Protokoll der Sitzung vom 21.06.2006

Das Land wird seine Bemühungen auf dem Gebiet der frühkindlichen Bildung weiter verstärken. Wir werden sicherstellen, dass alle Kinder in Baden-Württemberg zum Zeitpunkt ihrer Einschulung auch wirklich schulreif sind und dass sie vor allem die deutsche Sprache ausreichend beherrschen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Wir werden deshalb im vierten Lebensjahr eine verpflichtende Sprachstandsdiagnose für alle Kinder durchführen und die Einschulungsuntersuchung vorziehen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Im Rahmen des Orientierungsplans für frühkindliche Bildung und Erziehung und des Projekts „Schulreifes Kind“ haben wir in den letzten Monaten eine Reihe von zukunftweisenden Modellen auf den Weg gebracht. Alle diese Modellversuche werden wir im Lauf der Legislaturperiode evaluieren und in den Regelbetrieb überführen.

Der Kindergarten ist dabei nicht nur ein Ort der Betreuung. Er ist auch eine Bildungsstätte und ein Ort der Integration, zumal auch für eine wachsende Zahl von Einzelkindern, deren Integration nicht automatisch durch Geschwister zu Hause erfolgt. Möglichst alle Kinder sollen deshalb einen Kindergarten besuchen.

Wir wollen Modellversuche einrichten und prüfen, ob eine Besuchspflicht für das letzte Kindergartenjahr sinnvoll ist und welche Gebührenentwicklung dies zur Folge hätte. Ich schließe eine offene Entwicklung beim Thema „verpflichtendes letztes Kindergartenjahr“ bewusst nicht aus, sondern ein.

Beim Kindergarten setzen wir auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Eltern, Betreuungseinrichtungen und Schulen. Klar ist aber auch, dass die Hauptverantwortung für die Erziehung eines Kindes auch in Zukunft bei den Eltern liegen wird.

Wo Eltern dieser Verantwortung nicht nachkommen, werden wir als Staat nicht einfach wegschauen. Schon allein um der Kinder willen nehmen wir dies nicht hin. Deshalb werden wir dafür sorgen, dass es in Betreuungseinrichtungen und Schulen obligatorische Gesprächstermine mit den Eltern gibt, bei denen Erziehungsprobleme erörtert werden. Wo Eltern sich dieser Pflicht entziehen, ist es notwendig, sie zum Gespräch einzuladen oder zu Hause aufzusuchen. Der Dialog zwischen Elternhaus und Schule über die Erziehungsziele ist wichtiger denn je.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Baden-Württemberg hat hervorragende Schulen. Unsere Lehrerinnen und Lehrer leisten ausgezeichnete Arbeit. Dies bestätigen die Ländervergleiche der PISA- und der IGLU-Studie. Aber wir werden uns auf diesen Erfolgen nicht ausruhen.

(Ministerpräsident Günther Oettinger)

Unser besonderes Augenmerk gilt in den nächsten Jahren den Schülerinnen und Schülern, die sich mit der Schule und mit der Ausbildung schwer tun. Um sie optimal zu fördern, werden wir noch in dieser Legislaturperiode die Hauptschule umbauen und ihr ein neues Profil geben. Die Hauptschule ist für uns keine „Restschule“. Sie ist nicht die Schule für die „weniger Gescheiten“, sondern sie ist die Schule für diejenigen, die sich mehr aufs Praktische verstehen. Das ist für mich mehr als nur Wortklauberei. Für das Profil und für den Geist unserer Schulen macht es einen gewaltigen Unterschied, ob wir sie entlang der Schwächen oder der Stärken unserer Kinder definieren oder anhand von Begabungen, die unterschiedlich sind.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie des Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE)

Wir sorgen dafür, dass jeder Jugendliche, der bei uns die Schule verlässt, auch in der Lage ist, eine Berufsausbildung zu beginnen. Der Start ins Berufsleben ist nicht nur der Schlüssel zur wirtschaftlichen und sozialen Eigenständigkeit, sondern auch die „Eintrittskarte“ in die Gesellschaft schlechthin. Als Landesregierung wollen wir alles uns Mögliche tun, damit jeder junge Mensch in Baden-Württemberg diese Eintrittskarte in Arbeitswelt und Gesellschaft durch Schule, Bildung und Erziehung erhält.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

So werden wir die Einführung einer Meldepflicht für Ausbildungsstellen prüfen. Außerdem wollen wir ausbildungswillige Betriebe bei der Bewältigung ihrer Arbeit unterstützen und entlasten.

Wir werden das Berufsvorbereitungsjahr weiterentwickeln. Jugendliche, die noch keinen Hauptschulabschluss haben, sollen künftig in Kooperationsklassen von Hauptschule und beruflicher Schule zwei Jahre lang besonders gefördert werden. Der Schwerpunkt dieser Förderung muss auf dem Erwerb des Hauptschulabschlusses und der Verbesserung der Ausbildungsreife liegen. Schon in den nächsten Wochen wird das Kultusministerium die Umsetzung dieses Modells mit den Schulträgern besprechen.

Jugendliche mit Hauptschulabschluss werden künftig in einem Berufseinstiegsjahr zielgerichtet auf den beruflichen Einstieg in ihrem Berufsfeld vorbereitet. Dabei werden ihnen bereits Inhalte aus dem ersten Ausbildungsjahr vermittelt. Wir wollen über Praktika eine größere Betriebsnähe erreichen. Es soll möglich sein, Teilqualifikationen zu erlangen, die von den Kammern zertifiziert werden.

Daneben werden wir in den Kommunen mit Mitteln der Zukunftsoffensive IV Netzwerke von Ehrenamtlichen aufbauen. Sie begleiten Jugendliche in Hauptschulen, Förderschulen und beruflichen Schulen individuell beim Übergang in den Beruf.

Beim Übergang ins Erwerbsleben tritt die Schule nicht nur als Vermittlerin von Wissen in Erscheinung. Sie wird auch zum Ort des sozialen Lernens und der Begegnung mit Vorbildern. Jugendliche sollen in der Schule nicht nur Lehrerinnen und Lehrern begegnen, sondern auch Praktikern aus

den unterschiedlichsten Lebensbereichen und aus der Arbeitswelt.

(Beifall der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Ich rufe die Schulen dazu auf: Nutzen Sie gemeinsam mit den Schulträgern alle Möglichkeiten, die Arbeitswelt in die Schule zu holen, jungen Menschen ihre Zukunft zu zeigen und die Schule dadurch stärker mit der Arbeitswelt zu verzahnen. Wir wollen sicherstellen, dass Lehrkräfte auch außerhalb ihrer Unterrichtszeit als Ansprechpartner für Kinder, Eltern und Arbeitswelt, als Gesprächspartner in der Schule zur Verfügung stehen.

Unsere besondere Sorge gilt Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. In dieser Gruppe ist der Anteil derjenigen, die die Schule ohne oder mit einem schwachen Abschluss verlassen, überproportional hoch. Jungen Menschen mit Migrationshintergrund werden wir eine besondere Förderung und Unterstützung geben. Das gilt im sprachlichen Bereich, aber auch bei der Vermittlung von Kultur und Grundwerten unserer Gesellschaft, die für die Zukunft unumgänglich ist.

In den einzelnen Schulklassen brauchen wir ein ausgewogenes Zahlenverhältnis zwischen Zuwanderern und Einheimischen. Dort, wo der Anteil der Migranten unverhältnismäßig hoch ist, findet oft keine Verständigung, sondern Abgrenzung statt. Ich habe deswegen Herrn Kultusminister Rau gebeten, noch vor der parlamentarischen Sommerpause gemeinsam mit Eltern, Schulträgern und anderen Experten Lösungsvorschläge für dieses Problem zusammenzutragen, gerade auch Ballungsräume betreffend, und dem Landtag darüber zu berichten.

Ein entscheidender Faktor für die Qualität unserer Schulen ist ihre Ausstattung mit hoch qualifizierten Lehrkräften. Wir werden deshalb in den nächsten Jahren auch bei rückläufigen Schülerzahlen alle rechnerisch frei werdenden Lehrerstellen für bildungspolitische Maßnahmen verwenden. Dies ist ein klarer Vorrang. Schule und Ganztagsschule haben Vorrang. Hier sparen wir nicht, wenn die Schülerzahl zurückgeht. Wenn die Mittel und die Zahl der Lehrerstellen gleich bleiben, kommen in Baden-Württemberg Bildung, Erziehung und Betreuung besser voran.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat vor zwei Jahren zusammen mit verschiedenen Verbänden der Wirtschaft ein auf drei Jahre angelegtes Ausbildungsbündnis abgeschlossen. Dieses Bündnis war ein voller Erfolg. Es wird auch in diesem Jahr die Basis für eine gute Entwicklung am Ausbildungsmarkt sein. Baden-Württemberg hat im Bundesvergleich die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit.

Dies soll auch in Zukunft unter schwieriger werdenden Bedingungen so bleiben. Wir werden deshalb in den nächsten Wochen die Gespräche mit Wirtschaftsorganisationen und Gewerkschaften aufnehmen, um für die folgenden Jahre einen neuen Ausbildungspakt zu entwickeln. Diesen Pakt werden wir zusätzlich um eine neue Aufgabe ergänzen, nämlich um die Qualifikation und Integration benachteiligter Jugendlicher. Zur Bündelung und Koordinierung der Ak

(Ministerpräsident Günther Oettinger)

tivitäten auf diesem Gebiet werden wir in der Landesregierung eine Steuerungsgruppe „Ausbildung“ einrichten.

Meine Damen und Herren, junge Menschen finden in Baden-Württemberg optimale Studienbedingungen. Unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind die Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg Baden-Württembergs. Dieses Fundament werden wir auch in Zukunft weiter ausbauen. Durch die Neuauflage des Solidarpakts und die Einführung von Studiengebühren wollen wir den Hochschulen in den kommenden Jahren finanzielle Planungssicherheit geben. Nur starke, autonome und unternehmerisch handelnde Hochschulen können sich im weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe erfolgreich behaupten und die Wirtschaft im Land stärken.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Die Zahl der Studierenden in Baden-Württemberg wird in den kommenden Jahren durch die Geburtenentwicklung, aber auch durch die Einführung von G 8 vorübergehend stark zunehmen. Bis zum Jahr 2012 brauchen wir 16 000 zusätzliche Studienplätze. Ich warne davor, diesen Zuwachs nur als eine Belastung zu sehen. Er ist auch eine enorme Chance, ein Schub, ein Qualifizierungsschub für das ganze Land. Der finanziellen Verantwortung hierfür werden wir uns im Rahmen des Projekts „Hochschule 2012“ stellen. Der Solidarpakt ist die entsprechende Absicherung und Vertrauensgrundlage dafür.

Wenn es nach der Föderalismusreform Bundesmittel für die Hochschulen gibt, dann fordern wir ein, dass diese streng nach dem Bedarf der Länder vergeben werden, damit daraus keine versteckte Bundesergänzungszuweisung wird.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Sehr gut!)

Wenn für den Ausbau von Studienplätzen auf Zeit auch ein Bundesprogramm entwickelt wird, dann will Baden-Württemberg anteilig dabei sein. Wir wollen nicht, dass andere Länder verdeckt von einer Aufgabe entlastet werden, die zuallererst Länderaufgabe ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie der Abg. Dr. Nils Schmid SPD und Boris Palmer GRÜNE)

Auch in Zukunft sollen wissenschaftliche Exzellenz und ein hohes Maß an Praxisnähe die Markenzeichen eines Studiums „Made in Baden-Württemberg“ sein.

Im Interesse unserer jungen Menschen, die an unseren Hochschulen studieren sollen, werden wir unsere Studiengänge noch stärker als bisher an den Bedürfnissen der Wirtschaft und des Arbeitsmarkts orientieren. Wir wollen die künftige Generation von Studierenden in den Arbeitsmarkt von morgen hinein und nicht an ihm vorbei ausbilden. Daran richten wir den Aufbau und Ausbau unserer Studienplätze und Hochschulorte aus.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Unsere Wirtschaft lebt von der Innovation. Wir müssen das machen und können, was die anderen noch nicht machen und können, und wir müssen mindestens so viel besser sein, wie wir teurer sind.

Innovationen entstehen aber nicht von selbst. Sie brauchen gute Rahmenbedingungen: exzellente Hochschulen, Forschung, Wissenschaftler, Mitarbeiter und ein gutes Management. All dies haben wir in Baden-Württemberg. Unser Land ist der Innovationsmotor Deutschlands schlechthin. Wir sind das Land mit den meisten Patentanmeldungen, den höchsten Investments in Bildung und Wissenschaft und den meisten Forschungsmitteln von Staat und freier Wirtschaft. Dies behalten wir als den Motor für Innovation und Erfolg auch in Zukunft bei.

Wir werden unsere Spitzenstellung verteidigen. Wir wollen den Technologietransfer weiter verbessern. Nach den guten Erfahrungen mit Clustern werden wir die Vernetzung zwischen Wirtschaft, Hochschulen und Forschung im Bereich der Innovation und im Bereich der Technologie weiter vorantreiben. Um neue Cluster und neue Schwerpunkte zu identifizieren, werden wir eine Reihe von Zukunftsforen zu unterschiedlichen Schwerpunktthemen durchführen. Schon im kommenden Frühjahr wird die Regierung zu einem Innovationskongress einladen. Darüber hinaus werden wir die bestehenden Kompetenznetzwerke im Land noch enger miteinander verknüpfen. Außerdem will ich in den nächsten Wochen einen Innovationsbeauftragten vorschlagen, der die Regierung auf diesem Feld weiter kompetent beraten soll.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Innovation ist mehr als nur technischer Fortschritt. Wir müssen auch soziale Innovationen fördern, etwa neue Wege zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Kurzum: Dieses Land und seine Politik – wir bleiben innovativ.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sind stolz auf die wirtschaftliche Entwicklung Baden-Württembergs, und wir sind denjenigen dankbar, die mit ihrer Arbeit die Grundlagen dafür gelegt haben. Ohne eine erfolgreiche Wirtschaft könnten wir unser Sozialsystem, den Kulturbereich und staatliche Aufgaben wie die Bildung nicht auf dem Niveau halten, das wir erreicht haben.

Wirtschaftlicher Erfolg und sozialer Zusammenhalt sind für mich untrennbar miteinander verknüpft. Ich will, dass Baden-Württemberg auch in Zukunft in beiden Disziplinen – Erfolg der Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit – an der Spitze der Länder bleibt und das Land mit den geringsten Arbeitslosenzahlen, dem höchsten ehrenamtlichen Engagement, dem stärksten Wirtschaftswachstum, der höchsten Lebenszufriedenheit, den besten Schulen und der geringsten Jugendarbeitslosigkeit bleibt. Wirtschaft und Arbeit bleiben für die Regierung im Mittelpunkt unserer Arbeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)