Protokoll der Sitzung vom 21.06.2006

Es kommt zum richtigen Zeitpunkt. Wenn auch Sie mitmachten, lieber Herr Kollege Palmer, wäre das ein gewaltiger Schub.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: An jedem Unsinn müssen wir uns ja nicht beteiligen! – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Straßen statt Tunnel! – Abg. Thomas Blenke CDU: Der Oberbürgermeister von Tübingen!)

Parallel hierzu – und hier gibt es überhaupt keine Rangfolge – wollen wir die Entscheidung über die Trasse Frankfurt–Mannheim gemeinsam mit der Region erreichen. Generell ist uns das Rheintal von Mannheim bis nach Basel ebenso wichtig. Nord–Süd und West–Ost sind in BadenWürttemberg kein Gegensatz, sondern eine Ergänzung für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

(Ministerpräsident Günther Oettinger)

Auf Druck einiger Länder – auch Baden-Württembergs – ist es in den letzten Tagen gelungen, eine Zusage des Bundesfinanzministers zu erhalten, der zufolge die Kürzungen bei den Regionalisierungsmitteln für den Schienenpersonennahverkehr deutlich abgemildert werden. Wir sind zuversichtlich, dass damit die notwendigen Veränderungen im Verkehrsangebot verträglich gestaltet werden können und es zu keinem großen Einschnitt im ÖPNV-Angebot Baden-Württembergs kommen wird.

In den letzten Wochen wurde erneut über den möglichen Bau einer zweiten Start- und Landebahn für den Flughafen Stuttgart diskutiert. Ich begrüße es, wenn die Geschäftsführung die Lage und Entwicklung sowie die Perspektiven des Flughafens umfassend, genau, ohne Denkverbot und ohne Vorfestlegungen analysiert. Dieses Recht der Geschäftsführung gestehe ich ihr zu. Es ist der Auftrag des Geschäftsführers, ohne Denkverbote in die Zukunft zu schauen. Aber umgekehrt sage ich genauso klar: Zwangsläufigkeiten für die Politik entstehen dadurch nicht.

(Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Wir lassen uns nicht unter Druck setzen. Ich bin bei diesem Thema völlig ergebnisoffen. Im Augenblick bin ich nicht bereit, in irgendeiner Form zu folgen, wenn ein Gutachten uns einen entsprechenden Ausbau empfiehlt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Damit können wir jetzt was anfangen!)

Kollege Kretschmann, ich will Entwicklungen gegenüber offen bleiben.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Denkverbo- te gibt es seit Schiller nicht mehr! – Heiterkeit – Gegenruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Doch, bei den Grünen in Fragen der Atomkraft! – Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Jetzt denken Sie selber doch auch einmal nach! Dann kommen Sie schnell zu der Auffassung, dass eine zweite Start- und Landebahn politisch einfach nicht geht! – Abg. Stefan Mappus CDU: Die Fragestunde ist erst nächste Woche!)

Kollege Kretschmann, nachdem der Aufsichtsrat die Geschäftsführung ermächtigte, ein Gutachten in Auftrag zu geben, sollten wir das Gutachten, auch im Hinblick auf seine Kosten, auch nutzen. Deswegen sollten wir unsere Folgerungen dann ziehen, wenn das Gutachten vorliegt. Wir sollten ein solches Gutachten im Grunde genommen aber nicht als Handlungszwang sehen.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sehr gut! Kein Handlungszwang!)

Ich weise ausdrücklich darauf hin: Im nächsten Jahr wird die Beratung hier möglich sein, und bis dahin behalte ich mir jede Entscheidung über die künftige Entwicklung vor. Ich bin aber nach dem heutigen Stand von der zweiten Start- und Landebahn nicht überzeugt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sehr gut!)

Meine Damen und Herren, schon heute beeinflusst der demografische Wandel unseren Alltag, und er wird dies in Zukunft noch sehr viel stärker tun.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Kein Wort zu den Landesstraßen! Jetzt sind wir aber enttäuscht!)

Die Landesregierung hat die Herausforderungen des demografischen Wandels offensiv angenommen. Gleich nach unserem Amtsantritt im letzten Jahr haben wir im Rahmen des Projekts „Kinderland“ eine aktive Bildungs-, Betreuungsund Familienpolitik auf den Weg gebracht.

Heute möchte ich mich auf einen anderen Aspekt des demografischen Wandels konzentrieren, nämlich auf die Notwendigkeit einer Politik für ältere Menschen. Die Alterung unserer Gesellschaft hat Folgen. Das gilt für die Reform der sozialen Sicherungssysteme genauso wie für die ärztliche Versorgung oder für das Thema Pflegeheimplätze. Deswegen gilt, dass der Ausbau unserer Betreuungsangebote für ältere Menschen auch in Zukunft einen Schwerpunkt für Kommunen, freie Träger, Kirchen und Land bilden muss.

Auch auf anderen Politikfeldern konfrontiert uns die alternde Gesellschaft mit neuen Fragen: Wie sieht die Stadtplanung für die Zukunft aus? Welche Erwartungen haben rüstige Senioren an Bildungs- und Weiterbildungsangebote? Welche Rolle möchten sie im Ehrenamt – zum Beispiel als Jugendbetreuer in der Ganztagsschule – einnehmen? Kurzum: Die alternde Gesellschaft muss ein ressortübergreifender Schwerpunkt unseres Nachdenkens und Handelns sein.

Eine Enquetekommission des Landtags hat vor einem halben Jahr umfassende Handlungsempfehlungen vorgestellt. Wir werden uns an diesen Empfehlungen orientieren und danken dem Landtag von Baden-Württemberg für eine kompetente und profunde Grundlagenarbeit. Die Handlungsempfehlungen werden innerhalb der nächsten fünf Jahre hier aufzurufen und zu entscheiden sein.

In der Koalitionsvereinbarung haben wir entschieden, einen Kabinettsausschuss für demografischen Wandel und Seniorenpolitik einzurichten. Mit Frau Dr. Hübner haben wir eine Beauftragte für demografischen Wandel und Seniorenpolitik berufen, die als Staatsrätin die Regierung beraten und die Regierungsarbeit mitgestalten soll.

Eine Gruppe liegt mir dabei besonders am Herzen: die Gruppe der älteren Beschäftigten.

(Abg. Ute Vogt SPD: Das haben wir schon ge- merkt!)

Die Verdrängung Älterer aus dem Arbeitsmarkt wurde in den letzten Jahren und Jahrzehnten durch Frühverrentungsprogramme gefördert – im freundlichen Einvernehmen zwischen Staat, Arbeitgebern und Gewerkschaften.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Diese Frühverrentung war ein Irrweg.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Richtig!)

Wir müssen ihn stoppen. Deswegen fordern wir: Schluss mit der Frühverrentung und Schluss mit einer Politik, durch

(Ministerpräsident Günther Oettinger)

die die Betriebe entlastet werden, wenn 50-Jährige in Vorruhestand gehen!

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zurufe von der CDU und der FDP/DVP: Bravo!)

Zu den zentralen Aufgaben des Staates gehört es, diejenigen zu unterstützen, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können. Ich vertraue auf die Kräfte der Wirtschaft und des Marktes. Aber ich weiß auch, dass es Probleme gibt, für die der Markt blind ist: Alte Menschen, Familien mit Kindern, Kranke, Behinderte, Arbeitslose haben über die Marktregeln hinaus Anspruch auf Solidarität der Gemeinschaft.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Richtig!)

Diesen Anspruch erfüllen wir in Baden-Württemberg ausdrücklich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Wir bekennen uns zu dieser Solidarität und sagen gleichzeitig, dass wir unsere Sicherungssysteme umbauen müssen, damit sie in Zukunft denjenigen helfen, die wirklich Hilfe benötigen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sehr rich- tig!)

Wir müssen erstens klarstellen, dass Solidarität ohne Eigenverantwortung nicht zu haben ist. Konkret heißt dies: Risiken, die der Einzelne tragen kann, dürfen nicht auf Gemeinschaft und Staat abgewälzt werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wir müssen uns zweitens mehr denn je bewusst sein, dass jeder Euro, den wir in unserem Sozialsystem umverteilen, zunächst einmal vom Steuerzahler erwirtschaftet werden muss.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: So ist es!)

Zum Dritten: Wir nehmen Missbrauch nicht einfach hin. Derzeit werden zunehmend Fälle aufgedeckt, in denen Hartz-IV-Leistungen zu Unrecht bezogen werden – Missbrauchseffekte und Mitnahmeeffekte in nicht geringer Zahl. Deswegen wollen wir Hartz IV einer grundlegenden Revision unterziehen. Wir wollen im Herbst erreichen, dass zum einen die Frage geklärt wird: Wo haben wir Mitnahmeeffekte? Wo gibt es Missbrauch? Wie kann man diesen korrigieren? Zum Zweiten muss die Frage besprochen werden: Wer ist zuständig vor Ort? Der Kompetenzwirrwarr

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Richtig!)

zwischen den Arbeitsverwaltungen und den Kommunen ist auf Dauer nicht hinnehmbar. Und zum Dritten müssen wir alles tun, damit die schnellere Vermittlung in den Arbeitsmarkt die Praxis für jeden in der Arbeitswelt wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Verehrte Kolleginnen, meine Herren Kollegen, durch Aufbauleistung, Weitsicht, Sparsamkeit und Konsumverzicht

haben unsere Eltern und Großeltern die Grundlagen für die Erfolge von heute gelegt. In gleicher Weise, wie unsere Eltern und Großeltern für unsere Gegenwart erfolgreich tätig gewesen sind, tragen heute wir Verantwortung für unsere Kinder und für künftige Generationen. Sie wollen und sollen in einem attraktiven, lebenswerten Land leben, in einer stabilen Gesellschaft, in einer intakten Umwelt, weswegen Nachhaltigkeit und Generationenbilanz wichtige Stichworte für unsere Arbeit sind.

Mit dieser Zielsetzung werden wir eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie auf den Weg bringen. Nachhaltigkeit ist ein Gebot der Generationengerechtigkeit, aber auch eine intelligente und innovative Antwort auf die Globalisierung, den demografischen Wandel sowie die Verknappung von Rohstoffen und Energieträgern.

Ich lade alle Vertreter aus Wirtschaft, Umweltschutz, Naturschutz, Sozialverbänden, Kirchen, Gewerkschaften, Verbraucherschutzorganisationen und Vereinen sowie auch die Kommunen dazu ein, sich aktiv an der Entwicklung und Realisierung einer Nachhaltigkeitsstrategie zu beteiligen.