Protokoll der Sitzung vom 08.02.2007

Nur noch in Baden-Württemberg, und vor allem durch Sie, Herr Röhm, geprägt, scheinen die letzten Verhinderer einer notwendigen Schulentwicklung zu sitzen.

(Beifall bei der SPD)

Schauen Sie sich einmal an, was andere Bundesländer machen. Schauen Sie sich einmal das Saarland an – ein von der CDU alleinregiertes Land. Dort wurden die Hauptschulen und Realschulen schon längst zu sogenannten Sekundarschulen zusammengelegt.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Schauen Sie sich einmal die PISA-Ergebnisse an!)

Bremen und Sachsen-Anhalt sind auf dem gleichen Weg.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Um Gottes wil- len! Bremen! – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Thüringen hat bei der letzten PISA-Studie Baden-Württemberg überholt, Frau Berroth. Thüringen hat ein Sekundarschulwesen mit Gymnasien und Realschulen, Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls. Rheinland-Pfalz hat die Regionale Schule, und ich nenne auch Brandenburg. Hamburg als jetzt allein von der CDU regiertes Land führt die Hauptschulen und Realschulen zusammen. Schleswig-Holstein mit einer CDU/ SPD-geführten Regierung hat sein Schulgesetz geändert und hat jetzt die neunjährige Schule als Regelschule sowie Gymnasien und Regionalschulen.

Eine breite Front an Bundesländern hat also erkannt, dass sich das ideologische, dogmatische Festhalten an diesem dreigliedrigen Schulwesen längst überholt hat. Das Problem ist, dass Sie das nicht erkennen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Ideologen seid ihr!)

Im Übrigen gibt es weitere Belege dafür. Ich will es nur andeuten. Ich könnte Ihnen hier alle möglichen Zitate bringen. Der baden-württembergische Handwerkstag hält nichts mehr von der Schulstruktur, die wir haben. Professor Baumert, der für Sie, Herr Rau, sozusagen immer der Papst war, was PISA und Schulentwicklung angeht, sagt ebenfalls, dass auch wir in Baden-Württemberg ein zweigliedriges Schulwesen brauchen; von den OECD-Bildungsexperten ganz zu schweigen.

Sie machen sich an unseren jungen Menschen schuldig, wenn Sie an Ihrem Konzept starrköpfig festhalten. Sie nehmen den jungen Menschen wichtige Lernchancen, die sie brauchen.

Hinzu kommt – und damit gehe ich jetzt gern auf Ihre Einlassung ein –, dass wir einen massiven Entzug von Deputaten für den Unterricht haben. Sie, Herr Rau, haben gesagt – und da stimme ich Ihnen zu –: „Unterricht ist das Kerngeschäft der Schule.“ Aber wie sieht die Situation konkret aus? Sie entziehen der Schule Unterrichtskapazitäten – obwohl Sie sagen, dass der Unterricht eigentlich das Zentrale ist. Vor noch nicht allzu langer Zeit haben Sie gesagt:

Ich bin der Auffassung, dass angesichts der bildungspolitischen Herausforderungen dieser Legislaturperiode eine Streichung von Lehrerstellen noch nicht möglich ist.

Daran sieht man auch die Halbwertszeit Ihrer Aussagen.

(Abg. Ute Vogt SPD: August 2006!)

Diese Aussage ist in der „Heilbronner Stimme“ nachzulesen.

Nachdem Sie bestritten haben, dass – wie Frau Vogt gestern zu Recht betont hat – dem Unterricht 3 000 Lehrerstellen entzogen werden, rechne ich Ihnen das einmal vor: Zum einen

sind das die 521 Stellen, die Sie ja auch nicht bestritten haben. Dazu kommen weitere 349 Stellen im nächsten Jahr. 270 Stellen fallen durch die Referendare weg.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Da sind doch noch ein paar Stellen für Referendarstunden dabei!)

800 Stellen widmen Sie für das Jugendbegleiterprogramm um.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Wann? Wann 800?)

Das bedeutet, dass 800 Stellen dem Unterricht entzogen werden und damit praktisch nicht mehr für Unterricht zur Verfügung stehen.

(Abg. Volker Schebesta CDU: 800 in welchem Jahr?)

Bis zu 280 Stellen werden durch die Evaluation umgewidmet.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Ihr wollt doch mehr!)

Wir sind nicht gegen Evaluation, Herr Schebesta, aber diese Stellen dürfen nicht dem Unterricht entzogen werden, sondern müssen dazukommen! Das muss die Devise sein.

(Beifall bei der SPD)

Das ist der Punkt. Das haben Sie offensichtlich immer noch nicht kapiert. Es kann nicht angehen, dass Sie hier großspurig auftreten und sagen: „Wir brauchen Stellen für den Unterricht“, wenn Sie gleichzeitig hergehen und kaltschnäuzig Stellen streichen. Das ist unehrlich, sage ich Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Dann sind 900 Stellen für das Konzept „Schulreifes Kind“ umgewidmet.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Wann?)

Dann schlägt das Konzept die „Operativ Eigenständige Schule“ mit 90 Stellen zu Buche. Gerade hat der Kultusminister zudem gesagt: 1 100 Stellen des Vorgriffsstundenmodells müssen wieder abgebaut werden.

All dies, meine Damen und Herren, bedeutet, dass der Schule Stellen für den Unterricht entzogen werden. Das ist Ihre Politik, die wir für unverantwortlich halten.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU: Zöger- licher Beifall bei der SPD!)

Im Übrigen sage ich Ihnen: Auch für den Bereich der Ganztagsschulen, in dem Sie sich immer so hervortun, haben Sie ein Konzept entwickelt, das im Grunde genommen lautet: Halbtagsschulen plus Aufbewahrung am Nachmittag. Sie verweigern sich der Aufgabe, in diesem Lande für alle Schularten wirklich effektiv gebundene Ganztagsschulen zu schaffen. Sie weigern sich, obwohl wir wissen, dass genau diese Schularten zu einem höheren Lernerfolg führen, vor allem für diejenigen Kinder, die aufgrund der familiären Struktur sozial benachteiligt sind.

(Beifall bei der SPD)

Sie verweigern sich weiter, eine ausreichende Lehrerreserve zu schaffen, die diesen Namen wirklich verdient, um Unterrichtsausfall zu verhindern. Sie verhindern auch die Bildung von kleinen Klassen. Sie wehren sich gegen eine moderne Lehrerbildung. Sie reduzieren Poolstunden, statt deren Zahl zu erhöhen. Sie sind auch für den Unterrichtsausfall an den beruflichen Schulen verantwortlich. Lesen Sie heute einmal die Zeitung. Falls Sie es noch nicht begriffen und kapiert haben – auch heute steht nochmals etwas hierzu in der Zeitung: Kiel kippt das dreigliedrige Schulsystem. Alles im Lande bewegt sich, weil dies notwendig ist, um die Qualität unserer Schulen zu erhalten; nur Sie bleiben starrköpfig und verhindern die notwendige Entwicklung.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Helmut Wal- ter Rüeck CDU)

Interessant ist auch, dass Sie, Herr Rau, offensichtlich sehr gern Herrn Dr. Bueb zitieren. Ich kann Ihnen nur sagen: Sprechen Sie einmal mit Herrn Bueb. Wir waren ja auf einer gemeinsamen Podiumsdiskussion in Salem; Herr Bueb war auch dort. Er ist ein klarer Verfechter einer gebundenen Ganztagsschule für alle Schularten. Es ist schon interessant: Sie picken sich das heraus, was Ihnen gerade passt, während Sie die Dinge verschweigen, die für unsere Schullandschaft und Schulentwicklung wichtig sind.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen brauchen wir in Baden-Württemberg einen Weg, der in Richtung sechsjährige Grundschule geht. Wir brauchen die Zweigliedrigkeit hin zu einem neunjährigen Schulwesen. Wir brauchen die gebundenen Ganztagsschulen für alle Schularten.

Wenn Sie jetzt mit dem Argument der knappen Ressourcen kommen, dann sage ich Ihnen noch eines: Ich empfehle Ihnen, die Berliner Rede des Bundespräsidenten einmal nachzulesen, die er im September 2006 gehalten hat. Darin sagt der Bundespräsident eindeutig, dass er Verständnis für die Haushaltssituation der Länder hat. Trotz dieses Verständnisses fordert er aber mehr Mittel, mehr Ressourcen für den Bildungsbereich. Dem können wir uns nur anschließen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Aber keine sozialistische Einheitsschule! – Gegenruf des Abg. Norbert Zeller SPD: Sie haben nichts ver- standen!)

Das Wort erhält Herr Abg. Lehmann.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Mit der sozialistischen Einheitsschule wurde jetzt ein Stichwort genannt.

(Zuruf von FDP/DVP: Recht hat er auch!)

Ich muss Ihnen sagen: Der Zwischenruf, der vorhin von Herrn Bachmann zur Bildungspolitik, zur Schulpolitik gekommen ist, reduziert die bildungspolitischen Perspektiven der FDP auf einen Punkt. Er hat nämlich gesagt: Wir brauchen Kinder, keine Lehrer.

(Abg. Werner Raab CDU: Aber aus Kindern werden Lehrer!)

So einfach ist anscheinend die Welt aus der Sicht der FDP, was Bildungspolitik angeht.

Ich wollte oder sollte heute aber eigentlich zu einem anderen Thema sprechen,

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Seien Sie so gut!)