Protokoll der Sitzung vom 29.11.2007

Des Weiteren verpflichtet das Gesetz die Schulen, das Jugendamt zu unterrichten, wenn gewichtige Anhaltspunkte für einen Missbrauch des Sorgerechts vorliegen. Diese Neuregelung ist zugleich ein Schutz und eine Hilfe für die Schulen. Schon bisher unterrichten die Schulen vielfach bei gravierenden Sorgepflichtverletzungen das Jugendamt. Wir müssen es ganz realistisch sehen: Mit solchen Meldungen ziehen die

Schulen bisweilen auch den großen Ärger betroffener Eltern auf sich, die zwar ihre Kinder misshandeln, aber gleichwohl das Sorgerecht nicht verlieren wollen. Hier müssen wir den Schulen den Rücken stärken. Die Schulen dürfen bei Kindesmisshandlungen und bei Verwahrlosung von Kindern nicht wegschauen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Sie sollen aber wissen, dass die Gesellschaft hinter ihnen steht.

Es dient auch dem Kinderschutz, wenn wir über die Möglichkeit des Zwangsgeldes die Schulpflicht konsequent einfordern können. Die Durchsetzung der Schulpflicht scheitert oft daran, dass Bußgeldverfahren eingestellt werden. Wir sind zuversichtlich, dass wir mit dem Zwangsgeld ein effektiveres Instrument in der Hand haben.

Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft das verpflichtende Elterngespräch. In der Diskussion hierüber dürfen wir eines nicht vergessen: Schon jetzt sind die Eltern verpflichtet, bei einem dringenden Gesprächsbedarf der Einladung der Schule zum Gespräch Folge zu leisten. Das Schulgesetz verlangt zum Verhältnis zwischen Elternhaus und Schule eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, gegenseitige Unterstützung und Erziehungsgemeinschaft. Wir wissen alle, dass es sehr schwierig ist, dies in jedem Fall durchzusetzen. Andererseits kann es für die Schulen dringend notwendig sein, das Gespräch mit dem Elternhaus zu finden, gerade in den Fällen, in denen Jugendliche abzugleiten drohen, etwa in die Kriminalität, oder in denen ihr Verhalten im sozialen Zusammenleben der Schule unerträglich wird. Für derartige Fälle schlagen wir vor, dass das Elterngespräch verpflichtend gemacht wird und dass das Ausschlagen einer zweiten Einladung die Information des Jugendamts nach sich ziehen kann. Damit soll den Schulen der Rücken gestärkt werden, und es soll in den erzieherisch besonders schwierigen Fällen geholfen werden.

Andererseits ist uns auch klar, dass ein solches Vorgehen der Ausnahmefall bleiben wird. Aber es geht ja darum, dort Lücken zu schließen, wo das Kindeswohl verletzt werden könnte.

Diese Gesetzesnovellierung ist ein Teil eines Gesamtkonzepts „Kinderfreundliches Baden-Württemberg“. Ich glaube, dass wir es gerade Kindern, die unter Bedrohungen stehen, besonders schuldig sind, ihnen die nötige Aufmerksamkeit zu schenken.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut!)

In der Allgemeinen Aussprache erteile ich für die CDU-Fraktion Herrn Abg. Röhm das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Minister Rau hat den Sachverhalt der Gesetzesänderung soeben ausführlich dargestellt und auch begründet. Die CDU-Fraktion folgt dieser Argumentation in der gemeinsamen Sorge für alle Kinder und Jugendlichen im

„Kinderland“ Baden-Württemberg. Im Bereich der frühkindlichen Bildung ist Deutschland und damit auch Baden-Würt temberg auf einem mehr als erfolgreichen Weg, wie uns die jüngste IGLU-Studie eindrucksvoll bescheinigt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Ursula Haußmann SPD: Ich glaube, ich lebe im falschen Land!)

Leider, liebe Kolleginnen und Kollegen – darin sind wir uns sicher einig –, zeigen die schrecklichen Geschehnisse in Deutschland wie der Fall Lea-Sophie, dass wir uns nicht immer auf elterliche Fürsorge- und Erziehungspflichten verlassen oder gar stützen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es bedarf deshalb der Unterstützung durch Jugendämter, wenn einige wenige Eltern trotz mehrfacher Aufforderung ihre Teilhabe an der Erziehungspartnerschaft notorisch verweigern.

Dabei steht für uns das Kindeswohl im Vordergrund, wenn wir den Schulen mit diesem Gesetz ein unabdingbares Maß an Rechtssicherheit an die Hand geben. Unsere Schulen dürfen nicht zu Bittstellern degradiert werden. Ganz im Gegenteil, wir müssen ihnen rechtliche Handlungsoptionen ermöglichen. Dadurch werden die Jugendämter nicht zu einer Eingriffsbehörde, wie heute in der Tagespresse zu lesen war, sondern zu einem institutionellen Erziehungspartner, der im Unterschied zur Schule über weitere Rechtsmittel verfügt, um die elterlichen Pflichten einfordern zu können.

(Abg. Reinhold Pix GRÜNE: Eine Zwischenfrage!)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist sichergestellt, dass sorgende Pädagogen, die im Interesse der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen Gesprächsbedarf signalisieren, auch Gehör finden. Probleme jeglicher Art, liebe Kolleginnen und Kollegen, können durch intensive Gespräche und durch entsprechende Gesprächsoffenheit einer Lösung zugeführt werden. Die hier vorliegende Gesetzesänderung leistet dazu einen wichtigen Beitrag und findet deshalb die Unterstützung der CDU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Dr. Birgit Arnold FDP/DVP)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Bayer das Wort.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Allzweckwaffe!)

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Zunächst ein kurzes Wort zu Herrn Minister Rau. Die doch im Ganzen sehr stark von Emotionen getragene Auseinandersetzung, die er offensichtlich mit seinem Intimfeind Schleicher zu haben scheint, steht heute nicht zur Debatte, genauso wenig wie IGLU und PISA.

(Zuruf des Abg. Volker Schebesta CDU)

Es wird genügend Gelegenheiten geben, hier in diesem Hause darüber zu sprechen. Deswegen werde ich mich ausschließlich auf den Tagesordnungspunkt konzentrieren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das Ziel dieser Änderung des Schulgesetzes ist richtig. Das Anliegen ist wichtig. Das viel zitierte Wohl des Kindes muss stärker in den Mittelpunkt aller politischen Bemühungen und ganz besonders in den Mittelpunkt von Bildungspolitik und Sozialpolitik gerückt werden. Insofern kommt von uns volle Zustimmung zur Intention des Gesetzes.

Aus den verschiedenen traurigen Anlässen möchte ich feststellen: Es ist richtig und notwendig, die Jugendämter zu stärken, auch in ihrer ganz konkreten Durchgriffsmöglichkeit. Nur müssen sie auch personell in die Lage versetzt werden, ihren Aufgaben sachgerecht und kontinuierlich nachkommen zu können.

(Beifall bei der SPD)

Doch zurück zum Gesetzentwurf im Einzelnen. Die konkreten Änderungsvorschläge sind nun gerade nicht getragen von einem umfassenden Verständnis von Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungspartnerschaft von Schule, Eltern und Jugendhilfe. Bei der Einbindung des Jugendamts darf es nicht nur um eine bloße Meldung durch die Schule gehen, sondern muss es auch um eine Einbeziehung des Jugendamts mit dem Ziel weiterer gemeinsamer Planungen und Aktionen gehen. Das jedenfalls meint auch der Städtetag Baden-Württemberg.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das kann eine Fol- ge davon sein!)

Der Städtetag weist bezeichnenderweise auch darauf hin – der Städtetag, nicht wir –, dass der Gesetzentwurf ein vorurteilbehaftetes Bild des Jugendamts als Eingriffsverwaltung widerspiegelt und in eine eigentlich längst aufgebrochene Zuordnung zurückfällt: Schule informiert Jugendamt, Jugendamt hat zu handeln.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es!)

Schule und Jugendamt müssen zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung zusammenarbeiten. Sie müssen besser zusammenarbeiten. Das ist überhaupt keine Frage.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Zustim- mung! – Abg. Katrin Altpeter SPD: So ist es, ge- nau!)

Aber eine Zusammenarbeit sollte sich nicht auf Meldungen durch die Schule und Sanktionen durch das Jugendamt beschränken.

Als ehemaliger Mitarbeiter eines Jugendamts möchte ich darauf hinweisen: Jugendhilfe hat insgesamt mehr zu bieten als Sanktions- und Zwangsmaßnahmen.

(Beifall bei der SPD)

Jugendhilfe ist nicht ausschließlich eine gigantische Veranstaltung zur Beseitigung von jugendlichem Problemverhalten. Sie hat – so steht es in § 1 SGB VIII – insgesamt zur Verbesserung der Lebensverhältnisse von Kindern und Jugendlichen beizutragen. Mit dieser Philosophie, meine Damen und Her ren, müsste man zu einer völlig anderen Definition der Ko operation von Schule und Jugendarbeit kommen:

(Beifall bei der SPD)

kontinuierliche Kooperation mit den entsprechenden Strukturen, mit den entsprechenden Projekten, mit einem entsprechenden Zeitbudget auch aufseiten der Lehrerinnen und Lehrer,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es!)

mit der entsprechenden Verbindlichkeit und Verpflichtung nicht nur im SGB VIII, sondern eben auch im Schulgesetz.

Die Verschränkung von Sozial- und Bildungspolitik krankt an einer immer noch vorhandenen, aber längst antiquierten starren Aufgabenzuweisung: Für die Erziehung ist die Familie zuständig, für die Bildung die Schule, und wenn das alles nicht ganz so klappt, dann kommt die Jugendhilfe zum Einsatz. Weil ein solches Denken überwunden werden muss, sage ich: Sanktionsmaßnahmen allein, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, greifen zu kurz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Notwendig sind zusätzliche Ressourcen und Angebote, damit junge Menschen in enger Verschränkung von Schule und Jugendhilfe besser unterstützt und besser individuell gefördert werden können. Die Schulsozialarbeit als gemeinsame Aufgabe von Schulträgern, von Jugendhilfeträgern und vom Land wäre ein wichtiger Beitrag zur Verstetigung der Kooperation von Schule und Jugendhilfe.

(Beifall bei der SPD)

Leider haben Sie hier die in der Jugendenquete vorgezeichnete innovative Perspektive längst aus den Augen verloren bzw. in eine Schieflage rutschen lassen mit der Konsequenz: Hier Schule, dort Jugendhilfe, und das auch nur dort, wo finanzstarke Kommunen und Jugendhilfeträger sich hierzu in der Lage sehen.

Ich kann Sie nur auffordern, auf die Erfolgsspur der Jugendenquete in diesem Sinne zurückzufinden und die Kooperation von Schule und Jugendarbeit nicht auf bloße Meldungen zusammenschnurren zu lassen – so notwendig es ist, dramatische Einzelfälle zu erkennen und entsprechend zu reagieren.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Auch wenn bzw. gerade weil ich die Intention dieses Gesetzentwurfs voll unterstütze, plädiere ich für ein Gesamtkonzept, das aus Prävention, früher Erkennung von Risikokonstellationen, zugehenden Hilfen und Diensten und fachlich guten Interventionen – die nur bei anständig ausgestatteten Jugendämtern möglich sind – besteht. Nicht zuletzt plädiere ich für eine gute Kooperation und eine strukturelle Vernetzung der Kinderschutzfachleute mit den Pädagoginnen und Pädagogen in den Schulen.

Dies, meine Damen und Herren, geht gedanklich und praktisch weit über das hinaus, was Sie mit Ihrem Gesetzentwurf tatsächlich erreichen werden,