Punkt 4: Ich erwarte auch ein bisschen Demut und ein bisschen nationale und internationale Vergleichbarkeit. Wir können es uns auf Dauer nicht leis ten, in einigen wenigen Bundesländern zu meinen, wir könnten alles anders machen, als es in anderen Bundesländern und international gemacht wird.
(Abg. Volker Schebesta CDU: Was für ein Ergebnis hat Schleswig-Holstein? Die Eltern laufen der Schu- le davon! – Zuruf des Abg. Michael Theurer FDP/ DVP)
Ich will Ihnen das sagen, Herr Schebesta. Ich will Ihnen das an einem Beispiel zeigen. Wir waren neulich in Berlin in einem Stadtteil mit einer sechs Klassenstufen umfassenden Grundschule mit einem Migrantenanteil von 94 %. Dort sind genau die ganzen Ausleseprozesse abgelaufen, die wir aus anderen Städten auch kennen. Vor 20 Jahren waren auf dieser Schule auch noch Akademikerkinder. Jetzt gibt es dort nur noch die Zusammensetzung, die für diesen Stadtteil repräsentativ ist. Nach Ablauf der sechs Schuljahre beträgt die Übergangsquote auf die Hauptschule 40 %; 40 % der Schüler wechseln auf die Realschule und 20 % auf das Gymnasium.
In vergleichbaren Stadtteilen in Mannheim beobachte ich nach vier Jahren Grundschulzeit eine Übergangsquote von über
(Abg. Carla Bregenzer SPD: Und genau das tun sie nicht! Sie begreifen es nicht! – Abg. Volker Schebes ta CDU: Das ist doch jedes Mal dasselbe! Die kön- nen nicht zuhören! Es kommt doch nicht auf die Schulart an, sondern darauf, was für Abschlüsse sie machen können!)
Schulen wie die in Berlin sagen ganz klar: Die zusätzlichen zwei Jahre als gemeinsame Lernzeit in der Grundschule bringen die Nachreifung für die Kinder, die mit sozialen und Herkunftsdefiziten in diese Schule kommen.
Sie fangen nun an, diese Kinder unter Einsatz von Schulbegleitern in der Hauptschule zu fördern. Warum machen Sie das nicht in der Grundschule schon richtig?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Volker Schebesta CDU: Und es kommt ein besseres Ergeb- nis heraus als in Berlin! – Gegenruf der Abg. Carla Bregenzer SPD: So ein Unfug!)
Herr Kollege, ich muss inhaltlich noch einmal zurückgehen. Sie reden so unheimlich schnell. Ich muss noch einmal zu Punkt 2 oder 3 zurückkommen. Da haben Sie von der Robert-Bosch-Stiftung gesprochen. Sie haben gesagt, diese Stiftung würde einen Preis vergeben, der nur an bestimmte integrative Schularten gehe. Das ist nicht richtig.
Ist Ihnen entgangen, dass die Fasanenhofschule hier in Stuttgart als eine reine Hauptschule den vierten Preis bekommen hat und dass die integrativen Schulen alle weiter hinten gelandet sind? Das lässt doch auf einiges schließen.
Ich bezog mich dabei auf einen anderen Bereich dieses Wettbewerbs, bei dem solche Ergebnisse bundesweit verglichen wurden. Dies war ja ein speziell auf Hauptschulen ausgerichteter Wettbewerb.
(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: So, so! Aha! – Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Der alle Schulen ein- bezogen hat!)
Herr Abg. Dr. Mentrup, es gibt eine weitere Zwischenfrage. Lassen Sie sie zu? Sie kommt von Herrn Abg. Dr. Theurer.
Betrachten Sie einmal alle Bereiche zusammen, die vor Ort diskutiert werden und dort die Situation prägen. Ich sage noch einmal: Ich beziehe mich nicht nur auf die Hauptschule. Wir haben im Realschulbereich viel zu große Klassen. Da haben wir auch viele ungelöste Probleme. Wir haben im Gymnasialbereich eine Abwanderung zu Privatschulen und zu bestimmten staatlichen Schulen.
Deswegen müssen wir jetzt endlich zur Kenntnis nehmen – das betrifft alle Schularten –: Wir müssen endlich dazu übergehen, anzuerkennen, dass wir individuelles Fördern und Lernen brauchen. Wir brauchen längeres gemeinsames Lernen,
und wir brauchen Ganztagsangebote; sonst können wir die Schule nicht zu einem umfassenden Bildungsort machen.
Das sind drei Ergebnisse – darüber können Sie diskutieren, wie Sie wollen –, die allgemein anerkannt sind.
Daran, meine Damen und Herren, müssen sich die Konzepte orientieren, die wir jetzt entwickeln. Diese dürfen nicht nur kurzfristige Überbrückungsmaßnahmen sein und sich nicht auf Hilfestellungen für einzelne Schulen beschränken, bei denen man Dinge einführt, von denen eigentlich alle im Land profitieren könnten. Das käme auch der Leistungsspitze zugute, und hiervon könnten auch Schülerinnen und Schüler an anderen Schularten profitieren. Dann wäre der Schulerfolg nicht nur abhängig von dem, was die Eltern an zusätzlicher Nachhilfe bezahlen und an eigener Zeit einbringen können. Auch alle anderen Schüler haben einen Anspruch auf die Erfüllung all dieser Konzepte. Da sollten Sie doch den Mut haben, zu sagen: Wir müssen das jetzt umfassend einführen.
Herr Präsident, sehr geehrter Herr Kollege! Ich bin nicht promoviert, aber darf trotzdem hier eine Frage stellen.
Ist Ihnen entgangen, Herr Kollege Dr. Mentrup, dass die Einheitsschule, die Sie hier propagieren, etwa in den Vereinigten
Staaten von Amerika und in Großbritannien, erfahrungsgemäß genau die gleichen Probleme der sozialen Differenzierung je nach Wohnviertel aufweist und auch die Problematik aufweist, dass Kinder aus dieser Einheitsschule herausgenommen und auf Privatschulen geschickt werden? Ist Ihnen das entgangen?
(Abg. Norbert Zeller SPD: Schauen Sie einmal nach Schweden, nach Finnland oder Dänemark! – Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)
Es gibt viele internationale Beispiele. Ich lade Sie auch gern einmal nach Mannheim in unsere integrierte Gesamtschule ein, wo genau diese Konzepte zu einer deutlichen Verbesserung der Bildungschancen der Kinder führen, und zwar durch die Bank.
Dass es in Abhängigkeit von den jeweiligen Städten und Regionen noch sehr starke weitere Effekte gibt, die man durch das Bildungssystem allein nicht beeinflussen kann, ist richtig; da gebe ich Ihnen recht. Aber das ist kein Argument dafür, nicht anerkennen zu wollen, dass die drei Kriterien, die ich eingeführt habe, allgemein anerkannt zu besseren und gerechteren Bildungschancen führen. Ich messe Sie, Herr Rau, und die Landesregierung daran – und zwar nicht abhängig davon, welche Mehrheiten man bekommt; diese Anmerkung hat mich ja erschreckt –, wie Sie sich langfristig an diesen Konzepten orientieren, anstatt durch kurzfristige Maßnahmen zu versuchen, sich über die Runden zu retten.