Im „Kinderland“ Baden-Württemberg, Kollege Noll, müsste die Landesregierung deutlich mehr beisteuern und ihre Prioritäten anders setzen. Da muss man sich schon einmal fragen, was eigentlich die Gründe für dieses mangelnde Engagement des Landes sind. Sind das tatsächlich rein finanzielle und Zuständigkeitsfragen, oder sind das nicht auch ideologische Gründe?
Genau. Dabei sollte sich Kinder- und Familienpolitik, Kollege Wetzel, nicht an Ideologien orientieren, sondern an den Realitäten,
die da heißen, dass es ohne eine ausreichende Kleinkindbetreuung mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen nicht weit her ist. Glücklicherweise ist der Kopf ja rund.
Das ist er, damit sich die Gedanken in verschiedene Richtungen bewegen können. Sie können die Richtung also ab und zu sogar wechseln. Wir haben deshalb gehofft, dass Frau von der Leyen in der Lage ist, bei der CDU einen Sinneswandel auszulösen.
Dies scheint ihr aber beim Großteil der CDU in Baden-Würt temberg nicht geglückt zu sein, wenn man sich die Blockadehaltung anschaut, die Sie im Bereich des Ausbaus der Kleinkindbetreuung an den Tag legen, und Ihre Vorreiterrolle, wenn es darum geht, das Betreuungsgeld einzuführen. Dazu sage ich nur: Da lässt das Familienbild der Fünfzigerjahre grüßen.
Da gilt die professionelle Betreuung von Kleinkindern immer noch als Teufelswerk, Kollege Röhm, und auf der anderen Seite möchten Sie Eltern, die ihre Kinder nicht in den Kindergarten bringen, 150 € Bonus zahlen. Ein Betreuungsgeld, das eine Ersatzleistung dafür darstellt, dass man eine Einrichtung nicht in Anspruch nimmt, ist nicht nur finanzpolitisch schräg.
(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Das ist eine Anerkennung für eine Erziehungsleistung!)
Kollege Röhm, die ersten Erfahrungen, wenn Sie nach Thüringen schauen, zeigen doch, dass das Betreuungsgeld tatsächlich wie eine Herdprämie wirkt. 7 % der Eltern haben ihre
Kinder vom Kindergarten abgemeldet. Dabei ist zu befürchten, dass dies vor allem Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen betrifft. Sie sehen, dass mit dem Betreuungsgeld tatsächlich der Anreiz geschaffen wird, Kinder aus den Kindertageseinrichtungen abzumelden. Die dafür vorgesehenen 2,7 Milliarden € – das ist fast genauso viel, wie der Bund für die Förderung der Investitions- und Betriebskosten zur Verfügung stellt – würden eine weitaus größere familienpolitische Wirkung erzielen, wenn man sie ebenfalls den Kommunen zur Verfügung stellen würde, statt sie als Herdprämien denjenigen auszuzahlen, die ihre Kinder zu Hause erziehen.
Im Investitionsprogramm des Bundes „Kinderbetreuungsfinanzierung 2008 bis 2013“ sind für Baden-Württemberg 297 Millionen € für Investitionen und 238 Millionen € für Betriebskosten enthalten.
Der Gesamtbedarf im Bereich der Investitionen wird von den kommunalen Landesverbänden auf 900 Millionen € geschätzt; die Annahme des Landes beläuft sich auf 850 Millionen €. Daraus ergibt sich für die Kommunen ein ungedecktes Inves titionsvolumen von 550 bis 600 Millionen €. Sie sehen, dass sich die Schätzungen des Landes und der kommunalen Landesverbände in der Zwischenzeit auch sehr angenähert haben. Das heißt, es sind realistische Zahlen. Dazu kommen noch die laufenden Betriebskosten, also die Bruttobetriebskosten, die bei einer Versorgungsquote von 34 % nach Berechnungen des Landes bei 820 Millionen € liegen, sodass auch hier ein nicht gedeckter Finanzierungsbedarf von 530 bis 550 Millionen € bleibt. Das bedeutet, wenn man diese beiden Zahlen zusammenzählt: Es besteht ein ungedeckter Bedarf von 1 Milliarde €. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies können die Kommunen alleine nicht schultern.
Deshalb fordern wir die Landesregierung zum wiederholten Mal auf, die völlig unzureichende Kostenbeteiligung des Lan des an den Betriebskosten von 10 % auf ein Drittel zu erhöhen.
Der von Bund und Ländern beschlossene Ausbau der Kleinkindbetreuung bis 2013 auf eine Versorgungsquote von 35 % und der sich daran anschließende Rechtsanspruch auf ein Betreuungsangebot für alle Kinder vom vollendeten ersten bis zum dritten Lebensjahr bedeutet für Baden-Württemberg rund 60 000 zusätzliche Plätze. Diese können aber nur durch eine gerechte Aufgabenverteilung zwischen Kommunen, Land und Bund geschaffen werden. Davon sind Sie bis jetzt sehr weit entfernt.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte zeigt einmal wieder: Alles, was Sie hier öffentlich vor vielen Leuten sagen, interessiert überhaupt niemanden. Wenn aus internen Verhandlungsrunden Details nach außen dringen, dann sind alle völlig überrascht,
z. B. über die Tatsache, dass ich persönlich hier an diesem Pult vor vier Wochen erklärt habe, dass wir uns eine Beteiligung an der Investitionskostenförderung zunächst einmal nicht vorstellen können.
wenn Sie es als einmalig und skandalisierend ansehen, dass man bei einer solchen Verhandlung – in der es wirklich um viele diffizile Berechnungsgrundlagen und die wechselseitige Notwendigkeit, die Zahlen abzugleichen, geht – sich zwischendurch einmal zurückzieht und die Zahlenbasis noch einmal miteinander diskutiert, dann wünsche ich mir wirklich, dass Sie niemals für das Land Baden-Württemberg Verhandlungen führen müssen. Denn so kann man nicht in Verhandlungen hineingehen.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: In den Tarifverhandlungen gibt es dann nur Skandale!)
Jetzt aber zur Sache. Es ist doch in der Tat so, dass wir zwar alle den Eltern, den Kindern, den jungen Menschen mehr Mittel versprechen, weil wir wissen, dass wir gerade am Start – Kollegin Arnold hat es gesagt –, bei dem es um frühkindliche Bildung und Sozialisation geht, künftig mehr Mittel brauchen, dass wir aber auch alle gemeinsam diese Mittel zur Verfügung stellen müssen.
Das ist doch das klare Signal. Wir wollen die Eltern nicht hängen lassen, wir wollen die Kommunen nicht hängen lassen, und wir werden sie auch nicht hängen lassen,
sondern wir werden unserer Verpflichtung auf jeden Fall nachkommen. Nur, bei all diesen Herzthemen sollte man den Kopf trotzdem einschalten und schauen, was bisher war.
Wir hatten nämlich bisher bei der Verfolgung des Ziels des Tagesbetreuungsausbaugesetzes Verabredungen mit den Kom
munen, nach denen wir uns freiwillig mit 10 % der Kosten beteiligt haben. Man kann grafisch sehr schön darstellen, dass mit dem Teil, den der Bund den Kommunen nach dem TAG als Entlastung gibt, plus unseren 10 % eben zwei Drittel finanziert sind, also ein Drittel die Kommunen zu tragen haben. In den Verhandlungen wurde damals überhaupt nicht infrage gestellt, dass das in Ordnung ist. Wenn jetzt die Kommunen sagen, diese Mittel des Bundes seien nicht angekommen und der Bund habe unredlich gehandelt, dann geht das übrigens in Ihre Richtung und in Richtung Bund.
In der Zwischenzeit haben wir gerade im Bundesrat darauf hingewirkt, dass das korrigiert worden ist und inzwischen nicht mehr bestritten werden kann, dass ein Großteil der Entlastung, die im Rahmen der Hartz-IV-Gesetzgebung zugesagt worden ist, kommt und dort, wo sie möglicherweise durch die steigenden Energiekosten geschmälert wird, erst im ersten Quartal 2008 zum Abschluss gebracht wird. Das heißt, wir müssen alle gemeinsam schauen, dass der Bund seiner Zusage auf Entlastung nachkommt, damit Betreuungsangebote tatsächlich ausgebaut werden können und nicht wir als Land, wenn er unredlich handeln sollte, das heilen sollen.
Wir stehen ganz klar zu dem, was wir im Rahmen des TAG mit den Kommunen ausgemacht haben. Jetzt geht es ja dar über hinaus.
Beim Thema Investitionskostenförderung will ich schon an eines erinnern: Als es um die Föderalismusdiskussionen ging, haben wir hier alle genickt – Herr Kretschmann, Herr Drexler –, als gefordert wurde, die Aufgaben zwischen den Ebenen klarer zu trennen, Verantwortlichkeiten klar zuzuweisen. Was machen wir in der Familienpolitik? Genau das Gegenteil. Da, wo der Bund überhaupt nicht zuständig ist, mischt er sich ein.
Lassen Sie es mich am Beispiel der Investitionen noch plas tischer sagen: Wir müssen bei Verkehrsinvestitionen, die originäre Aufgabe des Bundes sind, teilweise selbst mit in die Finanzierung eintreten.