Protokoll der Sitzung vom 09.02.2007

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Scheuermann, womit Sie recht haben, ist, dass der Ministerpräsident das Thema Flächenverbrauch vor einem Dreivierteljahr zum ersten Mal in seiner Regierungserklärung hatte. Was Sie dabei aber verschwiegen haben, ist die Tatsache, dass es vorher Anträge aus der Opposition, insbesondere von uns, gegeben hat, um endlich einmal bei diesem Thema voranzukommen – und die haben Sie blockiert.

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Eingemauert! – Abg. Klaus Herrmann CDU: Wir müssen doch nicht die Oppositionsreden halten!)

Wir sind jahrelang in Sachen Flächenverbrauch nicht vorangekommen.

Meine Damen und Herren, lässt man als Umweltpolitiker die letzten Jahre Revue passieren, dann muss man feststellen, dass die Umweltpolitik in der öffentlichen Wahrnehmung über Jahre hinweg ein Schattendasein geführt hat

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

und dass die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen, die Diskussion über die sozialen Sicherungssysteme und andere Themen in den Umfragen natürlich einen ganz anderen Stellenwert gehabt haben. Vielleicht war das auch zu Recht so. Vielleicht ist es zumindest darin mit begründet, dass wir in den letzten zwei Jahrzehnten einige Erfolge in der Umweltpolitik hatten. Unsere Flüsse sind heute sauberer, die Schwermetallbelastung in der Luft, die Schwefeldioxidbelastung usw. sind zurückgegangen. Wir haben keine Rohmülldeponien mehr in der Landschaft. Wir haben keine Müllverbrennungsanlagen mehr, die man mit Dioxinschleudern gleichsetzen kann. So gesehen haben wir durchaus Erfolge – die man vielleicht auch feiern kann, Frau Ministerin, bei 20 Jahren Umweltministerium –, bei denen man aber sagen muss: Diese Erfolge gehen auch auf das Konto der Umweltverbände und Bürgerinitiativen, die in diesen zwei Jahrzehnten mit uns gemeinsam immer Druck gemacht haben.

(Beifall bei den Grünen)

Was den Stellenwert der Umweltpolitik oder der politischen Ökologie insgesamt betrifft, muss man sagen, dass sich in den letzten Wochen ein dramatischer Wandel vollzogen hat. In neuen Umfragen rangiert dieses Thema nicht mehr ganz hinten, sondern bei der Frage, was den Leuten draußen wichtig ist, direkt hinter der Frage nach den Arbeitsplätzen. Das drückt sich in den letzten Wochen auch in den großen Magazinen wie der „WirtschaftsWoche“, dem „Stern“ oder dem „Spiegel“ aus, auch in internationalen wie dem „Economist“. Sie bringen dieses Thema auf die Titelseiten. Das heißt, die Umweltpolitik, die Ökologie ist mittlerweile mitten in der Gesellschaft angekommen und als eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit anerkannt. Dass der Kollege Boris Palmer mittlerweile abends bei Maybrit Illner zusammen mit Klaus Töpfer über die Zukunft der Ökologie plaudern kann, hätte ich mir, ehrlich gesagt, vor einem Jahr noch nicht träumen lassen. Das zeigt aber, wie wichtig dieses Thema mittlerweile geworden ist.

Die letzten Zweifler am Stellenwert der Umweltpolitik dürften wohl am letzten Freitag überzeugt worden sein, als der Weltklimarat IPCC seinen vierten Statusbericht vorgelegt hat, der dramatisch aufzeigt, wohin die Reise geht, wenn wir in den nächsten Jahren nicht in den Bereichen Energieverbrauch, Energieeinsparung und regenerative Energien genauso dramatisch umsteuern.

Der Weltklimarat sagt: Wenn wir nichts tun, wird die Durchschnittstemperatur im schlimmsten Fall bis zum Jahr 2100 um bis zu 6,4 Grad steigen. Das Abschmelzen der Gletscher in den Alpen, in den Rocky Mountains und im Himalaya wird kaum noch aufzuhalten sein. Das Auftauen der Permafrostböden wird auch kaum noch aufzuhalten sein. Wir werden, wenn nichts passiert, einen dramatischen Anstieg der Meeresspiegel erleben – um nur ein paar Punkte zu nennen.

Hier in Baden-Württemberg werden wir erleben, dass die Winter regenreicher werden, dass wir mehr Stürme bekommen. Die Sommer werden trockener werden mit all den Folgen für die Landwirtschaft und den Forst. Aber – das sage ich auch – auch die Mortalitätsrate im Zusammenhang mit zunehmender Hitze im Sommer wird steigen.

Meine Damen und Herren, im Grunde genommen muss man einmal ehrlich sagen: Diese Aussagen sind auch wieder nicht so neu.

(Abg. Dietmar Bachmann FDP/DVP: Stimmt!)

Es gab die UN-Klimakonferenz 1992 in Rio. Erinnern Sie sich einmal daran. Das ist 15 Jahre her. Da sind im Grunde genommen die gleichen Aussagen getroffen worden. Aber in diesen 15 Jahren, Frau Ministerin, ist zu wenig passiert.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU)

Das muss man doch eindeutig sagen: Es ist zu wenig passiert. Der Unterschied zu der damaligen Konferenz ist, dass durch den vierten Statusbericht des Weltklimarats in der Zwischenzeit die Gewissheit der Wissenschaft da ist, dass es so kommen wird, wie ich hier anhand einiger Beispiele angedeutet habe.

Neu ist auch die Gewissheit, dass wir keine Zeit zum Umsteuern mehr haben und dass wir jetzt umsteuern müssen in Be

zug darauf, den Energieverbrauch abzusenken. Wir müssen den Energieverbrauch aus meiner Sicht bis zur Mitte dieses Jahrhunderts halbieren, und wir müssen die andere Hälfte durch regenerative Energien bzw. durch eine wesentlich effizientere Nutzung von Energie abdecken.

Wir müssen, Frau Ministerin, die Reduzierung der CO2-Emissionen meines Erachtens wesentlich konsequenter angehen, als Sie das bislang tun. Ich denke, man muss sich in der Bundesrepublik als Ziel setzen, bis zum Jahr 2020 hierbei eine Reduzierung um 40 % hinzubekommen.

Dies alles geht nur über eine Energiepolitik, die dem Ausbau und dem Einsatz erneuerbarer Energien im Strom- und Wärmesektor, aber auch im Mobilitätssektor absolute Priorität einräumt. Dies alles geht nur, wenn wir sowohl auf der Erzeugerseite als auch auf der Anwenderseite dem Effizienzkriterium einen wesentlich höheren Stellenwert einräumen, als wir das bislang tun. Dies alles geht nur, wenn wir mit Energie im Stromsektor, im Wärmemarkt und im Verkehrssektor wesentlich vernünftiger und sparsamer umgehen, als wir dies heute tun.

(Beifall bei den Grünen)

Zur Atomenergie, Herr Kollege Scheuermann: Ich habe eigentlich gedacht, ich käme heute einmal darum herum, ein Wort dazu zu sagen. Aber das geht hier offensichtlich selbst in solchen Debatten nicht.

(Abg. Dietmar Bachmann FDP/DVP: Schade!)

Die Atomenergie – lassen Sie sich das vielleicht einfach einmal von Ihrem Parteimitglied Klaus Töpfer sagen, oder lassen Sie sich das vom Chef des Umweltbundesamts, Andreas Troge, sagen, der auch Mitglied der CDU ist – wird in Sachen Klimawandel keinen Beitrag leisten. Ich will Ihnen auch sagen, warum: Es gibt die Zeitschrift „atomwirtschaft“. Das ist mehr oder weniger das Zentralorgan der Szene.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU)

Ende eines Jahres veröffentlicht sie immer, was weltweit an Anlagen läuft. Sie hat zur letzten Jahreswende veröffentlicht: Zur Jahreswende 2006/2007 waren weltweit 437 Reaktoren am Netz – übrigens sieben weniger als im letzten Jahr. So viel zur Frage der „Renaissance“ der Kernenergie.

Wenn Sie diese 437 Reaktoren hernehmen und sich die Sache einmal global betrachten, dann sehen Sie, dass diese Reaktoren zu 3,8 % zur Deckung des weltweiten Endenergiebedarfs beitragen. Selbst wenn Sie bei allen 437 Reaktoren eine Laufzeitverlängerung vornehmen wollten, selbst dann würde die Atomenergie, global gesehen, keinen relevanten Beitrag in Sachen Klimawandel leisten können, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Winfried Scheuermann CDU: Das ist ein sehr gefährliches Argument!)

Was soll es denn überhaupt, noch an einer Technologie festzuhalten, die einen Wirkungsgrad von 30 % hat und 70 % der gewonnenen Energie als Abwärme an die Flüsse und an die Abluft abgibt? Viel sinnvoller wäre es doch, stärker auf Kraft

Wärme-Kopplung zu setzen, bei der sowohl Strom als auch Wärme erzeugt wird, als dass Sie und andere Atomstrom beziehen und daheim noch eine Heizung im Keller haben, die die Emissionen in die Luft bläst. Unter dem Strich gesehen bewirkt die Kraft-Wärme-Kopplung weniger CO2-Emissionen als ein System, das aus Atomkraftwerken und aus Heizungen im Keller besteht. Das müssen Sie einfach einmal so nehmen. Verstehen Sie das?

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Was ist stattdessen in den kommenden Jahren aus unserer Sicht notwendig, um dieser Entwicklung in Bezug auf den Klimawandel entgegenzutreten?

Da ist an erster Stelle zu nennen: Wir müssen beim Ausbau der erneuerbaren Energien richtig auf die Tube drücken. Frau Ministerin, wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben: Wir hinken nach wie vor der bundesweiten Entwicklung hinterher. Nach den neuesten Zahlen, die ich kenne, haben wir mittlerweile im Strombereich einen Anteil an erneuerbaren Energien von 10 %. Sie und ich wissen aber: Auf Bundesebene waren wir um die Jahreswende bei 11,9 %, und auf Bundesebene wurde das, was Sie als Ziel für 2010 ausgeben, nämlich 11,5 %, in diesem Jahr bereits überschritten. Ich denke, das zeigt schon, dass wir in dieser Frage nach wie vor in der Regionalliga spielen.

(Zuruf des Abg. Thomas Knapp SPD)

Ich kann Ihnen nur raten, sich in dieser Frage einmal ein bisschen an Ihrer Kollegin Katherina Reiche, mit der Sie sich ja auch öfter treffen, zu orientieren.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Die redet ja auch bloß daher!)

Das ist die umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die in der FAZ vom 3. Januar 2007 gefordert hat, man solle das bundesweite Ziel, bis zum Jahr 2020 einen Anteil von 20 % erneuerbarer Energien zu erreichen, doch bitte schön auf 25 % anheben. Ich würde mir von Ihnen wünschen, dass Sie sich auch einmal an solchen Zielen orientieren.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und des Abg. Thomas Knapp SPD)

Nächster Punkt: Wir brauchen mehr Effizienz bei der Energieerzeugung. Kraftwerke, seien sie konventionell oder atomar, mit 30 % Wirkungsgrad müssen der Vergangenheit angehören. Es muss auch der Vergangenheit angehören, Herr Kollege Scheuermann, dass die EnBW in Karlsruhe einen Kohleblock hinstellt, der 800 Megawatt leistet, bei dem eine Auskopplung der Wärme praktisch gar nicht mehr möglich ist, weil das dortige Fernwärmenetz gut versorgt ist. Das ist aber eine Politik von gestern, die man sich heute nicht mehr leisten kann.

(Beifall bei den Grünen)

Meine Damen und Herren, wir brauchen auch eine Offensive in der Wärmedämmung. Ich finde, Frau Ministerin, dabei machen Sie mit dem jetzigen Haushalt einen Fehler. Wir hatten

jahrelang ein Altbausanierungsprogramm im Haushalt – mit 4,3 Millionen € noch im Jahr 2003. Wir hatten im letzten Jahr noch 2,1 Millionen € und dieses Jahr 650 000 €. Diese 650 000 € wurden jetzt gestrichen, Herr Kollege Scheuermann, und zwar zugunsten des Programms, das Sie jetzt bringen und mit dem Sie den Leuten helfen wollen, Pelletheizungen und anderes in den Keller zu bringen.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Etwas ganz ande res!)

Dazu sage ich: Das ist der falsche Weg. Man muss die Altbausanierung weiterhin unterstützen. Man hätte ja auch hingehen und sagen können: In Verbindung mit den Mitteln, die durch das KfW-Programm vergeben werden, sorgen wir in BadenWürttemberg dafür, dass im Bestand zukünftig 80 %

(Glocke des Präsidenten)

nein, ich erlaube jetzt keine Zwischenfrage; ich habe kaum noch Redezeit – dadurch eingespart werden können, dass wir im Bestand auf Niedrigenergiestandard gehen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Untersteller, ich muss Sie darauf hinweisen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Ja. Zwei Sätze noch, Herr Präsident.

Mehr Effizienz bedeutet auch, dass wir bei dem Programm „Klimaschutz-Plus“ die Mittel erhöhen müssen. Da haben Sie keinen Euro draufgetan. Im Jahr 2006 ist dieses Programm bereits Mitte des Jahres leergefegt gewesen; es waren keine Mittel mehr da. Frau Ministerin, verstehen Sie: Mit Leertiteln kann man keinen Klimaschutz betreiben.