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Aktuelle Debatte – Die geschichtsverfälschende Trauerrede des Ministerpräsidenten: Ihre Folgen für das Ansehen Baden-Württembergs und ihre Konsequenzen für die Landespolitik – beantragt von der Fraktion der SPD
Es gelten die üblichen Redezeiten: fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.
Nach Artikel 34 unserer Landesverfassung erteile ich zunächst Herrn Ministerpräsident Oettinger das Wort.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 1. April starb Hans Filbinger, unser früherer und langjähriger Ministerpräsident. Vor zwei Wochen fanden im Freiburger Münster die Trauerfeier und ein Staatsakt statt.
Meine dort gehaltene Trauerrede hat zu sehr viel Kritik und zu einer bundesweiten Debatte geführt. Ich habe damals die Aussage gemacht, dass Hans Filbinger ein Gegner des Nationalsozialismus gewesen sei. Namentlich diese Aussage war Grund, war Ursache der Kritik.
Nach gründlicher Prüfung in den Stunden und Tagen danach kam ich zu dem Ergebnis – und ich komme dauerhaft zu dem Ergebnis –, dass diese Formulierung nicht haltbar ist. Ich halte diese Formulierung deswegen nicht aufrecht, nehme sie zurück und distanziere mich davon. Das wird auch in Zukunft so bleiben. Ich meine das ernst und aufrichtig, und ich bitte Sie, diese Aussage und Entschuldigung zu akzeptieren.
Ich bitte namentlich die Opfer und ihre Angehörigen und Nachfahren, die damals mit Leid überzogen worden sind, mir abzunehmen, dass es nie meine Absicht war, Verfolgte und Opfer zu verletzen. Ich sage dies auch an den heute anwesenden Arno Fern gerichtet, der ein führender Vertreter der Religionsgemeinschaft der Israeliten in Württemberg und Überlebender der Schoah ist. Er ist mir gut bekannt. Dass es nie meine Absicht war, Opfer und Angehörige zu verletzen, will ich glaubhaft versichern.
Das Bestreben meiner Trauerrede war davon geprägt, Hans Filbinger mit guten Gefühlen zu verabschieden. Ich habe dies am Sarg – fünf Kinder, 15 Enkelkinder, Urenkel und Angehörige vor Augen – getan. Ich bitte, mir abzunehmen, dass diese emotionale Einstellung die Ursache für eine falsche Aussage gewesen ist. Dahinter stand oder steht keinerlei politische Absicht.
Ich meine, es gilt, ein differenziertes Bild von Hans Filbinger zu zeichnen – in allen Lebensphasen: vor dem Krieg, im Krieg
sowie beim Aufbau und Ausbau unseres Bundeslandes und seiner Demokratie. Eine einseitige Verengung in die eine oder andere Richtung ist falsch. Deswegen nehme ich die Bereitschaft auf, ein differenziertes Bild von ihm zu zeichnen und dabei nicht nur auf Fehler und Schwächen, sondern auch darauf einzugehen, dass er ein verdienter Mann, ein herausragender Regierungschef und einer derer war, die für den Erfolg Baden-Württembergs stehen.
Vielleicht nähert sich der ehemalige Vorsitzende der SPD in Baden-Württemberg, Erhard Eppler, der historischen Wahrheit am meisten, wenn er sagt: Filbinger war wahrscheinlich weder ein richtiger Nazi noch ein entschiedener Gegner. Das war das Normale damals.
Zweitens: In den letzten Tagen gab es eine Debatte um das Studienzentrum Weikersheim – ein privatrechtlicher Verein. Mit Amtsantritt habe ich die Mitgliedschaft – wie in vielen anderen Vereinen und Einrichtungen mit meist gemeinnützigem Zweck – von meinem Amtsvorgänger übernommen. Zu dieser Mitgliedschaft im Studienzentrum Weikersheim stehe ich. Ich bin sie nicht aktiv angegangen, sie entstand.
Als ich in der letzten Woche von zwei geplanten Veranstaltungen mit einem früheren General der Bundeswehr und Herrn Hohmann durch Jung-Weikersheim erfahren habe, habe ich Herrn Präsidenten Friedmann umgehend angeschrieben und um Aufklärung nachgesucht. Ein Aufklärungsgespräch findet noch in dieser Woche, am Freitagabend, statt. Ich werde dabei nachfragen, wie die Programmplanung in diesem Jahr aussieht. Ich werde nachfragen, wie die Arbeit der letzten Jahre war, und ich will ganz bewusst sagen, dass ich davon die Frage abhängig machen werde, ob meine Mitgliedschaft, die seit letzten Freitag ruht, aufgegeben oder wieder aufgenommen wird.
Herr Friedmann ist mir als vertrauenswürdiger, untadeliger Mitbürger, als langjähriger Bundestagsabgeordneter, als erfolgreicher Präsident des Europäischen Rechnungshofs bekannt. Ich vertraue ihm, und ich halte ihn für eine untadelige Persönlichkeit, die die demokratische Arbeit des Studienzentrums garantieren kann. Darüber reden wir, und damit werde ich meiner Verantwortung gegenüber einem Verein, der in Baden-Württemberg seinen Sitz hat, der aber nicht staatseigen ist, gerecht.
Von verschiedenen Seiten wurde mir in den letzten Wochen der Vorwurf gemacht, ich wolle am rechten Rand fischen. Dazu erkläre ich:
Ich bin mir der Geschichte unseres Landes und unserer und meiner Verantwortung bewusst. Ich war nie und bin auf keinem Auge blind. Wer mich kennt, der weiß dies. Ich danke – bei aller berechtigten Kritik – insofern dem Kollegen Kretschmann, der mich sehr gut kennt. Ich habe immer, im Ehrenamt, in jungen Jahren, als Mandatsträger, als Funktionsträger, als Fraktionsvorsitzender und im jetzigen Amt, alles mir Mögliche getan, um jeglichen extremistischen Tendenzen entgegenzuwirken und sie nicht aufzuwerten.
Wir haben neun Jahre lang rechtsradikale Mandatsträger hier im Parlament erlebt. Von 1992 bis 2001 hat die CDU BadenWürttemberg in der Landesregierung unter Erwin Teufel und in der Landtagsfraktion unter meiner Führung alles getan, da
mit es zu keiner Aufwertung der Rechtsradikalen kommt, sie weder genutzt noch gebraucht. Die CDU war im Stil, im Umgang höflich, distanziert, in der Sache klar abgegrenzt. Wir haben, wie andere demokratische Fraktionen auch, nachgewiesen, dass Rechtsradikale in Baden-Württemberg für die Landespolitik, für Regierungsverantwortung und für Parlamentsentscheidungen nie maßgeblich gewesen sind.
Ich glaube, dass es in Deutschland rechte Demokraten geben kann, wie es linke Demokraten gibt. Mit rechten Demokraten und mit Konservativen argumentieren wir. Sie zu gewinnen ist ein Ziel für die CDU, auch in Baden-Württemberg. Rechtsradikale wie Linksradikale, Rechtsextremisten wie Linksextremisten – ich bin auf keinem Auge blind –, Altnazis wie Neo nazis waren und sind nicht das Ziel unserer Politik. Wir, die CDU in Baden-Württemberg, fischen nicht am rechten Rand. Dies gilt gerade auch für meine Person.
Damit komme ich zu unseren Aufgaben und unserer Verantwortung. Wir werden in unserem Land die Opfer des Dritten Reichs, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus und generell die Auseinandersetzung mit ihm weder in der Politik noch in der Erziehung unserer Jugend, noch in der Öffentlichkeit vergessen. Die Verantwortung, sich dem zu stellen, bleibt dauerhaft, für meine und auch für jede künftige Generation. Dafür setze ich mich auch persönlich ein. Die Konfrontation mit der NS-Vergangenheit ist für mich eine persönliche Bemühung, der ich mich immer gestellt habe und stellen werde.
Dies war so bei der Bestattung von 34 jüdischen Opfern der ehemaligen KZ-Außenstelle am Flughafen Stuttgart im Dezember 2005, die wir gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde durchgeführt haben – angemessen und würdig. Dies war so bei der Gedenkstunde für die Widerstandskämpfer, für die Opfer der NS-Gewaltherrschaft in der Gedenkstätte „Oberer Kuhberg“ in Ulm im November 2006. Dies war so bei der Eröffnung der Stauffenberg-Erinnerungsstätte im November 2006. Dies bleibt so für unsere Regierung, für meine Person und für die CDU in Baden-Württemberg.
Ich habe in diesen Tagen eine Vielzahl von Schreiben erhalten und viele gelesen – nachdenklich. Viel Kritik darin habe ich akzeptiert.
Ein Brief hat mich besonders berührt, der von Berthold Schenk Graf von Stauffenberg, dem ältesten von fünf Kindern von Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der im Jahr 1944 als Widerstandskämpfer das gescheiterte Attentat auf Hitler verübte und schließlich sein Leben verlor. Sein Sohn schreibt wörtlich:
Ich brauche Ihnen nicht zu bestätigen, dass Sie den deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus verehren und treibende Kraft bei der Förderung seines Andenkens sind. Ich bin Ihnen dankbar, und ich darf Ihnen versichern,
dass ich weder an Ihrer Einstellung noch an Ihren Motiven jemals den geringsten Zweifel gehabt habe und haben werde. Dafür bin ich dankbar.
Wenn man der CDU, die auch nach Jahrzehnten ihres Bestehens eine noch immer junge demokratische Partei ist, je vorhalten sollte, sie müsse ihr Verhältnis zum Nationalsozialis
mus klären, dann wäre dies völlig absurd und mit Blick auf ihre Gründung und auf unser Selbstverständnis völlig abwegig. Die CDU ist eine Partei, die gemeinsam mit anderen die heutige Demokratie in Deutschland und in Baden-Württemberg aufgebaut und getragen hat und weiter trägt.
Die Idee der Christlich-Demokratischen Union war in den Widerstandskreisen und in den Gestapo-Gefängnissen im Bewusstsein gemeinsamer Schicksale, politischer Überzeugun gen und Leitbilder unabhängig von der Konfession entstanden. Die Gründungsaufrufe waren in der Mehrzahl von NSVerfolgten, Häftlingen oder Emigrierten unterschrieben. Unser erster Vorsitzender, Andreas Hermes, war wegen der Beteiligung am Attentat des 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt worden und hat in der Todeszelle von Plötzensee seine Hinrichtung erwartet, bevor er im April 1945 befreit worden ist.
Unsere Partei ist – wie andere demokratische Parteien, ältere und jüngere – von Menschenrechten, Demokratie sowie von der katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozial ethik geprägt. Darauf lege ich für alle unsere Mitglieder, Funktionsträger und Mandatsträger heute besonderen Wert.
Die Vergangenheit zu bewältigen ist die eine Seite. Die Zukunft zu gestalten ist die andere Seite. Ich verdränge die Vergangenheit nicht, ganz im Gegenteil. Ich bin nachdenklich und selbstkritisch. Aber ich stelle mich auch den Aufgaben, die für eine gute Zukunft unseres Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger in den nächsten Monaten besonders wichtig sind. Ich stelle mich der Vergangenheit, und ich stelle mich den Aufgaben der aktuellen Gegenwart und der Zukunft: der Sanierung unseres Staatshaushalts, der Infrastruktur – aktuell z. B. Stuttgart 21 –, Reformen der Schule und der Hochschule in Baden-Württemberg, einer Entwicklung und Förderung der Wirtschaft und der Beschäftigung und der Neuordnung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern in der Föderalismuskommission.
Ich bin nachdenklich, selbstkritisch und engagiert, und ich stelle mich der Verantwortung für eine gute Zukunft unseres Landes Baden-Württemberg.
§ 82 Abs. 4 der Geschäftsordnung findet nur Anwendung, wenn der Ministerpräsident in eine Debatte eingreift.
(Lebhafter Widerspruch bei der SPD – Lachen des Abg. Claus Schmiedel SPD – Abg. Reinhold Gall SPD: Sie haben die Debatte eröffnet! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Was für ein Demokratieverständ- nis! – Weitere Zurufe von der SPD)
Mit Verlaub, Herr Präsident: Die Debatte wurde Ihrerseits eröffnet. Ich glaube, Herr Präsident, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist, uns mit Geschäftsordnungsdebatten zu beschäftigen.
(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zurufe von der SPD: Unglaublich! – Abg. Rudolf Hausmann SPD: Ein bisschen souveräner!)
Frau Abg. Vogt, wir führen hier keine Geschäftsordnungsdebatte, sondern der Präsident erteilt nach unserer Geschäftsordnung das Wort. § 82 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung findet nur Anwendung, wenn der Ministerpräsident in eine Debatte eingreift. Das war hier nicht der Fall.
(Lebhafter Widerspruch bei der SPD – Abg. Hans- Martin Haller SPD: Sie sind der Präsident des Land- tags, nicht der CDU! – Abg. Reinhold Gall SPD: Sie hatten die Debatte doch eröffnet! – Weitere Zurufe von der SPD)
Deshalb erteile ich Ihnen, Frau Abg. Vogt, aufgrund der vom Präsidium festgelegten Redezeit von fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen das Wort. Bitte schön, Sie haben das Wort.
(Zurufe von der SPD: Unglaublich! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Trickserei! – Abg. Ursula Hauß- mann SPD: Sie sind ja nicht der Präsident der CDU, sondern der des Landtags! – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Er hat nach Aufruf des Tagesordnungspunkts das Wort ergriffen, nicht vorher!)