Protokoll der Sitzung vom 07.02.2007

(Abg. Stefan Mappus CDU: Wie bitte? – Zuruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Am 1. Februar 2006 sprach hier im Hause der Ministerpräsident von der Tatsache – da darf ich wiederum zitieren –, „dass wir in der gesamten nächsten Legislaturperiode die Zahl der Lehrerstellen halten wollen und dadurch bei sinkender Schülerzahl der Aufbau von Ganztagsbetreuung auch mit hauptamtlichen Lehrkräften möglich wird“. Das ist die Messlatte, Herr Ministerpräsident. Ihre Zusage, keine Lehrerstellen zu streichen und die Relation der Schülerinnen und Schüler, die auf einen Lehrer kommen, deutlich zu verbessern, ist die Grundlage, auf der Sie von vielen Menschen gewählt worden sind.

(Beifall bei der SPD)

Nun kann man ja sagen: Es ist in diesen Tagen wieder modern geworden, dass es Menschen gibt, die sagen: Man muss ja nicht alles so ernst nehmen, was der Ministerpräsident den ganzen Tag sagt.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Die SPD war für Mehrwertsteuererhöhung!)

Aber, Herr Ministerpräsident, wir sind hier nicht bei einer Burschenschaft, sondern wir sind hier im Parlament, und wir wollen ernst nehmen können, was Sie uns hier in Parlamentsreden zusagen

(Zuruf des Abg. Dr. Christoph Palmer CDU)

und was Sie den Bürgerinnen und Bürgern im Land zugesagt haben.

(Beifall bei der SPD)

Wir bieten Ihnen an: Folgen Sie unseren Anträgen. Zeigen Sie, dass es Ihnen ernst ist mit den Kindern und Jugendlichen im Land. Lassen Sie sich beim Wort nehmen. Sie sagen in Ihrer Regierungserklärung selbst – ich zitiere –:

Ich denke an den Bereich „Bildung und Betreuung“. Jeder Euro, der dafür neu benötigt wird, wird an anderer Stelle im Haushalt einzusparen sein.

Wohl wahr! Die Sozialdemokratie hat konkrete Vorschläge vorgelegt. 190 Millionen € wollen wir für Bildung und Betreuung umschichten. Herr Kollege Mappus, natürlich sind wir hier im Gleichklang mit dem, was die Sozialdemokratie im Bund beschließt, weil wir dafür sorgen wollen, dass es

nachhaltige Kinderbetreuungsangebote in allen Bereichen gibt

(Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es!)

und dass sie auch bei uns im Land massiv ausgebaut werden.

(Beifall bei der SPD)

Aber beim Erziehungsgeld sind Sie einem verkopften Modell aufgesessen. Wir wollen das Erziehungsgeld in seinem Kern erhalten und vor allem eben den Familien zugute kommen lassen, die wenig verdienen. Das Kindergeld bekommen Familien unabhängig von ihrem Einkommen. Da hat man keine Steuerungsmöglichkeit, auch aufgrund der verfassungsrechtlichen Grundlage.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Wenn man das Kindergeld erhöht, muss man den Reichen genauso viel zahlen wie denen mit geringem Einkommen. Deshalb ist das Erziehungsgeld für uns so wichtig, und deshalb haben wir gesagt: das Erziehungsgeld erhalten, aber nicht so, wie Sie das mit Bildungsgutscheinen machen. Glauben Sie, dass Familien, die sich oft nicht einmal richtig um ihre Kinder kümmern, Familien, die soziale Probleme haben, dann die Kraft und das Wissen haben, den Bildungsgutschein zu nehmen und sich irgendwo zu bewerben? Das ist eine theoretisch interessante Ansicht, aber in der Praxis genau für die Familien, die besonders bedürftig sind, mit Sicherheit die falsche Lösung.

(Beifall bei der SPD)

Wir machen Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, Vorschläge, die keine Verschuldung nach sich ziehen. Wir schlagen auch keinen Schuldenfonds vor, den Sie gern „Bildungsfonds“ nennen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der GrünenFraktion. Denn bei Umsetzung Ihres Vorschlags würden im Grunde 10 000 Lehrerinnen und Lehrer im Vorgriff „verpfändet“. Denn das, was Sie jetzt an Geld herauswirtschaften, ist eine Verschuldung, ist ein Schattenhaushalt. Am Ende werden Sie auch die Zahl der Lehrerinnen und Lehrer ab 2012 dras tisch zu reduzieren haben.

Unsere Vorschläge kommen ohne Verschuldung aus. Wir verzichten auf viele unsinnige Aufgaben wie z. B. die Imagekampagne, für die allein 10 Millionen € ausgegeben werden.

(Zuruf der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE)

Wir wollen eine höhere Ausschüttung durch die LBBW vereinbaren. Wir wollen beispielsweise die Schuldendiensthilfe an den Flughafen Stuttgart streichen. Außerdem – das wurde schon erwähnt – muten wir den Junglehrerinnen und Junglehrern für drei Jahre den Verzicht auf eine Gehaltsstufe zu. Sogar die GEW, die unseren Vorschlag nicht von Anfang an begrüßt hat,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das haben wir auch nicht erwartet!)

hat dieser Tage festgestellt, dass das massive Problem fehlender Stellen schon im kommenden Schuljahr auch auf die Lehrerinnen und Lehrer zukommen wird.

Ich bin mir sicher, dass jemand, der vor dem Einstieg ins Berufsleben steht, auf jeden Fall viel, viel lieber eine Stelle hat, auf der er zunächst nach Besoldungsgruppe A 11 bzw. A 12 bezahlt wird, als keine Stelle zu haben. Das ist im Übrigen ja kein schlechtes Gehalt. Jedenfalls ist es allemal besser, als überhaupt keine Stelle in Aussicht zu haben – so, wie es nach Ihrem Modell der Fall ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich finde schon, dass Sie sich einmal überlegen könnten, ob das, was Sie den Referendaren zumuten, besser ist. Ich finde, es ist eine zynische Politik, zu verlangen, dass man durch unbezahlte Mehrarbeit die Streichung der eigenen Stellen ermöglichen muss. Stattdessen schlagen wir vor, dass die Referendare nach Abschluss ihrer Ausbildung doch lieber einen Solidarbeitrag leisten sollen und dadurch ihre Stellen für die Zukunft sichern. Vor allem würden dadurch die Arbeitsbedin- gungen und die Unterrichtsversorgung massiv verbessert. Das ist das Ziel und ist der richtige Weg für Baden-Württemberg.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten heute zeigen, dass wir hier im Parlament nicht nur zur Schau debattieren.

(Zuruf des Abg. Werner Pfisterer CDU)

Schaffen Sie mit Ihrer Zustimmung zu unseren Vorschlägen 800 Stellen mehr für Lehrerinnen und Lehrer! Lassen Sie uns mit der Zustimmung zu unseren Vorschlägen 3 300 zusätzliche Krippenplätze einrichten! Fördern Sie mit uns Schulsozialarbeit, Weiterbildungs- und Ausbildungsverbünde! Haben Sie den Mut, ein Signal eines Parlaments zu setzen, das sein Königsrecht, nämlich den Haushalt zu beschließen, eigenständig wahrnimmt!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen wir uns auch nicht länger von anderen Bundesländern vorführen! Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz, das Saarland und – gestern wurde es dort beschlossen – Niedersachsen haben bereits ein beitragsfreies Kindergartenjahr.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Auf unsere Kosten! Auf Kosten von Baden-Württemberg!)

Wir im „Möchtegern-Kinderland“ sind noch nicht einmal in der Lage, das, was der Ministerpräsident versprochen hat, nämlich eines seiner berühmten Modelle, einzuführen oder das wenigstens zu prüfen. Stimmen Sie unseren Vorschlägen zu, und Sie können auch Ihren eigenen Ideen treu bleiben und ein beitragsfreies Kindergartenjahr verwirklichen!

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Kernproblem dieses Haushalts ist, dass er so verzettelt daherkommt wie Ihre gesamte Landespolitik.

(Oh-Rufe von der CDU – Lachen bei Abgeordneten der CDU)

Sie trauen sich nicht, einen klaren inhaltlichen Kurs zu halten. Sie wollen noch nicht einmal bei einem Thema wie dem Rauchverbot tatsächlich Ernst machen.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Auch hier mächtig die Appelle, mickrig die Taten. Auch hier wieder nur Beschlüsse, die im Grunde andere betreffen. Kein Rauchverbot im Landtag – ein solches Verbot wurde im Präsidium durch die Regierungskoalition heftig abgewehrt –, aber dafür ein Rauchverbot in den Gefängnissen. Man kann nur hoffen, dass Sie davon niemals betroffen sein werden.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen – Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das haben wir selbst in der Hand! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Gott sei Dank rauchen wir nicht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Ministerpräsident, Sie sparen nicht mit schönen Begriffen und ergänzen gerne zum Beleg Ihrer Tätigkeit das Gesagte mit einem kleinen Modellprojekt. Aber nachhaltige Landespolitik braucht mehr als nur das Umarmen von Interessengruppen. Es reicht nicht aus, von Baustelle zu Baustelle zu springen. Es reicht nicht aus, sich als Mann der Tat zu gerieren, wenn man gar keinen Bauplan vor Augen hat. Was ist der Bauplan Ihrer Politik? Sparen ist unerlässlich. Aber Sparen ist ein Weg und kein politisches Ziel. Was Ihnen fehlt, ist eine Leitidee für diesen Haushalt. Was Ihnen fehlt, ist eine Leitidee für Baden-Württemberg.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Ist die Nullnettoneuver- schuldung keine Leitidee?)

Wir bleiben mit unserem Land nur vorne, wenn wir aus guten Ideen hochwertige Produkte machen. Dafür brauchen wir die besten Köpfe in den modernsten Unternehmen. Deshalb ist die Bildung der Standortfaktor Nummer 1 für unser Land, und deshalb ist sie der SPD-Fraktion so wichtig.

(Beifall bei der SPD)

Wir können im Land auf keine Begabung verzichten. Wir dürfen nicht zulassen, dass Begabungen nicht zum Tragen kommen, etwa weil ein Kind sozial vernachlässigt wird, weil ein Jugendlicher in Armut groß werden muss oder weil ein Erwachsener die deutsche Sprache nie erlernt hat.

Nehmen Sie das Beispiel des Landmaschinenherstellers Kverneland in Konstanz. Dort musste eine Beschäftigungsgesellschaft errichtet werden. 60 Arbeiter mussten erst einmal in einen Deutschkurs, weil sie sonst überhaupt nicht mehr zu vermitteln gewesen wären – 60 Menschen, die seit Jahren und zum Teil seit Jahrzehnten bei uns in Baden-Württemberg leben und arbeiten! Das zeigt doch die eigentliche Dimension der Herausforderungen, auch für die Wirtschaftspolitik unseres Landes, dass Bildungschancen soziale und wirtschaftspolitische Aspekte beinhalten und dass diese nur erfüllt werden können, wenn wir den Mut haben, einen Schwerpunkt in unserem Landeshaushalt zu setzen. Die richtigen Angebote für alle Altersgruppen sind nicht nur für die Menschen, sondern auch für die baden-württembergische Wirtschaft überlebenswichtig.

(Beifall bei der SPD)

Nun noch einmal zum Leitbild. Zu einem erfolgreichen Baden-Württemberg gehört eine moderne Infrastruktur. Wir schla gen vor, für Familien mit Kindern und für Menschen, die nicht zur Generation der Erben gehören, mehr Wohnraum zu schaffen.