Protokoll der Sitzung vom 29.11.2007

a) Aus welchen Gründen hat das Innenministerium es abgelehnt, im Bereich der Albecker Steige die von der betroffenen Kommune vorgeschlagenen verkehrs- und emissionsvermeidenden Maßnahmen wie z. B. ein Nachtfahrverbot für Lkw vorzunehmen?

b) Welche Schritte wird die Landesregierung unternehmen,

um die Lärm- und Abgasbelastungen, die in diesem Bereich im Zuge der L 1079 durch Mautvermeidungsverkehr massiv und unzumutbar zugenommen haben, zu unterbinden oder wenigstens deutlich zu senken?

Für die Landesregierung erhält Herr Staatssekretär Köberle das Wort.

Lieber Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ihre Anfrage, Herr Kollege Rivoir, beantworte ich im Namen der Landesregierung wie folgt:

Zunächst einmal stelle ich fest, dass dem Innenministerium keine schriftliche Anfrage und kein Antrag der Stadt Langenau oder der Raumschaft vorliegt.

Bei einem Vor-Ort-Termin der mobilen Verkehrssicherheitskommission des Innenministeriums Baden-Württemberg in Langenau-Albeck am 10. Januar 2007, bei dem es allerdings um ein anderes Thema ging – nämlich um den Antrag der Stadt Langenau auf Vollsignalisierung der Kreuzung Werdenbergstraße/Bolstraße –, wurde der Vertreter des Innenministeriums auf die Verkehrsbelastung durch Mautausweichverkehr auf der L 1079 angesprochen. Er gab die Auskunft, dass die für die Anordnung eines Nachtfahrverbots für den Lkw-Durchgangsverkehr ab 12 t zulässigem Gesamtgewicht notwendige erhebliche Zunahme an Mautausweichverkehren auf der Landesstraße 1079 in Langenau-Albeck nicht vorliegt.

Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Mit der Änderung der Straßenverkehrsordnung zum 31. Dezember 2005 ist die Möglichkeit eröffnet worden, Fahrverbote anzuordnen, soweit dadurch erhebliche Auswirkungen veränderter Verkehrsverhältnisse, die durch die Erhebung der Maut hervorgerufen worden sind, beseitigt oder abgemildert werden können.

Was sind nun „erhebliche Auswirkungen“? Das ist die entscheidende Frage. Der Bund hat selbst keine Verwaltungsvorschrift zur Präzisierung des Begriffs „erhebliche Auswirkun gen veränderter Verkehrsverhältnisse“ erlassen. Deshalb hat das Innenministerium mit Erlass vom 17. Januar 2006 eine entsprechende Regelung getroffen, wobei die Kriterien für die Eingriffsmöglichkeiten im Vergleich zu den derzeit für Verkehrslärm geltenden Vorschriften deutlich abgesenkt wurden.

Erhebliche Auswirkungen von durch Mautausweichverkehr veränderten Verkehrsverhältnissen liegen danach vor, wenn entweder – erstens – eine Zunahme um täglich mehr als 150 Fahrzeuge mit zwölf und mehr Tonnen Gesamtgewicht festgestellt wird oder – zweitens – die Zunahme mindestens zwei Prozentpunkte beträgt. Beispiel: Vor der Einführung der Maut betrug der Lkw-Anteil am Gesamtverkehr 5 %, und jetzt beträgt er 7 %.

Die Auswertung der speziell zur Erhebung des Mautausweichverkehrs durchgeführten Verkehrszählungen hat ergeben, dass Mautausweichverkehr in den Nachtstunden deutlich stärker auftritt als bei Tag. Deshalb kann ohne nähere Prüfung der Verkehrsdaten davon ausgegangen werden, dass bei den oben genannten Verhältnissen in den Nachtstunden, also von 22 Uhr bis 6 Uhr, die erheblichen Auswirkungen gegeben sind. Für

die Tagesstunden von 6 Uhr bis 22 Uhr ist hingegen wenigs tens an einer Stelle auf der Strecke ein Zuwachs des Lkw-Anteils um mindestens zwei Prozentpunkte nachzuweisen.

Diese Kriterien sind für die Landesstraße 1079 nicht erfüllt. Auf der Landesstraße 1079 wurde für den Streckenabschnitt zwischen der Autobahnanschlussstelle Ulm-Ost im Zuge der A 8 und der Autobahnanschlussstelle Langenau im Zuge der A 7 ein mautbedingter Zuwachs von weniger als 50 Lkws ab 12 t zulässigem Gesamtgewicht pro Werktag ermittelt. Somit können auf der L 1079 zwischen diesen beiden Anschlussstellen keine verkehrsrechtlichen Maßnahmen für Lkws angeordnet werden, die mit der Beseitigung oder Milderung der Auswirkungen von durch Mautausweichverkehr veränderten Verkehrsverhältnissen begründet wären.

Zusatzfrage, Herr Abg. Rivoir.

Südlich von Ulm in Bayern gibt es Streckenabschnitte, die ähnlich gelagert sind, wo in der Zwischenzeit Lkw-Fahrverbote erlassen wurden. Könnten Sie mir sagen, ob die Verordnungen, die dort erlassen wurden, strenger sind als die in Baden-Württemberg. Denn sonst wäre es eigentlich nicht erklärbar, dass dort für drei oder vier Straßen entsprechende Verbote erlassen wurden.

Die sind sicher nicht großzügiger als wir. Wir verfahren im Land schon sehr großzügig. Die Kriterien liegen weit unter dem, was bisher für Lärmbelastung gilt.

Strecken mit Lkw-Fahrverboten, wie Sie sie für Bayern anführen, gibt es natürlich auch in Baden-Württemberg. Wir prüfen überall dort, wo eine Initiative an uns herangetragen wird. Wir schauen uns die Verkehrsveränderungen haargenau an. Allerdings können wir nicht jeweils anhand von einzelnen Gemeinden oder eines Straßenzugs urteilen, sondern müssen darüber sprechen, welche Auswirkungen es in der Region hat, wenn wir für eine Straße eine Einschränkung aussprechen, sei es ein Fahrverbot rund um die Uhr oder ein Nachtfahrverbot. Der Verkehr ist trotzdem vorhanden, und es ist nicht gesagt, dass er sich dorthin verlagert, wo wir ihn eigentlich gerne hätten, nämlich auf die Autobahn. Vielmehr gibt es häufig andere Verlagerungen. Das muss dann natürlich örtlich untersucht werden. Sowohl Landkreise als auch Regierungspräsidien, aber auch das Innenministerium sind sehr intensiv mit dieser Prüfung beschäftigt, seit die Lkw-Maut eingeführt wurde.

Aber in dem vorliegenden Fall sind die Zahlen so klar unter dem Niveau, das uns eine Handlungsmöglichkeit eröffnet, dass ich es nicht für möglich halte – ich habe es dargestellt –, dort verkehrseinschränkende Maßnahmen zu erlassen, selbst wenn wir in der Auslegung unserer Vorschrift noch großzügiger wären. Aber bei dieser Strecke sind wir zu weit weg von den zugrunde zu legenden Zahlen.

Das Hauptproblem auf dem Straßenzug, den Sie ansprechen, ist nicht eine sprunghafte Zunahme von Lkw-Verkehr, sondern eine massive Zunahme der Zahl von Pkws. Das ist allerdings kein Verlagerungsverkehr. Da haben wir innerhalb kurzer Zeit eine Zunahme – ich nenne einmal die groben Zahlen – von 8 000 auf 11 000 bis 12 000 Pkws. Das entspricht einer Zunahme von annähernd 50 %. Dies bringt eine große Belas

tung mit sich. Da können wir nicht mit dem Handwerkszeug der Bekämpfung des Verlagerungsverkehrs zur Vermeidung der Lkw-Maut arbeiten.

Vielen Dank, Herr Staatssekretär.

Die Fragestunde ist beendet.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 6:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für BadenWürttemberg – Drucksache 14/1949

Das Präsidium hat festgelegt, dass nach der Begründung des Gesetzentwurfs durch die Regierung eine Aussprache mit einer Redezeit von fünf Minuten je Fraktion geführt wird.

Für die Landesregierung darf ich Herrn Kultusminister Rau das Wort erteilen.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Schule steht bei der heutigen Einbringung des Gesetzentwurfs der Landesregierung im Mittelpunkt. Es gibt erfreulicherweise eine große Zahl von Eltern, die sich für die Schule und für ihre Kinder engagieren und sich in der Schule einbringen. Wir haben aber leider auch eine zunehmende Zahl von Eltern, die sich aus ihren Erziehungspflichten zurückziehen. Deswegen müssen wir im Rahmen der Gesetzesberatung über einige Dinge sprechen, die wir präventiv oder sanktionierend mitverfolgen müssen.

Vorab möchte ich aber sagen, dass es für alle Eltern eine wirklich gute Botschaft gibt. Gestern ist die IGLU-Studie veröffentlicht worden. Deutschland ist spürbar besser geworden. Deutschland ist weit vorwärts gekommen. Wir sind im oberen Viertel. Nach Aussagen von Professor Bos sind wir europäische Spitze und international bei genauer Interpretation der Statistiken auf dem dritten Platz hinter Hongkong und Singapur. Das bedeutet, dass alle unsere Konzepte greifen, dass das, was wir vor fünf Jahren nach der ersten IGLU-Studie in Sachen Leseförderung und Leseverständnis in der Grundschule und im vorschulischen Bereich auf den Weg gebracht haben, richtige Konzepte waren, die jetzt Früchte tragen. Wir fühlen uns in dem Kurs bestätigt und wissen, dass wir darauf aufbauen können.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Heute liegen uns überraschenderweise schon wieder weitere Ergebnisse vor; dies wurde von der dpa gemeldet. Die PISAErgebnisse, die erst nächste Woche veröffentlicht werden sollten, sind heute in Spanien zumindest teilweise vorab an die Öffentlichkeit gekommen. So etwas passiert mit Ergebnissen von Schulleistungsstudien immer wieder einmal. Aber was dann geschehen ist, ist unglaublich. Es gibt einen Kommentar von Herrn Schleicher, dem berühmten Professor Andreas Schleicher.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Der angehende Mi- nister? Der SPD-Minister?)

Nein, ist er nicht.

Der berühmte Professor Andreas Schleicher hat sich bemüßigt gefühlt, die ersten bekannt gewordenen Ergebnisse zum einen zu bestätigen und zum anderen zu kommentieren. Die bekannt gewordenen Ergebnisse heißen: Deutschland ist weit nach vorne gerückt und befindet sich auch bei PISA diesmal deutlich im oberen Viertel des Ländervergleichs. Herr Schleicher hat dies so kommentiert:

Er betont …, dass dies keine Verbesserung darstelle.

(Lachen bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Unglaublich!)

Beide Tests seien wegen ihrer geänderten Aufgabenstruktur nicht vergleichbar. Das jüngste Testverfahren habe bestimmte Stärken von deutschen Schülern begünstigt, so Schleicher weiter.

(Lachen bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: So ein Chamäleon!)

Dies heißt wohl im Umkehrschluss, dass frühere Testverfahren deutsche Schüler benachteiligt haben.

Meine Damen und Herren, so kann es nicht weitergehen. Schleicher zerstört das Vertrauen zwischen der OECD und den Bildungspolitikern in Deutschland.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ich sage Ihnen: Wenn Andreas Schleicher durch die OECD nicht von der Funktion des PISA-Beauftragten abberufen wird, werden wir die weitere Zusammenarbeit mit der OECD einstellen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zurufe von der CDU: Sehr gut! – Abg. Helmut Wal- ter Rüeck CDU: Endlich!)

Es gibt einen Vertrag mit der OECD für 2009, aber darüber hinaus gibt es nur Absichtserklärungen und keine Verträge. Verträge können erst wieder geschlossen werden, wenn Andreas Schleicher nicht mehr die Verantwortung für diesen Bereich hat.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Völlig richtig!)

Nun zum vorliegenden Gesetzentwurf, dem wir in den internen Beratungen auch einen Namen gegeben haben: Kinderschutzgesetz. Ausgangspunkt sind die furchtbaren, uns alle erschütternden Nachrichten über das Schicksal kleiner Kinder, die von ihren Eltern misshandelt und vernachlässigt wurden. Es kann uns nicht beruhigen, dass es andere Bundesländer waren, aus denen diese Fälle berichtet wurden. Wir müssen uns folgende Fragen stellen: Könnte das auch bei uns passieren? Wie können wir solchen Fällen vorbeugen? Wie können Schule und Schulverwaltung einen Beitrag dazu leisten, wehrlose Kinder zu schützen?

Der vorliegende Gesetzentwurf schlägt Antworten auf diese Fragen vor. Der furchtbare Fall aus Hamburg, wo die kleine Jessica – mitten in unserer Wohlstandsgesellschaft – verhungert ist, wäre rechtzeitig aufzudecken gewesen, wenn Schule und Schulverwaltung die Schulpflicht mit aller Konsequenz eingefordert hätten.

Es geht überhaupt nicht um nachträgliche Schuldzuweisungen. Wir müssen vielmehr aus der Erfahrung klug werden und Lücken in der Aufmerksamkeit für Kinder schließen. Sorgepflichtverletzungen gehen in vielen Fällen mit einer Schulpflichtverletzung einher. Umgekehrt formuliert: Die Schulpflichtverletzung kann ein Indiz für eine viel weiter gehende Sorgepflichtverletzung sein. Über die Einforderung der Schulpflicht haben wir daher die Chance, solche leidvollen Fälle aufzudecken.

Wenn wir damit den Pflichtenkreis von Schule und Schulverwaltung etwas weiter ausdehnen, so lassen wir uns von drei Prinzipien leiten. Erstens verlangt das Grundgesetz, dass die staatliche Gemeinschaft über die Ausübung der elterlichen Erziehung wacht. Dieses Wächteramt verpflichtet auch Schule und Schulverwaltung. Um dieser Verantwortung zu entsprechen, brauchen Schule und Schulverwaltungen zweitens aber die entsprechende rechtliche Absicherung, damit sie wirksam einschreiten können. Schließlich dürfen wir drittens die Schulen auch nicht überfordern. Sie haben nicht die erforderliche Personalkapazität, um Aufgaben von Jugendämtern übernehmen zu können. Sie können aber einen Anstoß für ein Eingreifen des Jugendamts geben, und sie können und sollen intensiv mit Jugendämtern zusammenarbeiten.

Unter Beachtung dieser Grundsätze trifft die vorliegende Novellierung Vorsorge für den Kinderschutz. Dies beginnt bereits bei der Einschulung. Hier werden Lücken im Verfahren geschlossen, um sicherzustellen, dass mit der Einforderung der Schulpflicht zugleich Fälle einer weiteren Sorgepflichtverletzung aufgedeckt werden. Auf der Ebene der Verwaltungsvorschrift hat das Kultusministerium hier bereits gehandelt. Es ist inzwischen sichergestellt, dass die Einwohnermeldeämter den Grundschulen auch die neu hinzugezogenen Kinder melden. Es ist auch sichergestellt, dass die polizeiliche Zuführung eines Kindes zur Schule dann vor anderen rechtlichen Instrumenten einen Vorrang hat, wenn das Kind der Schule nicht vorgestellt worden ist, wenn also die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, dass über die Schulpflichtverletzung hinaus eine weitere, viel schwerere Verletzung der Personensorgepflicht vorliegt.

Mit diesen Maßnahmen sind aber nicht alle Lücken geschlossen. Für die Vervollständigung der Maßnahmen brauchen wir die Autorisierung des Landtags, die wir mit dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf einholen möchten. Es bleiben Fälle möglich, in denen das schulpflichtige Kind von niemandem gesehen wurde, in denen auch die Polizei das Kind nicht zu Gesicht bekommt, sondern unverrichteter Dinge draußen vor der Wohnungstür bleiben muss und dabei das bedrückende Gefühl nicht loswird, dass dem Kind neben der Schulpflichtverletzung noch viel Schlimmeres angetan wird. Wir wollen, dass die Polizei in solchen Fällen auch die Wohnung betreten kann – natürlich nur aufgrund eines richterlichen Beschlus ses.

Des Weiteren verpflichtet das Gesetz die Schulen, das Jugendamt zu unterrichten, wenn gewichtige Anhaltspunkte für einen Missbrauch des Sorgerechts vorliegen. Diese Neuregelung ist zugleich ein Schutz und eine Hilfe für die Schulen. Schon bisher unterrichten die Schulen vielfach bei gravierenden Sorgepflichtverletzungen das Jugendamt. Wir müssen es ganz realistisch sehen: Mit solchen Meldungen ziehen die