung: Wie gut, dass es das Bundesverfassungsgericht gibt und dass diesem Gericht auch bei seiner Entscheidung im April 2006 die Ergebnisse der nach dem 11. September 2001 durchgeführten Rasterfahndungen vorlagen.

Was ist die Ausgangslage und die Vorgeschichte? Nach dem Motto „Not kennt kein Gebot“ oder auch „Der Zweck heiligt die Mittel“ haben wir seinerzeit mit dem Ziel der Aufdeckung von sogenannten Schläfern, also von Personen,

die unauffällig unter uns leben und jederzeit als Terroraktivisten in Marsch gesetzt werden können, die Rasterfahndung mitgetragen, allerdings ohne Mitwirkung bei der Festlegung der Verdachtsmerkmale und der Einzelkriterien. Dabei gingen wir von einer sehr konkreten Gefährdung aus.

Selbstverständlich war uns das informationelle Selbstbestimmungsrecht als grundgesetzlich geschütztes Bürgerrecht bekannt und bewusst. Trotzdem haben wir seinerzeit im Spannungsfeld – und das ist ein Spannungsfeld – Freiheits- und Bürgerrechte auf der einen Seite und Sicherheit und Terrorismusabwehr auf der anderen Seite der erhofften Terrorgefahrenabwehr Vorrang eingeräumt. Erst die Ergebnisse bzw. die Nichtergebnisse der durchgeführten Rasterfahndungsmaßnahmen in Nordrhein-Westfalen und BadenWürttemberg – 11 000 Personen in Nordrhein-Westfalen, 4 000 Personen bei uns im Netz der Fahndung, Millionen von Datensätzen, jahrelange Auswertungsarbeit, kein einziger „Schläfer“ ermittelt – haben uns zwischenzeitlich sehr nachdenklich gemacht, was denn da wohl falsch gelaufen sein könnte. – So weit die Vorgeschichte.

Das Bundesverfassungsgericht hat uns nunmehr fast fünf Jahre später im April 2006 nachdrücklich in Erinnerung gerufen, dass Bürgerrechte nach den Grundsätzen unserer Verfassung so wichtig und schutzwürdig sind, dass nur bei schwerer Gefährdung von wichtigen Rechtsgütern, und zwar insbesondere nur bei konkreter und nicht etwa schon bei einer allgemeinen Gefährdungslage, in diese Bürgerrechte eingegriffen werden darf. Beispielhaft dargestellt wurde das am Polizeigesetz von Nordrhein-Westfalen. Diese Grundsätze gelten auch für unser Landespolizeigesetz, das in seinen Begriffen und Formulierungen in mehrfacher Hinsicht nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Das ist die Ausgangslage mit dem Fazit: Es besteht Regelungsbedarf.

Die Initiative der Fraktion GRÜNE – das ist mein zweiter Gedanke – ist deshalb grundsätzlich zu begrüßen. Dennoch können wir nach sorgfältiger Beratung im Innenausschuss diesen Gesetzentwurf nicht mittragen, weil er entgegen der Behauptung des Kollegen von den Grünen keine 1:1-Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts darstellt. In einer zentralen Frage wird eine Hürde aufgebaut, die Rasterfahndungsmaßnahmen tatsächlich obsolet macht. Der Gesetzentwurf erhebt eine gegenwärtige Gefahr zur Fahndungsvoraussetzung. Das Bundesverfassungsgericht nennt demgegenüber als Voraussetzung eine konkrete Gefahr, die über eine allgemeine abstrakte Gefährdungslage hinausgeht. Eine gegenwärtige Gefahr als Voraussetzung würde nämlich bedeuten, dass man gar keine Rasterfahndung mehr durchführen kann,

(Abg. Thomas Blenke CDU: So ist es!)

sondern direkt zugreifen muss. Eine gegenwärtige Gefahr ist durch eine Rasterfahndung nicht wirksam zu bekämpfen.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Völlig richtig!)

Das haben die durchgeführten Rasterfahndungen im Zusammenhang mit der Terrorismusabwehr zweifelsfrei ergeben, und das macht den Gesetzentwurf untauglich. Wenn die verlangte „gegenwärtige Gefahr“ durch „konkrete Gefahr“ er

setzt würde, wäre der Gesetzentwurf diskussionswürdig. An der entsprechenden Einsicht mangelt es aber leider unseren Kollegen von der Fraktion GRÜNE.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Wolf- gang Drexler SPD: Schon wieder!)

Drittens: Eine Novellierung ist notwendig. Auf eine eigene Initiative verzichten wir allerdings zurzeit deshalb, weil der Innenminister sowohl in der Stellungnahme zu unserem Berichtsantrag noch vor der ersten Befassung mit dem Gesetzentwurf der Grünen im Plenum als auch bei der ersten Lesung dieses Entwurfs im Plenum wie auch im Innenausschuss konkret und verbindlich angekündigt hat, dass eine Novellierung des Polizeigesetzes innerhalb des ersten Halbjahrs 2007 erfolgen soll. Dabei soll nicht nur die Möglichkeit der Rasterfahndung nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts neu ausgestaltet werden, sondern ebenso sollen und müssen die Rechtsprechungsergebnisse aus dem Bereich der Wohnraumüberwachung und dem Bereich der Telekommunikationsüberwachung unbedingt eingearbeitet werden. Diese Zusage nehmen wir auf und sichern konstruktive Mitarbeit zu.

Allerdings ist in diesem Zusammenhang schon jetzt auf zwei wichtige Grundsätze für die Novellierung hinzuweisen, die für uns unverzichtbar sind. Erstens: So viel staatlicher Eingriff wie unbedingt notwendig, so viel Freiheit und Selbstverantwortung wie irgend möglich.

(Beifall bei der SPD)

Und zweitens: Nicht die Verschärfung von Gesetzen oder der Ruf nach strengeren Strafen erhöhen die Sicherheit und das Vertrauen in die staatliche Ordnung, sondern die Prävention, das bürgerschaftliche Engagement jedes Einzelnen, sein Verantwortungsgefühl und – last, but not least – die ausreichende sachliche und personelle Ausstattung der Sicherheitsbehörden.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie uns deshalb gemeinsam für eine wehrhafte Demokratie eintreten und dabei die Gemeinschaft der Demokraten und der Verfassungspatrioten immer wieder neu beleben.

(Beifall bei der SPD – Abg. Ingo Rust SPD: Sehr richtig!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kluck.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Jetzt wird es auch wie- der ganz sachlich!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wie die Debatte schon in der letzten Plenarsitzung gezeigt hat, sind wir uns alle einig, dass wir unser Polizeigesetz ändern müssen. Die FDP/DVP-Fraktion ist aber dagegen, das im Hopplahoppverfahren zu tun.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Dafür ist die FDP Spezi- alist!)

Deshalb bitte ich die Grünen um Verständnis, dass wir uns damit noch Zeit lassen wollen. Wir werden also Ihren Gesetzentwurf ablehnen.

Schließlich haben wir nicht nur die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rasterfahndung zu beachten – das ist hier auch schon ausgeführt worden –, sondern wir müssen da gleich versuchen, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Sie kennen die aktuelle Rechtsprechung – der Kollege Junginger hat gerade davon gesprochen – zur Wohnraumüberwachung, zur Telekommunikationsüberwachung. Auch dies müssen wir da einarbeiten. Wir werden darauf drängen, dass wir spätestens im Frühjahr 2007 an die Sache herangehen.

Ein Wort zur Rasterfahndung, meine Damen und Herren: Die Rasterfahndung wird problematisch, wenn sie vom Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr abhängig gemacht wird. Das ist schlichtweg unsinnig. Wenn eine gegenwärtige Gefahr vorliegt, dann brauchen wir keine Rasterfahndung, denn dann haben wir schon alle erforderlichen Informationen für einen Zugriff; das ist logisch.

(Beifall des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Deswegen bringt uns das überhaupt nicht weiter. Wir müssen also – das hat auch das Verfassungsgericht festgestellt – auf das Vorhandensein einer konkreten Gefahr abstellen.

Bekanntlich wurde seit dem 11. September 2001 kein sogenannter Schläfer durch die Rasterfahndung enttarnt. Allerdings konnte 1979 – Ältere werden sich vielleicht erinnern – im Zuge der Bekämpfung der Roten-Armee-Fraktion mithilfe der Rasterfahndung ein zweifacher Mörder festgenommen werden. Die präventiv-polizeiliche Rasterfahndung kann also durchaus ein Mittel im Kampf gegen Terrorismus und Schwerstkriminalität sein.

Wir Liberalen wollen der Polizei das Instrumentarium geben, das sie für ihre Arbeit braucht. Wir sind allerdings für durchdachte Aktionen und halten nichts von überhasteten Überreaktionen.

(Beifall des Abg. Michael Theurer FDP/DVP)

Bei jedem Vorfall kommen gleich reflexartig Rufe nach neuen Mitteln für die Terrorismusbekämpfung. Da wird dann populistisch versucht, die Verunsicherung der Bevölkerung auszunutzen.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Wir können uns gerne über Populismus unterhalten!)

Das will ich Ihnen nicht unterstellen, Herr Kollege Blenke. Aber ich will noch einmal bekräftigen: Der verständliche Wunsch der Menschen nach optimaler Sicherheit darf nicht als gleichzeitige Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger missverstanden werden, Stück für Stück auf noch verbliebene Freiheiten zu verzichten.

(Beifall des Abg. Michael Theurer FDP/DVP)

In der freien und offenen Gesellschaft – wir sind uns doch alle miteinander einig, dass wir diese verteidigen wollen –

kann es absolute Sicherheit niemals geben. Sie wissen, dass es in Großbritannien eine massive Überwachung gibt.

(Zuruf des Abg. Thomas Blenke CDU)

Vielen Dank für die Einladung, die Sie ausgesprochen haben. Wir werden sie sorgfältig prüfen. – In Großbritannien gibt es eine nahezu lückenlose Überwachung aller öffentlichen Räume. Dennoch wurde England von schweren Anschlägen getroffen.

(Abg. Ute Vogt SPD: Ja!)

Die verhinderten Kofferbomber von Nordrhein-Westfalen wurden nicht – das muss ich auch noch einmal klarstellen – aufgrund einer Videoüberwachung gefasst, sondern nach Hinweisen des libanesischen Geheimdienstes. Die haben da ein Telefongespräch abgehört, weil sie die auf dem Ticket hatten, und haben dann unseren Diensten einen entsprechenden Hinweis gegeben. Dadurch sind wir dann auf diese Leute gekommen.

Das Täterprofil dieser Kofferbomber wäre im Vorfeld gar nicht aufgefallen. In keiner noch so gut vernetzten Antiterrordatei wären die Beschuldigten vermerkt gewesen. Sie sind auch in keiner vom Verfassungsschutz beobachteten Organisation irgendwie aufgefallen, und sie konnten daher auch nicht Zielscheibe besonderer Überwachungsmaßnahmen oder von Ausspähungen sein. Auch bei einer noch so schrankenlosen Rasterfahndung wären sie nicht im Netz hängen geblieben; denn die Auffälligkeit dieser beiden Beschuldigten bestand ja gerade in ihrer Unauffälligkeit.

Uns ist bewusst, dass auch hier bei uns weiterhin die Gefahr von Anschlägen durch islamistische Terroristen besteht. Der Beweis, dass eine verschärfte Überwachung tatsächlich zu mehr Sicherheit führt, ist bisher aber nicht erbracht worden. Zahlreiche derzeit diskutierte Maßnahmen scheitern bereits an ihrer tatsächlichen und rechtlichen Machbarkeit; bei anderen steht der konkrete Nutzen in Form einer spürbaren Verbesserung der Sicherheit in keinem Verhältnis zur damit im Gleichklang erfolgenden Beschneidung der Bürgerrechte.

Meine Damen und Herren, uns liegen die Freiheit und die Sicherheit der Bevölkerung am Herzen. Deshalb muss alles getan werden, um das Anschlagsrisiko zu minimieren. Aber bitte immer mit den Mitteln des Rechtsstaats! Wir Liberalen sehen Forderungen nach Gesetzesverschärfung immer kritisch. Bevor man daran denkt, sollte man das vorhandene Instrumentarium konsequent nutzen und, wenn unabweisbar, auch verfeinern und nachjustieren. Seit den RAF-Verbrechen in den Siebziger- und Achtzigerjahren gab es über 50 Gesetzesverschärfungen in der Strafverfolgung und bei der Prävention, stets zulasten der Freiheit. Man schützt die Freiheit nicht, indem man sie abschafft. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass sie auch nicht Millimeter für Millimeter stirbt.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Innenminister Rech.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Kollegen! Gerade unter Einbeziehung des flammenden Appells am Schluss der Rede des Kollegen Hagen Kluck will ich doch – wie schon am 12. Oktober bei unserer letzten Debatte zu diesem Thema – feststellen, dass die Schnittmenge an Gemeinsamkeiten doch recht groß ist. Das gilt jedenfalls unstreitig in weiten Teilen, beispielsweise insofern, als der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts eine Anpassung der polizeilichen Vorschriften zur Rasterfahndung erforderlich macht. Ich habe damals zugesagt und sage es heute erneut, dass wir diese Anpassung vornehmen werden.

Aber wir wollen – im Unterschied zu den Grünen – das Thema Rasterfahndung nicht isoliert behandeln. Die Anpassung wird Teil der für das kommende Jahr vorgesehenen Novellierung des Polizeigesetzes sein, und wir werden uns – das habe ich auch im Innenausschuss schon gesagt – anstrengen, um den Entwurf noch im ersten Halbjahr 2007 einzubringen.

Das vorhandene Instrumentarium soll dort, wo es notwendig ist, verbessert werden. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Herausforderungen durch den internationalen Terrorismus. Kollege Thomas Blenke hat ja zu Recht gerade auf diesen Aspekt hingewiesen.