Es ist beantragt, den Antrag zur weiteren Beratung an den Schulausschuss zu überweisen. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Der Landtag beschließt dies so.
Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung der Bildungs- und Lehrergewerkschaften und der Kultusministerkonferenz – Drucksache 14/529
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren! Unter der Überschrift „Fördern und fordern – eine Herausforderung für Bildungspolitik, Eltern, Schule und Lehrkräfte“ haben die Bildungs- und Lehrergewerkschaften und die Kultusministerkonferenz am 19. Oktober 2006 mit entsprechend öffentlichem Aufsehen eine Erklärung unterschrieben. In dieser Erklärung werden eine Reihe von Zielvereinbarungen getroffen, die da heißen – ich fasse das kurz zusammen –: den Anteil an höherwertigen Schul- und Ausbildungsabschlüssen zu steigern, den Zusammenhang von sozialer und ethnischer Herkunft und Bildungserfolg zu entkoppeln und Bildung als hohes gesellschaftliches Gut mit entsprechenden Investitionen in allen Bereichen anzuerkennen usw. Das sind alles Forderungen, die wir hier sicher alle gemeinsam unterschreiben können.
Wir als Parlament sind natürlich zum einen froh darüber, dass sich unser Bundesland nach außen so innovativ und zielorientiert darstellt. Wir als Parlament haben aber auch die Aufgabe, die Landesregierung dabei zu kontrollieren, ob sie diese hehren Ziele dann auch umsetzt und wie sie diesem Anspruch, den sie nach außen über das Land hinaus formuliert hat, in der Umsetzung gerecht wird.
Ich will ausdrücklich auf einen Punkt hinweisen, der sofort ins Auge fällt. Ein Teil dieser Erklärung ist eindeutig: dass man die zurückgehenden Schülerzahlen und die daraus frei werdenden Mittel gezielt auch für eine Offensive für Qualität einsetzen und trotz schwieriger Kassenlage die Bildungsanstrengungen fortsetzen soll. Ziel ist also eindeutig, dass durch die zurückgehenden Schülerzahlen nicht das Angebot an den Schulen reduziert werden soll, sondern dass man das Angebot an den Schulen zu einer Qualitätsverbesserung umbauen möchte.
Wir haben jedoch große Zweifel, ob die Landesregierung den Zielen, denen sie sich verpflichtet hat, gerecht wird. Das muss hier Inhalt einer Debatte sein. Das muss Inhalt einer kritischen Analyse sein. Denn wir als Bundesland Baden-Württemberg können es uns mit allen Ansprüchen, die wir uns sonst immer zuschreiben, nicht leisten, Erklärungen mit wichtigen Zielen mit zu unterschreiben und schon innerhalb weniger Wochen im Grunde durch unsere Politik deutlich zu machen, dass wir nicht in der Lage und vor allem nicht bereit sind, diese Ziele auch einzuhalten.
Das Thema Lehrerstellen war auch im Wahlkampf ein wichtiges Thema. Wenn ich einmal alle Ankündigungen der Landesregierung zusammenzähle, die wir jetzt seit „Inbetriebnahme“ der neuen Landesregierung haben,
dann komme ich zu folgendem Ergebnis: Im vollen Ausbau des Jugendbegleiterprogramms werden 800 Lehrerstellen umgewidmet. 521 Lehrerstellen werden jetzt im Rahmen der Haushaltsaufstellung gesperrt. 270 werden gesperrt, weil man damit ausgleicht, dass über die zusätzliche Arbeitszeit der Referendare Unterricht sichergestellt werden soll, und 280 Stellen werden dem aktiven Dienst entzogen, um die Evaluation durchzusetzen.
Entgegen der Erwartung der Bevölkerung – damit, Herr Minister Rau, sind Sie in den Wahlkampf gezogen und ist auch Ihr Ministerpräsident in den Wahlkampf gezogen – werden hier dem Schuldienst über 1 800 aktive Pädagoginnen und Pädagogen entzogen. Das hat sicherlich nichts mit der Umsetzung dieser gemeinsam vereinbarten Beschlüsse zu tun.
Jetzt könnte man fragen, worin das Problem liege. Die Unterrichtsversorgung ist ja gewährleistet. Immer, wenn es an einzelnen Schulen Klagen über die Unterrichtsversorgung gibt, bekommen wir Schreiben und Durchschriften aus dem Ministerium, in denen man wortreich nachweist, dass man Statistiken erfüllt und daher von einer mangelnden Unterrichtsversorgung nicht die Rede sein könne, sondern allenfalls von kurzfristigen organisatorischen Problemen.
Wenn ich mir aber einfach vor Augen führe, dass wir vor wenigen Wochen an einer Berufsschule eine Demonstration hatten, die jetzt sogar in eine Petition gemündet ist, wenn ich mir vergegenwärtige, dass vor wenigen Wochen an einem Gymnasium in dem Ort, aus dem ich komme, demonstriert wurde – ich habe ein Schreiben aus Schwetzingen, ich solle mich jetzt endlich einmal um die Unterrichtsversorgung kümmern; in Hockenheim findet im Februar dazu eine Podiumsdiskussion statt; und jetzt hat mich auch noch eine Schule in Heidelberg angeschrieben –, dann stelle ich einfach fest, dass uns die Statistik nichts hilft, wenn es nicht möglich ist, an der Schule entsprechende Ersatzkräfte, bestimmte Fachlehrer und andere Vertretungen zur Verfügung zu stellen, damit der Unterricht gewährleistet werden kann. Dann ist er eben nicht gewährleistet, und dann kann man auch nicht behaupten, dass die Zahl der Lehrerinnen und Lehrer ausreiche.
Daher lassen Sie uns diese Gemeinsame Erklärung nicht gleich mit einem Schönheitsfehler beginnen, mit dem wir unsere eigenen Ansprüche im Grunde konterkarieren. Lassen Sie uns heute diese kritische Analyse gemeinsam zum Abschluss bringen und dann auch an den Beschlussteil unseres Antrags gehen, der da heißt: Wir müssen zumindest diese 521 Stellen wiederbesetzen, damit wir nachweisen können, dass die Unterrichtsversorgung in Baden-Württemberg dauerhaft gesichert bleibt und man auch mit kurzfristigen Notlagen an einzelnen Schulen sauber umgehen kann; denn auch das darf nicht auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler ausgetragen werden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sie stellen in Ihrem Antrag die Frage nach den zu ziehenden Schlussfolgerungen aus der Gemeinsamen Erklärung und nach den zu treffenden Maßnahmen. Ich glaube, die Stellungnahme der Landesregierung belegt die Anstrengungen, die die Landesregierung unternommen hat, und zwar lange vor dieser Erklärung.
Ich zähle nur ein paar Stichworte auf: das durchlässige Schulsystem, die Bildungsstandards, die Kompetenzen, die gefordert werden, die neuen Lehrmethoden, die Gestaltungsfreiheit für Schulen und – heute Vormittag haben wir es beschlossen – die Evaluation für die Schulen. Ganz besonders wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang, dass wir nun endlich den vorschulischen Bereich angehen können.
Früher hieß es ja immer, den Kindern müsse man die Kindheit erhalten, und Fordern im Kindergartenalter war verpönt. Endlich haben wir begriffen, dass es höchste Zeit ist, dass wir es tun.
In der Begründung Ihres Antrags werfen Sie der Landesregierung indirekt vor, dass sie untätig sei. Denn Sie schreiben, Baden-Württemberg brauche eine Bildungsoffensive und einen Bildungsaufbruch. Das trifft voll daneben.
Zweiter Punkt: Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe. Sie können aus verschiedenen Drucksachen, die ich hier nicht alle zu zitieren brauche, ersehen, was die Landesregierung hier leistet: die außerschulische Jugendbildung, die Jugendsozialarbeit, die Jugendberufshilfe, die Integrationsprojekte – hier laufen eine Vielzahl von Aktivitäten, die die Zusammenarbeit garantieren. Die Weiterentwicklung daraus ist auch der Jugendbegleiter; darüber ist heute schon das Notwendige gesagt worden.
Der dritte Punkt in Ihrem Antrag ist die Forderung, die 521 Stellen, die gesperrt sind, zu entsperren, um sie für die Schulen zugänglich zu machen. Sie wissen, dass diese 521 Stellen aus den 950 Deputaten genommen werden, die durch die 25. Deputatsstunde bei den Lehrern gewonnen wurden. Die 5 500 neuen Stellen, die wir in der letzten Legislaturperiode geschaffen haben, bleiben hier völlig unangetastet.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Richtig! So ist es!)
Darüber hinaus ist diese Maßnahme zu rechtfertigen, weil der Rückgang der Schülerzahlen stärker ist als vorhergesehen.
Im Übrigen können Sie diesen Vorschlag ja noch einmal bei den Haushaltsberatungen einbringen. Bringen Sie dann bitte gleich den Deckungsvorschlag für das MKS mit ein! Denn auch das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport muss einsparen.
Wie üblich sind Ihre Forderungen begründet mit der Aussage – das wiederholt sich mit schöner Regelmäßigkeit –: „Das bestehende dreigliedrige Schulsystem verstärkt die soziale Auslese.“ Sie fordern „Bildungsoffensive“ und „Bildungsaufbruch“, meine Damen und Herren. Im Wahlkampf haben Sie uns beschimpft, wir hätten viel zu viele Baustellen im Bildungsbereich.
Da sehe ich einen gewissen Widerspruch. Ich kann Ihnen aber sagen: Die Baustellen werden zugeschüttet,
Was Sie zur Bildungspolitik beitragen, sind lediglich die Forderungen nach mehr Geld, mehr Lehrern und der Einheitsschule.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Reinhold Gall SPD: Diesen Begriff haben wir noch nie verwandt!)
Und Sie fragen nie nach den Ursachen für das Problem der ungleichen Bildungschancen, die wir in der Tat haben.
(Abg. Norbert Zeller SPD: Sie wissen, dass das nicht stimmt, Frau Vossschulte, was Sie sagen! – Gegenruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Doch, sie hat recht!)
(Abg. Norbert Zeller SPD: Sie wissen, dass Sie die Unwahrheit sagen! – Gegenruf des Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Oh Zeller, Mensch!)
Es ist doch kein Verdienst kanadischer, australischer oder schwedischer Schulen, dass die Einwanderer dort schulisch mithalten können, sondern das Ergebnis einer selektiven Einwanderungspolitik, die Sprachkenntnisse und Anstrengungsbereitschaft voraussetzt.