Protokoll der Sitzung vom 21.06.2006

Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Staat – aber an den richtigen Stellen. Wir sind deshalb zu einer konsequenten Aufgabenkritik bereit. Im Koalitionsvertrag haben wir die Bildung einer „Strukturkommission für Aufgabenkritik und Haushalt“ beschlossen. Sie wird in den nächsten Tagen mit ihrer Arbeit beginnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Alle staatlichen Aufgaben auf allen Verwaltungsebenen werden überprüft. Dabei werden erstmals Erkenntnisse aus dem Controlling und der Kosten- und Leistungsrechnung einfließen.

Es ist nicht sinnvoll, dass sich unterschiedliche Stellen parallel mit den gleichen Aufgaben beschäftigen. Deshalb wird die Regierung die Schaffung einer gemeinsamen Service- und Behördeneinrichtung für öffentliche Stellen voranbringen und hier vorschlagen. Wir wollen die Bündelung von Dienstleistungen aus einem Guss.

Das gilt auch für die Zusammenarbeit zwischen den Ministerien, wo ich noch erhebliche Effizienzreserven sehe. Brauchen wir wirklich in jedem Ministerium eine Abteilung I heutigen Zuschnitts in vollem Umfang: Personal, Haushalt, Budget- und Sachmittelverantwortung? Die ressortübergreifende Bündelung von Sachverstand wäre hier ein neuer Weg. Wir sollten untersuchen, ob die Querschnittsaufgaben der Ministerien des Landes in einer zentralen Stelle für Personal und Haushalt zusammengeführt oder zum Teil auch ausgelagert und privat erbracht werden können.

Durch eine – auch länderübergreifende – Wahrnehmung fachlicher Aufgaben werden wir konsequent Ressourcen einsparen, ohne auf Qualität zu verzichten. Wir wollen verstärkt den Verbund mit unseren Nachbarländern im Südwesten Deutschlands suchen.

Erhebliche Einsparpotenziale sehe ich bei Beratungsleistungen, die vom Land gefördert oder gar selbst erbracht werden. In Zukunft können wir als Land keine weiteren, keine neuen Beratungsaufgaben mehr übernehmen. Das be

(Ministerpräsident Günther Oettinger)

stehende Beratungsangebot werden wir straffen. Wir werden prüfen, wo Aufgaben an die private Wirtschaft oder an gesellschaftliche Partner abgegeben werden können.

Oder nehmen Sie die technischen Prüfungen: Das Land braucht auch in Zukunft als Verwaltung und Auftraggeber von Leistungen ein Mindestmaß an eigenem technischem Know-how – aber eben nur ein Mindestmaß. Alles, was darüber hinausgeht, kann im Rahmen von öffentlich-privater Partnerschaft erbracht oder völlig an die private Wirtschaft übergeben werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ich will ganz konkret die Frage stellen, wie viele Ebenen wir uns eigentlich für die Überprüfung von Behördenentscheidungen noch leisten können. Ist es wirklich nötig, dass nahezu jede Behördenentscheidung zunächst im Widerspruchsverfahren ein zweites Mal umfassend aufgerollt wird, bevor dann zwei Gerichtsinstanzen bemüht werden können? Was im Zivilrecht an Straffung möglich ist, muss auch im Verwaltungsrecht an Straffung möglich sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Diese Ablaufstrukturen will ich hier im Landtag mit Ihnen in Offenheit diskutieren, und zwar nicht auf der Ebene des Wünschbaren, sondern allein vor dem Hintergrund der Frage: Was können wir uns finanziell noch leisten, und was ist in einem Rechtsstaat als Mindestmaß zwingend erforderlich?

Oder nehmen wir die Berichtspflichten der Behörden untereinander: Was hier an Dokumenten bewegt wird, hat in vielen Fällen den wirtschaftlichen Wert von Altpapier. Das will ich auch kritisch zu dem einen oder anderen Bericht sagen, zu dem dieses hohe Haus uns seit Jahrzehnten regelmäßig zwingt.

Generell gilt: Wir werden alle Bereiche der Landesverwaltung auf ihre Effizienz hin durchforsten. Das heißt zum Beispiel, dass wir die innerorganisatorischen Abläufe im Hochschul- und Schulbereich und bei der Polizei sowie auch das NSI-Projekt unter dem Aspekt der Optimierung und Einsparung überprüfen werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie des Abg. Boris Palmer GRÜNE – Lachen bei Abgeord- neten der SPD)

Dies sind nur einige wenige Beispiele für Möglichkeiten zum Aufgabenabbau, die wir in den kommenden Monaten aufgreifen und zügig angehen werden.

Im Vorgriff auf die Arbeit der „Strukturkommission für Aufgabenkritik und Haushalt“ haben wir im Koalitionsvertrag bereits einige wesentliche Eckpunkte für weitere Einsparungen festgeschrieben. So werden wir alle Kürzungen und Einsparungen, die im Doppelhaushalt 2005/06 bereits realisiert wurden, auch in den kommenden Haushaltsjahren fortführen. Alle finanzwirksamen Programme mit Steigerungsraten werden wir auf dem Stand der Haushaltsjahre 2005/06 deckeln. Damit werden wir die mittelfristige Finanzplanung unterschreiten und Einsparpotenziale vorlegen. Zusätzlich wollen wir alle freiwilligen oder auf Landesrecht beruhen

den Leistungen ab dem Doppelhaushalt 2007/08 grundsätzlich um 5 % kürzen. Wo dies unterbleiben soll, sind entsprechende Beweise notwendig. Im Regelfall gilt, dass um 5 % gekürzt wird.

Soweit die kommunale Finanzmasse betroffen ist, wird das Land Kürzungen in einer – auch rechtlich – gestärkten Finanzverteilungskommission neu verhandeln. Ich freue mich, dass die Zeichen für eine einvernehmliche Lösung der Finanzbeziehungen zwischen Land und Kommunen nicht schlecht stehen. Die Kommunen sind auch selbst gefordert, zur Kosteneinsparung neue Wege der Kooperation zu gehen. Jede Form der Kooperation bis hin zu neuen Gebietsgrenzen werden wir dabei unterstützen.

Darüber hinaus hat der Ministerrat Anfang Juni eine Ausgabensperre beschlossen. Vor dem Hintergrund der Risiken im Haushaltsvollzug haben wir uns dazu verpflichtet, im laufenden Jahr eine zusätzliche globale Minderausgabe von 70 Millionen € zu erwirtschaften.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Alles Ra- senmäher! – Abg. Ute Vogt SPD: Mähdrescher!)

Viel wichtiger aber: Alle haushaltsrelevanten Festlegungen für die Folgejahre werden einer strengen Prüfung unterzogen.

(Zuruf des Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE)

Daher haben wir in wesentlichen Bereichen die Wahrnehmung von Verpflichtungsermächtigungen für die Haushalte der Jahre 2007 ff. bis auf weiteres auf Eis gelegt, damit der Handlungsspielraum für Einsparungen bei den Haushaltsberatungen so groß ist, wie er nur sein kann.

Die Botschaft all dieser Maßnahmen zu Beginn der Legislaturperiode lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Auch bei steigendem Druck muss der Deckel auf dem Kessel bleiben. Wir wollen die Nettonull bis 2011 schaffen. Es wird in Zukunft nicht mehr Geld geben. Im günstigsten Fall werden wir den Status quo durch Solidarpakte wie bei den Hochschulen und beim Sport fortschreiben. In vielen anderen Fällen werden wir die Mittel zurückfahren. Die Debatten darüber werden im September und im Oktober in der Regierung, in den Regierungsfraktionen und schließlich im Landtag zu führen sein.

Wir haben keinen Spielraum für Mehrausgaben. Andererseits werden wir auch in Zukunft politisch gestalten wollen, neue Schwerpunkte setzen wollen, neue Projekte auf den Weg bringen wollen. Ich denke an den Bereich „Bildung und Betreuung“. Jeder Euro, der dafür neu benötigt wird, wird an anderer Stelle im Haushalt einzusparen sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wir machen uns zunächst an die Haushaltskonsolidierung und dann an die Suche nach Ausgleichsmöglichkeiten für die Finanzierung anderer, neuer und wichtiger Maßnahmen, damit im Land in Zukunft nicht nur Einsparungen, sondern auch noch Impulse möglich sind.

Wir werden auch die Förderleistungen des Landes, die Subventionen, systematisch auf den Prüfstand stellen. Dabei

(Ministerpräsident Günther Oettinger)

stellen wir uns darauf ein, dass Programme gekürzt oder auch gestrichen werden. Die teuersten Fördermaßnahmen sind diejenigen, die ihr Ziel nicht erreichen. Wir werden daher ein aussagekräftiges Fördercontrolling aufbauen. Allein daraus erwarten wir eine Effizienzrendite in der Größenordnung von 5 %. Durch eine stärkere Konzentration der Förderaktivitäten in den Ressorts können wir flexibel auf neue Herausforderungen reagieren. Idealziel ist: Nur noch ein Förderbudget pro Fachbereich mit einem festen Finanzrahmen. Entsprechend den jeweiligen politischen Schwerpunkten wollen wir so Jahr für Jahr bei der Umschichtung flexibler sein.

Auch zwischen den Ressorts brauchen wir mehr Flexibilität. Wenn der Landtag zum Beispiel sagen sollte, der Straßenbau habe Vorrang, müssten gegebenenfalls auch der Hochbau, die Städtebauförderung und das Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum einen Beitrag zur zeitweisen Erfüllung der Priorität Straßenbau leisten.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Umgekehrt!)

Ich fordere eine ressortübergreifende Flexibilität bei Ausgabenneutralität zur Erfüllung unserer Prioritäten ausdrücklich ein.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Äußerst trivial, oder?)

Etwa die Hälfte des Haushalts entfällt auf den Personalbereich. Schon heute ist absehbar, dass diese Ausgaben in den kommenden Jahren durch immer höhere Pensionskosten massiv ansteigen werden. In den nächsten 19 Jahren steigen die jährlichen Pensionskosten von heute 3,2 Milliarden € auf 7 Milliarden €. Damit stehen in knapp 20 Jahren mehr als doppelt so hohe Pensionskosten an.

Diese Entwicklung wird aus meiner Sicht auch Auswirkungen auf die Beamtenversorgung haben. Ich kann weder weitere Nullrunden noch andere Maßnahmen ausschließen. Aber ich kündige an, dass alle Maßnahmen mit den Betroffenen, den Personalräten, dem Beamtenbund, den Gewerkschaften besprochen werden, bevor hier im Landtag entschieden wird.

Eine schrittweise Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre bei Beamten ist aber unumgänglich. Sofern uns der Bund im Rahmen der Föderalismusreform dafür die Kompetenz gibt, werden wir noch in dieser Legislaturperiode die entsprechenden Weichenstellungen vornehmen.

Im Schulbereich wollen wir einen Teil der Einsparungen, die wir durch die Verlängerung der tatsächlichen Lebensarbeitszeit, durch eine längere „Mitnahme“ von Lehrern, durch Vermeidung von Dienstunfähigkeit oder zumindest deren verzögerten Eintritt, erreichen, in Weiterbildung, Supervision, Arbeits- und Gesundheitsschutz stecken. Das heißt, wir schließen einen Pakt mit den Beamten, auf dessen Grundlage durch Weiterbildung und durch Schulung eine längere tatsächliche Lebensarbeitszeit erreicht werden soll.

Ich kann mir dabei die Einführung eines persönlichen Fortbildungsportfolios für jeden Lehrer und jeden Beamten vorstellen. Ziel muss sein, die Zahl derer zu verringern, die

sich schon vor dem Erreichen ihres Pensionsalters ausgebrannt fühlen und in die Dienstunfähigkeit gehen.

Um die dramatisch anwachsenden Pensionslasten abfedern zu können, streben wir die Bildung einer Pensionsrücklage an. Die Finanzierung muss dabei haushaltsverträglich dargestellt werden. Einsparungen, die wir zum Beispiel durch die Verlängerung der Lebensarbeitszeit erwirtschaften, können wir in einen solchen Rücklagenfonds für die „Untertunnelung“ des Berges an künftigen Pensionskosten sinnvoll investieren.

Beamtinnen und Beamte sollen die Möglichkeit erhalten, eine private Altersvorsorge aufzubauen und dabei die steuerliche Förderung im Rahmen der Entgeltumwandlung zu nutzen.

Neben all diesen Maßnahmen im Bereich der Altersversorgung ist aber auch ein weiterer Stellenabbau unvermeidbar.

Wir wollen nicht über die 41-Stunden-Woche für Beamte hinausgehen. Wir sagen den Beamten ausdrücklich zu: Die Wochenarbeitszeit hat ihr Höchstmaß erreicht.

(Abg. Ute Vogt SPD: Ja!)

Dabei muten wir den Beamten einiges zu. Dies ist zumutbar. Andere Länder haben gleichgezogen, wieder andere Länder haben eine höhere Wochenarbeitszeit. Wir halten an unserer Wochenarbeitszeit und auch an den Deputaten für die Lehrer unverändert fest.

Für Angestellte konnte mit dem Tarifvertrag zwischen ver.di und der Tarifgemeinschaft deutscher Länder ein erster Schritt zur Angleichung der Arbeitszeiten erreicht werden. Mittelfristig müssen wir hier noch weiterkommen. 39,3 Stunden sind besser als 38,5 Stunden. Aber 40 Stunden sind auch für Angestellte im Regelfall zumutbar. Deswegen werden auch künftige Tarifverhandlungen von der Wochenarbeitszeit geprägt sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)