Protokoll der Sitzung vom 08.11.2007

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das ist die Realität!)

Baden-Württemberg ist somit das Bundesland mit dem stärksten Zuwachs bei der Zahl verarmter Kinder. Das muss man einfach auch einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Das ist eine Schande – ich meine das wirklich – für ein so reiches Land wie Baden-Württemberg.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vorhin ist schon angesprochen worden: Eine wachsende Anzahl von Kindern kommt ohne Frühstück in den Kindergarten oder in die Schule. Viele Kinder haben nicht die Möglichkeit, an einem warmen Mittagessen in der Schule teilzunehmen. Es geht nicht darum, dass sie nicht einmal die Fritten an der Bude um die Ecke bekommen, sondern darum, dass sie überhaupt kein warmes Essen bekommen. Da sind alle politischen Ebenen gefragt, etwas dagegen zu tun. Das geht den Bund an, das geht vor allem das Land an, und es geht die Kommunen an.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Die Eltern! – Zuruf von der CDU: Und die Schulen!)

Die Grünen haben in den vergangenen Monaten schon zwei Anträge zu den Themen „Verpflegung in Kindertageseinrichtungen“ und „Schulverpflegung“ eingebracht. In den Stellungnahmen zu diesen Anträgen hat die Landesregierung festgestellt, dass eine kostenlose Verpflegung in den Tageseinrichtungen eine Chance wäre, die Nachteile, die sich aus der häuslichen Situation ergeben, abzumildern. In der Stellungnahme zu dem Antrag Drucksache 14/1317 stellt das Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum fest:

Schulen sind nicht nur Orte des Lernens, sondern auch Orte des Lebens und können die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unterstützen oder aber ent sprechende familiäre Defizite kompensieren. Die Schule hat somit einen Erziehungs- und Fürsorgeauftrag im Hin blick auf Ernährung und Gesundheit von Schülerinnen und Schülern.

Dieser Erziehungs- und Fürsorgeauftrag beinhaltet aber auch, dass sich das Land dafür engagiert und nicht das „Zuständigkeitspingpong“ zwischen Land und Kommunen spielt. Ich nehme Ministerpräsident Oettinger beim Wort. Wenn er gemeinsam mit den Kommunen ein Paket schnüren möchte, dann müsste er eigentlich den intelligenten Vorschlägen, die gefordert waren und die wir Grünen jetzt vorgelegt haben, zustimmen. Wir haben hierzu zwei parlamentarische Initiativen auf den Weg gebracht.

Zum einen fordern wir die Einrichtung eines Sozialfonds, wie ihn andere Länder wie Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und das Saarland schon haben, mit einem Volumen von 6 Millionen € für die Laufzeit von zwei Jahren. Nur Kommunen, die sich an einem kostenlosen Essen beteiligen, haben die Möglichkeit, Zuschüsse zu beantragen. Der Eigenanteil der Eltern an den Kosten für die warme Mahlzeit soll 1 € betragen. Den Rest der Summe teilen sich Land und Kommune auf: Das Land übernimmt zwei Drittel der Kosten, die Kommune ein Drittel der Kosten. Den Kommunen ist es freigestellt, den Eigenanteil der Eltern von 1 € zu übernehmen.

Das wäre eine sinnvolle, eine intelligente Möglichkeit, das Problem „Hunger an den Schulen“ – kein Kind darf hungrig in die Schule kommen – zu bekämpfen.

(Beifall bei den Grünen)

Die zweite Initiative, die wir auf den Weg gebracht haben, begehrt eine Bundesratsinitiative. Da geht es um die Erhöhung der Regelsätze für Kinder. Sie wissen, der Hartz-IV-Regelsatz für Kinder beträgt 208 €; somit sind umgerechnet 2,57 € am

Tag für Ernährung vorgesehen. Das Geld reicht nicht einmal aus für eine warme Mahlzeit, geschweige denn für ein gesundes Essen.

Ich glaube, dieses Paket ist tatsächlich ein Weg, wie man Armut bekämpfen und verhindern kann. In der Tat sollte sich ein reiches Land wie Baden-Württemberg vor der Aufgabe, Armut zu bekämpfen und zu verhindern, nicht drücken und sollte Geld in die Hand nehmen, um etwas dagegen zu tun. Das ist sinnvoller, als ca. 51 Millionen € in die Gewährleistung eines kostenlosen verpflichtenden letzten Kindergartenjahres zu stecken.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Wonnay, ich stimme an manchen Stellen mit Ihnen überein. Aber angesichts der Vielzahl der Maßnahmen, die wir derzeit gemeinsam mit den Kommunen – übrigens gemeinsam mit dem Ehrenamt, mit den Vereinen – begonnen haben, um Familien in ihrer Erziehungsfähigkeit zu stärken, sollte man nicht so nonchalant sagen, das sei alles Etikettenschwindel.

Wir sind noch nicht spitze – das habe ich Ihnen selbstverständlich zugestanden –, aber wir müssen uns doch das hohe Ziel setzen, dass wir gerade für die Familien das Land Nummer 1 bleiben. Wenn man die Wanderungsbewegung ansieht – das ist objektiv so –, sind wir das „jüngste“ Land, weil wir noch Zuzug von Familien haben. Also, ganz so furchtbar schlecht kann es nicht sein, aber man kann nie so gut sein, dass man nicht noch besser werden könnte.

Jetzt wird immer wieder das Thema Ernährung herangezogen. Man muss es manchmal konkret machen. Es gibt natürlich Menschen, die sich infolge von Armut keine gesunde Ernährung leisten können.

(Zuruf der Abg. Ute Vogt SPD)

Frau Kollegin Lösch sagt, es sei ein Skandal, dass diese Menschen Sozialhilfe brauchen. Gerade deswegen müssen wir die Grundsicherung für Kinder in eine Hand geben, damit die Eltern nicht mehr Bittsteller sind, sondern einen Anspruch an das Finanzamt, entweder auf Kindergeld oder auf einen entsprechenden Steuerfreibetrag, haben. Dann braucht man nicht wieder zig zusätzliche Progrämmchen und Programme zu machen.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Darin sind wir uns doch völlig einig. Das ist aber Aufgabe des Bundes.

Jetzt kommen wir zu der Frage: Sollen wir jetzt im Land ein eigenes Programm machen, bei dem wir uns fragen müssen: Kriegt jeder einen Essenszuschuss, z. B. auch der Sohn oder die Tochter des Kollegen Wetzel? Der oder die braucht das doch gar nicht.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Nur die Kinder von Sozialhilfeempfängern!)

Also müsste das einkommensabhängig geregelt werden oder wie auch immer. Lasst uns das doch auf der Ebene der Kommune regeln. Dort gibt es z. B. solche Bewegungen, aus denen sich Bürgerstiftungen gegründet haben, die sich genau dieses Themas annehmen.

Ein anderer Teilaspekt: Bei manchen ist es wirklich keine Frage des Geldes, sondern man hat schlicht und einfach verlernt, gemeinsam zu kochen, zu essen und eine gesunde Ernährung sicherzustellen.

Da will ich auf unser Programm zur Stärkung der Erziehungsfähigkeit STÄRKE hinweisen. Wir wissen alle – ohne Vorwürfe; gesellschaftliche Realitäten sind heute manchmal so –, dass Erziehungsfähigkeit von den Eltern und Großeltern schlicht nicht mehr vermittelt wird. Wir als Gesellschaft und als Land müssen in der Tat mit unseren schulischen Angeboten und unseren Betreuungsangeboten versuchen, den betroffenen Familien diese Stärken zu vermitteln.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Was machen Sie in der Realität? Da kriegst du ja einen Vogel!)

Wir haben doch das Landeserziehungsgeld umgewidmet, liebe Kollegin Haußmann.

(Dem Redner wird das Ende seiner Redezeit ange- zeigt.)

Meine Redezeit geht schon wieder zu Ende.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/ DVP)

Ich möchte noch anmerken: Es ist immer charmant, wenn man darauf verweist, dass in Berlin und Rheinland-Pfalz der Kindergartenbesuch gebührenfrei ist.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Man muss schon einmal erwähnen – das hat Herr Minister Stächele heute Morgen schon gesagt –: Sie finanzieren das eigentlich mit unserem Geld.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Dieter Hillebrand CDU: So ist es!)

Das sind nämlich genau die Empfänger im Länderfinanzausgleich, während wir sparen. Langfristig müssen wir künftig mehr Geld in alle diese Bereiche –

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

frühkindliche Erziehung, Bildung, Betreuung, schulische Betreuung und Ganztagsbetreuung – hineinstecken. Das werden wir aber erst können – da sind wir schon weit –, wenn wir uns vieles an Schuldzinsen ersparen, damit wir für die Kinder und für die Familien in unserem Land wieder mehr Geld zur Verfügung stellen können.

(Zuruf der Abg. Margot Queitsch SPD)

Auch den Kommunen geht es ja Gott sei Dank finanziell im Moment etwas besser. Wenn man dann noch diese Bürgerstiftungen, Vereine und alle anderen Angebote vor Ort bündelt, dann werden wir auch die finanziellen Ressourcen haben und

brauchen keine neuen Schulden zu machen, um unseren Familien und unseren Kindern gute Zukunftsperspektiven zu bieten; denn das ist für sie das Allerwichtigste. Für Zukunft gilt: Bildung, Bildung, Bildung! Das ist der Schlüssel für die Zukunft unserer Kinder und unserer Familien.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Debatte unter Punkt 2 der Tagesordnung ist damit beendet.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Reform des muttersprachlichen Unterrichts in Baden-Württemberg – Drucksache 14/1104

Dazu rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion GRÜNE, Drucksache 14/1958, auf.