Protokoll der Sitzung vom 18.12.2007

(Beifall bei der SPD)

All das diskutieren wir hier nicht, sondern wir lassen die Chance verstreichen, eine fachliche Diskussion – außer den paar Punkten, die Sie aus der Studie dargestellt haben – zu führen,

(Abg. Volker Schebesta CDU: Vielen Dank für die paar Punkte! – Gegenruf der Abg. Ursula Haußmann SPD: Das war auch nicht mehr! – Abg. Ute Vogt SPD: Ja!)

und stellen keinen Bezug zu unserer Situation her.

(Zuruf des Abg. Volker Schebesta CDU)

Was könnten wir denn noch machen? Wir könnten auch eine Debatte führen, die lautet: „PISA und IGLU: Signifikante Verbesserungen der deutschen Schülerleistungen? – Endlich müssen wir die Bildungspolitik zum ersten Thema in diesem Land machen!“

(Beifall bei der SPD)

Sie hätten nämlich die Ergebnisse der IGLU- und PISA-Studien auch als Weihnachtsgeschenk und als dankbare Gelegenheit begreifen können, um endlich einmal kabinettsintern dafür zu sorgen, dass nicht der Finanzminister die Fraktion mit Brandbriefen wieder einfängt, sondern dass man endlich die Probleme vor Ort begreift und dass man den Nachtragshaushalt dazu nutzt, um auch in bildungspolitischer Hinsicht endlich die Missstände zu beseitigen, die Ihnen Woche für Woche von den Eltern und anderen rückgemeldet werden.

(Beifall bei der SPD – Abg. Volker Schebesta CDU: 60 Millionen € stehen dafür zur Verfügung! 60 Mil- lionen €!)

Auch diese Chance haben Sie, Herr Schebesta, und die Regierungspartei CDU verstreichen lassen. Denn wie heißt die Debatte heute? Die Debatte heißt: „PISA und IGLU: Signifikante Verbesserungen der deutschen Schülerleistungen – keine Grundlage für tendenziöse Bewertungen von OECD-Mitarbeitern“. Das, meine Damen und Herren, ist doch ein echtes Armutszeugnis. Da bin ich Regierungspartei, da mache ich Bildungspolitik, da bekomme ich Ergebnisse, die ich fachlich nutzen oder die ich im Kabinett politisch nutzen könnte. Aber das Einzige, was mir dazu einfällt, ist – das gab’s schon in der Antike –, den Boten zu schlagen, der mir Ergebnisse bringt, die mir an irgendeiner Stelle nicht passen, Wissenschaft hier

in Zweifel zu ziehen, international anerkannte Wissenschaftler zu diskreditieren

(Abg. Volker Schebesta CDU: Die Wissenschaftler gerade nicht! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Das sind wir doch gewohnt!)

und sich ansonsten, Herr Schebesta, um alle weiter gehenden politischen Diskussionen zu drücken.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Damit stelle ich resümierend fest: Die Bildungspolitik hat in Ihrem Kabinett nur am Katzentisch Platz gefunden und reduziert ihre Anstrengungen auf die Wadenbeißerei nach außen. Damit verabschieden Sie sich letztlich aus der Führungsrolle in der Bildungspolitik. Das ist ein Armutszeugnis. Sie haben hier eine wichtige Chance zur fachlichen oder/und zur politischen Diskussion und Positionierung verpasst. Schade eigentlich!

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Rastätter.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Inzwischen liegen die zwei neuen Studien der OECD, die IGLU-Studie und die PISA-Studie, vor. Erfreulich ist in der Tat, dass wir bei der IGLU-Studie wieder sehr gute Ergebnisse erzielt haben. Die Leistungen der Kinder im Grundschulbereich, im Primarbereich, sind im internationalen Maßstab hervorragend. Darauf können wir in der Tat stolz sein. Das sind die Leistungen, die die Lehrer und Lehrerinnen in den Grundschulen in Deutschland und auch in Baden-Württemberg erbringen.

(Beifall der Abg. Michael Theurer und Beate Fauser FDP/DVP)

Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen – das, Herr Kollege Schebesta, haben Sie heute wieder nicht getan –, dass wir in Baden-Württemberg wie in ganz Deutschland die Grundschule als Schule für fast alle Kinder haben. In der Grundschule wurde eine Qualität des Unterrichts entwickelt, mit der alle Kinder, von den Schwächsten bis hin zu Hochbegabten, mitgenommen werden. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass in der Grundschule genau der Unterricht und die Qualität des Unterrichts entwickelt wurden, die dazu dienen, Kinder besser zu fördern und tatsächlich allen ihren Leistungen, Talenten und Begabungen gerecht zu werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns aber die PISAStudie anschauen, dann stellen wir fest, dass wir in PISA III – von wegen signifikante Verbesserungen – lediglich leichte Verbesserungen im Bereich der Lesekompetenz haben. Im Bereich der mathematischen Kompetenzen haben wir überhaupt keine Verbesserungen. Dann kommt noch der umstrittene Bereich – Sie haben ihn bereits angesprochen – der naturwissenschaftlichen Kompetenzen.

Die PISA-Studie hat aber – das ist auch ein Bereich, den Sie konsequent unterschlagen – erneut ganz klar herausgestellt,

dass wir zwei zentrale Problembereiche in unserem Bildungswesen in Deutschland haben. Das ist einmal die eklatante soziale Ungerechtigkeit in unserem Bildungswesen,

(Abg. Volker Schebesta CDU: Ich habe das angespro- chen! Haben Sie nicht zugehört?)

bei dem der Bildungserfolg in einer wirklich extremen Art und Weise von der sozialen Herkunft der Eltern abhängig ist. Außerdem haben wir das Problem, dass wir international im Bereich der Lesekompetenz und im Bereich der mathematischen Fähigkeiten nach wie vor nur Mittelmaß sind. Mittelmaß aber, meine Damen und Herren, können wir uns als Industrieland, als Land, das insbesondere auch von der Ressource Bildung lebt, nicht leisten. Das heißt, wir haben nach wie vor die Herausforderungen, die wir bereits seit zehn Jahren haben.

(Beifall bei den Grünen)

Nun hat Kollege Mentrup eine Reihe von sehr richtigen und wichtigen Fragen an Sie gestellt, auch zum Sinn dieser Debatte. Sie sind ja bereits auf das Thema eingegangen. In der Tat gab es bei der PISA-Studie eine Auseinandersetzung um die Frage: Haben die Schüler und Schülerinnen tatsächlich signifikante Leistungsverbesserungen im Bereich der Naturwissenschaften erzielt oder nicht?

Nun haben Sie die Aussagen des PISA-Koordinators Professor Schleicher dazu genutzt, in einer wirklich unglaublichen Hysterie sofort von der OECD zu fordern, dass Professor Schleicher entlassen wird. Sie haben diese unglaubliche Forderung sogar mit der Drohung verknüpft, dass Deutschland sonst aus der PISA-Studie aussteigen würde. Meine Damen und Herren, Bildungspolitiker müssen damit leben, dass die Wissenschaftler ihnen auch unbequeme Wahrheiten sagen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Stefan Mappus CDU: Das ist eine Lüge, kei- ne Wahrheit! Das ist keine Wahrheit!)

Die Voraussetzung ist, dass man überhaupt bereit ist, die Realität zur Kenntnis zu nehmen. Sie, Herr Kollege Mappus, können nicht beurteilen, ob die wissenschaftlichen Methoden, die bei den Erhebungen der naturwissenschaftlichen Kompetenzen verwendet wurden, richtig waren oder nicht.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Es waren andere Wis- senschaftler, die das sagten! – Abg. Stefan Mappus CDU: Das waren andere Wissenschaftler! So sieht es aus!)

Das können Sie mit Sicherheit nicht beurteilen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das heißt, der Sinn dieser Debatte ist einfach, von den Grundproblemen unseres Bildungswesens abzulenken. Diese Drohung, dass man aus der PISA-Studie aussteigen werde, falls Professor Schleicher nicht entlassen wird, läuft doch absolut ins Leere. Kein Land, das wie Deutschland hochentwickeltes Industrieland ist, könnte es sich leisten, aus internationalen Bildungsvergleichen auszusteigen.

Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass Internationalisierung und Globalisierung nicht nur den Wirtschaftsbereich betreffen, sondern auch die Leistungsfähigkeit von Bildungs

systemen. Deshalb ist dieser Blick von außen auf unser Land, auf die Stärken und auf die Schwächen, von eminenter Bedeutung, wenn wir unser Bildungssystem konsequent weiterentwickeln wollen.

(Beifall bei den Grünen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte an dieser Stelle sagen: PISA hat in unserem Land sehr viel bewegt. Wir haben in der Öffentlichkeit endlich eine zentrale Debatte über die soziale Ungerechtigkeit. Wir haben die Frage: Was ist mit armen Kindern? In einer neuen Diskussion zeigt sich ganz klar, dass Armut von Eltern und Kindern auch zur Bildungsarmut führt. Wir haben das Thema Ganztagsschule durch PISA befördert. Wir haben die Frühförderung endlich auf die Agenda genommen. Das heißt, wir haben für unsere Debatte im Bildungsbereich profitiert.

Jetzt fordere ich Sie als Regierungsfraktionen auf, sich nicht immer nur betonhart von dem einen Motto leiten zu lassen: „Ablehnung von integrativen Systemen“. Die erfolgreichsten Bildungssysteme bei PISA sind integrierte Systeme, die produktiv mit der Heterogenität von Schülern und Schülerinnen umgehen. Sie müssen sich dieser Herausforderung stellen und schauen, wie wir in diesem Bereich mit einer neuen Perspektive in unserem Bildungssystem weiterkommen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Dr. Arnold.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! PISA!

(Lachen bei der SPD – Zuruf des Abg. Norbert Zel- ler SPD)

In der Tat, Frau Rastätter, da stimme ich Ihnen voll und ganz zu: PISA hat viel bewegt: in der bildungspolitischen Diskussion in unserem Land, in der bildungspolitischen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt und auch in Europa. Das ist überhaupt keine Frage.

Trotz der vielen positiven Wirkungen erlaube ich mir nach wie vor, PISA etwas kritisch zu betrachten. Denn ich sage: Sie können nicht immer wieder Äpfel mit Birnen vergleichen. Ich kann noch nicht einmal Schleswig-Holstein mit Baden-Würt temberg vergleichen. Ich kann Schleswig-Holstein vielleicht mit Finnland vergleichen, aber alle diese Dinge sind sehr kritisch zu betrachten.

Die Ergebnisse sind von Herrn Schebesta erläutert worden; ich muss das nicht wiederholen. Ich möchte mich vielmehr mit einigen Bemerkungen Ihrerseits auseinandersetzen.

Herr Mentrup, Sie haben gesagt, die Mittel im Bildungshaushalt seien nicht angestiegen. Ich denke, es wäre ehrlich, wenn Sie sich die Relationen etwas genauer ansehen würden. Wir haben innerhalb der Bundesrepublik die höchsten Bildungsausgaben, allerdings muss man hierfür etwas genauer hinschauen. Wenn wir nur das Bruttoinlandsprodukt in BadenWürttemberg zugrunde legen, dann sind wir allerdings im Mit

telfeld. Aber wenn man berücksichtigt, dass wir hohe Zahlungen in den Länderfinanzausgleich zu leisten haben,

(Oh-Rufe von der SPD – Abg. Reinhold Gall SPD: Dieses Argument glaubt Ihnen doch kein Mensch mehr! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Immer die gleiche Leier!)

von dem andere Länder profitieren, und wenn man sich daraufhin die Zahlen noch einmal anschaut, dann stellt sich heraus, dass Baden-Württemberg mit seinen Bildungsausgaben in Relation zur Einwohnerzahl in der Tat an der Spitze liegt. Das sollten Sie auch einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Auch der Orientierungsplan Kindergarten ist angesprochen worden. Es ist richtig, es sind nur 30 Kindergärten in das wissenschaftliche Programm hineingenommen worden. Aber auch Sie wissen, dass insgesamt über 1 000 Kindergärten indirekt an der Evaluation dieses Orientierungsplans beteiligt sind. Ich denke, das zeigt, wie groß das Interesse ist und wie ernst diese Aufgabe auch im Kultusministerium genommen wird.