Protokoll der Sitzung vom 06.12.2006

Auch wir, meine Damen und Herren, essen heute ständig von den Früchten des Baumes der Erkenntnis

(Zuruf von der SPD: Thema!)

ich komme schon noch zum Thema, keine Sorge –,

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Aber nicht in zwei Minuten!)

wir mit unserer unendlich forschenden Neugier. Wir wollen immer genauer wissen, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält. Auch wir, meine Damen und Herren, sind verflucht. Wir sind dank unseres Wissens dazu verflucht, Entscheidungen treffen zu müssen, die einem Menschen eigentlich erspart bleiben sollten, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes „un-menschlich“ sind, nämlich die entsetzliche Last der Entscheidung über Leben oder Tod.

Aufgrund des enormen technischen Fortschritts in der Medizin, aufgrund der intensiven Erforschung von komplizierten Wirkungszusammenhängen des menschlichen Körpers, durch unser heute vorhandenes enormes Wissen geraten wir

immer tiefer in Entscheidungszwänge hinein, die uns eigentlich völlig überfordern. Auch die heute gegebene Möglichkeit der legalen Spätabtreibung führt zu einem solchen Entscheidungszwang.

Es wurde schon erläutert, worum es hier geht. Ich möchte darauf hinweisen, dass die geltende Regelung in der Praxis dazu geführt hat, dass Spätabtreibungen vielfach auch bei unklarem Befund oder dem bloßen Verdacht der Behinderung eines Kindes durchgeführt werden.

Es wurde auch schon darauf hingewiesen, dass wir hier eine Stellvertreterdebatte führen. Dieses Thema gehört eigentlich in den Bundestag. So hat sich unsere Bundestagsfraktion im letzten Jahr Gedanken darüber gemacht, die in den Antrag „Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik – verantwortungsvolle Regelungen und Maßnahmen treffen“ eingeflossen sind. Es ist ein Lösungsversuch, der beidem gerecht werden will: dem Schutz des ungeborenen, auch des behinderten Lebens ebenso wie dem Schutz und dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter. Das Ziel dieses Antrags unserer Bundestagsfraktion ist es, Spätabtreibungen wo irgend möglich zu vermeiden. Auch im Mittelpunkt dieses Antrags steht die Forderung nach einem deutlichen Ausbau der Beratung der Frau vor und vor allem auch nach dem Vorliegen des Ergebnisses der Untersuchung.

Unsere Bundestagsfraktion schlägt auch vor, das Embryonenschutzgesetz dahin gehend zu ändern, dass die Möglichkeiten der Präimplantationsdiagnostik genutzt werden sollen, um spätere Abbrüche zu vermeiden. Nur: Ich sage Ihnen ganz persönlich – das ist meine persönliche Haltung –, dass diese Angelegenheit heftig umstritten ist. Sie ist sehr heikel, und es wird zu Recht befürchtet, dass dadurch ein Dammbruch eintritt, und zwar ein Dammbruch dahin gehend, dass langfristig der Manipulation des menschlichen Genoms Tür und Tor geöffnet werden.

Deshalb, meine Damen und Herren, sollten wir uns dieser schwierigen Problematik mit aller Vorsicht und Behutsamkeit nähern, und deshalb habe auch ich große Mühe, nachzuvollziehen, warum ein so hoch komplexes, schwieriges Thema wie die Spätabtreibung und das, was sie für alle Beteiligten bedeutet, zum Gegenstand einer Aktuellen Debatte gemacht wird, zumal – ich sagte es schon – unser Haus gesetzgeberisch gar nicht zuständig ist.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE – Abg. Stefan Mappus CDU: Das ist ein tolles Argument! Das ist bei 50 % aller Aktuellen Debatten der Fall!)

Das taugt nicht zu einem politischen Schlagabtausch, und das taugt auch nicht zu einem wie auch immer gearteten Stimmenfang.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich der Frau Ministerin für Arbeit und Soziales Dr. Monika Stolz.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Schutz des

ungeborenen Lebens ist eine Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen. Insofern ist das sicher auch ein Thema, das diskutiert werden darf.

Heute geht es um die Spätabbrüche, das heißt um die Abbrüche ab der 23. Schwangerschaftswoche aus medizinischen Gründen. Es geht darum, den Frauen und Familien zu helfen, mit der schwierigen Situation umzugehen. Hierzu ist schon einiges gesagt worden. Der medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbruch setzt voraus, dass eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustands der Schwangeren auf eine andere, für sie zumutbare Weise nicht abgewendet werden kann. Klar festzustellen ist also, dass die festgestellte oder die zu erwartende Behinderung des Kindes allein keinen Grund für einen Schwangerschaftsabbruch darstellt.

Ich möchte die Zahlen nennen, um die es geht. Der Anteil der Abbrüche ab der 23. Schwangerschaftswoche lag über die letzten Jahre hinweg nahezu unverändert bei 0,1 % aller Schwangerschaftsabbrüche. Im Jahr 2005 waren es bundesweit 171 und in Baden-Württemberg 18 Fälle. Während der letzten Jahre gab es also eine relativ konstante Zahl, wobei da auch fraglich bzw. nicht nachzuvollziehen ist, um wie viel wirklich überlebensfähige Föten es sich gehandelt hat. Ob bei diesen Spätabbrüchen eine Behinderung des Kindes zugrunde liegt, wird ja nicht aufgrund des Gesetzes erfasst.

Der Schutz des Lebens, auch des ungeborenen, ist vorrangig eine staatliche Aufgabe. Ich befürworte grundsätzlich das Ziel, Spätabbrüche möglichst einzugrenzen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber nicht nur eine Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht auferlegt, sondern hat dem grundrechtlich geforderten Schutz des ungeborenen Lebens auch ein umfassendes Schutzkonzept zur Seite gestellt. Dieses geht davon aus, dass der Schutz des Ungeborenen nicht gegen die Frau, sondern mit der Frau als Verbündeter tatsächlich wirksamer erreicht werden kann. Auch diese Vorgaben müssen wir bei unserer Diskussion beachten. Wir müssen fragen, welche Überlegungen wirklich geeignet sind, mehr Lebensschutz mit der schwangeren Frau bzw. mit dem betroffenen Paar zu erreichen. Eine bloße Klarstellung in § 218, dass die Behinderung des Kindes kein Abtreibungsgrund ist, wird in der Realität meiner Meinung nach keinen einzigen Fall verhindern. Wir dürfen vielmehr die Betroffenen nicht allein lassen.

Beim Schwangerschaftsabbruch nimmt – das ist schon angesprochen worden – die pränatale Diagnostik eine Schlüsselfunktion ein. Sie hat eigentlich zum Ziel, Befürchtungen und Sorgen der Schwangeren zu objektivieren und abzubauen. Vor allem aber ist es so: Wenn der Diagnose keine ausreichenden Therapiemöglichkeiten gegenüberstehen, ist der Konfliktfall eines Schwangerschaftsabbruchs nach pränataler Diagnostik quasi vorprogrammiert. Daher müssen wir ein besonderes Augenmerk auf ein umfassendes Beratungsangebot vor und nach pränataler Diagnostik richten.

Eine große Verantwortung im Umgang mit der pränatalen Diagnostik kommt zunächst der Ärzteschaft zu. Die Bundesärztekammer hat dies erkannt und mit der Erklärung zum Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik und den Richtlinien zur pränatalen Diagnostik von Krankheiten

(Ministerin Dr. Monika Stolz)

und Krankheitsdispositionen reagiert. Sie hat den Ärztinnen und Ärzten eine Leitschnur für ihr Handeln mitgegeben.

Auch die Bundesregierung hat es sich zum Anliegen gemacht, Schwangeren und ihren Partnern im Zusammenhang mit den schwierigen Fragen der Pränataldiagnostik zu helfen. Durch ein Modellprojekt zur psychosozialen Beratung vor, während und nach Pränataldiagnostik sollen Erkenntnisse über die Bedeutung der Beratung nach der medizinischen Indikation gewonnen werden. In Baden-Württemberg haben die Schwangerenberatungsstellen die Beratung im Zusammenhang mit pränataler Diagnostik in ihre Tätigkeit aufgenommen. Hierauf hat das Ministerium für Arbeit und Soziales in den letzten Jahren verstärkt hingewirkt. In enger Zusammenarbeit mit den Landesverbänden und den Schwangerenberatungsstellen soll der weitere Ausbau der qualifizierten Beratung im Bereich der Pränataldiagnostik weiter vorangebracht werden.

Ich begrüße es auch, dass auf Bundesebene die Gespräche zu diesem Thema wieder aufgenommen wurden, und ich hoffe, dass auch dort die Diskussionen sachlich und der in der Tat schwierigen Thematik angemessen geführt werden.

Ich möchte darüber hinaus erwähnen, dass die Länder den Bundesgesetzgeber schon lange auch aufgefordert haben, ein Fortpflanzungsmedizingesetz sowie ein Gendiagnostikgesetz zu erlassen. Hier könnten auch Fragen der Pränataldiagnostik geregelt werden.

Wir müssen die Entwicklung weiterhin im Auge behalten, damit wir dem Schutz des ungeborenen Lebens auch weiterhin nachkommen. Ich sehe hierbei die Aufgabe im Land vor allem auch in der Mitarbeit der Beratungsstellen und natürlich darin, dass wir bei unserer Politik für behinderte Menschen den Eltern, die in einer schwierigen Situation sind, die Gewähr geben, dass auch ein Leben mit einem behinderten Kind die Unterstützung aller hat und dass wir bei diesem Thema nicht in unseren Bemühungen nachlassen, gute Rahmenbedingungen zu schaffen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Lasotta.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Wonnay und Frau Lösch, wenn Sie davon sprechen, dass wir das Thema hier im Rahmen einer Aktuellen Debatte diskutieren, und meinen, dass das nicht hierher gehöre, will ich Ihnen einfach entgegnen: Es geht eigentlich „nur“ um das Leben, „nur“ in Anführungszeichen. Über welche Themen sprechen wir denn sonst? Schauen Sie sich andere Tagesordnungspunkte von Plenarsitzungen im Landtag an. Ich halte es für wichtig, dass wir uns mit diesem Thema beschäftigen und dass sich vor allem auch die Parteien hier entsprechend positionieren. Ich glaube, Sie scheuen sich, hier eine klare Haltung Ihrer eigenen Fraktion zum Ausdruck zu bringen. Sie wiegeln ab und sagen im Endeffekt,

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Es geht um die kla- re Haltung Ihrer Fraktion!)

dass Sie außer der Beratung nichts ändern wollen. Aber das reicht im Endeffekt nicht, um das ungeborene Leben zu schützen. Sie lenken auch davon ab, dass Ihr Parteivorsitzender Beck gesagt hat: Wir müssen hier auch gegen innerparteiliche Widerstände entsprechende Regelungen finden.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Eine verantwor- tungsvolle Lösung!)

Dazu brauchen wir eben die Unterstützung aus den Ländern. Sie müssen auf Ihre Parteien Einfluss nehmen, auch auf Ihre Fraktionen in Berlin,

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Das ist doch kein Parteienthema! Haben Sie das noch nicht kapiert?)

damit wir mehr Schutz für das ungeborene Leben bekommen. Deswegen ist die Debatte, auch hier im Landtag von Baden-Württemberg, wichtig, weil wir unsere Erfahrungen aus der Handhabung in unserem Bundesland nach Berlin weitergeben können.

(Beifall bei der CDU)

Wo liegen neben den gesetzlich notwendigen Regelungen weitere Punkte, die wir für wichtig erachten?

Wir haben keine Aufklärung vor einer entsprechenden Pränataldiagnostik, und wir haben gleichzeitig mit der Beratung meistens den Vorschlag, ein behindertes Kind abzutreiben. Wie läuft das in der Praxis ab? Die Eltern erwarten ein Kind. Die Frau geht in die Klinik, bekommt die Angebote, die entsprechenden Untersuchungsmöglichkeiten wahrzunehmen, und lässt sich untersuchen. Denn die Angebote werden auch wahrgenommen. Dann kommt das Ergebnis. Aufgrund der Rahmenbedingungen, die ich vorhin schon geschildert habe, und der Haftungsregelungen heißt es dann: Na ja, wir können das Kind auch wegmachen lassen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Wie schwätzt denn der? „Wegmachen lassen“! Das ist doch keine Wortwahl!)

Jetzt nenne ich Ihnen die Erfahrungen auch aus meiner eigenen medizinischen Tätigkeit. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren zwei Frauen kennengelernt, die gesagt haben: „Nein, ich lasse das Kind nicht abtreiben; ich kann nicht dazwischen differenzieren, ob das behinderte Leben weniger wert ist als das nicht behinderte Leben.“ Beide Kinder sind gesund zur Welt gekommen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das ist doch schön! – Zurufe der Abg. Marianne Wonnay und Ute Vogt SPD)

Sie sehen, mit welcher Problematik diese ganze Geschichte verbunden ist: In einer Vielzahl von Fällen mündet die Pränataldiagnostik nämlich automatisch in eine Abtreibung.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Deswegen brauchen wir vor der Pränataldiagnostik eine entsprechende psychosoziale Beratung.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Sie sind doch in der Verantwortung als Arzt!)

Wir brauchen – vor allem zu dem Zeitpunkt, zu dem den Eltern die entsprechenden Befunde mitgeteilt werden – eine entsprechende Beratung durch Ärzte und psychosoziale Dienste,

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Vorher!)